Während ich auf meiner Terrasse stehe und auf die Wasseroberfläche blicke, denke ich über den bisherigen Tag nach. Duncan hatte mal wieder nichts anbrennen lassen und Rilana scheint empfänglich für seinen Charme und sein Lächeln zu sein. Wieso ärgert mich das so maßlos? Mein Freund hat recht: ich lächle wirklich sehr selten. Aber das hat mit meiner Vergangenheit zu tun. Man gewöhnt es sich irgendwann vermutlich einfach ab. Erst habe ich meine Beziehung in den Sand gesetzt und dann ist meine kleine Schwester gestorben. In den letzten Jahren habe ich mich danach nur in die Arbeit gestürzt und in meiner freien Zeit trainiert und mich weitergebildet. Hier und da nach einiger Zeit mal ein One-Night-Stand. Meistens bin ich nie mehr als ein bis zwei Stunden geblieben. Seufzend nehme ich einen Schluck meines Kaffees.
Auch wenn ich einige Zeit gebraucht habe, um es mir einzugestehen: Mich hat es tierisch gestört, dass Duncan mit Rilana so offensichtlich geflirtet hat und sie augenscheinlich Spaß daran hatte, auch wenn sie das Flirten nicht erwidert hat. Es hat ihr geschmeichelt. Was durchaus verständlich ist. Welche Frau wird bei einem Mann wie ihm nicht schwach und genießt seine Komplimente?Aber ich bin nicht so. Überhaupt nicht. Mein Charakter ist ein ernster und manchmal auch sehr sarkastischer. Einzig, wenn ich mit meiner Schwester oder meiner Ex unterwegs gewesen bin, war ich entspannt und fröhlich. Was ist wann falsch gelaufen? Ich kann es nicht benennen. Fakt ist, dass es mich selbst stört. Ein gezwungenes Lächeln wäre falsch. Und wenn ich grinsen wollen würde, dann ist es in der aktuellen Situation nicht angebracht. Ein Teufelskreis?
„Calin! Schön, dass ich dich hier treffe“, reißt mich die Stimme von Elena aus meinen Gedanken. „Genießt du auch die herrliche Abendluft?“
Innerlich stöhne ich genervt auf. Die Frau hat mir grade noch gefehlt. Nicht mal um diese Zeit hat man seine Ruhe. Ich blicke sie kurz an und richte meinen Blick dann demonstrativ wieder auf das Meer.
„Jup.“
„Schlecht gelaunt, huh? Schon gut. Ich wollte sowieso nur hallo sagen und dir einen tollen Abend wünschen. Man sieht dich ja so selten Zuhause. Bist viel unterwegs, schätze ich.“
„Kann gut sein, ja.“
„Du gefällst mir wirklich. So ernst und diese dunkle Aura. Ein richtiger Badboy“, schnurrt sie und ich stoße mich leicht von dem Geländer meiner Terrasse ab.
„Wenn du das sagst“, kommentiere ich desinteressiert und verschwinde wieder in mein Haus.
Ich kann die Frau leiden wie Zahnschmerzen. Wie kann man nur so penetrant sein? Egal was ich tue, sie hängt an mir wie eine Klette. Alles in mir schreit: ‚lauf!‘. Nicht einmal für eine Millisekunde käme mir in den Sinn, mich mit ihr durch die Laken zu wälzen. Wobei das wohl ihre größte Hoffnung derzeit ist. Gibt es sonst keine ‚Badboys‘ mehr in Miami? Weshalb fällt ihre Wahl gerade auf meine Person? Genervt stöhne ich auf und spüle meine mittlerweile leere Tasse.
Kurzentschlossen schnappe ich mir meine Lederjacke und ziehe sie über. Es ist war noch zu früh, aber ich fahre direkt zu Rilana. Besser ich warte dort, als die Gefahr einzugehen, meiner Nachbarin nochmals über den Weg zu laufen. Darauf kann ich gut und gerne verzichten.
