Weise Wolken, blauer Himmel, frische Blumen…ein hartes Bett unter sich und die lauten Geräusche, die aus der Straße zu ihr ins kleine Zimmer drangen. Das erwartete Vaya, während sich ihre schweren Lider hoben und doch die angenehme Stille sie umfing. Sie würde ihren Kopf nach rechts drehen und erkennen, dass nicht Jamy neben ihr saß, sondern vor der Tür stand und sie nicht mehr rauslassen würde. Gleich würde Yantar kommen und sie...
Mit schreckgeweiteten Augen hievte sich die junge Frau hoch und holte tief Luft. Die goldenen Augen sahen zu, wie der Bernstein neben ihr sanft leuchtete und ihre Bürde nach wie vor schwer in ihr widerhallte. Doch das war das einzig Bekannte, das Vaya vernahm. Keuchend sah sie um sich, entdeckte teure Möbel und dunkles Holz, einen weichen Teppich und…einen Stuhl, auf welchem James Platz genommen hatte. Wie er aussah...
„James, was ist…“, doch diese Frage ließ sie verstummen, denn sie wusste alles. Chrissie, der nicht Chrissie war. Ein Lord, der ihr nichts mehr antun konnte. Ein Leibwächter an ihrer Seite…Freiheit. Endlich atmete Vaya die nach Lavendelduft riechende Luft ein, füllte die Frische in ihr und die Entlastung. Sie betrachtete den handgroßen Edelstein auf dem Nachttisch und sah, wie sie diesmal nicht weinte und nicht sich wünschte, einfach nur tot zu sein.
„Vaya..“, flüsterte der Mann neben ihr. Man hörte ein schweres Schnaufen, während die Glückgefühle in ihr schwanden. Nein, irgendetwas stimmte nicht. Wieso fühlte sich alles an wie ein Traum...als wäre…als wäre James nicht mehr nur ihr Leibwächter. Sondern etwas Größeres. Er diente nun etwas Größerem. Jemanden. Christopher.
„Es tut mir leid…so unendlich leid..“, die Schultern des Mannes hoben sich, während James vor ihr kniete und den Blick gesenkt hielt. Der weiche Untergrun, auf dem er kniete, war ein Kontrast zu dem Zustand, in welchem sich James ihr offenbarte. Seine Kleidung zerfetzt, Kratzer auf der Haut und Brutverkrustungen an jeder Wunde. Doch ihm ging es gut, ihr ging es gut. Wieso fühlte sich dann alles so…verloren an?
„Ich habe meine Loyalität einem anderen gegeben…“ Vaya wünschte sich, ihn in den Arm nehmen zu können, doch irgendwie fühlte sich auch das falsch an. Sie klopfte stattdessen auf das schneeweise Bett, dessen Zärtlichkeit vielleicht auch ihn ein wenig beruhigen möge.
„Hast du nicht“, beruhigte sie ihn, während James sie immer noch nicht anblickte. Sein Gewicht auf der Matratze glich etwas vertrauten, während Vaya so nah an ihn robbte, wie sie konnte. So aufdringlich sie sich Chrissie gegenüber gezeigt hatte, so unsicher war sie nun.
„Du hast es für mich getan“, flüstere sie, während ihre Fingerspitzen den Unterarm berührten. Die Haut war aufgeschürft, doch Vaya erkannte etwas. Ein unsichtbares Band, das ihm auf der Seele lastete.
„Wie...geht es deinem Bein?“ Sie erinnerte sich, dass er verletzt in den T4 gestiegen war.
„Ich weiß nicht. Es fühlt sich an, als wäre nie etwa gewesen. Sicherlich war er verstaucht, doch...“ Ihm wurde klar, auf was Vaya anspielte und er unterdrückte ein Fluchen.
„Was macht er nur mit mir…“
„Wer ist er eigentlich?“, stellte die Frau dagegen die Frage und schaute ihren Leibwächter an. Informationen zusammenzutragen wäre nicht schlecht, allerdings wussten beide nicht viel. James holte tief Luft und versuchte, alles zu ordnen.
