Endlich dürfen wir zu ihm. Er ist auf die normale Station gekommen und hat ein Einzelzimmer erhalten, damit er die nötige Ruhe erhält, die er dringend benötigt. In Gedanken versunken folge ich gemeinsam mit Duncan einer der Schwestern und versuche mich derweil innerlich zu beruhigen, damit ich nicht ausflippe. Meine Nerven liegen blank, denn noch habe ich Calin nicht mit eigenen Augen gesehen und mich davon überzeugen können, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht.
Die diensthabende Schwester öffnet nach einem leisen Klopfen die Tür zum Krankenzimmer und steckt ihren Kopf hinein, um zu schauen, ob der Patient wach ist.
„Mr. Moldovan? Sie haben Besuch. Soll ich diesen zu Ihnen lassen?“
„Besteht der Besuch aus einem riesigen rothaarigen Troll und einem wunderschönen dunkelhaarigen Engel mit den grünsten Augen die Ihnen jemals untergekommen sind?“, höre ich Calin mit angeschlagener Stimme fragen und muss gegen meinen Willen grinsen, während Duncan neben mir schnauft. „Dann ja.“
„Oh, ich glaube das ich exakt diese beiden von Ihnen beschriebenen Personen bei mir habe“, entgegnet die Schwester hörbar amüsiert und öffnet die Tür nun ganz, damit wir eintreten können. „Sollten Sie etwas benötigen, klingeln Sie nach mir.“
Mit diesen Worten verlässt sie den Raum, nicht ohne die Tür hinter sich zu schließen. Sofort begebe ich mich zum Bett, in dem Calin in einer etwas erhöhten Position liegt und ergreife seine rechte Hand, um endlich Körperkontakt zu ihm zu haben. Er lächelt mich erschöpft an und ich hauche ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
„Hallo, schöne Frau.“
„Du kannst froh sein, dass besagte schöne Frau dich so unglaublich liebt, sonst wärst du spätestens jetzt six feet under, Cal. Bist ein echter Glückspilz“, teilt Duncan ihm trocken mit und lehnt sich neben der Tür an die Wand, die Arme dabei vor der Brust verschränkt. „Ich an ihrer Stelle hätte dir jetzt erst einmal eine saftige Standpauke gehalten.“
„Du wärst allerdings eine weniger attraktive junge Dame, Dunc“, gibt Calin genau so trocken zurück und zieht eine Augenbraue in die Höhe. „Dein Gesicht wäre viel zu kantig.“
„Muncaidh.“
„Is toil leam thusa cuideachd, a bhràthair“, lacht Calin leise und ich schüttle ergeben den Kopf.
„Sagt der Affe zum Bruder?“, klinke ich mich schmunzelnd ein.
„Ich sags dir, Calin, wenn diese Frau so weitermacht, dann können wir nicht einmal mehr auf Gälisch Geheimnisse austauschen.“
„Ich merke es gerade selbst.“
„Hoffentlich ist das hier das letzte Mal, dass ich dich im Krankenhaus besuchen muss. Ich kann nicht verantworten, dass ich Ri jedes Mal diese Hiobsbotschaft überbringen und mit ihr herkommen muss. Das muss aufhören, hörst du?“
„Eigentlich war das hier gar nicht mehr geplant“, grollt Calin leise und streichelt mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken. „Der Plan stand fest: entweder Nazari stellt sich freiwillig, oder ich befördere ihn ins Jenseits. Vom Einfangen einer Kugel stand jedoch nichts im Drehbuch.“
„Ab sofort nur noch Objektschutz oder Security auf einem Konzert, Cal?“, neckt Duncan ihn grinsend.
„Hmpf.“
„Für Ri machst du das doch freudestrahlend, oder?“
Calin wirft mir einen Seitenblick zu und seufzt dann ergeben. Behutsam zieht er meine Hand an seinen Mund und haucht einen Kuss auf meine Haut.
„Natürlich.“
Angestrengt verkneife ich mir ein Grinsen und kichere innerlich vor mich hin, um ihn ein wenig schmoren zu lassen. Wegen mir muss er nicht auf den Personenschutz verzichten, trägt aber zukünftig eindeutig eine kugelsichere Weste. Man muss das Schicksal schließlich nicht überstrapazieren. Auch, wenn ich es niemals laut aussprechen werde, aber ich finde Calin als Bodyguard in seiner Arbeitskleidung mehr als heiß. Okay, vielleicht sage ich es ihm direkt… bei passender Gelegenheit.
„Du musst dich in deinem Job nicht für mich einschränken. Ich komme damit klar, Calin. Nur eine Bedingung stelle ich“, erlöse ich ihn von seinem inneren Leid.
Erstaunt blicken mich zwei Augenpaare an und ich lächle nur.
„Welche Bedingung stellst du?“, möchte Calin von mir wissen.
„Kugelsichere Westen, ansonsten kette ich dich Zuhause fest.“
„Am Bett?“, grinst er mich lasziv an und Duncan lacht belustigt los.