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Mit meiner Coke sitze ich in einer der schummrigen Ecken an der Theke und beobachte die Menschen, die sich in der Bar tummeln. Rilana macht ihren Job als Barkeeperin und unterhält sich nur bezogen auf die Bestellungen mit den Gästen. Smalltalk scheint nicht ihr Fall zu sein. Bisher sind die Gäste alle handzahm und benehmen sich. Vermutlich ist der ein oder andere Gast in der Vergangenheit dabei gewesen, der sie blöd angemacht hat. Da sie den Job noch immer macht, kann sie sich verbal sicherlich zur Wehr setzen. Mein Hauptaugenmerk liegt tatsächlich auf Neuankömmlinge, die durch den Eingang flanieren und sich suchend nach einem freien Platz umschauen. Hier achte ich peinlich genau darauf, dass sich nicht dieser Nazari unter die bereits anwesenden Gäste mischt.
„Ey, Süße! Machst du mir noch einen Planter‘s Punch?“, ruft einer der Gäste an der Theke feixend.
Sie nickt ihm knapp zu und mischt Ananassaft mit dunklem Rum, nachdem sie crushed ice in das Glas gefüllt hat. Alles an ihren Bewegungen wirkt routiniert und sie lässt sich durch scheinbar nichts aus der Ruhe bringen. Heute Abend trägt sie eine ausgewaschene Jeans, eine weiße Bluse mit kurzen Ärmeln und ihre dunklen Haare hat sie zu einem hohen Zopf gebunden, damit sie ihr vermutlich nicht ins Gesicht fallen. An den Füßen trägt sie ihre schwarzen Lederboots. Das Outfit macht sie jünger, als sie eigentlich ist. Unter anderen Umständen hätte ich mich gefragt, ob sie bereits einundzwanzig Jahre alt ist. Tatsächlich wird sie in ein paar Monaten dreiundzwanzig.
Ihr Chef George sitzt an einem Tisch mit drei Gästen, die in teuren Anzügen gekleidet sind und feixt mit ihnen herum. Er interessiert sich gar nicht dafür, was hinter der Theke abgeht und ob Rilana klar kommt. Entweder hat er ein Urvertrauen in sie, oder ihm ist es schlichtweg egal. Das vermag ich noch nicht einzuschätzen. Zumindest war vor einigen Minuten die Ersatztänzerin Magdalena bei Rilana und hat sich eine Soda geholt. Das heißt Joyce gibt sich heute nicht die Ehre. Und irgendwie beruhigt mich das zutiefst. Nicht, dass sie den Auftritt nicht gut gemacht hätte, aber mich haben die lüsternen Blicke der anwesenden Männer doch schon sehr gestört. Natürlich nur auf den Auftrag bezogen, welchen ich zu erledigen habe. Nicht nur Nazari stellt eine Gefahr dar, auch andere Männer könnten übergriffig werden.
Rilana reicht das Glas mit dem Planter‘s Punch dem Gast im Hawaiihemd. In diesem Moment packt er ihren Unterarm und zieht sie mit einem Ruck über die Theke zu sich. Ihr Oberkörper liegt bereits auf der Oberfläche. Bevor der Kerl noch einen weiteren kleinen Finger rühren kann, stehe ich neben ihm und umklammere mit festem Griff sein Handgelenk, damit er ihren Oberarm loslässt. Mit einem wütendem Zischen tut er das auch prompt und starrt mich aus funkelnden Augen an.
„Was soll das, Alter? Such dir deine eigene Chica. Ich hab sie zuerst gesehen“, knurrt er mich an.
„Das“, sage ich und nicke in Rilanas Richtung „ist die Barkeeperin dieses Lokals und keine Chica. Und Sie sind ein Gast und haben sich nicht an den Angestellten dieser Bar zu vergreifen.“
„Wo steht, dass man mit den Mädels aus der Bar nichts anfangen darf?“
„Nirgends. Es ist durchaus erlaubt, aber es setzt das Einverständnis der jeweiligen Dame voraus“, erwidere ich und schaue zu Rilana. „Alles in Ordnung?“
„Ja, danke“, erwidert sie und reibt sich kurz über den Unterarm.
