Die Finsternis umgab mich wie einen Geist und so fühlte ich mich auch. Meine Turnschuhe raschelten zwar viel zu laut auf dem Laub, während die Stämme vor mir abstrakten Monstern glichen. Die Zweige standen wirr umher und dank meiner Gabe, mich gerne zu verlaufen, hatte ich es auch nach längerem Hin und Her endlich an mein Ziel geschafft.
Leise, so leise es jedenfalls funktionierte, schlich ich an der Steinmauer entlang. Kleine Tiere wie Eichhörnchen glitten lautlos durch die Schatten auf diesen Armen der kuriosen Abbildungen vor mir. Ich fühlte mich wie die Bäume. Düster und schwarz nach außen, doch so missverstanden im Inneren. Viel Leben und Harmonie konnte man in diesen starren Stämmen und Ästen nur in den Jahreszeiten an den Blättern oder Blüten erkennen. Doch im Stamm waren sie immer gleich, starr und kalt.
Relativ schnell und viel zu einfach gelang in den Zellenblock, in welchem auch ich gestern meine Nacht verbracht hatte. In mir stieg Galle hoch, als ich die typische Geruchsverbindungen aus Exkrementen, Blut und Verwesung roch. Wohl waren einige Gefangene viel zu lange hier, als dass sie die Sonne jemals wieder sahen. Ich stand einsam in dem Eingang, dessen Steinboden und hohe Decke meine Schritte zum Hallen brachte. Einige Löcher über mir brachten das Licht des Vollmondes hinein, sodass ich keine Anstrengung brauchte, um mich in der Dunkelheit zu orientieren.
Ich zählte insgesamt fünf Zellen, doch nur ein Gefangener interessierte mich. Ich ging langsam und geduckt auf sie zu, in der Hoffnung, sie würde sich nicht erschrecken.
„Vaya“, flüsterte ich und wartete ab, bis sie ihren Blick hob. Entweder sie hatte meine Stimme erkannt oder ignorierte mich, weshalb sie nicht zurückwich. Oder sie war schlichtweg zu müde dafür. Zu erschöpft. „Ich bin es, Chrissie.“
„Verschwinde.“ Die flüsternden Worte kamen zu mir an, doch bröckelten an meiner mentalen Mauer ab. In der Hocke und die Arme lässig auf den Oberschenkel ruhend, betrachtete ich die Erbin des Oberhaupts, wie sie zitternd in der nächtlichen Kälte auf etwas zu warten schien. Die Arme um die Beine geschlungen, saß sie inmitten eines silbernen Lichtscheins da und hatte den Kopf in die Kuhle zwischen Beinen und Oberkörper vergraben. Ihre goldenen Augen konnte ich nicht mehr erkennen, doch spürte ich die Anspannung, die sich zwischen uns aufgebaut hatte.
„Wieso?“
Hektisch holte sie Luft, hielt sie an und stieß siewieder aus. Im Geiste zählte ich die Sekunden, doch Vaya hob nicht den Kopf. Nicht einmal eine Fingergeste erübrigte sie mir. „Was..?“ Ihr Kopf ruckte hoch.
Ich brachte es nicht über mich, in dieses Gesicht zu blicken. All den Schmerz, den sie unterdrückt hatte, all das Leid, das die nicht mehr sehen wollte, all die Hoffnung, die von dannen war, seit ich sie verlassen hatte. Die Tränen glitzerten auf ihren Wangen, die roten Augen bewiesen, wie sehr sie diese hektischen Schulterzuckungen unterdrücken wollte. Blass, als hätte sie Ewigkeiten nichts mehr gegessen und die eingefallenen Augen bewiesen genug, ohne, dass ich nachfragen musste.
