Prompt: https://www.pinterest.de/pin/406520303867389448/?autologin=true (17.11.19)
nachgeschrieben am 20.11.2019
Startzeit: 21:50 Uhr
Ende: 22:52 Uhr
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Hand in Hand gehen wir über den knirschenden Schnee. Es hat kräftig geschneit in der Nacht und fast 20 Zentimeter Neuschnee sind liegen geblieben. Es es klirrend kalt, die Eiszapfen an den Bäumen sprechen Bände. Immerhin haben sich die schweren Wolken verzogen und der Sonne etwas Platz gemacht. Meine Wangen sind kalt und gerötet. Vor uns läuft der Hund, der immer wieder stehen bleibt und sich nach uns umsieht. Du hast die Leine in der freien Hand und lässt das Tier nicht aus den Augen. Er hört gottlob aufs Wort und wenn du pfeifst, bleibt er umgehend stehen. An der jetzigen Kreuzung wirft er uns fast einen vorwurfsvollen Blick zu, weil du ihn bestimmt aufgefordert hast, zu warten. Zu seiner großen Überraschung biegen wir aber nicht links ab, wo es zurück zum Haus gehen würde, sondern rechts. Er zögert gar einen Moment, lässt uns gar ein Stück gehen, ehe er dann an uns vorbei trabt. Auch ich bin irritiert und sehe dir ins Gesicht.
Du lächelst, auch deine Wangen und die Nase sind rot von der Kälte. Deine Augen blitzen heute grau und um deine Mundwinkel liegt ein Lächeln. Wir stapfen weiter am Waldrand entlang und machen mit jedem Meter ein bisschen Höhe. Ich kenne diesen Weg nicht, obwohl wir auch im Sommer und Herbst viel hier waren und lange Spaziergänge gemacht haben. Bellend läuft der Hund aufgeregt um die nächste Kurve. Ein Pfiff von dir und er ist wieder in Sichtweite. Du leinst ihn an, ehe wir weiter in den Wald hineinkommen. Dabei erklärst du mir, dass dies der bevorzugte Weg deiner Kindertage ist. Mit dem Rad sind du und deine Freunde über diese Abkürzung von der Siedlung zum Waldsee gelangt. Ich kenne nur die Fahrstraße, die durch das Dorf führt. Unheimlich, so erklärst du, war eben dieser kurze Part, auf dem wir uns nun befinden. Etwa 200 Meter durch den Wald. Im Herbst oder Winter ab späten Nachmittag und bis zum Vormittag eine dunkle Angelegenheit. Doch, so erzählst du mit einem Grinsen weiter, der Ausblick entschädigt. Und tatsächlich halte ich kurz die Luft an, als wir zwischen den Bäumen hindurchgehen und dann im freien Feld stehen.
Die Luft ist klar und der Blick dadurch ungetrübt. Ab jetzt geht es entweder bergab zurück ins Dorf oder über einen kleinen Pfad zum See. Du bleibst hinter mir stehen und dein Atem kitzelt mich am Ohr. Der Hund hat sich brav neben dich gesetzt, ich kann ihn leise hecheln hören.
Du flüsterst.
Zeigst hinunter.
Neben der Kirche liegt der Friedhof.
Schneebedeckte Grabsteine kann man gerade noch so ausmachen.
Dahinter das kleine Museum mit dem urigen Kaffee. Daneben die beiden denkmalgeschützten Gebäude, die heute einen Floristen und ein Café beherbergen. Etwas versetzt die Grundschule, das Gebäude der Musikschule, die Bibliothek und die Landarztpraxis. Der Dorfplatz als Zentrum, drei Straßen gehen von ihm ab. Die breiteste führt quer durch den Ort und zur nächstgrößeren Stadt. Eine der Landstraßen schlängelt sich um das Dorf herum zu den Siedlungen und alten Höfen, die man von ihr nicht sehen kann. Die andere verbindet die Sportplätze, das kleine Schwimmbad und den Wanderparkplatz mit dem Ort. Von letztem sind es etwa 15 Minuten bis zum See.
Aber dort zieht es dich heute nicht hin.
Stattdessen nimmst du meine Hand.
