Da stand er nun. Wie hatte es nur soweit kommen können? Er wollte doch bloß einige Stunden alleine sein. Die Ruhe genießen können, ohne dass immer irgendwer etwas von ihm wollte, oder etwas an ihm auszusetzen hatte und nicht weiter warten wollte , um ihm genau dies mitzuteilen. Er war einfach genervt gewesen, und wollte ein paar Stunden ohne die aufdringliche Gesellschaft seiner Familie verbringen. Also war er einfach gegangen. Sang- und klanglos verschwunden, würde seine Mutter es nennen. Mal wieder.
Ja der Blonde Junge verschwand öfter aus seinem Familienheim, um zu meditieren und seine Seele von den giftigen Triezereien und verletzenden Kommentaren seiner Familie zu bereinigen. So wie er es von seinem ehemaligen Lehrmeister gelernt hatte. Auch wenn dieser ihm nicht weniger gut gesinnt war, wie der Rest der Familie, so hatte der alte Greis ihm doch ein paar gute Tipps und Übungen gezeigt, um sein Seelenwohl wenigstens etwas zu bereinigen. Seine Seele sei schon beschmutzt genug, so die Worte seines Lehrers. Er war nicht so wie die anderen seiner Art, auch wenn es äußerlich keinen Unterschied zwischen den blauen Augen und den blonden Haaren des jungen Mannes und der restlichen Sippschaft gab. Auch Körperbau und Gesichtsmerkmale waren identisch. Nur sein tiefstes Innerstes, seine Seele, unterschied ihn von den anderen. Denn diese besaß seit seiner Geburt Makel.
Schwarze Punkte, die in dem silbrig schimmernden weiß seiner Seele ihren Platz gefunden haben. Mit jedem Tag, von Kindesbein an, wuchsen die Sündflecke seiner Seele, fraßen ihre Reinheit. Die Seele eines Engels würde niemals immer vollkommen bleiben. Oh nein, aber Sündflecke auf der Seele eines Neugeborenes waren etwas vollkommen anderes. Jeder Engel bekommt mit dem Alter, meist wenn sie die zwei oder dreihundert Jahre überschritten haben, einige kleine Sündflecke. Nur waren diese als feine hellrosa oder hellblaue Linien zu erkennen. Je nachdem wie schlimm die Sünden sind, die die Engel im Alter angesammelt haben, verfärben sich die Linien dunkler. Doch als Neugeborenes schon schwarze Sündpunkte auf der Seele zu haben, brachte ein sehr schweres Leben mit sich. So konnte der Blondhaarige eigentlich von Glück reden, dass seine Eltern einen recht angesehenen Platz in der Gesellschaft haben. Mit Hilfe einiger gut gepflegten Kontakte, hatten sie es geschafft, ihn vor dem restlichen Volk geheim zu halten. Einzig der Rest der Familie und Verwandte, welche weitestgehend mit auf dem Anwesen seiner Eltern lebte, wusste von seiner Existenz. Doch er hatte einen weiteren Makel. Eines von dem niemand außer ihm selbst wusste. Er zog ein Biest in sich. Erschaffen durch die Sünden auf seiner Seele, lebt es im verborgesten Teil seines Geistes, nährt sich von seiner schlechten Seele, wächst und gedeiht, wie seine Sündflecke. Allein die Ketten seines guten Willens halten das Biest davon ab, hervor zu kommen.
Ein stoß in den Rücken lässt den jungen Mann vorne rüber auf die Knie fallen und reißt ihn aus seinen Gedanken. Die Ketten seiner Hand und Fußfesseln klirrten. Der Blonde verbiss sich einen Laut des Schmerzes. Er hatte schon früh lernen müssen, dass es sich für einen Engel nicht gehörte, seinen Schmerz zum Ausdruck zu bringen. Selbst nicht für einen wie er es war. Ein unzufriedenes Knurren lässt den Blick des jungen Mannes nach oben schnellen. Er kniete mit genügend Abstand vor einem Thron ähnlichem Gebilde. Platzgenommen auf diesem hatte ein Mann, der pure Macht ausstrahlte. Der Engel konnte nicht anders, als das Gesicht seines Gegenübers intensiver zu betrachten. Harte, markante Züge, ein schön geschwungener Mund, dunkles Haar und smaragdgrüne Augen, die einen nieder zu starren versuchten.
