Schwer kam Jamy auf die Beine, als das Ritual zu Ende war, meine blasse Haut das Tattoo verdeckte und ich ihm aufhalf. Ich grinste immer noch überheblich, während Georg tonlos die Zellentür öffnete und direkt auf den Leibwächter zulief. Dieser zuckte zusammen und drückte sich an die Wand, doch ich hatte keine Zeit mehr für unnötige Spielereien.
Ich drehte mich um, ging aus der Zelle und schüttelte Vaya ein wenig an der Schulter. Sie kam schlaftrunken zu sich, während ich Jamy befahl: „Halt still und lass dich durch Georg helfen. Er wird deine Wunden nicht heilen können, aber jetzt reicht es, wenn du ein wenig ausgeruhter in den Kampf gehst.“
Sofort spürte ich den Widerstand, den Jamy aufbrachte und ich mit meinem Willen niederbrannte. In meinem Magen zog es schwerlich, als er der Hand Georgs ausweichen wollte, während sein Körper zusammenzuckte, als würde er ihm nicht mehr gehören. Mein Blick in die Zelle zeigte, wie Georg die Rechte hob und Jamy in der Ecke auszuweichen versuchte. Während ich ihm den Befehl gegeben hatte, bewegte sich der Mann nicht mehr. Durch die augenblickliche Ruhe in Jamy verzog sich auch der Widerstand in meinem Kopf, während ich stöhnend aufstand und Vaya sich zu mir gesellte. Schnell hielt sie Abstand und sah mich wütend an.
„Keine Diskussionen jetzt, wenn du deinen Bernstein wiederhaben willst.“ Vaya funkelte mich immer noch böse an, rannte dann aber zur Zelle und umarmte Jamy. Beide flüsterten miteinander, während Georg nun neben mir stand und mich musterte.
„Wieso so freundlich?“ Die Frage kam nicht überraschend, denn schließlich bot man eigentlich nur eine solche Bindung an, wenn man auch die Loyalität desjenigen genoss. Georg war mein erster Mann gewesen, weshalb ich auch keine Angst gehabt hatte, er würde uns hintergehen. „Er hätte den Tod verdient.“
„Weil es so einfacher ist. Im Augenblick steht es uns nicht gut, wenn wir uns hier streiten. Deine Fähigkeit hat uns einige Zeit verschafft, aber oben versammeln sich einige Personen. Ich kann nicht sagen welche, aber es wird schwer, wenn wir nicht gleich…“
Ich spürte hinter mir Jamy wie eine kleine Flamme, während er mich grimmig musterte. Neben ihm versteckte sich Vaya. Beide wünschten mir stumm das Schlimmste.
„Keine Sorge, ein Tattoo wirst du nicht davontragen. Es wird also keiner wissen, dass du mir die Treue geschworen hast.“
„Hatte ich denn eine Wahl?“
Die hat man immer, wollte ich sagen, doch ich wusste es eben besser.
Oben angekommen sammelten wir uns in dem Flur und knieten nieder, während Jamy die Lage sondierte. Georg hielt sich an mich, während ich meine Gabe nutzte und versuchte, einen Ausweg zu suchen. Das Haus war umstellt, mit vielen Magienutzern. Wer welche Fähigkeit hatte, wusste ich nicht, allerdings schien einige Mächtige darunter zu sein. Fluchend zog ich meine Sinne zurück und übergab die gesammelten Infos an die Restlichen. Georg schwieg, während Jamy seine Beobachtungen mit meinen bestätigte. Allein Vaya überlegte sich etwas und fragte vollkommen ohne Zusammenhang: „Was sind deine Fähigkeiten, Chrissie?“
Ich blickte hinab, überrascht, dass sie mit mir sprach. Den Ernst der Lage hatte diese Frau schneller begriffen als ihr Leibwächter, der zähneknirschend, aber auch neugierig, mich betrachtete. Für mich schien es eine gute Idee zu sein, ihnen ein Stückweit zu verraten, was ich konnte.
