Erschöpft setze ich mich auf das Sofa in Calins Wohnzimmer und ziehe meine Beine auf das Polster, während ich mich gegen die Rückenlehne sinken lasse. Die ausgiebige heiße Dusche hat gutgetan und meine verspannten Muskeln weitestgehend wieder gelockert. Am liebsten würde ich nun ins Bett fallen und einfach nur schlafen, traue mich jedoch nicht. Zu frisch waren die Erlebnisse und sobald ich meine Augen schließe, schießen die ungebetenen Bilder und Empfindungen wieder durch meinen Kopf. Lautlos gähnend reibe ich mir mit den Handinnenflächen über mein Gesicht und schlinge dann meine Arme um meinen Oberkörper, dabei schließe ich nun doch zögerlich meine Augen.
„Achtung“, warnt mich Calins angenehm sanfte Stimme und ich spüre, wie eine weiche Decke sich über mich ausbreitet. „Du frierst – nicht das du dich erkältest.“
„Danke“, erwidere ich matt und lächle ein wenig.
Ich spüre seinen Blick auf meinem Gesicht, was ich nicht unangenehm finde und frage mich, warum er sich nicht zu mir setzt. Er ist doch sonst nicht so zurückhaltend. Träge öffne ich meine Augen und schaue ihn unter meinen dichten Wimpern fragend an.
„Festgewachsen?“, necke ich ihn herausfordernd.
„Nein. Ich möchte dir bloß ein wenig Ruhe gönnen. Männliche Gesellschaft hattest du zu genüge, denke ich.“
„Die sind mir auf die Pelle gerückt, ohne dass ich es wollte. Seit wann zählst du dich dazu? Nun hopp, her hier mit dir.“
Zufrieden kann ich erkennen das er überrascht ist, verschließt die Emotion jedoch sogleich wieder. Mit zwei Schritten steht er vor dem Sofa und setzt sich neben mich, zwischen uns allerdings einen kleinen Abstand lassend, was mich wider Erwarten doch stört. Seine Nähe lässt mich jede Anspannung und Angst verlieren und ich seufze innerlich dankbar, bevor ich mich mit Kraft meiner Beine näher zu ihm schiebe und ohne groß zu überlegen meinen Arm samt Decke um ihn lege. Seine Bauchmuskeln spannen sich für einige Sekunden an, um sich dann wieder zu entspannen. Meinen Kopf lege ich an seinen Oberarm und schließe wieder meine Augen, die mittlerweile vor Müdigkeit unangenehm anfangen zu brennen. Nun schlingt er seinen Arm um mich und mein Kopf rutscht sachte an seinen Brustmuskel, was mich fast schnurren lässt.
„Hat dich, bis auf die Ohrfeigen, weiter jemand verletzt, Rilana?“
„Das Seil hat ein wenig in meine Haut geschnitten, sonst nicht, nein“, nuschele ich müde und unterdrücke ein herzhaftes Gähnen.
Behutsam greift er nach meinem Arm, welcher über seinen Bauch liegt und scheint sich mein Handgelenk anzuschauen, was ein wohliges Kribbeln in mir auslöst. Er macht sich schon wieder Sorgen. Gehört so was zu seinem Job als Bodyguard dazu? Ich darf nicht zu viel hineininterpretieren – ganz sicher wird er für mich nichts anderes empfinden als reguläre Sorge, da interpretiere ich viel zu viel hinein. Einer seiner Finger streicht hauchzart über die rote Stelle, an der das raue Seil gesessen hat und ich unterdrücke ein wohliges Aufseufzen, welches in meiner Kehle hoch blubbert. Meine Haut kribbelt, dort wo er mich berührt hat und ich lächle heimlich.
