Der Kies knirscht unter jedem meiner ausladenden Schritte, während ich mich über den Weg des riesigen Anwesens bewege. Es ist ein ziemlich warmer Junitag, jedoch trage ich trotzdem mein übliches Outfit: schwarze Cargohose, schwarzes slimfit Shirt und ebenso schwarze Sicherheitsschuhe. Über mein Shirt habe ich mir meine – natürlich schwarze – Lederjacke gezogen, welche ich offen trage. Um nicht von der Sonne geblendet zu werden, bin ich mit einer verspiegelten Sonnenbrille ausgerüstet. Anders gekleidet sieht man mich vielleicht mal, wenn ich privat unterwegs bin. In den meisten Fällen bin ich allerdings beruflich bedingt in diversen Städten anzutreffen und habe weniger Freizeit.
Mit Argusaugen sondiere ich die grün bewachsene Umgebung und scanne die Büsche nach Veränderungen oder anderen Auffälligkeiten, die vorher nicht dort gewesen sind – kann jedoch nichts feststellen was mich in Alarmbereitschaft versetzt und ich verschränke die Arme vor meiner Brust. Eine reine Objektbewachung ist eine recht langweilige Sache, gibt aber immerhin Geld. Nicht, dass ich zwingend auf dieses angewiesen wäre. Mit meiner Objekt- und Personenschutzfirma spüle ich genügend in die Kasse. Regulär stelle ich an und für sich auch eher meine Mitarbeiter für solche Aufträge ab. Jimmy, welcher diese Objektbewachung betreuen sollte, wurde an dieser Stelle jedoch auf Grund eines privaten Notfalls in der Familie abgezogen und ich selbst bin eingesprungen. Auch, wenn ich der Inhaber dieser Firma bin, bin ich mir für solche spontanen Übernahmen nicht zu schade.
Dennoch mache ich diese Art von Überwachungen nicht gern. Sie sind mir schlicht und ergreifend zu langweilig. Ich bin für die Anstrengung der Gehirnzellen. Oder auch körperlichen Einsatz. Als Fitnessfreak wohl auch nicht anders zu erwarten, vermute ich. Ich laufe jeden Morgen und halte mich auch sonst mit Kraft- und Ausdauertraining in Form. Meine kleine Schwester nannte mich immer liebevoll ‚Wandschrank‘. Leicht schüttle ich meinen Kopf und lasse meinen Blick erneut schweifen. Die Sonne ist gerade hinterm Horizont verschwunden und theoretisch könnte ich meine Sonnenbrille nun abnehmen – was ich schlussendlich nicht mache. Mit Sonnenbrille fühle ich mich im Allgemeinen wohler. In weniger als zwanzig Minuten bekomme ich eine Wachablösung und kann mich auf meinen morgigen Personenschutz-Auftrag vorbereiten, welches ich eigentlich heute Mittag schon erledigt haben wollte.
Ich begebe mich über den knirschenden Kies weiter um das Anwesen herum und lasse meinen Blick dabei prüfend über alle möglichen Einbruchsmöglichkeiten wandern: Fenster, Terrassentüren und den pompösen Pavillon, welcher die Terrasse überdacht. Es sieht alles sicher aus und ich folge dem Weg bis zur vorderen Seite des Anwesens, wobei ich weiterhin wachsam die Umgebung scanne. Am Haupteingang angekommen, positioniere ich mich mit verschränkten Armen vor der Brust auf den Treppenabsatz vor der Tür und zeige eine unbewegte Mine zur Schau. Nicht, dass hier irgendeine Menschenseele zu sehen wäre, aber so bin ich nun einmal.
Diese Anlage gehört einem bekannten Schriftsteller, welcher Angst um sein neuestes Script hat, welches erst in einem Monat veröffentlicht wird. Scheinbar haben einige Konkurrenten ein Auge auf den Inhalt geworfen, da es eine bahnbrechende Idee von einer Story ist. Oder aber der Autor hält größere Stücke auf sich und seine Kreativität als tatsächlich Talent vorhanden ist. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Fakt ist, dass hier absolut nichts Spannendes passiert und ich mir bessere Aufträge vorstellen kann. Für meine Mitarbeiter war eine solche Objektbewachung entspannend. Absolut nicht nachvollziehbar für meine Person. Aber so hat jeder seine Vorlieben und Abneigungen.
