Ich drehte mich direkt um, erstarrte, während dieser zuvor noch stechende Adlerblick die beiden großen Männer anstarrte. „Shit, shit“, wiederholte sie immer wieder. Und auch wenn man ihre Flüche nur dumpf hörte, erklangen sie in mir wieder.
Der Größere der beiden stemmte sich gegen die schwere Eingangstür und sorgte für den kalten Luftzug, der mich augenblicklich frösteln ließ. Doch die Gänsehaut breitete sich nicht aus, weil der Herbstschauer ausbrach. Eilig rieb ich mir die Hände über die bloßen Unterarme, während alle Augenpaare in Richtung Eingang gerichtet waren. Allein die Oberarme des Hünen entsprach meiner Taille, während der grimmige Blick unter der Sonnenbrille verschwand. Sicher überragte er mich um einen Kopf. Glatt rasiertes Gesicht allerdings mit verzogenem Mund deuteten auf kein sonniges Gemüt hin. Allein der saubere Anzug mitsamt dem Kabel im Ohr und stoischem Auftreten sagten mir, dass er nicht hier war, um Krapfen zu kaufen.
Wieso hat der eigentlich keine Maske auf?
Mit zotteligem Bart und lockigem Kopf blickte der Kleinere durch die Menschenmenge. Wie sein Kumpan war er ebenfalls in einen Anzug gestopft, jedoch versteckte seine ebenso muskulöse Figur unter einem Fell besetzten Mantel. Seine dunklen Augen ruhten mit seligem Blick auf die Wartenden, während neben mir ein Hüsteln erklang. Die Hände in den Hosentaschen vergraben spürte ich förmlich, wie in den nächsten Sekunden die Waffe gezogen wurde und ich mein letztes Gebet sprechen würde. Während sich meine Gedanken zu immer schlimmeren weiterformten und ich wieder einmal den Ernst der Lage nahezu ignorierte, sprach ich die erstbesten Worte aus, die mir einfielen.
„Hat die Mafia Hunger?“ Auch wenn das Flüstern leise genug war, dass die Männer sie nicht gehört hatten, zischte mein Nebenmann: „Sind Sie bescheuert?“
Ja, das war ich. Definitiv. Aber die Frage war wohl eher, wer hier allein mit seiner Anwesenheit einen ganzen Laden in seinen Bann zog.
„Mist“, erklang erneut ein Schimpfen, doch diesmal näher. Die Verkäuferin hatte ich direkt hinter mir positioniert, während meine schlaksige Gestalt sie wohl verdeckte.
„Beweg dich nicht!“, wies sie mich harsch an, während alle in dem Raum so oder so nur starr dastanden. Noch liefen sie Männer durch den Raum, doch er war nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Mafiatypen bei mir ankamen.
„Die Mafia sucht Sie?“, wagte ich den ersten Vorstoß. Meine Bestätigung folgte sogleich.
„Nicht bewegen!“
„Schon gut.“ Meine Muskeln verkrampften mittlerweile, während das Klackern der Lackschuhe auf dem Fliesenboden ihre Nähe ankündigte. Vereinzelt nickte der Kleinere den Käufern fröhlich zu, doch sein Lächeln übertrug weder Freundlichkeit noch Höflichkeit. Bis er schließlich vor mit stehen blieb und mich durch die eben aufgesetzte Sonnenbrille ebenso mürrisch anschaute wie sein Freund neben ihm. Tatsächlich sah ich auf ihn hinab, bei dem Hünen dagegen musste ich den Kopf in den Nacken legen.
„Der Herr?“
„Ja?“, das A ein wenig langgezogen wartete ich auf die Androhung, die Hände in die Höhe zu nehmen und abgeführt zu werden. Meine Grauen ruhten auf dem Anzug, schließlich auf den getönten Brillengläsern.
„Dürften wir bitte vorbei?“ Ich blinzelte überrascht, trat dann zur Seite und hoffte für die Verkäuferin, sie möge in Frieden ruhen. Geistig schlug ich mich für die Aussage, dennoch ratterten die Zahnräder in meinem Kopf, wer diese beiden mysteriösen Gestalten sein konnten. Entweder war ich in einem schlechten Film gelandet, oder mein Leben entwickelte sich heute zu einem.
