Das Licht hat etwas unheimliches. Rötlich. Zu dunkel. Durchzogen von Schatten. Mit Kraft bläst der Wind die Wolken vor sich hier. Immer schneller wechseln sich Licht und Dunkelheit ab. Immer seltener setzt sich die Sonne durch.
Am Wegesrand wiegen sich die Bäume, ächzen gefährlich. Das Laub wirbelt umher, Staub verblasst die Sicht.
Auf dem Wasser des sonst idyllischen Sees tummeln sich Schaumkronen. Kein Getier ist mehr zu sehen.
Das Geräusch, welches die Baumkronen verursachen schwillt zu einem Getöse an. Am Himmel zuckt ein Blitz, das Donnergrollen zeugt davon, dass das Gewitter immer näherkommt.
Erste Regentropfen treffen auf meine Haut. Schlagartig hat es abgekühlt. Ein letzter Kampf, dann gibt die Sonne auf und taucht hinter den Wolken ab. Erneut ein Blitz, wieder ein Donnerschlag. Mir fliegen kleine Äste ins Gesicht. Kaum noch kann ich sehen, wohin ich gehe. Die Trockenheit der letzten Woche wirbelt den Boden auf.
Der nächste Blitzt steht lang am Himmel. Durchreißt die plötzliche Dunkelheit und entlädt sich schließlich in einem lauten Knall. Ich habe mitgezählt. Nur bis acht bin ich gekommen. Ich werde schneller, eile über die vertrauten Wege und nur kurz wundere ich mich darüber, dass keine einzige Ente meinen Weg kreuzt.
Innerhalb weniger Sekunden bin ich vollkommen durchnässt. Keinesfalls war ich auf diesen Wetterumschwung eingestellt. Die dünne Jacke klebt an mir und meine Haare hängen dünn und lose über meine Schultern und in meine Stirn.
Der Regen nimmt noch zu. Es schüttet jetzt und durch den Wasservorhang kann ich kaum noch etwas sehen. Fast bin ich dankbar, als der nächste Blitz etwas Licht spendet. Die großen Eichen wanken kein Stück. Nur die dünnen Birken biegen sich im Wind. Es ist still. Nur das Wasserrauschen ist zu hören.
An der Weggabelung halte ich mich rechts. Nur etwa 500 Meter noch, dann müsste ich den Parkplatz erreichen. Und dann das Gebäude.
Warum bin ich nicht einfach zum Auto gelaufen?
Als ich Hals über Kopf das Haus verlassen habe, führten mich meine Füße automatisch in den Park. Auf den Weg, den ich unzählige Male gegangen bin. Hätte ich nicht besser mitdenken können?
Ich schlinge meine Arme um mich und stolpere über eine Wurzel. Wieder blitzt es und der Donner ist deutlich schneller zu hören. Nur noch bis vier konnte ich zählen. Beinahe direkt über mir.
Natürlich ist der Park menschenleer. Außer mir ist niemand so dämlich, bei diesem Wetter draußen herumzuirren. Noch dazu zwischen diesen hohen Bäumen.
Oder doch besser zurück?
Ist das Auto nicht auch sicher?
Ich taste in meiner Jackentasche nach dem Schlüssel.
Wieder gerate ich aus dem Tritt und trete in eine Pfütze. Fluchend suche ich weiter nach dem Schlüsselbund.
Finde nur die KeyCard für das Auto.
Bleibe abrupt stehen.
Verdammt.
Offenbar haben mir die Vorkommnisse vor meiner „Flucht“ vollkommen das Denkvermögen geraubt.
Natürlich.
Während ein besonders heller Blitz den Himmel erhellt, trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Als würde mir jemand einen nassen Lappen ins Gesicht schleudern.
Den Haustürschlüssel hatte ich in der anderen Jackentasche gehabt. Dafür die Dienstschlüssel im Auto deponiert. Weil die Jeansjacke so kleine Taschen hat. Und ich den Schlüssel für die Kita erst morgen früh aus dem Wagen hatte holen wollen.
Das dunkle Grollen signalisiert mir, dass sich das Epizentrum dieses Herbststurms nun genau über mir befindet.
Wie passend, denke ich zynisch und mache auf dem Absatz kehrt.
Nun laufe ich auch noch gegen den Wind.
Was die Sache noch unangenehmer macht.
Denn jetzt peitscht mir der Regen ins Gesicht.
Wie hunderte Nadelstiche.
Die ich seit einer halben Stunde auch in der Magengegend fühle.
Zu dem kalten Regen gesellen sich warme Tränen. Und beides versuche ich energisch mit dem nassen Ärmel aus dem Gesicht zu wischen. In beiden Fällen ein hoffnungsloses Unterfangen.
