Neben mir erwachte meine Freundin mit einem Gähnen, drehte sich um und legte wie selbstverständlich die Hand um meinen nackten Leib. Ich schaute noch verträumt an die Decke und verstand erst jetzt, Annika wiedergefunden zu haben. Ich streckte mich, legte ebenso meine Hand auf ihre.
„Gut geschlafen?“, fragte sie, während ich nickte und die Tränen aus den Augen trieb.
„Eine Nacht im Bett mit dir ist wesentlich angenehmer als in einer Zelle.“
Sie murrte ein wenig missmutig.
„Ja, Fahid wusste nicht, wer du warst. Es hat eine Weile gedauert, bis auch ich es verstanden habe“, ihr Augenaufschlag sollte entschuldigend wirken, doch ich nickte nur träge und stand auf. Meine müden Knochen hielten mich in dem Dämmerzustand, während mein Verstand immer noch nichts rechtes verstand.
„Hast du irgendwelche Kleider, die mir passen?“ Annika nickte zu dem Schrank gegenüber, den ich sogleich aufschlug.
„Müsste dir passen. Das Haus gehört eigentlich Georg, aber ich darf hier drin wohnen. Und du wohl jetzt auch.“
„Du denkst, ich bleibe?“, fragte ich, während ich nach der übergroßen Tunika griff und mir der kratzige Stoff schon jetzt auf den Geist ging. „Ich denke, das sollten wir mal bereden.“
„Klingt nach einer Idee“, sagte sie und schwang ihre Hüfte ein wenig unbeholfen zu mir. Wie sie nackt vor mir stand, überkam mich ein erneutes Verlangen. Doch ich unterdrückte den Trieb und schaute sie an. „Heute Abend gibt´s das wöchentliche Zusammentreffen aller, die hier leben. Ich würde mich freuen, wenn du dich dazusetzt und dir das alles erst einmal anschaust.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, ich lächelte ihr zu, gab ihr einen Kuss und trat aus dem Haus.
Ein netter Morgenlauf genügte mir, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Ein Pfad umrundete das Gebiet ca. fünf Kilometer lang, während die lockere Hose und das Oberteil bereits anfingen zu kratzen, bevor ich zu schwitzen anfing. Doch nackig durch die Gegend laufen kam für mich nicht in Frage. Deshalb akzeptierte ich mein Leid und winkte hier und da irgendwelchen wildfremden Menschen zu. Auf dem ersten Blick erkannte ich ein altertümliches Dorfleben wieder. Lebensmittel wurden teilweise selbst angebaut, während nur vereinzelt Transporter umherstanden und Fleisch oder andere Waren wie vermutlich die Arznei brachten. Die Leute waren wohl mit dem einfachen Leben zufrieden, wo es doch hauptsächlich junge Menschen oder Familien waren, die hier lebten. Kinder rannten umher und viele Menschen, die älter waren als Georg mit seinen Fünfzig, sah ich nicht.
Schließlich war ich am Fluss angekommen und erkannte die Brücke. Auf ihr standen Georg und Fahid, die mich musterten und schließlich stumm mit einem Nicken begrüßten. Georg hob sogar stumm die Hand und signalisierte mir damit, dass ich den Weg wohl nicht überqueren durfte.
„Wieso?“
„Weil du nichts bei den Zellen zu suchen hast.“ Fahid sah mich finster an, während ich ihn lächelnd und mit erhobenen Augenbrauen musterte. Die blauen Konturen an der rechten Oberlippe sowie Augenlid konnte selbst durch die Sonnenbrille nicht kaschiert werden. „Jamy hat ja richtig zugeschlagen, wie?“
„Der Mistkerl bekommt noch seine verdiente Strafe.“
„Wo ist er denn?“
Das finstere Lächeln wurde noch düsterster, als Fahid nur sagte: „Das hat dich nicht zu interessieren.“ Auch Georg nickte einmal und zeigte mir, dass ich von den beiden keine Information zu erwarten hatte. Ich schüttelte den Kopf und wollte bereits wieder zurücklaufen, als ich mich umdrehte.
„Wieso tragt ihr eigentlich alle Sonnenbrillen. Man erkennt euch doch eh an der Augenfarbe?“
„Stil“, meinte Fahid nur betont lässig. Ich lachte laut auf, rieb mir die Tränen aus den Augen und rannte weiter.
Am Abend lief ich allein auf das Zentrum zu, das mir bereits bei meiner Ankunft in dieser Zeltstadt aufgefallen war. Das Feuer brannte längst lichterloh, während die Dämmerung bereits eingesetzt hatte. Annika hatte ich den ganzen Tag nicht gesehen, hielt mich allerdings in der Gegend auf und redete hier und da mit den Einwohnern. Mir war aufgefallen, dass viele braune oder blaue Augen hatten, aber dennoch unterschiedlicher Kulturen entstammen. Manche waren weiß wie Schnee und klein, andere sahen aus wie riesige Iren, während wiederum andere schwarz wie die Nacht mit der Finsternis mithalten konnten und strahlten wie die Sonne selbst, wenn sie lachten. Manche Stämme, wie der Smaragdstamm, schloss sich nach den Aussagen der Einwohner erst abends an.
Auch hatte ich mitbekommen, wie viele ihre Verwandten bereits verloren hatten. Ich verstand nicht direkt, wie weit der Konflikt bereits vorangeschritten war, dachte mir aber schon, dass eine offizielle Kriegserklärung zwischen dem Lord und der Revolte unmittelbar bevorstand. Kalkulatoren oder einfache Tabellen, wie viele schon gefallen waren, wurden nicht verzeichnet. Zu viele, sagte man zu mir.
Bevor die eigentliche Versammlung anfangen sollte, wurden die Tischen reichlich gedeckt. Ich schnappte mir einige Bissen Fleisch und Gemüse und verzog mich schleunigst in eine Ecke. Auf Menschenansammlungen machte ich mich meistens zum Gespött, weswegen ich einfach nur an eine Hauswand lehnte und anderen aus dem Weg ging. Neben mir stand der leere Teller.
Plötzlich wurde mir ein Krug unter die Nase gehalten. Ich roch sofort den bekannten Biergericht, während ich dankend den Griff umschloss und dann erstaunlicherweise Georg vor mir betrachtete.
„Danke“, murmelte ich und nahm einen tiefen Schluck. Die Flüssigkeit ging runter wie Wasser.
Eine Weile schwiegen wir uns an, während vor mir Musik auf Boxen gespielt wurde. Aggregatoren sorgten für nötige Elektrizität, Leute tanzten ausgelassen, während der Abend immer länger wurde und mehr und mehr Menschen kamen.
„Du erinnerst mich an ihn“, knurrte der Riese plötzlich und trank einen Schluck. Schmatzend rieb er sich anschließend mit dem Ärmel über den Mund.
„Du erinnerst mich an den Sohn des Lords. Der hatte auch so einen grüblerischen Blick wie du. Der hat auch so gegrinst wie du. Ich hatte mit dem immer zu tun gehabt, musste auf ihn aufpassen, bevor ich zur Revolte wechselte. Grausamer Bengel. Lästiger Bengel.“
Er blickte mich mit den tiefblauen Augen an. „Aber der ist tot...“