Sämtliche Alarmglocken schrillen, als ich das Gespräch annehme, welches ich erwartet habe. Meine Gedanken rasen und ich laufe weiterhin durch das Dickicht, dabei ist es mir egal, dass mir immer wieder dünne Zweige ins Gesicht peitschen. Ich muss Rilana finden und von hier wegbringen. Ihr irrer Ex kann jederzeit auftauchen und sie woanders hinbringen, ohne jeglichen Hinweis auf ihren neuen Aufenthaltsort. Da er Kontakte in aller Welt hat, könnte er sie sogar nach Dubai verschleppen und wäre komplett aus dem amerikanischen Rechtssystem raus. Allein der Gedanke daran lässt meinen Magen gefährlich rebellieren.
„Calin, ich habe eine auffällige Bewegung entdeckt. Du bist in der Nähe und wärst, so wie du dich aktuell fortbewegst, in circa zehn bis fünfzehn Minuten am Ziel“, höre ich Fiona über mein Security-Headset, welches am gegen Abhören gesichertes Funkgerät angeschlossen ist. „Es befinden sich auf jeden Fall Menschen dort. Etwas weiter weg sind diverse dunkle Pick-Ups geparkt.“
„Sonst gibt es landläufig keine weiteren Bewegungsprofile?“
„Nein. Ich denke, du hast die richtige Hütte angepeilt. Du hattest bisher immer den richtigen Riecher. So wie bei mir damals. Und auch jetzt wirst du wieder eine Frau retten können. Mach dich nicht fertig, Calin“, versucht sie mich zu beruhigen und ich muss grinsen.
„Duncan hat gesungen, oder?“
„Ich weiß nicht wovon du sprichst.“
„Natürlich nicht“, lache ich leise und ignoriere das Seitenstechen vom vielen Laufen und Sprechen gleichzeitig. „Sollte Rilana auch nur ein Haar gekrümmt worden sein, wird hier gleich ein Unglück passieren, dass kann ich dir prophezeien.“
„Das glaube ich ungesehen. Klinke mich wieder aus, behalte das Ziel jedoch im Auge. Melde dich, wenn ich dir helfen kann.“
Eine Antwort bleibe ich ihr schuldig, jetzt zählt allein die Frau in die ich mich Hals über Kopf verliebt habe und die davon rein gar nichts weiß. Entgegen meiner Vorsätze habe ich mein Herz verloren und mich nun zum Spielball eines Psychopathen und seinem Gefolge gemacht. Wobei Nazari es nicht auf mich abgesehen hat, sondern auf Rilana. Dennoch habe ich seinen ältesten Übergriff vereiteln und ihn kurzweilig ins Gefängnis bringen lassen. Hierfür werde ich sicherlich noch die Rache bekommen.
Leise keuchend halte ich hinter einem breiten Baumstamm an und lehne mich mit dem Rücken dagegen, die Hände auf meine Knie gestützt. Ich werde langsam echt alt. Nur einen kurzen Augenblick lasse ich mich zu Atem kommen und wische mir mit dem Ärmel über die Stirn, um den Schweiß nicht weiterhin in die Augen zu bekommen und schaue vorsichtig um den Baumstamm herum, damit ich die Umgebung ins Auge fassen kann. Direkt am Haus steht eine Ducati Monster, also ist jemand anwesend. Lautlos schleiche ich mich an die Hauswand heran und bewege mich zur Vorderseite herum, um einen Blick um die Ecke zu werfen, als ich einen wutentbrannten Schrei höre, gefolgt von einem Klatschen und einem schmerzvollen Wimmern, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt, um es dann wie Lava durch meine Adern zu pumpen.
Ohne darüber auch nur im Ansatz nachzudenken, gebe ich meine Deckung komplett auf, scheiße auf jegliche Gefahr für mich und stürme durch die, Gott sei Dank, unverschlossene Eingangstür.
„Du blöde kleine Schlampe! Ich werde dir Gehorsam einprügeln, wenn du nicht hörst“, brüllt eine männliche Stimme bedrohlich.