„Du vögelst diese…diese...“, sie holte zittrig Luft. „Du schläfst mit dem Feind und glaubst dann noch, ich will irgendetwas mit dir zu tun haben?“
Woher auch immer sie diese Informationen hatten, ich zog die Augenbrauen hoch. Wenngleich man ihr eine Schwäche zumutete und sie in diesem Zustand allein ließ, in der ich selbst nicht einmal klar denken könnte, brannte ihr innerer Kampf immer noch. Sie hatte niemals aufgegeben. Allein der Schein in ihren Augen erweckte in mir Hoffnungen, die ich seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Ich lächelte träge und hob das Kinn.
„Hier.“
Ich kramte in meiner Hosentasche ein wenig zu lange, während Vaya zusammenzuckte und schnell wie der Blitz an die hintere Wand zurückwich. Ich verlor den Draht zu ihr, wenngleich das dünne Seil kein Vergleich zu einer vertrauten Beziehung zu ihr war. Ich nahm ihr diese Geste nicht krumm, denn ich war dieses Verhalten lange gewohnt gewesen.
Das dünne Metall flog in der Luft, als es klappernd zu Boden fiel und im Dreck liegen blieb. Lange starrte ich darauf. „Ich hab’s aus den Taschen von Annika. Du kannst sie benutzen, oder hier drinnen bleiben.“ Ihre Augen weiteten sich leicht, doch das konnte ich durch die Dunkelheit nur erahnen. Die Schlüssel lagen zwischen uns wie der tiefe Abgrund, der seit ihrer Offenbarung zu mir nie gänzlich verschwunden war.
„Ich hoffe, ein wenig damit gut gemacht zu haben.“ Ich stand auf, schüttelte die eingeschlafenen Beine aus und drehte mich um. Ein Grinsen konnte ich mir nicht unterdrücken, während meine Finger durch die offene Haarmähne glitten.
Während Vaya die Schlüssel schnappte und sich am Schloss übte, stand im Eingang eine weitere Person, die ich nur allzu gut kannte.
Georg sah mich stumm an, während der Gesichtsausdruck gefühllos blieb. Sein Topas glitzerte im Mondschein, während ich an meiner Halskette rieb. Eine dünne goldene Kette war nun zu sehen, doch das wusste nur Georg. Der graue Stein war zu klein, doch er hatte ihn wohl als erster bemerkt. Vaya war viel zu beschäftigt und bemerkte den Riesen erst ein wenig später. Anhand der klappernden Geräusche erahnte ich ihre Furcht, doch sie war nicht dumm genug zu antworten, als Georg Luft holen.
„Ich wusste es.“ Er trat einige Schritte zu uns und verringere den Abstand. „Ich hatte es geahnt, seit ich dich erblickt hatte. Ich kenne keinen, der so perfide einen Plan geschmiedet hatte, um die Anführerin der Revolte hinters Licht zu führen. Keinen, der so lange es geschafft hatte, von seinem Vater versteckt zu bleiben. Es ist lange her, und doch erkenne ich dich wieder. Dein Tod brachte viele dazu, alles zu hinterfragen. Ein Egomane wie vor dem Herrn. Du, der eigentlich an ihrer Stelle hättest stehen müssen.“
Die blauen Augen strahlten, währen die engstirnige Miene ein grimmiges Lächeln zu Tage förderte. Zuerst verschränkte er die Arme, dann tat er etwas, dass Vaya hektischer atmen werden ließ. Ihre Versuche, sich zu befreien wurden weniger, bis sie schließlich die quietschende Tür vollends ignorierte. Sie lauschte den Worten, die ich versucht hatte seit meinem Ausbruch zu unterdrücken. Die Realität krachte über mich hinein wie ein Berg, und doch überströmte mich die Erleichterung, als Georg einen Schritt nach vorwärts tat. Er kniete wie ein Sire vor mir, das Gesicht auf den Boden gerichtet, während er ein wenig lauter weiter sprach.
„Du bist der Sohn des jetzigen Oberhaupts Yantar, der verlorene Sohn, der seit seinem siebten Lebensjahr als tot galt.“ Eine epische Pause legte er ein, denn Georg hatte schon immer ein Hang zur Dramatik.
„Lord C´Tik Ishaar, willkommen zurück.“