Mit ungläubigem Blick starrt Rilana auf die Flut von roten Rosen, welche ihr komplettes Büro einnehmen und schüttelt immer wieder leicht ihren Kopf, dabei gibt sie keinen Ton von sich. Langsam mache ich mir Sorgen, denn sie steht nun bereits einige Minuten neben mir im Türrahmen des Raumes. Wenn ich schätzen müsste, dann sage ich das hier mindestens fünfzig Sträuße á dreißig langstielige Baccara-Rosen in Vasen stehen. Ein halbes Vermögen, wenn man so will. Mir ist glasklar, von wem diese zweifelhafte Aufmerksamkeit kommen muss und das ist vermutlich auch exakt das, was sie so ungläubig starren lässt. Ein einfacher weißer Umschlag, mit ihrem Namen drauf, steht vor eine der Vasen auf ihrem Schreibtisch. Entschlossenen Schrittes überbrücke ich die guten zwei Meter bis dorthin, greife nach dem Kuvert und öffne ihn, um den Inhalt zu lesen.
Honey, du bedeutest mir die Welt. Komm zu mir zurück – du willst es doch auch.
Wir werden wieder genau so glücklich wie vor der Trennung. Nein, noch glücklicher.
Ich werde nicht aufhören um dich zu werben, bis du zu mir zurück kommst.
Niemals, darling, niemals.
Wassib
Was für ein geheuchelter Scheiß. Als ob das eine Frau um den Finger wickeln und sie zu ihm zurücklaufen lassen würde, nur weil er genügend Geld besitzt, um solch eine Flut von Rosen zu kaufen und ihr liefern zu lassen. Da ist er definitiv schief gewickelt und erwartet viel zu viel Entgegenkommen von Rilana. Sie wird ihm jedoch nicht in die Arme fliegen, nur weil er einen Bruchteil seines Vermögens in Blumen und schnöden Mammon investiert. So etwas beeindruckt sie nicht.
„Will ich wissen was er von sich gibt?“, erkundigt sie sich wenige Augenblicke später monoton.
„Das Übliche. Nichts von Bedeutung.“
Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk feuere ich den Umschlag samt Inhalt in den Papierkorb neben dem Schreibtisch und verschränke meine Arme vor der Brust, sie dabei musternd. Sie hat sich mittlerweile wieder gefasst, reibt sich mit den Fingerspitzen über die Stirn und seufzt leise, ehe sie mich anschaut und dann halbherzig lächelt. Die ganze Situation beginnt langsam aber sicher an ihren Nerven zu nagen, auch wenn sie es nicht zugeben wird.
„Was mache ich jetzt mit dem“, sie macht eine allumfassende Handbewegung in der Luft „ganzen Tand? So kann ich unmöglich arbeiten.“
„Ich kümmere mich darum. Hol dir einen Kaffee und ich entferne die Rosen, damit du wieder Platz hast. So habe ich wenigstens ein wenig Beschäftigung.“
„Danke, Calin“, lächelt sie erleichtert, stellt ihre Handtasche auf dem Bürostuhl ab und verlässt den Raum, um in die Küche zu eilen.
Wenige Minuten später habe ich mir einige große Müllsäcke organisiert, sammle die Rosen aus den Vasen und schmeiße sie achtlos in die Säcke. Am Ende habe ich tatsächlich über zehn stabile Säcke gefüllt und Rilana betritt mit zwei Tassen Kaffee das Büro, schaut sich dabei erstaunt um.
„Wow, du bist echt schnell. Bringen wir die Säcke gemeinsam weg.“
„Nein, lass nur. Ich bleibe gern im Training und die Säcke kommen mir gerade recht. Fang an zu arbeiten – bin gleich wieder da“, winke ich ab und schnappe mir vier der Säcke, um sie nach unten zu bringen.
Es gibt hinter dem Gebäude einen kleinen Hof, auf dem mehrere Müllcontainer stehen. Dorthin bringe ich die vier Säcke und schmeiße sie mit Schwung hinein. Das Ganze würde ich noch zwei Mal wiederholen und dann sieht man von dem ungewollten Geschenk nichts mehr. Schade um die schönen Rosen, aber auf diese Tatsache würde ich als Frau auch keine Rücksicht nehmen in einer solchen Situation. Kopfschüttelnd mache ich mich wieder auf den Weg zurück in Rilanas Büro und schaue mich dabei unauffällig prüfend um, ob irgendwas anders ist als sonst. Bisher ist alles wie immer und ich hoffe das bleibt auch so.
Rilana sitzt am Schreibtisch und tippt bereits auf der Tastatur des Computers herum, als ich den Raum wieder betrete und nach meiner Kaffeetasse greife, um einen Schluck zu nehmen, bevor der Kaffee gänzlich kalt ist. Es klopft an den Türrahmen und eine Kollegin von Rilana tritt lächelnd ein.