Wieder höre ich ein Klatschen, gefolgt von einem Schmerzenslaut und sprinte auf die einzig offene Zimmertür zu, die ich entdecken kann und aus der die Stimme samt Geräuschen kommen. Ohne langsamer zu werden, stürze ich mich mit einem zornigen Knurren auf den Kerl, der über Rilana auf der Matratze kniet und seine Hand gerade wieder in die Luft hebt, um sie erneut zu ‚züchtigen‘. Mein Körper trifft ihn mit voller Wucht und reißt ihn mit mir zusammen vom Bett, wo wir krachend auf dem Boden landen und ich meine Fäuste in sein Gesicht hageln lasse.
„Hast du keine Eier in der Hose, du Wichser? Musst du dich an Frauen vergreifen und sie schlagen? Wolltest du sie vergewaltigen?“, grolle ich und verpasse ihm noch einen ausholenden Schlag ans Kinn, während er keuchend und wimmernd unter mir liegt und erfolglos versucht sein Gesicht irgendwie mit den Händen zu schützen. „Fass sie noch einmal an und ich kastriere dich ohne Betäubung, du Affengesicht!“
Schwer atmend steige ich von dem Typen herunter, welcher vor Schmerzen wimmernd in die Embryonalhaltung geht und die Unterarme über sein Gesicht schiebt. Mit schnellen Schritten trete ich an das Bett heran, in dem Rilana an das Kopfende gedrückt sitzt, die Beine an ihren Oberkörper gepresst und mit den Armen umschlungen, ihr Gesicht gegen die Knie gedrückt. Ohne zu überlegen schiebe ich meine Arme so unter ihren zierlichen Körper, damit ich sie mühelos von der Matratze heben und aus der Hütte tragen kann. Keine Ahnung ob die Kavallerie hierher unterwegs ist, oder ob wir die Zeit hätten uns hier weiterhin aufzuhalten – ein weiteres Risiko will ich nicht eingehen.
Nach einigen Minuten, in denen ich, mit ihr auf meinen Armen, zügig durch das Unterholz gelaufen bin, gehe ich auf die Knie und ziehe sie eng an meine Brust, auch um mich selbst ein klein wenig zu beruhigen, in dem ich mich versichere, dass es ihr soweit gut geht. Mit meiner rechten Hand streichle ich sanft ihren Nacken und sie dreht ihr Gesicht in meine Halsbeuge, die Finger hat sie in meinem Shirt vergraben. Sie zittert, scheint aber nicht zu weinen, was mich doch etwas beunruhigt. Ich habe erwartet, dass sie Tränen vergießen würde, was sie nicht tut.
„Alles in Ordnung, mo Ghrèin?”, frage ich sie leise und lehne mich mit ihr zusammen gegen einen Baumstamm, meine Beine strecke ich dabei aus, damit sie bequem auf meinem Schoß sitzen kann.
„Du bist jetzt da“, haucht sie nur leise und ich spüre wie sie sich näher an mich kuschelt.
Behutsam drücke ich sie ein winziges Stück von meiner Brust, lege einen Finger unter ihr Kinn und hebe ihr Gesicht an, damit ich sie anschauen kann. Auf ihrer rechten Wange hat sie einen roten Handabdruck und Wut kocht wieder durch meine Blutbahn. Wenigstens habe ich dem dreckigen Bastard eine gehörige Abreibung verpasst, die er so schnell nicht vergessen wird. Am liebsten würde ich noch einmal zurück zur Hütte und ihm noch ein paar Hiebe in die Visage verpassen. Allein Rilanas Sicherheit hält mich davon ab. Nochmals werde ich sie ganz sicher nicht aus den Augen lassen.
„Mir geht es gut, Calin, wirklich.“
Diesen Satz habe ich vor einer gefühlten Unendlichkeit schon einmal gehört und schlussendlich habe ich hilflos dabei zusehen müssen, wie die geliebte Person zu Grabe getragen wurde. Dieses Gefühl der Ohnmacht will ich auf keinen Fall ein weiteres Mal durchleben müssen. Zart streiche ich mit meinem Daumen über ihr Kinn und sie schaut mich einfach nur stumm an. In ihren Augen kann ich die durchgemachten Stunden der Angst und Ungewissheit erkennen, was mein Herz schwer werden lässt. Am liebsten würde ich sie dazu bringen alles heraus zu lassen, jedoch ist hier nicht der richtige Ort dafür. Innerlich seufze ich und aktiviere das Funkgerät in meiner Jackeninnentasche, um Fiona zu kontaktieren.
