Während ich ein Bier zapfe ruft George mir zu, dass ich heute länger machen muss als regulär vereinbart. Er ist ein Sklaventreiber was das angeht. Und da ich meinen Vertrag via Handschlag besiegelt habe, habe ich keinerlei schriftlichen Gegenbeleg den ich ihm unter die Nase halten kann. Innerlich fluche ich derb und stelle dem Gast den Humpen Bier vor die Nase, um abzukassieren. Dieser wirft mir einen lasziven Blick zu und ich versuche meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, um keine Beschwerde zu provozieren. Die Gäste in dieser Tanzbar sind alle gut betucht und meinen mit ihrem Geld alles kaufen zu können was sie nur wollen. Auch Frauen – egal ob diese wollen oder nicht.
Ich bin jedoch nicht käuflich. Wenn ich mich auf jemanden einlasse, dann weil ich die Person mag oder ihr gar tiefere Gefühle entgegen bringe. Hier legt man auf so etwas keinerlei Wert. Hauptsache der Wunsch der Schnösel mit Kohle wird erfüllt. Am besten gestern statt heute. Dieser Kerl am Tresen ist wohl exakt einer dieser Männer. Er trägt einen teuer aussehenden Anzug und hat einen kühlen Gesichtsausdruck aufgesetzt, nach dem ich nicht reagiert habe, wie er sich das erhofft zu haben scheint. Ab und zu flirte ich natürlich mit Gästen, jedoch nur mit denen die mir sympathisch sind und mit denen ich wenigstens ein paar Sätze außerhalb einer Bestellung gewechselt habe. Das tue ich mit den Wenigsten – somit eine sehr überschaubare Anzahl.
„Hey, Schätzchen. Einen Screwdriver für mich“, meldet sich der Gast rechts von mir an der Theke und ich seufze innerlich auf.
Ein ‚Bitte‘ ist wohl deutlich zu viel verlangt. Da frage ich mich ernsthaft, warum diese Männer im Geschäftsleben so erfolgreich sind. Oder hat man in diesem Bereich keinerlei Höflichkeitsformen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. So viele Businesstypen kenne ich tatsächlich nicht. Will ich ehrlich gesagt auch nicht. Solche Leute biedern mich richtiggehend an. Lieber keine Bekanntschaften als solch überhebliche Idioten die meinen ihnen gehöre die ganze Welt. Mein Ex ist genau so ein Typ Mann. Das er ein stinkreicher Sohn eines arabischen Scheichs ist, habe ich auch erst nach drei Monaten Beziehung erfahren. Seit dem hat er die Studiengebühren meiner kleinen Schwester übernommen und mich so emotional an sich gebunden. Er wusste genau das ihr Studium zum Scheitern verurteilt ist, wenn die Rechnungen nicht regelmäßig gezahlt werden. Doch zum Ende hin hat es mir gereicht und ich habe Schluss gemacht.
„Ein Screwdriver. Sonst noch einen Wunsch?“, kommentiere ich die ausgelieferte Bestellung des blonden Malibu-Ken-Verschnitts im Hawaii-Hemd freundlich.
„Deine Nummer, damit wir eine Nummer schieben können?“, antwortet er schmierig grinsend und ich schüttle ernst den Kopf, um das fragwürdige Angebot eindeutig abzulehnen.
„Kein Interesse, tut mir leid.“
George tritt neben mich und fasst mich am Oberarm um meine Aufmerksamkeit zu erhalten. Fragend sehe ich ihn an und trockne meine vom Abwaschwasser feuchten Hände am Geschirrtuch ab. Er hat einen fordernden Blick und ich ziehe meine Augenbrauen hoch.
„Rilana, du musst für Tessa einspringen. Sie ist im Umkleidebereich umgeknickt und kann nicht mehr auftreten. Der Poledance fällt somit für sie flach. Ariana hat diese Woche Urlaub und kann Tessa nicht ersetzen für diesen Abend. Für die nächsten Abende habe ich Ersatz organisieren können, jedoch nicht für heute. Der Auftritt ist in einer knappen Stunde“, rückt er mit seinem Anliegen raus und ich runzle ärgerlich die Stirn.
