Woher auch immer der Mann vor mir wusste, wer ich war und was geschehen war, er hatte durch seine Fähigkeit des Glücks durch die Wortfetzen der Kerkermeister alles richtig zusammengesetzt. Vayas Atemzüge wurden ruhiger, als Georg sie in die Arme nahm. Jamy zischte ihm wütend zu, während das tierische Knurren nicht mehr zu dem freundlichen Mann passte, den ich an der Bar kennengelernt hatte.
„Wehe, du…“ Georg sah träge auf, strich Vaya einige Male über den Kopf. Sie sah ihren Leibwächter an, nickte nur und gähnte ein wenig. Vaya würde alles mitkriegen, aber nicht mehr wie eine Ziege umherschreien. Uns lief eindeutig die Zeit davon.
„Jamy“, sagte ich und stand auf. „Wie schön, dass es dir gut geht.“
Meinem frostigen Lächeln stand dem Zorn nichts entgegen, den mir Jamy zeigte.
Der Mann lachte kurz auf. „Ja, ich habe meinen Aufenthalt genauso genossen wie du.“
„Musst ja ganz viel Glück gehabt haben, dass man dich nicht zu Tode geprügelt hat.“
„Ja, Fortuna hatte wohl ein Auge auf mich geworfen, so sehr bin ich froh, außer körperlichem Schmerzen und seelischem Leid nichts weiter ertragen zu müssen. Und du, du widerlicher Wurm? Hast du gerne das Bett mit einer Freundin geteilt? Ach nein,...“, er gönnte es sich, aufzulachen und mich höhnisch anzublicken. „…sie ist ja jetzt die Anführerin der Gruppierung, die sich gegen deinen Vater auflehnt. Wie schwer es doch sein muss, als du das herausgefunden hast.“ Der Spott lag auf meiner Zunge, und ich konnte nicht anders.
„Oh, es war eine reine Freude. Besser, als in dieser stinkigen Zelle keinen Besuch von der Frau zu bekommen, die das gleiche Schicksal hatte wie du.“ Ich zuckte träge mit den Schultern und blickte hinab zu der einzigen Frau im Raum. Sicher würde Vaya uns beiden Manieren zuweisen und klarstellen, wir hätten die Zeit nicht, uns zu streiten. Doch stattdessen flatterten ihre Lider und jedes Mal, wenn sie Luft holte, strich Georg ein weiteres Mal über ihre Haut. Er würde sie beschützen und tragen, wenn es sein musste. Eigentlich war sie in guten Händen, doch Jamy schien das nicht zu kapieren.
„Immerhin musst du dir keine Gedanken machen, was mit ihr passieren wird. Wenn sie ja jetzt in meiner Obhut ist, könnte ich ja alles Mögliche mit ihr anstellen.“ Mit vielsagendem Blick lächelte ich finster. „Und du, als ihr Leibwächter, hast noch kläglicher versagt als zuvor.“
Knurrend stemmte sich der muskulöse Mann gegen die Ketten, sodass diese jedoch trotz der Spannung keinen Zentimeter mehr Freiheit schafften. Jamy war circa zwei Meter von den Zellerstäben entfernt. Dank meiner Gabe müsste ich nur den Kopf drehen und er stünde vor mir, wir würden entspannt aus dem Labyrinth verschwinden, ohne, dass es jemand merken würde. Doch Jamys Verstand bestand nur noch aus Hass und Wut, sodass er mich als den Mann betrachtete, den ich leider Gottes darstellte. Egal, was ich ihm sagen würde. Also musste ich ihn anders zur Zusammenarbeit zwingen. Auch wenn mir das selbst nicht gefiel.
„Du bist für ihr Leben verantwortlich. Wirklich schade, dass du jetzt im Moment nichts tun kannst. Nicht einmal sie ansprechen kannst du, weil mein Leibwächter sie in den Armen hält…“, meine letzten Worte wurden flüsternd gesprochen, doch sie trafen ins Schwarze.
„Was willst du?“ Ich sah auf, denn diese Frage hatte ich kommen sehen. Düster lächelte ich, schien zu überlegen und abzuwarten. Die Anspannung in dem zerbeulten Gesicht des Mannes, der sein Leben für Vaya geben würde, schien die Stimmung innerhalb des Moments unter den Gefrierpunkt zu senken.
„Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich habe weder Interesse, bei der Revolte mitzuspielen, noch, meinem Vater ein wenig auf die Pelle zu rücken. Ich interessiere mich nicht für die Gepflogenheiten oder Probleme dieser Welt, die mein Vater regiert. Auch nicht, ob Vaya ein besseres Oberhaupt darstellen würde als ich.“ Ich sah auf die hole Hand, als wäre sie die Antwort selbst. „Eigentlich könnte ich euch beide hierlassen und verschwinden.“
„Bitte...“, Jamy keuchte atemlos. Ich war seine einzige Chance, das wusste er. Wenn er wirklich für die Sicherheit der Bernsteinnutzerin sorgen wollte, musste er zwischen Pest, Cholera oder Corona entscheiden. Selbst, wenn er sich selbst aufgeben musste.
