Fluchend stecke ich mein Smartphone in die Innentasche meiner Lederjacke und springe auf meine eigentlich eingemottete Harley, um mich auf dem schnellsten Weg in das Eiscafé zu machen, in dem Rilana vermutlich schon seit geraumer Zeit sitzt. Da habe ich einmal ein spontanes Training eingeschoben und dann entscheidet sie sich innerhalb einer Stunde nach ihrer Frage dazu allein einen Ausflug in die Innenstadt zu machen. Das ist konnte nicht ihr Ernst sein! Knurrend lasse ich meine Maschine aufheulen und gebe Gas, damit ich nicht noch mehr Zeit verliere. Diese Frau macht einfach das, was ihr in den Kopf kommt und denkt nicht über mögliche Konsequenzen nach.
Ich schlängle mich durch den dichten Verkehr und nehme einige Abkürzungen, um möglichst schnell am Ziel anzukommen. Meine Emotionen wechseln von verärgert zu besorgt und wieder zurück. Ein solches Chaos in meinem Inneren kenne ich nicht und es mischt sich zusätzlich noch Verwirrung hinzu. Kurz schüttle ich den Kopf leicht und konzentriere mich wieder vollkommen auf die Straße und den Verkehr, um nicht auch noch einen Unfall zu provozieren. Wenn das so weitergeht, muss ich mir ernsthaft etwas überlegen, damit sie solche Alleingänge nicht mehr durchführt.
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Als ich am mitgeteilten Eiscafé ankomme, presse ich die Zähne aufeinander. Da sitzt sie: entspannt, die Beine lässig übereinandergeschlagen und spielt mit dem Strohhalm ihres Milchshakes. Dabei strahlt sie ihre Begleitung fröhlich an und nimmt ab und an einen kleinen Schluck ihres Getränks. Sie trägt eine dunkle Leggins, Eine hellblaue Bluse und ihre Füße zieren helle Sandalen. Ihre Mähne hat sie zu einem Zopf geflochten, der ihr über die linke Schulter liegt. Rilana stellt das mittlerweile leere Glas auf den Tisch vor sich ab schüttelt in diesem Moment den Kopf, als ihre Begleitung sie scheinbar etwas fragt. Ich unterdrücke ein Grummeln und trete an den Tisch der Beiden heran – beide Arme vor meiner Brust verschränkt.
„Wie ich sehe, hast du dich dazu entschlossen, Miss Myers Gesellschaft zu leisten?“
Beide sehen zu mir: Rilana erschrocken, Duncan überrascht. Er fängt sich als Erstes und grinst mich zwinkernd an.
„Ich dachte, ich setze mich dazu bis du kommst. Rilana hat mir erzählt, dass sie dir geschrieben hat und du bis dato noch nicht reagiert hattest.“
„So ist es. Duncan hat mich nett unterhalten und mir ein wenig Gesellschaft geleistet. Ich dachte am helllichten Tag kann mitten in der belebten Innenstadt nichts passieren, bis Sie vor Ort sind“, stimmt Rilana ihm zu und lächelt mich an.
Ohne eine Regung von mir zu geben unterziehe ich hinter meiner verspiegelten Sonnenbrille nacheinander beide einer Musterung. In mir brodelt es, weil sie so unvernünftig ist und ihren Kopf einfach durchsetzt. Auf den Weg hierher hätte Nazari ihr auflauern können. Durch einen dummen Zufall vielleicht auch nur bisher. Das Duncan ihr Gesellschaft geleistet hat, ist an sich eine gute Sache, da er in der Vergangenheit mit mir einige Kampftechniken trainiert hat und im Ernstfall eingreifen könnte, sollte wider Erwarten doch irgendwas passieren. Mir schmeckt jedoch nicht, dass Rilana nicht wartet bis ich mich melde und losmarschiert. Und dabei ist es an sich egal, ob es Tag oder Nacht ist. Eigentlich hatte ich gedacht, sie hätte aus dem ersten Mal bereits gelernt. Weit gefehlt.
„Möchtest du dich nicht zu uns setzen? Oder stehst du lieber, Cal?“, grinst Duncan mich an und deutet mit dem Finger auf einen der freien Stühle am Tisch. „Kostet nichts extra, wenn du dich zu uns gesellst.“
„Du hast scheinbar wieder einen Clown gefrühstückt.“
Dennoch setze ich mich und lege beide Arme locker auf die Stuhllehnen. Sofort eilt eine der Bedienungen an unseren Tisch und lächelt mich herzlich an, um mir die Karte zu reichen.
„Danke, aber ich nehme einen großen Kaffee. Schwarz, bitte“, entgegne ich freundlich. „Möchten Sie auch noch etwas trinken, Miss Myers?“
„Ich nehme einen Latte Macchiato, bitte.“
„Kommt sofort“, nickt sie und eilt mit der Karte wieder davon.
„Bist du zu Fuß hier?“, fragt Duncan mich neugierig und ich schüttle verneinend den Kopf.