„Du weißt genau, dass ich hier keinen Poledance-Auftritt aufs Parkett lege, George. Diese Diskussion hatten wir nun wie oft?“
„Es soll nicht zur Gewohnheit werden. Nur dieses eine Mal, Ri. Du musst nicht den exakten Auftritt wie Tessa bringen. Rutsch ein wenig an der Stange hoch und runter, mach ein paar Figuren und wackle dabei mit Busen und Hintern. Mehr nicht. Das Trinkgeld kannst du sicher gut für deine Familie gebrauchen, oder nicht?“
Ich grunze wenig damenhaft und ziehe meine Augenbrauen missmutig zusammen. Mir schmeckt seine Art zu argumentieren nicht und das weiß er genau. Aber ich muss mir eingestehen das er Recht hat. Das zusätzliche Geld käme mir mehr als gelegen. Immerhin sind wieder die halbjährlichen Medikamente meiner Mutter fällig und den Betrag dafür habe ich nicht mal eben auf der hohen Kante, da ich Kirana finanziell mit neuen Arbeitsmaterialien unterstützen musste. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und streiche mir eine meiner dunklen Haarsträhnen aus der Stirn, welche sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte.
„Haben wir denn überhaupt entsprechende Kleidung für den Auftritt da, welche ich nutzen kann?“, versuche ich mir den Sonderauftrag irgendwie auszureden.
„Das ist das geringste Problem. Du solltest in die Outfits von Tessa passen. Ihr habt ungefähr die gleiche Figur, Mädchen. Geh nach hinten und probier die Sachen an. Ich übernehme hier bis nach dem Auftritt. Dann kannst du dich noch in Ruhe vorbereiten. Tanzen kannst du und Poledance war als Teenagerin dein großes Hobby. Ich merke mir solche Dinge, Süße“, zwinkert er mir verschwörerisch zu und nimmt mir das Trockentuch ab.
„Nur dieses eine Mal, George. Ich mach das nicht noch einmal.“
Er nickt mir zu und ich mache mich auf den Weg hinter die Kulissen, damit ich schauen kann ob die Outfits mir in irgendeiner Form dienlich sein können. Derweil kann ich mich kurz mit Tessa austauschen, denn sie wird sicherlich erst von ihrem Bruder abgeholt. Mit einem schmerzenden Fuß kann man selbst kein Auto mehr steuern.
„Tessa? Bist du hier hinten?“, frage ich, als ich die Tür hinter mir zugezogen habe.
„Ja – ich sitze bei George im Büro auf der Couch. Soll den Fuß oben lagern. Travor kommt mich in den nächsten Minuten abholen“, ruft sie mir zu und ich komme in das Büro. „Springst du etwa für mich ein? Das wolltest du doch nicht tun, Ri.“
Ich zucke locker die Schultern. Als bliebe mir etwas anderes übrig. Die unterschwellige Drohung in Georges Stimme ist mir nicht verborgen geblieben. Immerhin habe ich keinen schriftlichen Vertrag und er kann mich jederzeit entlassen und mir den Lohn vorenthalten. Und ich kann absolut nichts dagegen tun. Im Nachhinein sehr blauäugig und komplett naiv. Aber nun sitze ich diesem goldenen Käfig und muss mich irgendwie durchbeißen.
„Schon okay. Irgendwer muss ja einspringen. George hat für die nächsten Abende jemanden gefunden – heute war zu spontan meint er. Ariana ist nächste Woche wieder aus dem Urlaub zurück und somit ist einmal gleich keinmal – oder?“, grinse ich sie beruhigend an.