Zielsicher geleitest du mich an den glatten Stellen vorbei, hinunter zum Zaun des Friedhofs. Nach einer Weile erreichen wir ein schmiedeeiserndes Tor, welches einen Spalt offen steht. Dank dem Schnee kann man es kaum bewegen, aber wir passen gerade so durch. Auch der Hund, der schwanzwedelnd durch das Tor schlüpft.
Natürlich kenne ich diesen Friedhof. Es gehört zu einer Tradition deiner Heimat, das man ihn am Heiligen Abend mit der Familie aufsucht. Ein Licht entzündet und sich an den Familiengräbern trifft. Dort der örtlichen Blaskapelle lauscht, die für knappe zwanzig Minuten Weihnachtslieder spielen. Eine auch mir liebgewordene Tradition. Ich wundere mich, dass wir schon am Morgen hier sind, wo wir doch später sowieso wiederkommen werden. Oder hast du etwas anderes vor? Neben der Grabstätte deiner Großeltern, die du sehr geliebt hast, befindet sich hier auch das Grab deiner ersten großen Liebe. Dorthin hattest du mich im letzten Jahr gebracht, als wir deinen Eltern von unserer Verlobung erzählt hatten. Ich habe damals verstanden, warum dir der gemeinsame Besuch an Annas letzter Ruhestätte wichtig war.
Heute geht es dir um etwas anderes.
Wir biegen zweimal ab, verlassen den Hauptweg und erreichen die gepflegte Nische. Deine Mutter pflegt die beiden Gräber liebevoll. Doch dank des Schnees kann man relativ wenig davon erkennen. Du gehst in die Hocke und befreist die feste Laterne am Boden vom Schnee.
Ich habe dir die Leine abgenommen und befestigte diese an der Parkbank. Der Hund sieht dir interessiert zu. Du zündest die Kerze an und verschließt das Türchen der Laterne sorgfältig. Erst dann erhebst du dich wieder. Mit der Hand wischst du über die Steine, damit die Namen und Daten gut zu lesen sind.
Ich ahne etwas, als du mit einem scheuen Blick auf mich zukommst. Deine rechte Hand berührt meinen Bauch und streichelt sanft darüber. Dabei schaust du mir direkt in die Augen. Wir haben nur ein paar Tage vor der Fahrt hierher erfahren, welches Geschlecht unser Baby haben wird. In den beiden Untersuchungen davor hat sich das Kleine ein wenig geniert und nicht gezeigt. Zu 95% dürfen wir uns nun aber sicher sein. Haben aber beschlossen, es noch niemandem zu sagen. Es soll unser süßes Geheimnis bleiben.
Seitdem machen wir uns natürlich sehr viel mehr konkrete Gedanken über einen Vornamen als bisher. Und deswegen hast du mich hierher gebracht. Du hast den Namen bisher nicht vorgeschlagen. Hast eigentlich nur zugehört, welche mir in den Sinn kamen und dazu deine Meinung abgegeben. Jetzt beugst du dich zu mir und gibst mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
Ich spüre ein Flattern und registriere das immer noch unglaubliche Gefühl in mir. Das Kleine bewegt sich und macht sich bemerkbar. Ich greife nach deiner Hand und platziere sie an der richtigen Stelle. Verbunden mit der Hoffnung, dass du es trotz der dicken Jacke spüren kannst.
Dein Blick verrät mir, dass du Glück hast. Verlegen beißt du dir auf die Lippen. Dann öffnest du sie, willst etwas sagen, aber ich lege einen Finger auf deinen Mund. Der Zauber des Moments ist so wunderbar. Ich lehne meinen Kopf an deine Schulter und wir warten gemeinsam darauf, dass sich der Winzling in mir wieder beruhigt. Es ist pures Glück. Ein Gefühl, dass ich kaum beschreiben kann.
Dich so zu sehen, überwältigt von all dem, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ist ein kostbares Geschenk.
Ich nicke nur und mein Blick wandert zum Grabstein, zu dem Namen, der dir so wichtig ist.
Du blinzelst eine Träne weg und küsst mich erneut. Diesmal ungestüm und voller Freude. Ach, ich liebe dich so sehr. Und ich werde dir vermutlich nie verraten, dass dieser Name so oder so auf meiner Liste gestanden hatte. Weil er mir gefällt und weil ich dich kenne. Manchmal reicht es, wenn man gar nichts sagt.