Als nächstes bremst mich ein Baumstamm aus. Der hat hier vor einigen Minuten definitiv noch nicht gelegen. Mir wird bewusst, wie stark dieser Sturm wirklich ist. Er hat die kleine Birke einfach gefällt. Fassungslos stehe ich einen Moment davor, dann besinne ich mich.
Ich muss weiter, mich in Sicherheit bringen. Und mein Ziel ist jetzt mein Auto.
Super, denke ich, und stöhne auf.
Vor Blitz, Donner und Regen ein prima Schutz.
Aber auch an der Straße stehen Bäume.
Was, wenn einer davon auf das Autodach fällt?
Doch erstmal tragen mich meine Füße weiter.
Nach einer Viertelstunde erreiche ich endlich wieder die Anliegerstraße und lasse den Park hinter mir. Noch im Laufen schäle ich mich aus der Jacke und flüchte dann in das Innere meines Autos.
Sofort beschlägt die Scheibe.
Das Wasser rinnt über die Frontscheibe wie ein Sturzbach.
Aber zumindest bin jetzt ich im Trockenen.
Mein Blick gleitet auf die Rückbank und beinahe breche ich in hysterisches Lachen aus.
Dort steht tatsächlich meine Sporttasche.
Während der nächste Blitz sekundenlang am Himmel steht, klettere ich nach hinten und öffne hektisch den Reißverschluss. Ich zerre das Handtuch und ein frisches Sportoberteil hervor.
Mir ist egal, dass ein vorbeikommender Passant mich sehen könnte. Außerdem rechne ich nicht wirklich damit. Draußen geht die Welt unter. Beinahe wie in mir selbst auch.
Ich schäle mich aus dem durchnässten Pulli und dem BH. Trockne mich einigermaßen ab und streife das Shirt über.
Besser.
Sehr viel besser.
Ebenso verfahre ich mit der Jeans und der Wäsche.
Wie gut, dass ich für den morgigen Yogakurs eine lange Hose eingepackt habe.
Ich steige zurück und lasse mich wieder auf den Fahrersitz fallen. Drehe dabei die Heizung noch.
Noch immer blitzt und donnert es. Noch immer peitscht der Wind den Regen vor sich her.
Kastanien werden von den Bäumen geweht und schlagen tösend auf dem Autodach ein.
Erst zucke ich zusammen, dann bin ich dankbar, dass es nichts Schlimmeres ist.
Und nun?
Ohne es zu wollen suchen meine Augen nach den Fenstern im zweiten Stock.
Sowohl Küche als auch Kinderzimmer sind hell erleuchtet.
Wieder dringen Tränen durch und ich kann nicht verhindern, dass sie unkontrolliert über meine Wange laufen.
So sitze ich bestimmt eine halbe Stunde. Erst dann bemerke ich, dass der Abstand zwischen Blitz und Donner deutlich größer geworden ist.
Erleichtert atme ich auf.
Der Regen hat nachgelassen und ich kann die Straße vor mir wieder erkennen.
Laub, Äste, ganze Zweige liegen auf derselben. Das Auto vor mir ist über und über mit Blättern bedeckt.
Und jetzt?
Vorhin hatte ich einfach nur weg gewollt.
Jetzt ist mein Zorn verraucht.
Der Regen hat mir eine Abkühlung verpasst.
Und meine Gedanken und Empfindungen hängen nicht mehr in der Sackgasse fest.
Während aus dem Regen ein Tröpfeln, aus dem Sturm ein normaler Wind wird, sortiert sich mein Chaos langsam.
Doch, ich muss weg.
Muss für mich nachdenken können.
Dennoch wage ich einen Blick nach oben.
Ich kann eine Gestalt am Küchenfenster ausmachen und mir wird bewusst, dass man mein Auto von dort sehr gut erkennen kann.
Ich ziehe am Gurt und lege den Gang ein.
Während ich den Motor starte, kann ich eine zweite, kleine Gestalt am Fenster daneben sehen. Dahinter die Silhouette einer Frau.
Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich jetzt fahre.
Ich darf so handeln.
Als hätte mir der Sturm den Kopf frei gepustet, treffe ich diese Entscheidung ganz klar.
Im Schritttempo rolle ich aus der Straße und biege dann ab.
Im Rückspiegel sehe ich einen Blitz, der wild zuckend über den Himmel fährt und dann in einen Baum einschlägt.
Erschrocken verreiße ich beinahe das Lenkrad.
Dort, wo soeben noch mein Auto gestanden hatte, prasselnd dicke Äste auf die Straße.
Weg, denke ich.
Einfach nur Weg.