„Wenn du das so siehst… ja. Du musst ja nicht so viel Haut zeigen wie ich. Meine Performance ist Sex pur. Das steht dir auch gar nicht. Nicht böse gemeint, Ri.“
„Schon gut, ich weiß wie du es gemeint hast“, winke ich gespielt salopp ab und setze mich auf den Stuhl vor Georges Schreibtisch. „Tut es sehr weh?“
Mir ist durchaus bewusst das ich gegen sämtliche Malibu-Barbies hier verliere und der Inbegriff eines Mauerblümchens bin. Ich ziehe mich unscheinbar an – Kleidung viel zu weit. Verstecke meine eigentlich eher schlanke Gestalt vor der Außenwelt. Außerdem schminke ich mich nicht und mache mir nichts aus aufwendigen Frisuren. Meistens trage ich auf Arbeit meine Haare offen und in meiner Freizeit einen Pferdeschwanz. Maximal einen geflochtenen Zopf sieht man mal an mir. Oh – und einen Dutt. Aber nur, wenn ich meinen Haushalt schmeiße oder eine seltene Runde jogge.
„Es hat schon nachgelassen. Ich habe mir ein Schmerzmittel eingeworfen und kühle den Knöchel. Wird wohl eine Prellung sein, vermute ich. Lasse das morgen von einem Arzt checken. Zur reinen Sicherheit.“
„Okay. Ich darf mir eines deiner Outfits leihen sagt George?“, hake ich nach.
„Tu dir keinen Zwang an. Ich denke du wirst fündig.“
Lächelnd nicke ich ihr zu und lasse sie allein. Wenn ich noch einen Probelauf starten will, muss ich mich sputen. Tessa hat einen Haufen Outfits und sich durchzuwühlen wird einige Zeit in Anspruch nehmen, fürchte ich amüsiert.
Nach einigen Minuten habe ich mich für das rot-schwarze Lederoptik-Outfit entschieden und betrachte mich missmutig im mannshohen Spiegel. Viel Oberweite habe ich nicht zu bieten und auch Hintern kann man das wohl nicht nennen. Die Hotpants sitzt zwar straff, aber der Arsch von Tessa und Ariana sind deutlich fülliger und knackiger. Seufzend ziehe ich ein wenig an dem Bustier herum und fühle mich nicht sonderlich wohl in meiner Haut. Der Ausschnitt ist tief, aber meine Brüste sind gut verborgen in den Körbchen. Schwarze Schnüre ziehen sich gekreuzt über meinen flachen Bauch und treffen sich hinten gebündelt am Hotpants-Saum. In dieses Outfit zu kommen ist allein eine Performance an sich.
Widerwillig schnüre ich nun die Highheels an meinen Waden entlang und drehe mich vor dem Spiegel einmal im Kreis. So weit, so gut. Oder auch nicht. Ich grinse mich humorlos selbst an und greife zum Schminkzeug von Tessa, um wenigstens meine Augen und Lippen zu betonen. Vom Puder halte ich nicht viel, also male ich meine Lippen knallrot an und umrahme meine grünen Augen mit Kajal und Mascara. Dazu kommt eine Schicht schwarzer Lidschatten. Voilá: verruchte Katzenaugen! Eine fremde Person scheint mich aus dem Spiegel heraus anzustarren.
Spontan entscheide ich mich, dass ich heute Joyce bin und nicht das Mauerblümchen Rilana. Immerhin habe ich einen zweiten Vornamen der weniger zu meinen Wurzeln passt. Meine Mutter stammt aus Indien, mein Vater war Amerikaner. Leider ist er gestorben, als ich gerade mal fünfzehn Jahre alt war. Meine Eltern waren schon länger getrennt, als er verstorben ist und mit dem Vater meiner Schwester liiert. Ich verscheuche meine trüben Gedanken und mache mich auf den Weg zu Adrian, der die Tänzerinnen für ihren Auftritt ankündigt. Mein Rufname soll nicht für diese Performance missbraucht werden, die ich nur widerwillig zum Besten gebe.