Ich schüttelte steif den Kopf und nickte zu Rambo. Aus dessen Richtung war ein lautes und hellhöriges Lachen zu hören, das wohl von dem Minister stammte. Es war grauenhaft, doch Rambo lachte mit und das so herzhaft, dass mir meine Ausrede im Hals stecken blieb, wir beide hätten noch einen wichtigen Termin.
Verdammt.
„Ich muss heim“, murmelte ich nur und wollte mich an ihm höflich vorbeidrängen, doch eine Schar Personen mit teuer aussehenden Kleidern lief an uns vorbei. Durch die aufgestellten Tische und des immer voller werdenden Raumes konnte ich nur noch nach hinten ausweichen. Und das tat ich auch. Während des Wegs lief ich hektisch umher, ohne wirklichen Ausweg zu finden, während ich das Jackett einfach über irgendeinen freien Stuhl warf. Irgendwann hielt ich mich in der hintersten Ecke auf, in welcher bisher keiner der Gäste Platz genommen hatte. Ich war allein.
„Chrissie“, rief mit Jamy hinterher, doch ich wollte bloß weg von ihm. Von so einem Hokuspokus wollte ich nichts mehr hören und allmählich hatte ich auch genug von Esoterik.
War das überhaupt noch Schwachsinn? Ich hätte Vaya mehr glauben sollen.
„Ich bin nicht dein Feind“, schrie der Barkeeper, doch die Distanz zwischen ihm nur mir konnte ich nicht ausmachen. Sicherlich wäre er innerhalb weniger Momente bei mir, wenn ich seine Statur als Läufer richtig interpretiert hatte. Ich dagegen keuchte wie eine alte Dampflok, weil mein Gehirn mehr schaltete als ich in dem Elektrotechnikseminar innerhalb meiner Studiums.
Eine Hand zog mich plötzlich zurück, bevor ich mich hinter einen Vorhang hatte verstecken können. Der feste Griff des Barkeepers überraschte mich zunächst. Ich wurde herumgewirbelt, mit dem Gesicht an die Wand gedrückt, während ein schweres Tuch uns beide verdeckte. Bevor ich mich wehren konnte, schaffte es der Barkeeper, meinen Arm hinter dem Rücken zu verdrehen. Schmerzreize durchzuckten meinen Körper, während sich das gesamte Gewicht des Mannes auf meinen verdrehten Arm drückte. Meine Wange kratzte sich auf dem rauen Untergrund der Wand auf, während ein Knie zwischen meinen eigenen Beinen meinen Widerstand im Keim erdrückte. Der drückende Geruch lag schwer um uns beide, während ich zwischen heftigen Atemstößen versuchte zu verstehen.
Schließlich lachte ich überrascht auf und kicherte unentwegt, um meine fehlende Ausdauer zu kaschieren. Während Jamy hinter mir nicht einmal schwer atmete, behauptete ich, genügend Gegenwehr geleistet zu haben, dass sogar Rambo nun ein wenig schwer schnaufen müsste.
„Hat dein Stein auch die Superkraft einer unentwegten Ausdauer?“ Meine Fragen bereicherte weder die Situation noch hielt sie den Mann davon ab, mich festzuhalten. Doch Jamy lachte kurzzeitig auf.
„Bist du verrückt oder wieso rennst du vor mir weg?“ Er hielt seine Stimme gesenkt, ich hörte sie allerdings neben meiner Ohrmuschel klar und deutlich.
„Habe so meine negativen Erfahrungen mit Esoterikern gemacht.“ Jamy hielt inne, fluchte kurz auf und ließ mich schließlich los. Die Arme schüttelnd versuchte ich wieder, ein Gefühl für sie zu bekommen, während er mich an den Schultern hielt und wieder an die raue Wand presste.
„Hast du Vayandana gesehen?“ Die Rehbraunen wurden größer, sodass sich die Hoffnung sogar auf mich auswirkte. Sie keimte in mir wie ein seltener Frühlingsmorgen voller Blumenwiesen. Ich bildete mir ein, dass die schwere stickige Luft von der blütenzarten Freiheit mit frischer Windprise unweigerlich überlagert wurde und mich beruhigen sollte. Schnippisch fuchtelte ich mit der flachen Hand vor meinem Gesicht.