Der Mann schien auf etwas zu warten. Ein ungeduldiges Räuspern hallte durch den Raum. Leise, und doch für alle Anwesenden hörbar, ertönt ein peinlich berührtes „Oh, achso“ zu der Rechten des Blonden. Plötzlich kam Bewegung in den Saal. Stoff raschelt und Rüstungen klappern. Mit einem versucht unauffälligen Schielen nach links und rechts, wird dem jungen Mann klar, dass die Wachen und der bauchige Mann vergessen hatten, den Mann auf dem Thron angemessen, mit einer Verbeugung, zu begrüßen. Der bauchige Mann hatte sich dem Trüppchen, aus den zwei Wachen und dem Blonden selbst, angeschlossen, nachdem diese das Tor zur Burg durchquert hatten.
„Nun, Regius, wen hast du mir da mitgebracht“, spöttelte der Dunkelhaarige auf dem Thron. „Verehrte Majestät, Euer Durchlaucht, die Wachen – sie nahmen den Bengel dabei fest, wie dieser versuchte einzudringen, in eine unserer Wachtürme, Euer Durchlaucht“, haspelte der Angesprochene. „Und Regius, weißt du auch, weshalb er dort einzudringen versuchte?“ „Um… Also, Euer Durchlaucht, ich vermute…“, mit einer einfachen Handbewegung lässt der augenscheinliche Regent das Gestotter Regius‘ verklingen. „Du weißt es also nicht. So wie ich deine schlampige Arbeit kenne, weißt du nicht einmal den Namen des Jungen. Gehe ich in meinen Annahmen richtig, Regius?“ Die Stimme des Mannes war hart und schneidend. „Verzeiht, mein Herr“, wimmert der bauchige Mann.
Die Smaragdaugen wandern weiter zu den Blonden, der kaum das Alter zum Mann überschritten haben konnte. „Also Junge, wie lautet dein Name?“, sprach er den Jungen zu seinen Füßen direkt an. Der Angesprochenen zuckte zusammen, schien nicht damit gerechnet zu haben, von ihm direkt angesprochen zu werden. Der Blonde richtete sich, soweit es die Wachen zuließen auf. Den Rücken gerade, das Kinn etwas gehoben antwortete er: „Mein Name ist Yasha, Herr“ Der Blonde hatte weder seine Erziehung, noch seinen Unterricht vergessen. „Ihr müsst mir verzeihen, Herr“, fuhr der Blauäugige fort, „diese Wachtürme waren Jahrzehnte lang unbesetzt gewesen. Die Nachricht, dass Ihr Anspruch auf dieses Land erhoben habt, hatte mich nicht erreicht, Herr. Bitte vergebt mir.“ Ein Schmunzeln legt sich auf die Lippen des Dunkelhaarigen.
Wenigstens einer kannte die Umgangsformen des Hofes, und wie diese zu nutzen waren. „Nun denn, was gedachtest du, dort oben allein auf dem Wachturm zu tun?“ „Ich erhoffte mir, dort die benötigte Ruhe einer angenehmen Meditation zu finden, Herr.“ „Yasha, dir ist bestimmt bekannt, dass das verlassen eures Landes eine Widrigkeit der Regeln ist. Das Betreten eines in Anspruch genommenes Landes, ohne Ankündigung oder Einladung, kommt einer Kriegserklärung nahe. Da du aber noch sehr jung zu seien scheinst, kaum das Alter vom Jungem zum Mann überschritten hast, sehe ich es als unbedachte Tat eines Jungen an, dass du dich über die Grenzen geschlichen hast, und lasse dein Land entscheiden, wie es mit dem Regelbruch umgeht. Nur solltest du ein zweites Mal, unangekündigt und uneingeladen mein Land betreten, werde ich mich auf die alten Schriften berufen. Und jetzt, befreit von dem Ketten. Ich werde kurz ein Schreiben anfertigen. Bringt den Jungen, zusammen mit dem Schreiben, zum Tor des Landes. Der Junge kann von dort alleine laufen, und das schreiben, übergebt ihr einer der Wachposten. Die sollen es so schnell wie möglich zum Landesregenten bringen“, wand der Dunkelhaarige sich an die Wachen. Diese beeilten sich den Blonden von seinen Fesseln zu befreien. Fast augenblicklich stand der junge Mann auf und rieb sich seine Handgelenke. Die fesseln hatten gescheuert und waren zu eng gewesen. Das würde blaue Flecken auf der Haut des Engels geben.
