Schweigend mustere ich Rilana und verschränke meine Arme vor der Brust, versuche während dessen meine wirren Gedanken zu ordnen. Was zum Teufel war da eben in mich gefahren? Die Worte sind einfach aus meinem Mund gesprudelt und ich habe mich gehen lassen, sie geküsst. So überhaupt nicht oberflächlich und unschuldig. Sie – meine Zielperson, von der ich anscheinend unbewusst schon seit einiger Zeit nicht mehr als solche dachte. Ja, meine nervige Nachbarin ist definitiv einen Schritt zu weit gegangen, als sie mein Grundstück ohne meine Einladung betreten und auch noch Rilana belästigt hat, zum Schluss sogar mehrfach beleidigt. Das ging ohne Wenn und Aber zu weit, so viel ist sicher.
Sie steht unsicher vor mir, ihre Finger sind ineinander verflochten, ihr Blick schuldbewusst und ich erkenne einen Hauch von Angst. Angst vor mir? Oder meiner Reaktion? Immerhin hat sie ein Spiel begonnen, in das sie mich hineingezogen hat – ob ich gewollt hatte oder nicht. Dennoch kann ich ihr nicht böse deswegen sein. Ihre Absicht lag darin, mir zu helfen und mich zu verteidigen. Innerlich brodele ich auf Grund der verbalen Angriffe auf sie durch Elena noch immer und ich drehe diesem elenden Weibsbild in Gedanken genüsslich den Hals um. Warum mich diese Tatsache so ärgert, kann ich nicht einmal genau benennen. Normalerweise müsste mir eine solche Auseinandersetzung vollkommen egal sein. Es lässt mich allerdings nicht kalt. Nicht mal ansatzweise.
„Es tut mir leid ich -“, beginnt sie leise eine Entschuldigung und ich brumme kurz, was sie innehalten lässt.
„Ich konnte sie noch nie leiden. Sie ist aufdringlich und lässt einfach nicht locker.“
Mir ist bewusst, dass sie auf das Schauspiel anspielt und sich dafür entschuldigen möchte, aber das will ich, zugegeben, nicht hören. In meinen Augen gibt es nämlich nichts zu entschuldigen, denn sie hat mich zu rein gar nichts gezwungen oder überredet. Das ich alle diese Dinge gesagt habe und sie danach geküsst habe, war meine persönliche Entscheidung. Rilana hat mir lediglich eine Steilvorlage präsentiert und mich meine Vorsätze prompt vergessen lassen. Ich will nicht aus ihrem Mund hören das sie das Ganze bereut. Mir ist durchaus bewusst, dass sie sicherlich keinen Mann sucht und sich derzeit um andere Dinge sorgen muss. Ihre Mutter, ihre Schwester und die finanzielle Situation setzen ihr zu. Nicht umsonst hat sie zwei Jobs und kaum Freizeit.
„Wirklich?“
„Ja. Selbst ohne einen Streit vom Zaun zu brechen hätte ich sie von meinem Hab und Gut verjagt. Sie treibt es deutlich zu weit. Und ich kann es absolut nicht ausstehen, wenn man meine Gäste beleidigt oder verbal angreift“, erkläre ich ihr nachdrücklich und zucke kurz meine Schultern.
„In Ordnung“, erwidert sie und ich sehe ihr an, dass sie am liebsten noch etwas dazu sagen möchte, es aber dennoch nicht tut. „Danke fürs Verteidigen.“
„Gern geschehen. Lust ein wenig an den Strand zu gehen? Es herrscht bestes Wetter und hier rumsitzen ist auch irgendwie öde.“
„Natürlich. Ich ziehe mich nur schnell um, denn ich würde gern ins Wasser gehen.“
Ihre Augen funkeln direkt wieder begeistert und ich entspanne mich schlagartig wieder, wobei es mich überrascht, denn ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich plötzlich angespannt gewesen bin. Diese Frau bringt anscheinend so einiges durcheinander...
Sie verschwindet im Haus, um sich umzuziehen, gefolgt von meinem Blick, bis die Terrassentür hinter ihr klickend ins Schloss fällt. Ich lehne mich derweil mit der Hüfte an die Balustrade und werfe einen prüfenden Blick zum Haus nebenan. Bisher hatte Elena sich nicht mehr blicken lassen, wobei ich vermute, dass sie meine Terrasse nicht aus den Augen lassen wird. Warum hat sie ausgerechnet mich ins Auge gefasst? Es ist nicht so das es niemanden interessantes in der unmittelbaren Umgebung gäbe, den sie umgarnen kann. Also warum mich?
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als Rilana wieder zu mir auf die Terrasse kommt und zieht meine Aufmerksamkeit erneut komplett auf ihre Person. Ob ihr das überhaupt bewusst ist?
„Ich bin startklar.“
In den Händen trägt sie zwei große zusammengelegte Badelaken und ich ziehe eine Augenbraue fragend hoch, da ich nicht geäußert hatte, dass ich mit ins Wasser gehe.
„Zum Drauflegen“, beantwortet sie meine stumm gestellte Frage und grinst.
Da sie keine Badekleidung trägt, vermute ich das sie diese unter dem sonnengelben Sommerkleid trägt. Ihre Füße stecken in schwarzen Flip Flops, damit sie sich auf dem heißen Sand nicht die Fußsohlen verbrennt. Eine weise Entscheidung wie ich finde.
Die paar Meter ans Wasser legen wir schnell zurück, ohne uns zu unterhalten. Ein unangenehmes Schweigen ist es jedoch nicht. Viel mehr hängt jeder seinen Gedanken nach.
Rilana breitet die Badelaken aus, schlüpft aus den Flip Flops, zieht sich das Kleid über den Kopf und lässt es an Ort und Stelle liegen, um dann freudig lachend ins Meer zu laufen. Verblüfft schaue ich ihr nach und schlucke angesichts des knappen dunkelgrauen Bikinis, der nur knapp ihre Kehrseite bedeckt. Ehe ich mich versehe, taucht sie im Wasser unter und wenige Meter weiter wieder auf, sich dabei die nassen Haare aus dem Gesicht streichend.
Kurzentschlossen öffne ich meine Jeans, schlüpfe aus ihr heraus und werfe sie auf das Badelaken, nachdem ich herausgeschlüpft bin. Darunter trage ich eine Badeshorts, da ich sowieso vor hatte ein erfrischendes Bad im Meer zu nehmen. Danach folgt mein Leinenhemd, welches ich achtlos auf meine Jeans werfe, während ich gleichzeitig aus den Sandalen gleite.
Danach jogge ich auf Rilana und das Wasser zu, um mit einem nach vorn geneigten Sprung in das kühle Nass zu gleiten.