Es sind seit unseren Küssen bereits einige Tage vergangen, in denen wir uns weiter nicht wieder genähert haben. Calin spricht freundschaftlich mit mir, dringt jedoch nicht in meinen persönlichen Bereich ein. Irgendwie stimmt mich das melancholisch, auch, wenn ich es ihm gegenüber nicht zugeben würde. Für mich fühlt es sich seltsam an. Er hat mir erzählt, dass er andere Menschen nicht unnötig in Gefahr bringen will und deswegen auf Abstand bleibt, was ich auch gut nachempfinden kann, allerdings für mich nicht mit dem übereinstimmt, was er mit mir gemacht hat. Nein, falsch ausgedrückt: mit dem, was er mit meinen Gefühlen gemacht hat. Das Interesse an ihm ist aufgelodert, ganz klar für mich erkennbar. Mehr ist da nicht. Aber es verletzt mich schon auf eine Art und Weise, wenn er mich mehr oder weniger links liegen lässt, nachdem er mich mehrfach geküsst hat.
Mein Smartphone klingelt und ich nehme das Gespräch entgegen, obwohl ich an und für sich gar keine Lust habe mit irgendwem zu sprechen. Zu sehr hänge ich gerade im Gedankenstrudel fest. Innerlich schnaufe ich kurz genervt.
„Darling“, ertönt Wassibs Stimme und ich verkneife mir ein erschrockenes Keuchen, da ich nicht auf den Anrufer geachtet habe, bevor ich den grünen Hörer fürs Annehmen angetippt habe. „Vermisst du mich?“
„Wassib. Ich habe dir bereits mehrfach gesagt, dass ich mit dir nicht sprechen möchte.“
„Du willst mit mir Kontakt, glaube mir, Prinzessin. Ich bekomme immer was mir zusteht und ich will“, säuselt er großspurig in sein Telefon und ich verdrehe ungehalten meine Augen. „Wenn du nicht freiwillig zu mir zurück kommen willst, dann lasse ich dich holen, Rilana. Hast du mich verstanden? Ich wollte das du einsiehst das wir zusammengehören. Wenn du das jedoch nicht siehst, dann müssen dir die Augen geöffnet werden. Mein Vater hatte doch recht.“
„Dein Vater hatte recht? Womit? Das du einen Harem gründen sollst, so wie er? So wie jeder Scheich und dessen männliche Nachkommen? Du weißt, wie ich dazu stehe. Ich werde einem Harem nicht beitreten.“
Aufgebracht schenke ich mir ein Glas Limonade ein und nehme einen Schluck, wobei die Eiswürfel leise klimpern. Mit der Hüfte lehne ich mich gegen die Küchenanrichte und stelle das Glas wieder neben mir ab, um mir fahrig über die Stirn zu reiben. Kopfschmerzen bahnen sich an, was kein Wunder ist bei dem Wetter und dem ganzen Stress. Ich will endlich meine Ruhe vor meinem Ex und bin kurz vor davor zu platzen, wenn er so weitermacht.
„Ich werde keine Sklavin, die dir den Hintern pudert und springt wenn du was willst. Vergiss es, Wassib! Lass mich bitte einfach in Ruhe und such dir andere Gespielinnen. Ich bin raus.“
„Deine Entscheidung. Ich kriege immer was ich will. Und ich will dich in meinem Harem, finde dich damit ab.“
Ich schnaufe abfällig und schüttle den Kopf, obwohl ich weiß das er das nicht sehen kann, dann lege ich ohne einen weiteren Kommentar auf. Der Typ leidet doch an Größenwahn, ehrlich jetzt. Calin hat ein paar seiner Mitarbeiter im Wechsel bei meiner Familie in der Nähe positioniert, weswegen ich mir weniger Gedanken um ihre Sicherheit mache, als noch vor einigen Wochen. Sonst hätte ich mit Wassib eben nicht so reden können wie ich ich es getan habe. Dadurch das ich momentan bei Calin untergekommen bin, habe ich das Gefühl das mir niemand etwas anhaben kann. Durstig leere ich meine Limonade, spüre das Glas und stelle es umgedreht auf die Abtropffläche. Kurzerhand schnappe ich mir eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, husche mit schnellen Schritten zur Kellertreppe und begebe mich in den Trainingsbereich, in den Calin sich vor circa einer Stunde verabschiedet hat.