Eine Verkäuferin trat zu den beiden, die sich über die Theke gewandt mit ihnen unterhielt. Im Flüsterton konnte ich keine Silbe verstehen, während meine Neugier sich allerdings auch in Grenzen hielt. Zunächst blickte sie sich um, während sie kopfschüttelnd etwas verneinte. Das Gespräch ging ein Weilchen, während sich die Spannung in der Bäckerei auch nach und nach legte.
Von der Dame mit dem Adlerblick fehlte allerdings jede Spur.
Ich sah meine Tüte auf den Tresen und schnappte danach, während sich hinter mir langsam wieder die Leute in Gesprächen vertieften. Vereinzelt tippte man aufgeregt auf den Handys rum, doch der Tag war mir jetzt schon zu viel. Dabei war erst morgen.
Den Inhalt nochmal schnell überprüfend, starrte ich erneut auf die Tresen, schmiss das Geld ein wenig genervt auf die Tresen und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Laden.
Ein wenig Glück mit dem Wetter hatte ich allerdings. Der Schauer beruhigte sich mit einem Nieselregen, während meine Beine fleißig in die Pedale stapften.
Der Fußmarsch dauerte eine halbe Stunde, doch mit dem Fahrrad war ich nach zehn Minuten bereits nahe meiner Wohnung. Noch eine Abbiegung, dann würde ich Annika lächelnd in die Arme fallen und den Tag entspannt genießen. Endlich.
Die Erfahrung hatte gezeigt, dass die Ampel lange brauchen würde, um umzuschalten. Aus diesem Grund lag mein Handy bereits in der Hand und die Nachricht war bereits geschrieben, bevor das Rad an dem Bordstein stoppte und ich auf das grüne Zeichen wartete.
>>Bin gleich zu Hause. Muss dir dringend was erzählen. Gruß Chrissie<<
Das Kreischen nahm ich erst wahr, bevor das Schwarz die Ränder meines Blickfelds erreichte. Reifen quietschten, Kinder heulten, Sirenen jaulten, Hunde bellten. Doch eine Sekunde, bevor ich den Blick hob, war ich schon in Bewegung. Geistesgegenwärtig sprang ich von dem Rad auf, fiel fast auf die den Boden. Irgendwie rollte ich mich ab und rannte oder krabbelte zur Seite. Meine Hände schürften sich auf, während sich die Fingernägel in den Beton sich krallten und ein Knie sich aufschürfte.
Keinen Meter hinter mir krachte in der Sekunde etwas Schweres in das Fensterglas des Ladens. Eine Autosirene heulte sogleich auf, während Glassplitter wie feinster Regen über mir zu Boden fiel. Auch wenn sie in Zeitlupe schön glitzernd die Umgebung erleuchteten, sah ich dagegen nur einen zerbeulten Geländewagen, dessen schwarze Farbe meine volle Aufmerksamkeit kostete. Keuchend drehte ich mich auf den Rücken, saß auf dem Gehsteig, während meine Augen den leblosen Arm erfassten, der aus dem Fahrerfenster hing.
„Geht´s Ihnen gut?“, fragte hastig ein Passant und half mir auf die Beine. Sie zitterten wie Espenlaub, und dennoch nickte ich. Ich konnte den Blick nicht vom dem Fahrer lösen, der über dem Steuer hing wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Fast das gesamte Vorderteil des Fahrzeugs bis zu den vordersten Türen hing in dem Laden drin, vor welchen ich noch Sekunden vorher auf die grüne Ampel gewartet hatte. Der Fahrer wurde durch die Vorgänge verdeckt, die nun kaputt und zerrissen im Nirgendwo hingen. Schaulustige von überall kamen und sagten etwas. Doch kein Laut drang zu mir durch oder aus mir heraus. Dazu war ich viel zu geschockt.
Ich hatte gerade meinen ersten Toten gesehen.