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Endlich kann ich meine heiß ersehnte Abendrunde drehen, nachdem ich mir die Unterlagen zu meinem Personenschutz-Auftrag durchgesehen habe. Es handelt sich hierbei um eine Barkeeperin, welche von ihrem kriminellen Ex-Freund gestalkt wird und die Cops mal wieder nichts unternehmen. In den meisten Fällen soll das bedrohte Opfer den Kopf unterm Arm tragen, ehe überhaupt ein Finger seitens der Beamten krumm gemacht wird und eine Ermittlung in die Wege geleitet wird. Vom Schutz eines gestalkten Opfers fange ich erst gar nicht an zu sprechen. Und genau ein solches Verhalten macht mich so unfassbar wütend und hat mich dazu gebracht, eine Firma aus dem Boden zu stampfen, welche sich bevorzugt um solche Menschen kümmert.
In meinen Augen haben Stalker nichts auf freiem Fuß zu suchen und gehören hinter schwedische Gardinen. Oder in eine geschlossene Anstalt. Manche sind wirklich geistig gestört und begehen Morde an ihren Ex-Partnern. Und ich rede hier nicht ausschließlich von männlichen Tätern. Auch die Rate bei den weiblichen Tätern steigt rapide. Die heutige Gesellschaft ist verdammt verkorkst. Ich verziehe verächtlich meinen Mund und bleibe im Sand stehen, um auf das Wasser zu schauen. Bevorzugt jogge ich abends oder auch nachts am Strand entlang und powere mich richtig aus. Heute ist die Luft mild und ich inhaliere begierig die salzige Meeresluft.
Mit dem Haus am Strand habe ich mir vor zwei Jahren einen kleinen Traum erfüllt und ich denke keine einzige Sekunde an die stickige Großstadtluft in New York zurück. Dort hat mich absolut nichts gehalten. Mein alter Job als Fitnesstrainer hat mich nicht länger erfüllt und auch in der Liebe lief alles bergab mit angezogener Handbremse. Meine letzte ernsthafte Beziehung ging vor sechs Jahren in die Brüche. Marie und ich haben einfach nicht zusammengepasst. Sie ist ein verwöhntes Papakind, welches zickt, wenn es seinen Willen nicht bekommt. Über kurz oder lang haben wir uns nur noch gestritten, bis sie mich mit ihrem Kollegen betrogen hat und ich kurzerhand die Beziehung beendet habe.
Und nachdem ich meine Schwester Lani verloren habe, beschloss ich ein neues Leben zu beginnen. Dazu gehörte definitiv auch ein Umzug. Nun lebe ich bereits seit zwei Jahren in Miami und kann mir kein schöneres Zuhause vorstellen. Den Frauen habe ich rein beziehungstechnisch abgeschworen. Ab und an habe ich mal den ein oder anderen One-Night-Stand – allerdings eher seltener. Zu sehr spannt mich mein Job ein. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass ein weibliches Wesen meine Arbeit gutheißen würde. Immerhin setze ich in vielen Aufträgen mein Leben aufs Spiel. Ich wurde bereits angeschossen, niedergestochen und fast in die Luft gesprengt und habe das Krankenhaus inklusive Intensivstation bereits mehrfach von innen gesehen. Bisher bin ich dem Tode von der Schippe gesprungen und hoffe das dieses Glück mich weiterhin begleiten wird.
Ich fahre mit der Hand durch meine dunklen Haare und denke kurz darüber nach, mir die Haare wieder kürzen zu lassen. Mittlerweile berühren sie den Kragen meines Hemds, sobald ich auf eine Abendveranstaltung wieder einmal die Begleitung mime und mich in einen Anzug quäle. Es ist nicht so, dass ich Anzüge nicht mag – aber in meiner Standardkluft fühle ich mich ganz einfach sehr viel wohler. Dann verwerfe ich den Anflug einer Idee vom Haareschneiden wieder und mache mich joggend auf den Rückweg zu meinem Haus, um mich in die Waagerechte zu begeben. Um fünf Uhr in der Früh wird mich mein Wecker aus dem Schlaf reißen, um den neuen Auftrag anzutreten und die Zielperson kennen zu lernen.