Der Dunkelhaarige erhob sich von seinem Thron. Er war schon fast zur Tür hinaus, als die Stimme des Blauäugigen ihn zurückhielt. „Habt vielen Dank, Herr.“ Ein Lächeln bildet sich auf den Lippen des Mannes, ehe er ohne einen Bick nach hinten durch die Tür trat, und sein Arbeitszimmer abstrebte. Der Junge gefällt ihm. Yasha, erinnerte er sich. Ein wirklich ungewöhnlicher Name für einen Engel. Irgendwie mit einer gewissen Ironie verbunden, befand er. Dämon, so war die Bedeutung des Namens. Welcher Engel benannte sein Kind mit einem Namen, dessen Bedeutung die Feinde derer hat? Wirsch schüttelt er den Kopf. Es machte auch nichts anders, wenn er sich da Gedanken drum machen würde. Normalerweise schätze er die Anwesenheit dieser Sippe nicht. Doch Yasha interessierte ihn. Nicht nur sein Name, auch wenn es bestimmt sehr unterhaltend war, herauszufinden warum der Blonde diesen Namen trug. Nein, der Junge hatte etwas an sich, für ihn etwas nicht greifbares, was ihn von den anderen unterschied. Vielleicht war es auch einfach nur der Mangel an Arroganz, die für das Federviehfolk üblich war, oder wie leicht er sich ihm unterworfen hatte. Es könnten auch die guten Manieren und Umgangsformen gewesen sein.
Die lauten Schritte Regius, störten die Gedanken der Smaragdaugen. Genervt brummt der Dunkelhaarige. Wieso hatte er nur diesen Tölpel in sein Gesinde aufgenommen? Ohne den Heraneilenden zu beachten, schritt er nun schnelleren Schrittes auf sein Arbeitszimmer zu. Dort würde er seine Ruhe haben. Nur seinem Leibdiner war es gestattet, ihm in diesen Raum zu stören. Laut fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, und signalisierte Regius, dass er nicht gestört werden wollte. Das Schreiben war schnell aufgesetzt, und der Dunkelhaarige zog an der Schnur, die seinen Leibdiner Serge zu ihm rief. Diesen beauftragte der Dunkelhaarige, das Schreiben einem verlässlichen Boten zu geben, der den blonden Mann und seine Wachen begleiten soll. Daraufhin verlässt Serge wieder sein Arbeitszimmer, und er konnte ungestört seine Faszination an dem Jungen grübeln.
Unauffällig versuchte Yasha sich ein wenig mehr in Thronsaal umzusehen. Alles war kahl und bis auf den Thron gab es nur vier Rüstungen, die den Raum schmückten. Zwei von ihnen standen an der Tür, durch die er geführt worden war, und zwei postierten sich jeweils links und rechts neben der Tür, durch die der Mann mit den Smaragdaugen verschwunden war. Dieser schein ihm mehr oder weniger freundlich, oder besser milde gesinnt zu sein. Dennoch hatte der junge Blonde Sorge. Nicht, wie der Regent seines Landes auf seinen Regelverstoß reagieren würde. Sondern um die Reaktion seines Vaters sorgte er sich. Denn (Name des Vaters) war nicht dumm, und würde eins und eins zusammen zählen können. Er würde nie wieder auch nur einen Knochen rühren können, wenn sein Vater mit ihm fertig wäre. Da war der junge Mann sich sicher. Ein eisiger Schauer rieselte ihm bei diesen Gedanken über den Rücken, und ließ ihn erschaudern. Die Strafe seines Regenten würde mild ausfallen. Er war noch jung und hatte sich noch nie vorher was zu Schulden kommen lassen. Da drückte dieser gerne mal ein Auge zu, und erteilte deutlich mildere Strafen, als es eigentlich hätte geben sollen. So wird es wahrscheinlich auf eine Ausgangssperre bis zu zwei Wochen hinaus laufen. Er würde das Grundstück seiner Eltern nicht verlassen dürfen. Der junge Mann hätte beinahe sarkastisch aufgelacht. Er hatte noch nie freiwillig das Grundstück seiner Eltern in Richtung Engelsstadt verlassen. Die Ausgangssperre würde für ihn gar kein Problem darstellen. Sie würde ihm sogar von Nutzen sein. So müsste er nicht mehr als Packesel mit seiner Mutter, oder einer seiner Tanten mit in die Stadt. Außerdem wird er die