Er sitzt aktuell auf der Beinpresse und seine Haut glänzt vor Schweiß, was unheimlich sexy aussieht wie ich finde. Überrascht schaut er mich an und ich halte erklärend die Flasche mit dem Wasser in die Höhe, dabei auf ihn zugehend. Nun lächelt er mich dankbar an und ich setze mich auf die Hantelbank in der Nähe, stelle die Wasserflasche ab und lehne mich auf die Hände gestützt nach hinten zurück, um ihn zu beobachten.
„Ich hoffe das stört dich nicht?“
„Das du zuschaust? Nein, ist nur ungewohnt. Für gewöhnlich habe ich kein Publikum“, erwidert er mit angestrengt klingender Stimme.
„Du trainierst also lieber allein?“
„Ja.“
Ich schweige wieder, damit ich ihn nicht ablenke oder ihm die Luft fürs Trainieren stehle und betrachte ihn unter leicht gesenkten Wimpern. Anstarren möchte ich ihn eigentlich nur ungern. Kurz überlege ich, ob ich ihm von dem Gespräch mit Wassib erzähle, verwerfe diesen Einfall jedoch sofort wieder. Es ist ja nichts passiert und mein Ex wird weiterhin keine Ruhe geben – also alles wie bisher. Neugierig lasse ich meinen Blick durch den geräumigen Bereich schweifen und stelle fest, dass auch hier keinerlei Bilder hängen, welche persönlich sind. In einer Ecke hängt eine oldschool Pinnwand, an der mehrere Zettelchen angeheftet sind, ein großer Spiegel ziert daneben die Wand und ein Tisch mit zwei Korbsesseln samt Auflage stehen unter der Notizfläche. Vermutlich macht er es sich dort gemütlich, wenn er seine Ruhe möchte und der Trubel am Strand überhandnimmt. Hier unten ist man im wahrsten Sinne des Wortes abgeschnitten von der Außenwelt und hat kein störendes Gerufe von Strandbesuchern oder Gekreische von Kindern, welche herumtollen.
Was mich wundert: hier gibt es nirgends einen Schrank, oder eine Kommode. Wo bewahrt er seine Utensilien auf? Auf dem besagten Tisch befinden sich keinerlei Unterlagen oder Stifte. Nimmt er den ganzen Kram echt wieder mit nach oben, wenn er den unteren Bereich verlässt und bringt sie wieder mit, wenn er sich nach unten zurückzieht? Dafür wäre ich viel zu bequem. Unwillkürlich muss ich über meine Gedankengänge schmunzeln.
„Was amüsiert dich, Rilana?“
„Mich? Oh. Ich habe mich gefragt, ob du deine Schreibutensilien hier irgendwo bunkerst, oder sie ständig von oben nach unten und umgekehrt karrst?“, gebe ich ihm weiterhin schmunzelnd Antwort.
„Neugierig, huh?“, feixt er grinsend und schwingt seine Beine über die Bank des Trainingsgeräts. „Es gibt einen Raum dafür.“
„Einen Raum? Wo? Hier ist doch keine weitere Tür.“
Calin greift nach einem Handtuch und rubbelt sich damit kurzerhand über Gesicht und Haare, um es dann um seinen Nacken und über die Schultern zu legen, sieht mich dabei wenige Augenblicke lang nachdenklich an, als müsse er überlegen was er mir erzählen kann oder nicht. Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch und hebe leicht einen Mundwinkel.
„Doch. Du siehst sie nur nicht“, gibt er mir nun doch kryptisch Auskunft.
„Ich sehe sie nicht?“
Mein Erkundungsdrang lässt mich aufspringen und ich drehe mich einmal langsam um mich selbst, scanne dabei die Wände eingehend. Nichts. Wo verdammt soll denn hier eine Tür sein? Eine geheime Tür. Geheim, hm. Das wird es sein. Der Clou an einer versteckten Geheimtür: man sieht sie nicht zwingend. Schon gar nicht, wenn man überhaupt nicht damit rechnet das es eine solche Tür überhaupt gibt. Mit schmalen Augen sehe ich Calin an, welcher seine Arme wieder in typischer Manier vor der Brust verschränkt an und mich belustigt beobachtet.
„Keine Chance, da kommst du nicht von allein drauf“, zieht er mich auf und ich lege meinen Kopf schräg.
Sein schwarzes Muskelshirt ist vollkommen nassgeschwitzt und ich vermute, er will nur noch unter die Dusche, um den Schweiß und Dreck vom Körper zu waschen, weswegen ich nur locker meine Schultern zucke und es fürs Erste dabei belasse.