„Mit meiner Harley. Steht in der Tiefgarage einen Block weiter.“
„Mit deiner Harley? Die hast du doch eingemottet, weil du dir die BMW zugelegt hast?“
„Korrekt. Aber weder die R18 noch die RS 660 ist für zwei Personen geeignet. Und das Herkommen mit dem Camaro hätte viel zu lang gedauert. Deswegen habe ich meine Harley wieder aus der Garage geholt“, kläre ich ihn auf und bedanke mich bei der Bedienung für den Kaffee, den sie mir hinstellt.
„Sie haben wirklich eine Harley Davidson?“, fragt Rilana mich und ihre Augen blitzen auf.
„Jup“, erwidere ich und nehme einen Schluck vom schwarzen Gebräu.
„Er hat einen halben Fuhrpark, wenn du danach gehst, Rilana.“
Sie duzen sich bereits. Duncan ist kein Kind von Traurigkeit und sie passt zu hundert Prozent in sein Beuteschema. Ich mustere ihn nachdenklich und sehe, wie er sie anschaut. Er scheint zu überlegen, ob er sie auf ein Date einlädt und ich spüre wie sich Widerwillen in mir ausbreitet. Woher kommen diese Empfindungen in letzter Zeit? Einen ausgeprägten Beschützerinstinkt habe ich bereits seit meiner Jugend, aber nicht so ausgedehnt wie bei Rilana Myers.
„Da du jetzt hier bist, Cal, werde ich mich mal wieder auf die Socken machen. Die Arbeit ruft und ich muss noch ein paar Besorgungen erledigen. Man sieht sich. Bis die Tage, Rilana.“
Duncan erhebt sich, legt ein paar Dollarnoten auf den Tisch unter sein leeres Cokeglas und macht sich pfeifend auf den Weg. Ich sehe ihm kurz hinterher und lockere meine Schultermuskeln, welche ich wohl die ganze Zeit über angespannt hatte, ohne es zu merken. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Rilana und schweige. Sie sieht mich zerknirscht an und zieht ihre Unterlippe leicht zwischen die Zähne, was mich innerlich aufstöhnen lässt. Ich bin auch nur ein Mann und reagiere auf gewisse Reize durchaus.
„Es tut mir leid, wirklich. Ich hätte warten sollen. Oder vielleicht versuchen anzurufen, anstatt nur eine Nachricht zu senden“, sagt sie dann schuldbewusst und senkt die dunklen Wimpern.
Ich brumme leise und zustimmend. Das hätte sie wirklich tun sollen.
„Ich hoffe, Sie haben daraus gelernt, Miss Myers“, sage ich nur und trinke meinen Kaffee aus.
In einem Café zu sitzen gehört regulär eigentlich nicht zu meinen üblichen Beschäftigungen während eines Auftrags. Aber das Schöne an meinem Job: es ist jeder Auftrag anders. Es wird nie langweilig im Personenschutz. Ein Auftrag ist anstrengender, der nächste Auftrag ruhiger. Manchmal passiert einfach überhaupt nichts.
„Fahren wir nachher mit Ihrer Harley?“
„Durchaus. Es sei denn, Sie möchten gern zu Fuß gehen.“
„Ich bin bisher nie Motorrad gefahren und würde gern einmal mitfahren“, gibt sie zu.
„Dann fahren Sie nachher mit mir auf dem Bike mit. Haben Sie heute noch mehr vor, oder stand nur das Eiscafé auf dem Plan?“, erkundige ich mich.
„Zugegeben, ich habe wenig geschlafen diese Nacht. Und wenn ich mich nun hinlege, stehe ich vor morgen früh vermutlich nicht mehr auf. Deswegen muss ich mich beschäftigen. Haben Sie Lust mit an den Strand zu kommen? Dort kann man bei einem herrlichen Ausblick auf das Meer einen Happen essen.“
„Ich stehe Ihnen voll zur Verfügung, Miss Myers. Von dort aus fahren wir dann ins La Rouché? Oder brauchen Sie noch etwas aus Ihrem Apartment?“
„Nein, ich habe alles dabei“, sagt sie und deutet auf ihre Shopping Bag, welche neben ihrem Stuhl auf dem Boden steht. „Sogar eine Jacke, falls es wieder so frisch wird.“
Sie grinst mich an und zwinkert mir zu. Ich zücke mein Portemonnaie und ziehe einige Dollarscheine hervor, um sie unter meine Tasse zu schieben, während ich mich dabei vom Stuhl erhebe.
„Das ist viel zu viel für Ihren Kaffee“, informiert Rilana mich.
„Damit bezahle ich Ihre Getränke mit und gebe noch ein Trinkgeld.“
„Aber...“
„Ich bestehe darauf“, höre ich mich sagen und wundere mich über mich selbst.
„Na gut. Vielen Dank.“
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„Hier ist es immer wieder atemberaubend“, haucht Rilana neben mir begeistert und schirmt mit ihrer rechten Hand die Augen vor der Sonne ab, während sie die glitzernde Wasseroberfläche betrachtet. „Schauen Sie, wie schön das Meer funkelt.“
Mein Blick ruht geistesabwesend auf ihr und ich schiebe meine Hände in die Jackentaschen, um dann dem Ausblick meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir stehen auf dem hölzernen Weg, welcher über den Sand schlängelt, Rilana dreht sich mir zu und lächelt mich an.