„Nein. Im Schutzraum an das Wasserohr. Nackt.“
Nun gibt es für Duncan kein Halten mehr und er schlägt sich lachend auf den Oberschenkel, während Calins Augenfarbe eine dunklere Nuance annimmt. Ich gehe jede Wette ein, dass er sich dieses Szenario gerade in den buntesten Farben ausmalt und damit liebäugelt, sich meiner Bedingung zu widersetzen, um in diesen Genuss zu gelangen. Unauffällig lasse ich meinen Blick über die relativ dünne Bettdecke wandern und spüre wie meine Mundwinkel anfangen verräterisch zu zucken, da ich die Beule erkennen kann – auch, wenn sie noch nicht sonderlich ausgeprägt ist. Calin bettet unsere miteinander verschlungenen Hände auf diese Stelle und mein Blick trifft seinen.
„Äußerst verlockende Vorstellung, mo chridhe. Vielleicht können wir das durchführen, ohne dass ich gegen deine Bedingung verstoße“, flüstert er mir ins Ohr und ich bekomme augenblicklich eine Gänsehaut, was ihn leise lachen lässt.
„Gehe ich richtig in der Annahme, dass du hier übernachten wirst, Ri?“, lenkt Duncan meine Aufmerksamkeit auf sich und ich schaue ihn an. „Dann würde ich jetzt die Düse machen. Ich muss mit Fiona noch zu den Cops, den nervigen Papierkram machen, wegen Nazari.“
„Allein wird Rilana nicht im Haus übernachten. Noch haben wir nicht alle Handlanger ausfindig gemacht. Heute werde ich hier definitiv nicht rauskommen, aber ab morgen hält mich hier nichts mehr. Gibst du einer der Schwestern Bescheid, Dunc?“, antwortet Calin an meiner Stelle und ich seufze innerlich.
„Klar. Solltest du doch nicht hier schlafen, melde dich bei mir, Ri. Bis die Tage ihr zwei“, verabschiedet sich der beste Freund von Calin und verlässt das Krankenzimmer.
„Es ist doch okay, dass ich für dich entschieden habe?“
Ich höre seine Unsicherheit heraus und nicke einmal kurz. Eigentlich kann ich es absolut nicht leiden, wenn man über meinen Kopf hinweg entscheidet, aber ich akzeptiere es dieses eine Mal, da er verletzt ist und mich mit Sicherheit vermisst hat. Außerdem würde er keine Ruhe finden, wenn ich mich allein in seinem Haus aufhalte. Sanft löst er seine Hand von meiner, legt seinen Arm um meine Taille und zieht mich neben sich aufs Bett, was tatsächlich breiter ist als die Norm. Scheinbar hat er in diesem Krankenhaus gewisse Extras, die sonst kein Patient genießt.
„Durch diese Aktion wirst du wohl die nächsten Wochen ohne Sex auskommen müssen“, gebe ich zu bedenken, als er anfängt an meinem Hals zu knabbern, was ihn missmutig knurren lässt.
„Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass ich mich von so einem kleinen Kratzer davon abhalten lasse mit dir zu schlafen?“
„Der Kratzer vielleicht nicht, aber ich.“
Er beugt sich ein wenig nach hinten, um mir ungläubig ins Gesicht zu schauen und trifft auf mein unschuldiges Gesicht. Natürlich werde ich mich streng an die Anweisungen des Arztes halten, der ganz sicher Matratzenpolo auf die Top five der körperlichen Anstrengungen setzen wird. Dafür würde ich meine Hände ins Feuer halten.
„Nicht dein Ernst, mo chridhe.“
„Mein voller Ernst. Alles, was deiner Genesung schaden, oder behindern könnte, wird vorläufig gestrichen, bis es dir wieder gut geht und Dr. Acula grünes Licht gibt“, erwidere ich und sehe wie sein Mund aufklappt. „Strafe muss sein, findest du nicht?“
„Ri… damit strafst du dich selbst direkt mit.“
„Oh, ich werde es aushalten. Immerhin habe ich monatelang ohne sexuelle Aktivitäten überlebt.“
„Aber...“
„Nope, vergiss es. Ich bleibe bei dieser Entscheidung und werde mich nicht davon abbringen lassen, Calin. Wenn du wieder voll einsatzbereit bist, kannst du alles tun, was dir in den Sinn kommt. Aber so lang ärztliche Anweisung besteht: kein Mambo Jambo.“
Nun muss er belustigt lachen, weil ich unserem Sex einen neuen Namen gegeben habe und schmunzle ihn liebevoll an. Eigentlich will ich ihn damit nicht bestrafen, sondern lediglich schützen. Und ein bisschen Enthaltsamkeit kann durchaus die Leidenschaft ankurbeln, bis man wieder offiziell loslegen darf. Bei diesem Gedanken kribbelt mein ganzer Körper voller Aufregung.