„Könntest du mich mal loslassen und mit dieser Zauberei aufhören? Davon wir mir irgendwann einmal schlecht!“ Jamy sah mich an, nickte und beruhigte sich. Das Gefühl der ausbreitenden Wärme wurde gekappt, während ich das Eindruck hatte, von einem Hochhaus gestürzt zu sein und mit dem Gesicht voran auf dem Boden aufgekommen zu sein. Dass diese Übertragung und Beeinflussung so innig waren, hatte ich niemals vermutet.
„Ja, ich habe sie gesehen. Allerdings bin ich keine Herberge mehr für entflohene Königinnen aus irgendeinem goldenen Edelsteinstamm.“ Jamy wurde hippelig, sah mich mit noch größeren Augen an und fuhr herum. Unentwegt flucht er.
„Was ist?“
„Vayandana ist eine wichtige Person. Sie kann nicht einfach irgendwo verschwinden und nie mehr auftauchen. Ohne sie sind wir so richtig am Arsch!“
„Wer bist du denn eigentlich?“
„Ihr Leibwächter.“
„Dann hast du ja einen super Job bisher gemacht.“
Er sah mich mit einem vielsagenden Blick an. „Ich bin auch der Einzige, der es bisher mit ihr aufgenommen hat und sie im Kampf besiegen konnte.“
„Kann sie dann nicht einfach allein klarkommen? Sie ist ein großes Mädchen mit einer großen Klappe.“
„Du verstehst das nicht, du bist nur ein Mensch ohne Bezug zu den Völkern. Sie braucht ihren Bernstein und wir brauchen ihre Fähigkeiten. Wenn wir sie nicht haben, dass wird das Gleichgewicht...“
Da war ich schon auf dem Weg, den Vorhang nach hinten zu schieben und aus dem Restaurant zu verschwinden, als Jamy mich packte und wieder gewaltsam nach hinten riss. Bevor ich fragen konnte, kniete er sich mit mir hin und hielt den Finger auf die Lippen. Während der schwere Vorhang uns beiden Schutz bot, vor neugierigen Blicken entdeckt zu werden, schob Jamy mit einer leichten Handbewegung diesen zu Seite. Das Bild vor uns eröffnete sich, während ich nur geistig fluchte.
„Die Wächter sind hier!“
Oh, da sind meine Freunde wieder. Luigi und sein Kumpel suchten nach uns, während sich Jamy an die Wand drückte. „Wieso übernimmst du deren Job?“ Ich ahnte, dass auch Jamy Vaya wieder zurückbringen wollte.
„Weil sie nicht vor Gewalt zurückschrecken. Ich versuche es ihr human beizubringen.“
„Und wenn sie nicht will?“
„Dann…“, er stöhnte auf und holte tief Luft. „Tja, das bisherige Oberhaupt ist nicht gerade umgänglich, wenn du verstehst.“
„Inwiefern?“ Jamy schüttelte den Kopf. Er stellte eine Gegenfrage: „Weißt du, wo sie ist?“
Diesmal wackelte mein Kopf nach links und rechts. Bevor ich sagen konnte, dass es mir auch herzlich egal war, zischte Jamy: „Ich hoffe nur, ihr Bernstein ist bei ihr.“
„Was wäre, wenn nicht?“ Er sah mich mit einem wissenden Blick an. „Dann wäre ihr Leben in Gefahr, und dass der Person, die es hat. Denn der Besitzer des Steines zieht alle Wächter auf sich, wenn es nicht bei dem Rechtmäßigem ist. Ganz zu schweigen von dem umkehrenden Effekt, der zum Schutz des Bernsteines von dem Stammesvätern eingebaut wurde.“
Er sah mir in die Augen. „Der Besitzer hätte eine unendliche Pechsträhne, die auch teilweise das Leben beeinflussen kann. Das fängt aber harmlosen Dingen an wie schlechten Schulnoten, Streit mit dem Partner, kann aber zu lebensbedrohlichen Situationen kommen.“
„Wie etwa das Anfahren eines Autos?“
„Ja, oder eben sogar den Wunsch, sich selbst zu richten.“
„Dann haben wir ein Problem.“