Selbst wenn diese Worte an meiner Mauer abprallten, die ich mir seit meiner Ankunft hier zurechtgelegt hatte, stachen Einige dennoch in mein Herz. Mein Körper dagegen stand auf, lächelte träge und wischte sich den nicht vorhandenen Staub von der Kleidung.
„Ein leichtes“, gab ich zu. Er war nicht schwer, würde ich diese Fähigkeit ständig anwenden. Ich gab mir noch ein bis zwei Versuche, dann hätte ich den Dreh wieder raus. Georg dagegen stand stolz auf und nickte, als hätte er auf diesen Moment ewig gewartet. Er rammte sich die Faust auf die Brust, ungefähr auf Herzhöhe und beugte sich vor. „Willkommen zurück.“ Meine Augen drehten automatisch Kreise, während ich mich abwand und auf das Haus zulief.
„Aber…was hast du denn getan? Ich habe nur einige Laute gehört und hier sind doch überall...“, ihre Worte wurden leiser, als sie die offene Tür sah, durch die ich hineinspazierte, als würde das Haus mir gehören.
„Wie?“ Vaya keuchte, lief hinter mir her, und zog mich zurück, während ich im Flur stand und die Inneneinrichtung sondierte. Georg schien nicht zufrieden, wie Vaya mich anfasste und wollte sie ebenso greifen. Ich schüttelte nur den Kopf und er gab knurrend zu verstehen, dies nicht immer zu dulden.
Vayas goldene Augen leuchteten in der Finsternis. Der einzelne Mondstrahlen erleuchteten nur spärlich die Inneneinrichtung. Doch das trat alles in den Hintergrund, als die Bernsteinnutzerin mich anblickte, in mir etwas suchte, und dennoch keine Menschlichkeit fand. Ich hatte mich zu oft zurückgezogen, zu oft hatte ich mich verletzen lassen, bis meine Fassade diejenige war, die ich nun trug und nie mehr abstreiften würde. Mein Blick blieb eiskalt, während Gefühle auf Vayas Gesicht zu erkennen waren, die mir selbst das Herz zum Bluten brachten.
„Wieso?“ Diese eine Frage wog so schwer in mir. Wieso bist du weggerannt? Wieso hast du zugelassen, dass dein eigener Vater so schreckliche Dinge mir den Kindern, mit mir anstellte? Wieso bist du nie zurückgekehrt? Wieso kämpft zu jetzt? Wieso bist du nun hier? Wieso hast du mir nicht gesagt, wer du bist, als du mich getroffen hast? Wieso...wieso hilft du mir und hintergehst die Frau, die du so offensichtlich liebst? Wieso gibst du dich auf? Wieso...Chrissie...wieso musst du dein Leid vergrößern, damit andere leben können?
All diese Fragen innerhalb eines Wortes, einer Sekunde, zerstörten meine Mauer. Während Stein um Stein fiel, blickte ich hinab, sodass die langen Haare mein Gesicht verdeckten. Meine angespannten Muskeln verrieten den Twist, den Kampf, in mir, doch kein Laut drang über meine Lippen, bis ich schließlich meine grauen Augen hob, in das Gold blickte und sie höhnisch anlächelte. Das Grinsen wirkte wie das, das ich selbst so tief hasste, und dennoch war es das meines Vaters. Vaya erkannte es und sprang zurück, ihre Hände von den Schultern nehmend brach damit unsere Verbindung ab, bis der Abgrund sich nun wieder auftat. Kühl, gelassen, überheblich, unübertroffen. Ich hinterließ in ihr ein Gefühl, dass sie als kleines Insekt es niemals wagen sollte, mich derart zu beleidigen oder anzufassen.
Vaya begriff und wandte sich ab, als Georg abermals seine Zustimmung gab und nickte. Er verstand mich ein wenig. Meine Mauer baute sich wieder auf, als der Riese durch den Raum trat und nach einem Geheimgang suchte. „Er müsste irgendwo im Keller versteckt sein.“
Ich ging auf eine Wand zu, nutzte meine Gabe und ging anschließend in die Küche. Die Frau blickte stumm auf, hielt Abstand und wirkte eingeschüchtert, während mein Leibwächter ohne zu zögern an meine Seite trat und den Kühlschrank öffnete. Eine Treppe hinab in die Hölle würde uns nun zu Jamy führen.