„Das Seil scheint unnötig fest um deine Handgelenke gebunden worden zu sein. War der Kerl vorhin dieser Blaster?“
„Nein, Blaster scheint überhaupt nicht mehr vor Ort gewesen zu sein. Ich habe sicher um die drei Stunden geschlafen, vermute ich. So ganz genau weiß ich es nicht, aber dort befand sich ein Funkwecker, auf den ich geschaut habe, als ich mich hingelegt habe. Und als ich aufgewacht bin, habe ich auch einen Blick riskiert. Dieser Kerl kam mit etwas zu essen und Wasser rein und hat bald die Tür aus den Angeln geworfen“, gebe ich ihm leise Auskunft. „Bis auf die zwei Ohrfeigen und… nun… er hat es nicht ganz geschafft, mir an die Wäsche zu gehen, da du weiteres verhindert hast.“
„Nicht ganz?“, verlangt er mit dunkler Stimme zu wissen. „Hat er dich unsittlich angefasst?“
„Er… ich…“
Ich kriege die Worte nicht über meine Lippen und will auch überhaupt nicht daran denken was passiert ist. Das der Kerl meine Brust angefasst hat, wenn auch nur durch das Shirt und seine Griffel unter mein Oberteil geschoben hat, um über meinen Bauch zu streichen. Tränen brennen hinter meinen geschlossenen Augenlidern und ich schlucke verkrampft, da ich nicht hier auf dem Sofa, an seinem Körper gelehnt, in Tränen ausbrechen will. Calin soll mich nicht für schwach halten. Normalerweise weine ich nicht ständig und habe mich gut unter Kontrolle.
„Rilana“, brummt er sanft, umfasst behutsam meine Taille mit seinen großen starken Händen und zieht mich schräg auf seinen Schoß, um mich schützend an sich zu drücken. Die Decke zupft er wieder richtig um mich und steckt sie zwischen unseren Körpern fest, damit ich nicht friere. „Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass jemand dich gegen deinen Willen berührt oder dir anderweitig zu nahekommt. Das verspreche ich dir.“
Mein Gesicht verstecke ich in seiner Halsbeuge und atme seinen beruhigenden Duft tief ein, wie eine Süchtige. Ich will nicht schwach sein, sondern Stärke zeigen. Er soll nicht denken, dass ich das schwache Geschlecht bin und an mir kleben wie ein Kaugummi unter meiner Schuhsohle. Nicht, wenn er es nicht aus freien Stücken tut, sondern nur um seinen Auftrag zu erfüllen. Innerlich fühlt es sich gerade an, als wenn etwas zerreißt. Schwach, schwach, schwach. Du bist schwach, Weib. Ein höhnisches Lachen hallt durch meinen Kopf und ich presse wimmernd meine Lippen aufeinander. Sei doch ruhig. Ich will das nicht wieder hören. Es stimmt nicht. Ich bin nicht schwach. Nicht immer. Jeder ist mal schwach – darf mal schwach sein. Oder?
„Mo Ghrèin. Hörst du mich?“, dringt Calins besorgte Stimme zu mir durch und ich reiße meine Augen erschrocken auf. „Alles in Ordnung? Du warst einige Minuten nicht ansprechbar.“
„Ja… ja… Ich…“, tief atme ich durch und fahre mir mit meinen Fingern fahrig über die Stirn. „Manchmal triggere ich mich einfach selbst mit Erlebnissen aus meiner Vergangenheit. Dann bin ich in meinen Erinnerungen irgendwie… gefangen.“
„Hast du das öfter?“
„Nein. Nein, nicht mehr so oft wie zu der Zeit mit Wassib. Nach dieser Zeit habe ich alles in meinem Kopf verschlossen, was mich selbst triggern könnte. Sorry...“
Calin umfasst sanft mein Gesicht mit beiden Händen und dreht es seinem zu, damit er mir forschend in die Augen schauen kann, um herauszufinden ob ich ihn nicht anflunkere und ich bekomme eine angenehme Gänsehaut, während sein Blick jeden Millimeter meines Gesichts studiert. Scheinbar ist er zufrieden mit dem was er sieht und nickt mir dann leicht zu, lässt seine warmen Hände jedoch an meinen Wangen liegen und schaut mich weiter an.
„Calin?“
„Ja, mo chridhe?“, fällt er wieder, scheinbar unbewusst, ins Gälische.
„Ist es schlecht, wenn man auch mal schwach ist?“
Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und ich unterdrücke den Drang mit meinen Fingern zärtlich darüber zu streicheln. Stattdessen schaue ich ihm in seine wundervollen blauen Augen und spüre, wie meine Wangen sich rot färben, weil ich verlegen werde. Auch möchte ich wissen, welche Bedeutung die Gälischen Worte mir gegenüber bedeuten, frage ihn allerdings nicht, damit ich den Moment nicht ausversehen zerstöre.