„Dort hinten gibt es eine gemütliche Location, in der man lecker essen kann. Es gibt Sandwiches, Burger, Pommes und sogar Steaks vom Grill.“
„Dann lassen Sie uns schauen, ob wir einen Platz bekommen und einen Blick in die Karte riskieren.“
Sie nickt mir zu und setzt sich dann in Richtung Strandlokal in Bewegung. Einen Augenblick schaue ich ihr hinterher und folge ihr dann bedächtig. Diese Frau sprudelt bald über vor Energie. Wenn ich das richtig sehe, ist die das komplette Gegenteil von mir. Bin ich wirklich so ein Griesgram? Bisher ist mir das nicht bewusst gewesen. Rilana Myers ist wie ein Spiegel und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Lächelnd winkt sie mir zu und deutet dann auf einen freien Tisch unter einem der vielen Sonnenschirmen aus Bambus.
„Der Platz hier ist perfekt. Man hat freien Blick auf das Meer und kann den Leuten sogar beim Volleyball zuschauen, wenn man möchte“, strahlt sie mich an und lässt sich zusammen mit ihrer Tasche auf einen der freien Stühle am Tisch plumpsen.
Ich setze mich zu ihr an den Tisch und schaue mich hinter den Gläsern meiner Sonnenbrille genau um. Hier fühlt man sich wie eine Sardine in der berühmten Sardinenbüchse. Normalerweise halte ich mich nur ungern an überfüllten Plätzen wie diesen auf, aber heute fühle ich mich erstaunlicherweise nicht ganz so unwohl wie sonst immer. Ob das an ihrer Anwesenheit liegt?
„Ist Ihnen überhaupt nicht warm? Ich zerfließe gleich in der Hitze.“
Ihre grünen Augen mustern mich neugierig nach einem Hinweis auf ein Schwitzen meinerseits. Da ich extremes Wetter gewöhnt bin, ist mir nicht außergewöhnlich warm. Es fühlt sich an wie an einem mild-warmen Frühlingsvormittag. Da sie mich anschaut, als wäre ich ein Einwohner aus dem Weltall, ziehe ich mir kurzerhand meine Lederjacke aus und fische mein Smartphone aus der Innentasche, um es in eine meiner unzähligen Taschen meiner Cargo Hose verschwinden zu lassen. Die Jacke hänge ich über die Rückenlehne des Stuhls, auf dem ich sitze und lehne mich dann wieder zurück.
„Besser?“, erkundige ich mich bei ihr.
„Viel besser“, lacht sie mich an und ich lege den Kopf leicht schräg. „Warum schauen Sie mich so an?“
„Sind sie immer so… aufgekratzt?“
„Ich genieße jede freie Minute, in der ich nicht in dem riesigen Bürokomplex hocke und vor dem Bildschirm sitzen muss. Und auch die Arbeit in der Bar ist nicht unbedingt erfüllend.“
„Ich verstehe. Viel Freizeit haben Sie sonst vermutlich nicht?“
„An und für sich habe ich das Wochenende für mich. Aber seit… seit der Trennung bin ich allein nicht unterwegs und Lynn... mhm. Sie unternimmt viel mit ihren Kolleginnen oder ist im Ausland unterwegs für irgendwelche Stories und Recherchen dazu. Mehr Freunde habe ich eigentlich nicht. May – das ist die Freundin, bei der ich wohne – ist den ganzen Tag auf Tour. Sie studiert und jobbt nebenher. Oft sehen wir uns leider nicht. Meistens besucht sie mich abends während meiner Schicht in der Bar“, erzählt sie mir und stützt ihr Kinn in die Hand, den Ellenbogen hat sie auf der Stuhllehne abgelegt.
„Dann ist der Tag heute so etwas wie Urlaub“, tippe ich ins Blaue.
„So kann man es tatsächlich sehen. Und ich quatsche Sie in einer Tour zu. Es tut mir leid. Das interessiert Sie sicherlich alles gar nicht wirklich.“
Sie lächelt, aber das Lächeln erreicht ihre Augen diesmal nicht. Dieses Detail gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht.
„Mir wurde gesagt ich sei ein passabler Zuhörer“, sage ich.
„Wenn es Sie nicht stört?“
Ohne zu zögern schüttle ich leicht den Kopf. Wenn es ihr hilft, dann höre ich gern zu. Außerdem gibt es nichts schlimmeres als eisernes Schweigen in Aufträgen. Wobei es bei manchen Auftraggebern eine echte Wohltat sein kann, wenn sie einfach mal nichts sagen und mich meine Arbeit machen lassen. Nun schenkt sie mir ein erleichtertes Lächeln und ich sehe, wie die Anspannung von ihr abfällt. Aber das sage ich ihr nicht.