nächsten Wochen kaum rühren, geschweige denn sein Zimmer verlassen können. Vom Grundstück seiner Eltern mal ganz abgesehen. Der Hellhaarige hob interessiert den Blick, als die Tür, durch die die Smaragdaugen verschwunden waren, sich wieder öffnete. Zu seinem Bedauern, oder Glück, dass wusste Yasha noch nicht so genau, war es nicht der dunkelhaarige Mann, sondern ein älterer, hochgewachsener Mann, mit graubraunem Haar und leichten Fältchen in Gesicht. Diese ließen ihn sympathischer wirken, als die Aura, die er ausstrahlte. Der Mann strahlte unangefochtenes Selbstbewusstsein aus. Etwas was Yasha fast noch mehr einschüchterte, als die Macht, die die Smaragdaugen ausstrahlten. Auch er schien einem höheren Standpunkt in dieser Gesellschaft zu haben, als ein einfacher Diner, oder Bote. Dem Blauäugigen wurde mulmig zu mute. Etwas an diesem Mann hatte sein Biest aus dem Schlaf gerissen. Es spitzte die Ohren, sog tief Luft ein. Es hatte etwas gewittert, was es unruhig werden ließ. Das war gar nicht gut. Auch ihn versetzte der Mann in Unruhe und Auffuhr. Das Biest tigerte hinter den Gitterstäben seines Geistes auf und ab, wollte raus. Viele negative Empfindungen prasselten gleichzeitig auf ihn ein. Ausgelöst durch das Erscheinen des Mannes und dem Erwachen seines Biest. Yashas Magen verkrampft sich, als der Mann direkt auf die kleine Truppe zusteuert. „Mittkommen“, fordert dieser, und zieht an ihnen vorbei. Seine Schritte waren fest und zielsicher. Er strahlte die gleiche Macht aus, wie der Dunkelhaarige. Nur nicht in diesem Überdimensionalem Ausmaß.
Die Wachen fassten ihn links und rechts an den Armen. Zusammen eilten sie dem älteren Mann hinter her. Kurz kam Yasha wagen dem unerwartet eiligen Aufbruch ins Stolpern, folgte, als er sich wieder gefangen hatte, jedoch gehorsam.
Sie steuerten die Ställe an. Dort sprach der Mann auch schon mit einem augenscheinlichen Boten, der wohl das Schreiben, von dem der Dunkelhaarige gesprochen hatte, überbringen soll. Der Bote nickt ein paar mal, sitzt auf seinem Pferd auf, und prescht davon. Wahrscheinlich um sie anzukündigen. Nun kam der ältere Mann wieder auf den kleinen Trupp zu. Yasha wurde immer unruhiger, je näher er ihm kam. Dies merkte auch sein Biest. Es war direkt wieder in Alarmbereitschaft. Wanderte hinter den Gittern, schnupperte in der Luft, ließ ein angespanntes Knurren aus. Alle seine Muskeln waren zum zerreißen gespannt, jeder Zeit bereit die Kontrolle zu übernehmen, bereit für einen Kampf. Seine Anspannung war zum greifen nah. Dies schien auch der ältere Mann zu spüren. Kurz vor ihnen hielt er inne. Er legte den Kopf schief, ein feines Grinsen verzog seine Lippen, ließen seine Fältchen tiefer wirken. Dann drehte er sich zu der Wache links von Yasha, und sprach leise mit ihr. Danach mit der rechts von ihm. Sie sprachen leise und schnell, sodass er nicht verstehen konnte, um was es in ihrem Gespräch ging. Nervös biss er sich au die Unterlippe. Er mochte es nicht, wenn die Leute um ihn herum so leise redeten, dass er es nicht verstand. Denn oft ging es dann in diesen Gesprächen um ihn. In den wenigsten Fällen, waren es Nettigkeiten, die über den Blonden ausgetauscht wurden. Dazu kam jetzt noch die Anwesenheit dieses Mannes und seine Reaktion auf die Anspannung, die von Yasha ausging. Es machte ihn unruhig. Seine Anwesenheit machte ihn und sein Biest unruhig. Der Blauäugige musste sich konzentrieren, und nicht die Ketten zu lösen, und die Tür zur Zelle seines Biest zu öffnen. Konnten sie jetzt nicht einfach los gehen? Weg von diesem Anwesen, weg von diesem Mann. Er fürchtete sich vor dem, was passieren würde, wenn er die Konzentration verlor, und sich auch nur eine der Ketten lockern würde. Soweit dürfte es niemals kommen. Nicht in diesem Leben.