Ich blicke ihr in die Augen und stöhne innerlich auf. Wortlos ziehe ich meine Lederjacke aus und reiche sie ihr über den Tresen hinweg.
„Ziehen Sie die über und schließen Sie sie am besten“, raune ich ihr zu, während ich mich über die Theke lehne.
„Warum?“, fragt sie irritiert und nimmt die Jacke an sich.
„Sie tragen eine weiße Bluse und die Theke war nass, als Sie drüber gezogen wurden, Rilana.“
Ihre Augen weiten sich schockiert und sie schlüpft kurzerhand in meine Jacke, um den Reißverschluss bis zu ihrer Brust hochzuziehen. Mit geröteten Wangen schlägt sie ihre langen Wimpern nieder und räuspert sich dann leise.
„Danke.“
„Keine Ursache. Ich bin wieder in meiner Ecke. Bekomme ich bitte noch eine Coke?“
Sie nickt mir zu und ich setze mich auf meinen ursprünglichen Platz, um mich wieder auf den Barhocker nieder zu lassen. Das Adrenalin in meinem Körper beruhigt sich langsam wieder und ich atme einmal tief durch. Als der Kerl sie gepackt hat, habe ich fast rot gesehen. So kenne ich mich überhaupt nicht. Vermutlich hätte Rilana sich selbst zur Wehr setzen können, aber ich bin wie ein verdammter geölter Blitz gewesen. Nichts hätte mich auf diesen Hocker halten können. Demonstrativ behalte ich Mr. Hawaiihemd im Blick und nehme dankend meine Coke von Rilana entgegen, welche sie mir reicht.
„Ist wirklich alles okay?“, hake ich nach.
„Ja, danke nochmal. Ich war ein wenig überrumpelt. Er hat mich des Öfteren schon angeflirtet, aber ich bin nicht drauf eingegangen. Normalerweise wird er nicht handgreiflich“, erwidert sie irritiert und schaut mich an.
Gott, sie sieht atemberaubend in meiner Jacke aus. Sie ist ihr zwar ein wenig zu groß, aber das mindert die Wirkung auf mich keinesfalls. Es verwundert und verwirrt mich zugleich. Kaum zu glauben, aber bisher hat nur eine Frau meine Jacke tragen dürfen: Lani. Meine kleine Schwester. Und das hat natürlich nichts außer brüderliche Fürsorge in mir ausgelöst. Ganz anders als Rilana gegenüber.
„Das ist für mich selbstverständlich. Es bestand kein Grund für ihn, sich Ihnen körperlich zu nähern. Zumindest war es für mich ganz offensichtlich das Sie ihn nicht dazu aufgefordert haben.“
„Richtig erkannt“, sagt sie zustimmend. „Ich mache dann erst einmal weiter.“
„Sollte was sein, geben Sie mir einfach ein Zeichen.“
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Ich halte vor ihrer Tür, stelle den Motor ab und schaue zu ihr rüber. Sie trägt noch immer meine Jacke, da es sich draußen doch ganz schön abgekühlt hat und sie ihre im Flur auf der Kommode hat liegen lassen. Verlegen lächelnd schaut sie mich an und schaut dann an sich herunter.
„Da hab ich die Jacke die ganze Zeit in Beschlag genommen. Ist Ihnen gar nicht kalt?“
„Nein, ich bin abgehärtet und trage die Jacke meist nur aus Gewohnheit und um meine Sachen zu verstauen“, wende ich ein.
„Okay. Dann brauche ich also kein schlechtes Gewissen mehr haben?“
„Absolut nicht“, versichere ich ihr ernst.
Sie öffnet die Jacke, schlüpft geschickt aus dem Leder heraus und hält sie mit beiden Händen fest.
„Danke nochmal. Dann morgen Abend wieder um neunzehn Uhr?“
„Wie gehabt.“
Rilana öffnet die Beifahrertür, steigt aus und legt meine Jacke auf den Sitz. Dann lächelt sie mich noch einmal an und schließt die Tür. Nachdenklich blicke ich ihr nach, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fällt und fahre dann nach Hause.