„Er hat bei unserer Entführung von einer Legende erzählt, die sich um Dämonen und Menschen drehte. Vor tausenden von Jahren seien diese Wesen aus der Hölle empor auf die Erde gekommen und hätte aufgrund der Freundlichkeit der Menschen ihre Macht geteilt. Damit sie nutzbar war für jene, wurden sie in Steine versiegelt, unseren Edelsteinen. Bis heute werden sie individuell hergestellt. Er sagte, mit dem Blut des Neugeborenen und der Kraft des Dämons verbinde man die Mixtur und es würde so eine Kraft entstehen, das Gleichgewicht der Welt zu erhalten.“
„Das würde ja bedeuten, dass die Bernsteine von ihnen gemacht worden waren. Ich kenne die Geschichte aus dem Tempel, doch diese Wesen gelten als tot.“
„So wie der Sohn des Lords Yantar...“ Bitteres Aroma breitete sich auf ihrer Zunge aus, während James weitersprach.
„Ich kann es nicht versprechen, aber ich bin mir sicher, dass diese Menschen in dieser Villa keine Menschen sind. Sie sind wohl die restlichen Überlebenden. Vielleicht gibt es noch einige, doch diese grauen Augen, die wie Grabsteine und Tod aussehen, erzeugen in mir ein Bedürfnis, wegzurennen und nie mehr wieder zu kommen. Ich weiß nicht, was er vor hat…“
Aber ihre Leben war nun an Christopher gebunden. James würde ihm gehorchen müssen, egal, was er befiel. Und Vaya würde ihren Leibwächter niemals zurücklassen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
„Ist er denn ein Feind?“
„Ich weiß nicht einmal, ob er ein Freund ist, oder nur jemand, der uns benutzt wie Vieh. Als ich ihm in die Augen geblickt habe...bei diesem Ritual…spürte ich nur Leere. Bodenlose Leere und Emotionslosigkeit. Und er hatte gelächelt. Ein echtes Lächeln. Als würde er es genießen, eine Dienerschaft um sich zu scharen. Wie kann ich ihn da ein Freund nennen, wenn er zu solchen Dingen greift und es genießt, als wäre es ein Eis im Sommer?“
Vaya gedachte an diese vorbeiziehenden Bilder, wie James vor Christopher kniete und ihm die Treue schwor. Wie Chrissie sie angesehen hatte, als dieser Georg vor ihm gekniet hatte. Als sein Onkel seinen wahren Titel aussprach. Wie angespannt er gewirkt hatte, als durch die Türen des Hauses eingetreten war.
Vaya konnte sich nicht die Bitterkeit in seiner Miene eingebildet haben, als er seine Ex-Freundin im Kampf besiegt hatte. Niemals war dieses Leuchten in seinen Augen, das augenblicklich erloschen war und seine Bewegungen nur noch abgehackt waren, eine Täuschung gewesen.
Hatte er aus Freundlichkeit geholfen? Oder aus einer Not? Vaya wusste es nicht, war sich aber sicher, dass Chrissie nun einen Weg gegangen war, aus welchem er nie mehr der sein würde, der er einmal gewesen war. Den Studenten aus Berlin gab es nicht mehr. Er hatte ihren Traum gelebt und sich versteckt, doch damit war nun Schluss. Und an allem Schuld war ihr Egoismus.
Vayas Finger krallten sich in James Unterarm, während dieser schweigend in den Raum starrte. Beide zuckten zusammen, als es an der Tür klopfte und nach ein paar Sekunden die Tür geöffnet wurde. Lediglich ein Bediensteter räusperte sich, sah die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen an, während die grauen Augen mystisch wirkten.
„Der Lord wünscht Euch, Madame Vayandana und seinen Diener, zu sprechen.“ Ohne weiter auf eine Rückantwort zu warten, wurde die Tür wieder geschlossen und James sprachlos zurückgelassen.
„Diener?!“
Vaya kicherte. „Nun, immerhin hat er noch Humor.“