„Fiona?"
„Calin! Hast du Rilana gefunden?“, ertönt auch schon ihre aufgeregte Stimme in meinem Ohr.
„Ja, wir sind aus der unmittelbaren Reichweite raus. Ich werde mich nun mit ihr in Richtung Abstellort meines Wagens begeben. Kannst du bitte kurz schauen, ob jemand in der Nähe ist?“
„Sekunde“, summt sie, nun deutlich besser gelaunt und ich schüttle innerlich amüsiert den Kopf. „Wenn ihr euch durchs Gehölz schlagt, werdet ihr definitiv nicht gesehen. Bisher ist noch nichts zu sehen. Euer aktueller Standort ist sicher.“
„Danke, Fiona.“
„Allzeit bereit. Du hast auf Lebenszeit einen Stein im Brett. Das weißt du ganz genau. Ist Rilana okay?“
„Thug fear de na balaich slaic oirre, Fiona. Cha mhòr nach do mharbh mi e air a shon“, wechsle ich ins Gälische, damit Rilana nicht direkt mitbekommt, dass ich Fiona über die Ohrfeigen informiere und ihr stecke, dass ich den Dreckskerl dafür fast umgebracht hätte. „Soweit geht es ihr gut, mach dir keine Sorgen.“
„So kenne ich dich überhaupt nicht. Klar, du bist wütend gewesen als du gemerkt hast, dass man mir Gewalt angetan hat, aber…“, erwidert sie verwundert. „Du liebst sie sehr, oder?“
„Is i gràdh mo bheatha.“
„Oh mein Gott, wie romantisch! Die Liebe deines Lebens? Du musst es ihr sagen, Calin – unbedingt.“
„Nein. Tha e ro thràth.“
„Es ist niemals zu früh. Es kann nur irgendwann zu spät sein. Denk darüber nach, Großer. Lass nicht zu, dass die Vergangenheit dir deine Zukunft zerstört. Du hast es verdient glücklich zu sein. Und nun macht euch auf den Weg, sonst erwischt man euch vielleicht noch während wir hier plaudern.“
Fiona unterbricht die Funkverbindung und ich seufze innerlich tief. Sie hat gut reden und muss nicht ihr Innerstes nach außen kehren. Mein Herz trage ich nicht gern auf einem Silbertablett vor mir her, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Wobei ich Rilana gegenüber recht schnell aufgetaut bin und sie Dinge von mir weiß, die nicht viele wissen. Als ich meinen Blick wieder auf ihr Gesicht richte, sehe ich das sie mich fasziniert betrachtet und ziehe fragend eine Augenbraue in die Höhe.
„Was ist?“, frage ich sie und sie lächelt leicht.
„Ist das Gälisch gewesen was du eben mit Fiona gesprochen hast?“
„Ja, du liegst richtig mit dieser Vermutung“, lächle ich zurück. „Lass uns los. Sonst spürt man uns hier noch auf, weil wir uns verewigen. Ich will dich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone wissen.“
Geschickt stehe ich auf und ziehe sie sanft auf ihre Füße, einen Arm schlinge ich zur Sicherheit um ihre Taille, damit sie nicht in sich zusammensackt, falls sie unsicher auf den Beinen ist.
„Was bedeutet mo Ghrèin?“, möchte sie neugierig von mir wissen und ich bin überrascht, dass sie sich die beiden Worte merken konnte, auch wenn die Aussprache nicht ganz korrekt wiedergegeben wird. „Du hast mich vorhin so genannt, als du mich gefragt hast ob alles in Ordnung ist.“
„Das verrate ich dir vielleicht später“, zwinkere ich ihr zu.
„Du bist gemein. Glaub ja nicht, dass ich das wieder vergesse, Mr. Moldovan“, schmollt sie gespielt und streckt mir ihre Zunge raus.