Der Wecke piepste nicht, mein Handy vibrierte nicht, die Sonne drang nicht in mein Schlafzimmer und selbst meine Laune hatte sich nicht verbessert. Und Annika war auch nicht an meiner Seite.
Ich wollte wie gewohnt meinen Arm über sie legen und ihr einen Kuss geben, biss ich ins Leere griff, die Nachttischlampe anmachte und das grüne Lacken betrachtete. Ein Schwall Trauer überlagerte meine Müdigkeit, bis sich die Wut einigermaßen breit machte. So stoisch ich auch versuchte, ihre Handynummer zu wählen, so oft enttäuschte ich mich selbst, wenn ich das Display betrachtete.
Zwanzig Anrufe und keine Antwort. Wo bist du nur, Anni?
Ein kurzer Anruf bei Rambo allerdings, und der Hüne hob beim ersten Klingeln ab.
„Alter, hab´ ich einen Schädel. Bin ich einfach eingeschlafen...“
Bitte was? „Rambo, du bist..“
Ein Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich aufhorchen.
„Hey, Christopher, ich geh kurz raus, ich komme gleich wieder. Ich ignorierte sie und hoffte, sie würde auch draußen bleiben. Doch die Frau war schon dreist genug gewesen, das ganze Bad abends zu belegen, irgendwelche Übungen am Wohnzimmerboden zu machen und sich geweigert, auf dem Boden zu schlafen. Da ich so stur gewesen war, mein Bett herzugeben, hatte ich die Couch herrichten müssen.
Was für eine Diva.
„War das eine andere?“ Atemlos hörte ich Rambo schließlich pfeifen. „Kaum ist die eine weg, holst du dir..“
„Das ist die von gestern, Rambo.“ Nach dem ich ihm in kurzen Sätzen erklärt habe, was sie mir versucht hatte, aufzutischen, war selbst der Hüne sprachlos. Wir einigten uns darauf, uns abends zu treffen. Ich hatte ihn ein offenes Ohr versprochen, daran würde ich mich auch halten. Doch an den Abend konnte sich mein Freund nicht erinnern. Er sprach von Ohnmachtsanfällen, während ich das Bild zweier Anzugträger im Kopf hatte.
Wieder blickte ich an die frisch gestrichen Zimmerdecke. Warum? Doch der liebe Herrgott blieb stumm.
Nach einer Dusche stand ich in der Küche und wartete, bis die Kaffeemaschine mein Lebenselixier brühte. Das Zitronenkonzentrat stand daneben, sogar noch voll, sodass ich wenigen dafür nicht sorgen musste. Doch bevor ich mir sorgen um den Einkauf machen konnte, blickte ich auf den Gegenstand daneben. Das verdammte Mistding lag wirklich noch bei mir. Vaya hatte den Edelstein in meine Tasche geschmuggelt, bevor ich die Haustür geöffnet hatte.
„Bin wieder da“, sang die fröhliche Stimme. Die Melodie in dieser Morgenmotivation verstand ich jetzt schon nicht. Mit schweren Tüten kam sie in die kleine Küche und sortiere alles in den Kühlschrank, während ich ihr stumm nachblickte.
„Was wird das?“
„Ein gescheites Frühstück...immerhin.“ sie sah die gelbe Plastikflasche und den Kaffee daneben. „Kaffee mit Zitrone?“
„Volle Einkaufstüten trotz dem Versprechen, nur eine Nacht zu bleiben?“ Mein eiskaltes Lächeln hätte den Tod versprochen, doch ihr herzensgutes Lachen verschreckte meine inneren Dämonen. Ja, mir wurde schon immer gesagt, dass ich die Zicke in der Beziehung war.
„Und wieso ist dein Stein immer noch hier?“
Sie blickte mich an. „Ich war gestern nicht ganz ehrlich. Deshalb habe ich mir überlegt es wenigstens mit einem Frühstück wieder gutzumachen.“
Ich nickte träge, füllte die Tasse auf und schlurfte auf das Sofa.
Einige Minuten später saßen wir beide am Tisch, während vor mir Rühreier mit Speck und Zwiebeln dampfte.
„Ich brauche dich.“ Ich sah auf, blickte wieder hinab und aß stumm weiter. Hoffentlich interpretierte sie meine Ignoranz richtig.
„Ich habe mir überlegt, wir tun uns zusammen und verstecken uns!“
Jetzt fiel mir die Gabel auf den Teller.
Sie grinste fröhlich. „Und dann...“
„Nein!“, widersprach ich ihr. „Wieso soll ich in deine Probleme hineingezogen werden?“
„Weil du ein super Versteck hier hast.“
„Deine doofen Mafiosi bedrohen meine Freunde doch jetzt schon. Woher konnten die mich überhaupt finden?“
„Die Steine sind wie Peilsender.“ Sie schluckte und blickte hinaus. „Die können alles und jeden orten, der einem Volk angehört.“
„Und wieso ich?“ Mir wurde die Gabel vors Gesicht gehalten. Essenreste hingen noch dran und der Speckgeruch füllte meine Nase.
„Weil du kein Angehöriger bist. Sie wissen nicht, wer du bist. Sie können nur die Personen orten, die dem Stein gehören. Das ist ihre Spezialfähigkeit.“
„Dann bringt das ja noch weniger, wenn du hier bist.“ Sie zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen. „Stimmt, aber ich hätte wenigstens für eine gewisse Zeit Ruhe. Die Wächter kommen nicht so einfach in Wohnungen. Erst nach ein bis zwei Wochen und...“
Eine flache Hand landete auf dem Holz, während ich wütend aufstand. Ich überragte sie um ein paar Zentimeter, sodass ich mich über den Tisch beugte und sie düster anblickte. Überraschenderweise zuckte sie nicht zusammen, sondern sah mich nur stumm an. Die Tasse war umgefallen, während die warme Flüssigkeit auf den Boden sickerte.
„Ich werde dir nicht Obdach geben, während andere Menschen bedroht werden. Rambo hätte sterben können, ich wurde mit einer verdammten Knarre bedroht und habe verdammt nochmal mehr Probleme, als mich um eine hochnäsige Esoterikerin zu kümmern, die diesen Scheiß mir als Wahrheit verkaufen will. Nach diesem Essen hier wirst du Leine ziehen. Und wehe ich sehe dich hier noch einmal. Wenn du schon meinst, die Lösung meiner Probleme zu sein, dann wäre es besser, wenn du verschwindest. Deine Dreistigkeit hat die Grenze erreicht. Weil bisher ich seit deiner Begegnung kein Grund mehr hatte, überhaupt lachend aus diesem Haus zu gehen. Den einzigen Gedanken, den ich jetzt habe, ist, Annika zu finden! Und die ist seit zwei Tagen spurlos verschwunden!“
Ich holte tief Luft, während mein Wortschwall ihr Ziel erreichte. „Danke für das Essen“, flüsterte sie nur. Mit großen Augen sah mich Vaya an, nickte stumm, stand auf und machte die Haustür hinter sich zu.
Müde schloss ich die Augen.
Sie hatte den Bernstein vergessen.