„Ich biete dir alles an. Alles.“ Das Versprechen, mich zu töten, wenn er freikäme, überlagerte sich von der Sorge Vayas und ihrem Leben. Ihm war seines egal. Die Liebe sprang zwischen den atemlosen Sekunden in den Augen hervor, als er gezwungen wurde, zu sprechen. „Ich vertraue dir nicht einmal dann, wenn ich es müsste, verlorener Sohn. Aber ich vertraue darauf, dass deine Worte nicht bloßes Gewäsch sind. Versprich mir, dass Vayandana nichts geschieht, solange sie lebt, unter deiner Obhut verweilen kann, wann immer sie es möchte und du selbst dein Leben geben solltest, wenn ihres schwinden sollte. Dass du sie vor den Gefahren jedes Feindes beschützt und dafür sorgst, dass sie ein glückliches und sorgenfreies Leben führen kann.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Sonst noch was? Sind ja ganz schön viele Forderungen. Hast du das auch geschworen, nachdem du so sehr versagt hast?“
Er hustete, um seinen Wutschwall zu verdecken. Das Wort Arschloch hatte ich trotzdem verstanden. Hinter mir schien Georg durch die Gitterstäbe auf Jamy zustürmen zu wollen, doch hielt sich der Hüne erstaunlich gut im Griff.
Der Blick, den der Leibwächter mir nun endlich zuwarf, schien ein anderer. Wie durch einen Filter an der Handykamera sah er nicht mehr durch einen roten Schleier, vielmehr durch den klaren Blick eines Adlers, eines Kämpfers, eines Ehrenmannes. Eines Verliebten, der sein Leben geben wird.
„Ich gebe dir mein Leben für ihres.“ Ich holte dramatisch Luft, warf den Kopf nach hinten und schien zu überlegen. Eigentlich wollte ich niemals so weit gehen, doch er schien mich zu zwingen.
„Leere Worte“, gab ich zu und Jamy zuckte zusammen.
„Ich…“, er wurde bleich, als ich meine Hand ausstreckte, über die blasse Haut strich und meinen linken Unterarm offenbarte. Dass er dieses Tattoo erst jetzt sah, verdankte ich meinen Fähigkeiten. Keuchend blickte er mich an, während mein anders Erbe, das Erbe meiner Mutter, sich nun zeigte und Jamys Gesicht kalkweiß zurückließ.
„Ich bin kein Freund bloßer leerer Worte.“ Mein Grinsen war diesmal echt. Düster. Wohlwollend. „Du weißt, was nun folgen wird.“
Jamy nickte langsam, dann bestimmter.
Ich löste einer seiner Fesseln, während ich vor ihm stand und mich schließlich hinkniete. Mein entblößter Unterarm mit den schwarzen Verschnörkelungen wirkte für ihn wie der Tod selbst. Geistig verglich ich mich mit einem sehr bekannten dunklen Lord, der sein Zeichen für seine Untergebenen nutzte. Man konnte es vergleichen, denn was jetzt folgte, hatte ich auch nur einmal bisher getan.
„Ich, James Suerra, Leibwächter der Erbin des Bernsteinclans und Nachfolgerin des Oberhaupt aller Edelsteinstämme, verspreche dir, Lord C´Tik Ishaar, Sohn des Lord Chernyy Yantar, genannt, der verlorenen Sohn, ewige Treue...“
Ich hielt die Luft an, als er weitersprach. Man stelle sich vor, kleine Ameisen liefen meine Blutbahnen entlang, als Jamy seine Macht auf mich projizierte und ich meine auf seine. Kurze Zeit fühlte ich seinen schnellen Herzschlag, seine Rastlosigkeit und Verzweiflung, seine Sorge um Vaya und die Angst, was nun kommen würde. Tränen der Panik überstiegen die Tatsache, versagt zu haben. Während meine Grabesruhe über seinen Verstand schlich, zuckte er zusammen, weil er diese Kälte wohl nicht bemerkt hatte. Dass ich ihn allerdings nur das zeigte, was er sehen sollte, verstand er nicht. Jamy war viel zu beschäftigt mit der Tatsache, dass er ab heute, bis zu seinem Tod, mir gehörte.
„.,.und bis zu meinem Tod Euch dienen werde.“
Auch ich sprach die Worte zum Schutz Vayas und band damit sein und mein Blut an dieses Tattoo, das Beweis für seine Unterwürfigkeit darstellen würde. Nun hatte ich einen Diener, der alles tat, was ich ihm befahl. Wirklich alles.