Träge rieb ich mir über das Gesicht, während ich die Schlange vor mir betrachtete.
Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich, während mein Glück wohl heute mir wirklich nicht folgte. Freitag der Dreizehnte war doch schon gewesen und eine schwarze Katze ist mir auch nicht von links auf dem Hinweg begegnet. Und dennoch standen sicher zehn weitere Personen vor mir und warteten wie ich darauf, von den günstigen Angeboten meiner Lieblingsbäckerei etwas abzubekommen, bevor die Tresen leergeräumt waren.
Während ich auf das Display starrte und die analoge Uhr vor sich hin tickte, summierten sich bereits die Minuten, in denen ich hier an der Stelle stand und auf eine Verkürzung der Schlange wartete. Wie mir völlig bewusst war, ließen sich Menschen sonntags besonders viel Zeit. Schließlich war das der Heilige Tag, an welchem man nicht arbeite und niemand, wirklich niemand sich Stress aussetzten wollte. Dazu würde ein ausgiebiges Frühstück den guten Start in den Tag bedeuten. Doch auf diese Idee schienen auch gefühlt alle nahwohnenden Personen gekommen zu sein. Allein die Schlange füllte den kleinen Vorraum, draußen sammelten sich immer mehr Menschen zusammen. Durch die aktuellen Maßnahmen wegen Corona musste man ja die Abstände einhalten, doch nicht einmal die auf dem Boden aufgeklebten Striche und Abstandhinweise an den Wänden zeugten von wirklich viel Durchsetzungskraft. Ein günstiges Angebot war wohl immer noch besser als die eigene Gesundheit. So schien es mir jedenfalls, während ich mich umsah und versuchte, nicht allzu sehr in die Gesichter der Wartenden zu atmen.
Als ich den Blick durch den Laden streifte, erkannte man durch die sauber geputzten Fensterscheiben die düsterschwarzen Regenwolken, die wie ein Donnerschlag auf mein Gemüt preschten. Meine Geduld fühlte sich an wie die Lunte einer Bombe, die nur wartete, ihre Sprengkraft vollends auszutesten.
Die einzelnen Tropfen auf dem Glas wurden nach und nach mehr, bildeten vor dem Laden einige Pfützen. Das Prasseln sollte eigentlich beruhigend wirken, dennoch drückten die hinter mir Wartenden durch die Tür und pressten sich an die Scheiben, um zwar trocken bleiben zu können, aber dennoch genügend Abstand zu wahren. Doch dieses Schauspiel, wie sich die Alten nicht um die Regeln kümmerten und die junge Generation sich vehement daranhielt, war geradezu amüsant anzusehen. Wenn man nicht mittendrin stand.
Ich versuchte daher, mich weitestgehend von den anderen zu distanzieren, jedoch meinen Platz in der Schlange zu bewahren. Murrend und mit zusammengebissenen Zähnen blickte ich über die Theke und sah die Verkäuferinnen, wie sie mies gelaunt auf die Bestellungen warteten. Mindestens drei sah ich umherhuschten, dennoch müsste es noch dauern, bis ich meine Wünsche äußern konnte.
Ob ich bis dahin überhaupt was bekomme?
Um die Zeit zu überbrücken, wandte ich mich ab und blickte auf das Display. Eine neue Nachricht tauchte auf, geschrieben von Annika.
>>Wo bist du?<<
>>Wollte dich nicht wecken, mein Schatz. Bin beim Bäcker. Magst du was?<< Ich wusste um ihre Liebe zu Süßem, deshalb wollte ich meine jahrelange Partnerin eigentlich mit einem Frühstück überraschen, während sie noch in den Federn lag. Dennoch dauerte es einige Minuten, bis ein erneutes Pling mich grinsen ließ.
>>Klar. Bring mir ein Krapfen mit. Und eine Himbeertorte.<<
>>.Eine Torte zum Frühstück?<< Mein Grinsen unter der Maske wirkte sicher schräg, doch ich konnte es mir nicht verkneifen.
>>Wer von uns beiden trinkt denn bitte kalten Kaffee mit Zitrone?<< Der Punkt ging an sie.
Ich schickte einen Daumen hoch und steckte das Handy wieder weg, während das Prasseln des Regens mich aufschauen ließ. Der Wind peitschte durch die Straße, mein Fahrrad an der Absperrung wackelte mit dem Sturm mit und würde ohne die Kette sicher umfallen. Der Regen gesellte sich dazu, sodass innerhalb Sekunden der trockene Boden von Wasser nur so überquoll.
Super, und ich darf heimfahren.
„Der nächste!“, rief eine weibliche Stimme hinter mir und winkte die Wartenden voran. Durch die Gedanken hatte ich die Zeit vergessen und sah zu, wie die Schlange sich nach und nach auflöste. Überraschenderweise kam ich innerhalb weniger Minuten dran und erkannte die dunkelhaarige Verkäuferin, wie sie mit ihrem glatten streng nach hinten frisierten Zopf ebenso düster dreinblickend auf meine Bestellung wartete. Ich gab ihr das Gewünschte, während sie mit schnellen Fingern die Kasse bediente und die offene Tüte in der Hand hielt. Ein schräges Piepsen ertönte, während ich die Kasse ansah und den zu zahlenden Betrag bereits in den Händen hielt.
Meine Lunte war fast durchgebrannt, während ich beinahe über die Theke springen wollte, um den Schauer wenigstens halbwegs entgehen zu können. Je mehr ich hier drinnen noch warten würde, desto eher würde ich hier schreiend ausbrechen. Die Menschenmassen waren einfach nichts für mich. Auch wenn es nur wenige Menschen in dem Laden waren. Deshalb blickte ich nervös drein, sah mich um, dachte wieder zu viel, als dass ich mich aufs Wesentliche konzentrierte.
„Das macht dann acht, neunzig“, sagte die Dame mit erstaunlich weicher stimmte, die mich erschrocken aufschauen ließ. Unter der FFP2-Makse erkannte ich ihre Gesichtszüge nicht, dennoch weitete sich meine Augen, während ich in ihre gelben Iriden starrte. Wie flüssiges Gold umspielten sie ihre obere Gesichtshälfte und ließ sie so warm wie auch herzlich erstrahlen. Doch dieser starre Blick Geradeaus in meine Grauen fixierten mich wie der Blick eines Adlers. Kurzzeitig blickte ich wohl viel zu lange auf sie, während sie ungeduldig mit den langen Fingernägeln auf die Arbeitsfläche tippte.
„Heute noch?“
„Ja…ja, Entschuldigung“, schnell kramten meinen Finger nach den Münzen, während sich plötzlich ein kalter Schauer hinter mir ausbreitete. Die Stimmen in den Laden verstummten nahezu, als das Klingeln der Tür neue Besucher ankündigte. Während mein Blick an den zwei düster wirkenden Gestalten hängen blieb, hörte ich hinter mir die Verkäufern.
„Shit.“