Mitten in der Nacht werde ich wach, weil es mir plötzlich nicht gut geht und löse mich vorsichtig aus Calins gesundem Arm, um aus dem Krankenhausbett zu schlüpfen und mich ins integrierte Bad zu schleichen, damit ich mir kaltes Wasser ins Gesicht werfen kann. Ich schließe die Tür hinter mir und knipse das Licht an, damit ich sehe was ich tue, muss mich allerdings am Waschbecken abstützen, da meine Beine sich wie Wackelpudding anfühlen. Vermutlich rächt es sich jetzt, dass ich seit gestern Mittag nichts mehr gegessen habe und viel zu wenig getrunken. Der Schock über Calins Verletzung und Operation hat mich doch tiefer getroffen, als ich anfangs vermutet habe.
Innerlich stöhnend drehe ich das kalte Wasser auf und befeuchte mein Gesicht, um dann meine Handgelenke abwechselnd unter den angenehm kühlenden Wasserstrahl zu halten. Langsam geht es mir wieder besser und mein Kreislauf kommt in Schwung, komisch fühle ich mich dennoch weiterhin. Ermattet drehe ich den Wasserhahn wieder zu und trockne mein Gesicht und meine Hände ab, um wieder aus dem Bad zu treten, dabei schalte ich im Vorbeigehen das Licht wieder aus. Der Mond erhellt den Raum und ich betrachte lächelnd Calin, der schlafend auf dem Rücken liegt. Normalerweise ist er ein Seitenschläfer, oder liegt auf dem Bauch, was derzeit allerdings nicht möglich ist, durch die verletzte Schulter.
Lautlos schlüpfe ich in meine Jeans und Schuhe und husche aus dem Zimmer, um meinen Blutdruck von einer der Nachtschwestern checken zu lassen. Nicht, dass ich nachher noch umkippe und Calin unnötigen Stress aufbürde. Den kann er derzeit ganz und gar nicht gebrauchen, finde ich.
„Miss Myers? Kann ich Ihnen weiterhelfen? Geht es Mr. Molovan nicht gut?“, blickt Schwester Nancy überrascht auf, als ich sie zaghaft anspreche.
„Ihm geht es gut – er schläft. Aber mir ist… ein wenig schwindelig und ich habe ein flaues Gefühl in der Magengegend. Zugegeben: ich habe seit gestern zu Mittag nichts mehr gegessen und sicherlich viel zu wenig getrunken. Ehrlich gesagt bin ich darüber hinweggekommen“, gebe ich zerknirscht zu und zucke hilflos die Schultern.
„Oh. Das passiert bei dem Schrecken, der einem durch die Glieder fährt, wenn man erfährt das der eigene Freund angeschossen wurde und auf dem OP-Tisch liegt. Ich prüfe gern Ihren Blutdruck und Sie bekommen etwas von meinem Mitternachtssnack ab. Alles schaffe ich in der Nachtschicht sowieso nicht“, zwinkert sie mir lächelnd zu und klopft hinter sich auf das Sofa. „Setzen Sie sich.“
„Dankeschön.“
Sie schnappt sich ein Messgerät und legt mir die Manschette um den Arm, damit sie meinen Blutdruck messen kann und ich beobachte sie interessiert dabei. Nach einiger Zeit gibt sie ein nachdenkliches Geräusch von sich und entfernt die Manschette wieder, um sie beiseite zu legen.
„Ihr Blutdruck liegt bei 105/80 mmHg und ist damit ziemlich niedrig. Wann hatten Sie zuletzt Ihre Periode, Miss Myers?“
„Meine…?“, wiederhole ich erstaunt und denke kurz darüber nach. „Also… das ist schon eine Weile länger her… oh!“
In meinem Kopf spiele ich den Sex mit Calin im Schnelldurchlauf ab und schlage die Hände vors Gesicht. Wir hatten nie verhütet! Ich komme mir in diesem Moment vor wie ein Teenie, der von Verhütung und Sex überhaupt keine Ahnung hat und gerade die Aufklärung seines Lebens bekommt, nach dem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
„Könnte es wirklich sein das ich schwanger bin?“
„Die Möglichkeit besteht durchaus. Wir haben für solche Fälle natürlich Schwangerschaftstests vorrätig. Möchten Sie einen durchführen, oder soll einer unserer Gynäkologen später am Tag einen Ultraschall durchführen?“
„Ich… Wenn möglich, möchte ich direkt einen Selbsttest machen. Bevor ich keinen Test gemacht habe, bekomme ich keine Ruhe“, überlege ich laut und bin plötzlich unglaublich verlegen.
Schwester Nancy schenkt mir ein verständnisvolles Lächeln, reicht mir aus einer Schublade heraus einen Schwangerschaftstest und ich betrachte die Verpackung mit einem unsicheren Gefühl. Wenn ich wirklich schwanger sein sollte… wie würde Calin darauf reagieren? Angst macht sich in mir breit, als ich mich bedanke und in das Krankenzimmer zurückgehe, um mich ins Badezimmer zurückzuziehen und den Test durchzuführen.
Ich weiß nicht, ob ich mich freuen, oder weinen soll, sollte das Testergebnis positiv ausfallen.