„Guten Morgen zusammen“, grüßt sie uns freundlich „Rilana? Dein Kunde ist da. Soll ich ihn nebenan in einen der freien Besprechungsräume bringen? Hier herrscht ja noch ein wenig Chaos von deiner unliebsamen Lieferung. Der Azubi hat die Rosen angenommen, sonst wären sie nicht hier, tut mir leid.“
„Alles gut, da kann niemand was für, außer der Absender. Bring den Kunden bitte in einen Besprechungsraum. Bin in zwei Minuten bei ihm“, erwidert Rilana abwinkend und lächelt „Danke dir, Sarah.“
Nickend verlässt die Angesprochene wieder den Raum und ich schultere die nächsten vier Säcke voll Rosen. Eigentlich lasse ich sie ungern mit einem Kunden allein, jedoch bleibt mir aktuell nichts anderes übrig. Immerhin habe ich mich angeboten den Müllkurier zu spielen und im Büro kann sie das Gespräch nicht führen, während ich rein und wieder raus laufe. Ein Teufelskreis, denke ich mir grummelnd und mache mich wieder auf den Weg hinunter, in den Hinterhof, die nächsten Säcke wegwerfen.
Nach einigen Minuten und einem weiteren Gang zum Container finde ich mich wieder an meinem Ausgangspunkt ein, alle Säcke sind ordnungsgemäß entsorgt worden. Ein Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk zeigt mir das der Kunde schon fast zwanzig Minuten mit Rilana im Gespräch ist. Wie lang dauert so ein Kundentermin maximal? Ich kann es nicht leiden, wenn ich die zu schützende Person nicht mindestens im Blick haben kann und reibe mir nachdenklich das Kinn. Hier im Flur gibt es mehrere Besprechungsräume – alle nicht verglast, um den Datenschutz zu wahren. Da ich mit den Säcken beschäftigt war, habe ich verpasst nachzufragen in welchen Raum sie sich mit dem Kunden besprechen wird, was ich nun innerlich verfluche.
Kurzentschlossen trete ich an Rilanas Schreibtisch heran, nehme den Telefonhörer ab und drücke auf den Knopf auf der Kurzwahlleiste, der mit Anmeldung beschriftet ist, woraufhin ein Freizeichen ertönt und ich geduldig warte. Im Eingangsbereich kann man nicht immer direkt ans Telefon gehen, wenn es klingelt, wie ich in den vergangenen Tagen oft genug mitbekommen habe.
„Rilana?“, meldet sich eine weibliche Stimme, an der ich Sarah meine zu erkennen.
„Calin Moldovan hier. Ich wollte kurz nachfragen in welchem Besprechungsraum sich Miss Myers mit ihrem aktuellen Kunden befindet. Meine Aufgaben habe ich abgearbeitet und warte auf Neue“, melde ich mich unter dem Vorwand der Beschäftigung als neuer Praktikant.
„Oh, Mr. Moldovan. Einen Moment, ich schaue nach“, sagt sie und ich höre sie tippen. „Mr. Irazan war der einzige Kundentermin heute. Und dieser ist bisher noch nicht wieder hier vorbei gekommen.“
„Miss Myers ist bisher noch nicht wieder in Ihrem Büro erschienen.“
„Schauen Sie in den Besprechungsraum Nummer drei. Wenn Sie aus Rilanas Büro kommen, rechtsseitig die vierte Tür.“
„Vielen Dank. Auf Wiederhören.“
Ohne zu zögern verlasse ich das Büro, gehe die wenigen Schritte zum Besprechungsraum drei und öffne ohne anzuklopfen die Tür, da mein Bauchgefühl mich ganz eindeutig warnt und auch der Kundenname meine Alarmglocken schrillen lässt. Sehr einfallsreich ist der Kerl wirklich nicht. Mit einem schnellen Blick erfasse ich die Situation, stürme auf den hochgewachsenen Kerl zu, der Rilana den Mund zuhält und ihre Bluse scheinbar schon halb zerfetzt hat, verpasse ihm einen Schlag an die Schläfe und schlinge Sekunden später meinen linken Arm um seinen Hals, um ihn im Schwitzkasten zu halten.
„Was fällt Ihnen ein?!“, tobt der Kerl keuchend und windet sich in meinem Griff. „Sie wissen nicht, mit wem Sie sich anlegen!“
„Das interessiert mich nicht. Und wenn Sie der Kaiser von China wären“, knurre ich warnend.
Ich ziehe ihn von Rilana weg, die kreidebleich ist und zitternd ihre Bluse vor der Brust zusammenrafft, sich mit dem Rücken an der Wand herabgleiten lässt und die Beine an den Oberkörper zieht, um ihr Gesicht zwischen die Knie zu drücken. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und eine dunkle Wut macht sich in meinem Körper breit, als ich sehe, das ihre Schultern anfangen zu beben. Mühsam beherrsche ich mich, auch wenn ich ihm am liebsten meine Faust in die Magengrube rammen würde. Wieder und wieder. Mit einer Hand angle ich mein Smartphone aus der Hosentasche, wähle die Nummer der firmeninternen Security und melde ihnen den Vorfall, als auch unseren Standort.
Innerhalb weniger Minuten kommen sie in den Raum gelaufen und nehmen Wassib Nazari in Gewahrsam. Sie erkundigen sich, ob sie sich auch um Rilana kümmern sollen, aber ich verneine, in dem ich den Kopf kurz schüttle. Wenn jetzt fremde Männer um sie herumschwirren, wäre das nicht förderlich. Als der letzte Security den Raum verlässt, zieht er lautlos die Tür hinter sich ins Schloss und ich seufze innerlich, versuche mich zu beruhigen, ehe ich vor Rilana trete und in die Hocke gehe. Eine Hand lege ich behutsam auf ihre Schulter, während ich sanft ihren Namen sage, damit sie sich nicht erschreckt.