„Ich kann Gegenständen meinen Willen aufzwingen. Während mein Vater mit Menschen tun und lassen kann, was er will, kann ich das mit Gegenständen, egal ob magisch behaftet oder nicht. Der Effekt hält je nach Gegenstand unterschiedlich lange an. Ich kann einen Baum, der an sich ein Lebewesen ist, nicht zwingen, schneller zu wachsen, aber ihn als eine Art Erweiterung meiner Sinne nutzen. Genauso verhält es sich mit dem Nutzen. Während Feuer dazu da ist, zu brennen, ist es schwieriger, Wasser zum Brennen zu bringen. Je natürlicher mein Wille zu dem Gegenstand ist, für das es da ist, desto einfacher ist es, den Willen zu formen.“
„Also kannst du einfach Waffen zum Schießen bringen und wir würden hier verschwinden können.“
Vayas Augen glitzerten, als hätte sie den Sinn des Lebens entdeckt.
Ich lächelte. „An sich ein guter Gedanke, aber wir haben hier keine solchen Gegenstände.“
Vaya schien zu blinzeln, während wir uns einen Plan ausdachten. Jedenfalls wollten wir das, bis eine laute Stimme meinen Geist leerfegte und mich wie von Zauberhand aufstehen ließ.
Georg hielt mich sofort fest und sprühte seine Fähigkeit in mich hinein, wie ein Drogensüchtiger seine Spritze.
„Bleib hier!“, rief er, während draußen ein höhnisches Lachen zu hören war. Ein weibliches Lachen. Schließlich konnten wir uns alle nicht mehr dagegen wehren und wurden wie von einem Magneten angezogen durch die Tür auf die Grasfläche geworfen. Fluchend rieb ich mir die wunde Stelle, an welcher ich aufgekommen war, während mich ein bekanntes Gesicht mit jeweils einem blauen und braunen Auge musterte.
„Hallo Christopher. Nein halt,...“ Annika grinste wie eine Verrückte. „Lord C´Tik Ishaar.“
„Könnte man mal bitte aufhören, mich so zu nennen,“ stöhnte ich und blickte meine Ex-Freundin an. Unter dem Mantel versteckte sie ihren Leib, während hinter ihr und zwischen den Bäumen immer mehr Personen zum Vorschein kamen. Jeder einzelne war bereit für einen Kampf und siegessicher lächelten sie, während andere den Verrat meinerseits mit einem Knurren quittierten.
„Stimmt, Verräter passt besser!“ Die Hand wurde ausgestreckt, während ich meine Ohren zuhalten musste. Wir vier wurden in die Knie gezwungen, während mein Trommelfell unter dem Druck zu Platzen drohte. Schließlich hörte es auf, ich fiel auf alle Viere und keuchte. Neben mir atmete selbst Georg schwerfällig, während Vayas Ohren bluteten.
„Du hast also mehr Verwendung für einen Glückbringer und einer Bitch, die so oder so nichts kann, als an mir, die Schall manipuliert? Wirklich, Christopher, das ich erbärmlich.“
Ich grub die Hände in den Rasen und stand schwankend auf. Und lächelte hämisch.
„Naja, vielleicht ist sie ja besser im Bett wie du.“
Annika fauchte wütend. Erst dachte ich, in diesem Gesicht meine Zukunft gefunden zu haben, doch nun bestätigte sich alles, was ich die letzten Tage vermutet hatte. Durch ihre neue Berufung hatte sie sich verändert. Zum Schlechteren. Bevor ein weiterer Angriff kommen konnte, schmiss ich einen Stein an ihre Schläfe. Die Wucht traf sie unvorbereitet und taumelte zurück. Etwas fiel zu Boden. Hinter ihr standen Siggi und Fahid, die wütend zu mir starrten.
Siegessicher lächelte ich, während ich in Gedanken die Befehle formulierte. Jamy zuckte zusammen, während Georg nickte.
„Ich muss sagen, dass du meine Masche nicht vorher erkannt hast, überrascht mich. Alles von dem, was ich gesagt habe, war gelogen. Jeder Satz, jedes Wort, ja selbst jedes Satzzeichen, bis hin zu jeder einzelnen Geste. Es war eine grausame Zeit, die letzten drei Jahre.“ Diese Lüge brach mir das Herz, doch das interessierte keinen. Denn das blanke Chaos brach aus.