Einige Minuten später blickten wir drei in die Dunkelheit. Ein Gang tat sich vor uns auf, der wirr ein Labyrinth darstellte. Lässig die Hände in den Hosentaschen wusste ich jedoch, wo sich unser Zielobjekt befand. Vaya versuchte, irgendetwas zu erkennen und hinter Georg zu bleiben. Er schien ihr die bessere Option als der Sohn eines Tyrannen.
„Ich sehe nichts“, sprach sie das Offensichtliche aus und zögerte. Georg wartete auf meinen Einsatz, während ich den Kopf neigte und auf meinen Willen hinweg die Fackeln zum Erleuchten brachte. Die Frau zuckte zusammen, als Fackel um Fackel entfacht wurde, während sich Georg eine zur Hand nahm. Das Feuer an den Wänden schien ihn nicht zu stören, doch er hatte schon immer einen eigenen Willen gehabt. Georg dachte sicherlich, meine Kräfte wären jetzt nicht stark genug, um das Feuer ewig brennen zu lassen. Dass das damit auch das Holz in seiner Hand dies einschloss, hatte er wohl vergessen. Jeder schwieg, während ich als erster auf die Zelle desjenigen zusteuerte, der auf Vaya wartete.
Wie ich vermutet hatte, bestand das unterirdische Labyrinth aus verworrenen Gängen, das nach jeder Kreuzung immer mehr Flure und Abzweigungen aufwies. Wenn man sich nicht auskannte, verlor man innerhalb weniger Minuten den Überblick. Selbst an den Wänden erkannte man keine Orientierungspunkte, sodass sich Vaya nach einiger Zeit an Georg wandte, der eisern schwieg. Mit mir, hatte sie wohl entschieden, wolle sie nicht mehr reden.
Gut so, dann habe ich weniger Stress.
Schließlich erreichten wir hinter einer Holztür, in die Symbole und Zeichen geritzt waren, einen weiteren Zellenblock. Ziemlich einsam eröffneten sich vor uns die Zellen, dessen herunterhängenden leeren Ketten bewiesen, dass Jamy seither keine Gesellschaft genossen hatte. Ein Rasseln unterdrückte die Stille und Vaya konnte nicht anders, als loszuspringen und nach ihrem Leibwächter zu suchen. Mit hektischen Atemzügen gelang es ihr, ihn zu finden, bis sie schließlich rückwärtsfiel und ich sie grade noch so auffangen konnte. Georg brummte etwas, als ich zunächst das kalkweiche Gesicht Vayas erkannte und zur Zelle blickte.
Jamys Arme hingen an den Eisenketten, während er mit gesenktem Kopf im Schneidersitz die Sekunden zählte. Heu lag verstreut umher, der stechend ekelhafte Geruch intensivierte sich, als ich Weiteres roch. Zwei Tage war es her, seit ich ihn gesehen hatte, und Jamy sah aus, als wäre er länger hier gewesen. Während ich die Arme betrachtete, wie sie rote Striemen aufwiesen, sah ich auf seinem Körper gelbliche Flächen, blutrote Punkte, flüssiges Blut, das teils angetrocknet auf seiner Haut klebte, bis hin zu dem Hals, an dem zwar sein Bernstein hing, aber eine Eisenkette weitere Bewegungen unterdrückte. Das Klappern wurde lauter, als er die schwitzigen Strähnen anhob und die braunen Augen nicht mehr einem bezaubernden Reh, sondern trockener kalter Erde, glichen. Ein blaues Auge, die Platzwunde an der Schläfe und eine Narbe, die nicht behandelt wurde über der linken Braue, die aufgeplatzte Lippe bis hin zu dem blutverkrusteten Mund. Es war massakriert, gefoltert und ausgepeitscht worden. Doch ein Versprechen lag hinter dem Gesicht, als er mich erkannte, und ich fröstelte leicht.
Grün und Blau geschlagen. Fast wie eine Ampel, dachte sich mein dummes Gehirn.
Das Zittern in mir wurde größer, als mich etwas an der Schulter streifte und ich augenblicklich zur Ruhe kam. Georg hatte mich mit einem Finger berührt, während Vaya in meinen Armen zitterte und die Hände über das Gesicht warf. „Nein..nein..nein“, wiederholte sie stetig, bis ich Georg stumm bat, sie zu beruhigen. Ich konnte den Blick nicht von dem Dreißigjährigen wenden.
„Hallo, T´Cik Ishaar. Lang ist es her“, spuckte Jamy aus. Nun wusste ich nicht mehr, wer der Gefangene in dem Moment war. Ich in seinem Blick und dem Hass, oder er in Ketten in der Zelle.