Ich sah den alten Mann mit einem sehr ernsten Blick in die Augen. Ich wollte verdammt noch mal Antworten. Der alte Mann bemerkte, dass meine Wissensgier immer mehr an Größe gewann. ''Der hohe Rat nimmt auch einige Opfer mit in ihr selbsternanntes Himmlische Hinrichtung. Diese Hinrichtungen werden global übertragen, damit jeder zu Gesicht bekommen kann, wie kaltblütig, grausam und gnadenlos der hohe Rat ist. Diese Wesen sind alles andere als empathisch und zu allen grausamen Dingen bereit'', entgegnete mir der alte Mann schließlich mit einer bebenden Betonung in seiner Stimme, die er mit einer ernsten und finsteren Mimik im Gesicht verstärkte.
Schock und das Gefühl des Unbehagens überkamen mich. Der Gedanke, dass mein Bruder noch unter den Lebenden weilt und hingerichtet werden könnte, blieb mir wie ein eingefangener und keimender Virus in meinem Hinterkopf.
''Wann finden diese Hinrichtungen statt? Wenn das global über die ganze Welt geschieht, müsste ich doch davon etwas mitbekommen haben. Warum also weiß ich davon nichts? Konnten diese Wesen meine Heimat etwa nicht erreichen? War das der Grund warum sie sich über die nun ausradierte Stadt Marlorvina vergriffen haben?'', fragte ich spottend, gefüllt mit Zorn und einer unermesslichen Neugierde.
Ich sah, dass der alte Mann mir einen leeren Blick zuwarf und etwas angespannter wurde. Die Spannung dieser Situation stieg ins Unermessliche. Noch immer gab dieser alte Mann mir keine Antwort. Auch wenn nur 10 Sekunden Stille herrschten, sie fühlten sich an wie Jahrzehnte.
''Weil sie wussten, dass einer der Bewohner das grüne, schimmernde Merthyl Kristall, welches sich auch Macht der 1000 Seelen nennt, besitzen würde. Darum haben sie sich bemüht Marlorvina von diesen öffentlichen Hinrichtungen zu verschonen. Ich habe mit angesehen wie viele Menschen, sogar Babys vor den Augen der Eltern und Angehörigen kaltblütig gefoltert und ermordet worden sind.'', antwortete der alte Mann schließlich doch mit einem tiefen seufzen.
Ich verstand jetzt endlich warum mein Bruder mir diese Halskette gab und warum er mich aufgefordert hat zu fliehen. Er wusste, dass sie kommen würden, um diese Waffe zu finden und in Gewahrsam zu nehmen. Ich habe ihm nicht geglaubt, schließlich hat er mir vertraut, doch wofür? Ich bin schuld für die Ausrottung meiner Heimat und diese Bürde muss ich so lange mit mir schleppen, bis ich mich für alle rächen konnte.
Ich sah den alten Mann an und atmete tief ein und aus ''Wie funktioniert diese Waffe? Was muss ich tun, um sie gegen den hohen Rat anzuwenden?'', wollte ich neugierig wissen, starrte den grünen Kristall meiner Halskette wie ein besessener Psychopath an und empfand das Gefühl des Blutrausches. Der alte Mann schüttelte den Kopf, als würde er mir jetzt sagen wollen, dass ich viel zu kindisch sei und dass ich vorschnelle Gedanken unterlassen solle.
Der alte Mann griff nach einer skurrilen Art Staub, welcher sich direkt neben ihm in einer Steinschale, auf dem Sandboden befand und verstreute diesen über das ganze Feuer. Ich beäugte das Feuer, das seine Form und seine Farbe langsam veränderte und an Kontrast gewann. Es bildete sich ein Bild von einer jungen kleinen Frau, die dasselbe Kristall wie ich besaß, jedoch nutzte man das Kristall als eine Art Stein eines Ringes, die am Finger denselben grünen Merthyl Kristall, der an meiner Halskette als Zentrum hängt.
Das Gesicht des jungen Fraus konnte das Feuer aus unbekannten Gründen nicht zeigen, andere Individuen jedoch konnte man mitsamt Gesicht erkennen. Diese Frau schien sich auf einem Markt zu befinden und wie es den Anschein hatte, kaufte sie Nahrung ein. Sie war der Masse was die Kleidung betrifft sehr angepasst, deswegen müsste ich nach ihrem Ring an ihrem Ringfinger suchen, wenn ich mich bald auf die Suche machen wollte.
Ich sah den alten Mann nach einer Antwort verlangend an. Bevor ich auch nur meine Frage, die ich ihm stellen wollte, in meinen Gedanken vervollständigt hatte, kam mir der alte Mann zuvor. ''Du musst diesen Weg Richtung Norden nehmen. Merke dir, Osten geht die Sonne auf, Süden ist die Sonne an ihrem Höhepunkt, Westen geht die Sonne unter und im Norden ist sie nie zu sehen. So wirst du dich auf keinen Fall verlaufen. Die Stadt, wo sich die Frau befindet, nach der du suchst nennt sich Altravessa.'', kaum sprach der alte Mann zu Ende, entgegnete ich ihm mit einem bestätigenden Nicken und sah mit an, wie das Feuer in sich zusammen implodierte und erlosch.
Der alte Mann stand auf und ging einige Schritte an mir vorbei, wo ich ihn am Horizont sein hinteres Profil beäugen konnte. Mir schien es so, als würde er in der Ferne eine gewisse Anregung spüren und wissen, dass bald ein fürchterliches Ereignis im Gange wäre.
''Es wird Zeit. Du solltest jetzt aufbrechen, du darfst keine Zeit verlieren. Jede Sekunde, die du nun verbringst, zählt von nun an so viel wie ein Menschenleben. Ob du es nun möchtest oder nicht, du wirst derjenige sein, der diese Welt befreien oder ins völlige Verderben stürzen wird.'' Nachdem der alte Mann seinen Satz beendet hat, drehte er seinen Kopf zu mir um und warf mir ein Lächeln zu, welches ich schon vor Ewigkeiten in dieser Finsternis vergaß.
Es war das Lächeln von Hoffnung und Überzeugung. ''Du wirst es schaffen, davon bin ich überzeugt. Du bist noch jung und sehr impulsiv. Du wirst auf deiner Reise sehr viel Erfahrung sammeln und lernen. Meine Aufgabe ist hiermit beendet.'' Bevor ich auch nur ein Wort aus meinem Mund schmeißen konnte, begann der alte Mann mitsamt seinem Lächeln zu verschwinden und sich aufzulösen.
Ich verstand gar nichts mehr. Dieser Mann, der mir das Leben rettete, was oder wer war er? Ein Mensch? Ein Mensch löst sich doch nicht in Luft auf! Ein Geist? Dazu war er viel zu präsent. Ich soll die Welt retten? Dieser alte Mann schien sehr viel Vertrauen in mir zu haben. Wer außer mir hat denn die kleinste Möglichkeit diese Tyrannen zu stoppen?
Diese Frage konnte ich mir ja selber beantworten. Ich unterbrach meine endlosen Monologe und betrachtete meine Merthyl Halskette. Ich wusste, dass meine Reise gerade erst begonnen hatte.
Mit Mut und Entschlossenheit schloss ich meine Hand und formte diese, mitsamt der Halskette, in eine solide und angespannte Faust und starrte vom Ozean aus Sand und Staub, hinauf in den Horizont wo die Sonne nicht zu sehen war.