Kampf
Etwas Schweres pflügte sich durch die Luft vor der Kristallstadt.
Strahlend leuchtete der Kristall auf der Pfeilspitze, die sich unaufhaltsam und rasend schnell auf den massigen Körper des Ungetüms zubewegte. Mikkel verfolgte den Flug der tödlichen Waffe und hoffte inständig, sein Ziel zu treffen. Gebannt schauten auch Alturin, Bengolf und Belgomir dem Pfeil nach.
Der Unhold stutzte. Er hatte etwas bemerkt! Sich drehend und blinkend kam der Pfeil auf ihn zu. Jetzt sah er ihn! Mit weit aufgerissenen Augen wollte er sich zur Seite werfen, um dem Geschoss auszuweichen, doch ein harter Schlag schleuderte ihn zurück. Klatschend schlug der schwere Pfeil in seiner breiten, rot glühenden Brust ein und drang tief in seinen Körper. "Uuaaargh!" Noch schwankend und mit einem ohrenbetäubenden Schrei fasste er den Pfeil mit beiden Klauen und zog ihn heraus.
Ungläubig sahen die Männer auf der Mauer dem Schauspiel zu. Konnte der Pfeil mit dem Kristall diesem Ungetüm denn nichts anhaben? Grandalk hielt den Pfeil in seinen Händen und sah ihn an. Dann bemerkte Mikkel, dass der Kristall nicht mehr an der Pfeilspitze war. Er steckte noch im Körper des Ungeheuers! Grandalk bemerkte nun auch, dass etwas nicht stimmte und sah verstört auf seine breite Brust. Ein Leuchten ging von dem Kristall aus, dass immer stärker wurde. Hektisch versuchte das Ungetüm, den Kristall aus seiner Brust zu entfernen. Doch zu spät!
Ein greller Blitz, gefolgt von einem lauten Knall erfüllte die Ebene vor der Kristallstadt. Von den Mauern der Stadt zurückgeworfen, streckte die Druckwelle etliche der Krieger nieder. Tausende kleiner Funken stoben durch die Luft. Es waren die Überreste von Grandalk. Der Kristall hatte den Unhold in tausende Stücke zerfetzt. Als die Männer in der Kristallstadt sahen, dass der Unhold besiegt war, brandete lautes Freudengejohle auf und siegessicher rissen sie ihre Waffen in die Höhe.
Ein Schock ging durch die Reihen der Angreifer, als sie sahen, dass ihre grösste Waffe verloren war. Ein tiefer Krater im Boden deutete auf die Stelle, an der sich der Unhold gerade noch befand. Schäumend vor Zorn begab sich Rincobal an die Spitze seiner Truppen. Wurfgeschosse und mehrere Rammböcke wurden nach vorne beordert. Mit kurzen, knappen Befehlen brachte er die Angreifer in Stellung. Mehrere Wagen, angefüllt mit vorbereitetem Knallkraut wurden in die Nähe der Wurfgeschosse gebracht.
Mikkel und Belgomir liessen hundert der besten Bogenschützen auf die Mauer beordern und schickten Hagel um Hagel mit Brandpfeilen auf die gefährliche Fracht hinab. Belgomir traf mitten ins Ziel. Mit einem gewaltigen Knall flog die gesamte Fracht eines der Wagen hoch in die Luft und riss etliche Angreifer mit in den Tod.
Rincobal liess darauf hin alle Karren mit Männern besetzen, die breite Schilde trugen und so die Brandpfeile abwehrten. Seine Wut über die Verluste in den eigenen Reihen schien sich langsam aber sicher in Raserei zu steigern. Wild gestikulierend trieb er die Männer mit lauter Stimme an und befahl den Einsatz der Wurfgeschosse.
Beutel mit dem gemahlenen Kraut und schlimmen Zusätzen wurden auf die Schaufeln der Geschosse gelegt und am Ende an einer Art Lunte aus trockenem Stroh angezündet. Dann machten sich Hunderte der Beutel auf den Weg in Richtung Kristallstadt. Gespannt verfolgten tausende Augenpaare den Flug der Wurfgeschosse. Doch allesamt zerschellten sie an der von Hatora errichteten Schutzwand der Kristallkräfte. Weithin zu sehen und zu hören waren die Explosionen, die etwa zehn Pferdelängen vor der Stadtmauer den nächtlichen Himmel erhellten.
Rincobal schäumte vor Wut! Schreiend trieb er die Krieger an, den Strom der Geschosse nicht abreissen zu lassen und gab den Befehl, die Rammböcke vor das Stadttor zu bringen. Riesige, mehr als zwei Mann grosse Schilde sollten die Angreifer an den Rammböcken vor Pfeilen und herabgeschüttetem Pech schützen. Rings um die Rammböcke liefen Männer mit hoch erhobenen Schilden und wehrten die herannahenden Pfeile ab.
Alturin gab den Befehl, Pech vor das Tor zu kippen und liess es dann mit Brandpfeilen entzünden. "Wir wollen ihnen einen heissen Empfang bereiten," rief er seinen Männern zu. Doch die Rammböcke auf den Rädern nahmen weiter Fahrt auf in Richtung Stadttor.
Rincobal hatte sich inzwischen auf einen der Wagen gestellt und richtete seine Hände, die mit mehreren Ringen bestückt waren, auf die Stadt. Laut rief er dunkle Beschwörungsformeln, die den Schutzzauber Hatoras brechen sollten. Ein dicker dunkler Strahl bewegte sich auf die Stadt zu und brandete auf die errichtete energetische Schutzmauer Hatoras. Immer breiter und mächtiger wurde der Strahl, dem Hatoras Schutz immer noch trotzte.
Unter dem Schutz riesiger Schilde waren tausende Bogenschützen in die vordersten Reihen marschiert und machten sich bereit, einen gigantischen Pfeilangriff auf die Stadt zu beginnen. Feuer wurden entfacht, um die Brandpfeile zu entzünden. Karrenweise lagen Pfeile bereit und kurz darauf wurde der Nachthimmel von unzähligen brennenden Strichen erhellt, die sich auf ihren bogenförmigen Weg auf die Stadt zubewegten.
"Achtung Brandpfeile!," waren die lauten Schreie der Männer in der Stadt zu hören. Hektisch suchten alle nach geeigneter Deckung. Doch vieles ging in Flammen auf und etliche der Krieger wurden getroffen. Hagel um Hagel ging auf die Stadt nieder, so dass die Männer kaum aus ihrer Deckung heraus konnten. Selbst zum Löschen der entstandenen Brände war keine Gelegenheit, ohne sich in grosse Gefahr zu begeben getroffen zu werden, so gross war die Zahl der Pfeile. Die Lichtkrieger auf der Wehrmauer wurden ebenfalls mit einem nicht endenden Pfeilhagel eingedeckt, um den Weg der Angreifer mit den Rammböcken zu erleichtern. Keiner sollte Gelegenheit haben, auf die Angreifer am Tor zu schiessen.
Rincobal hatte seine Hände zu einer Halbkugel geformt und richtete deren Öffnung gegen die Stadt. Immer stärker wurde der dunkle Strahl und brach sich an dem von Hatora aufgebauten Energie-Schutz. Heftig spritzten dunkle Wolken nach den Seiten weg, wenn sie den Schutzkreis trafen. Doch dann bildete sich plötzlich ein kleiner Riss in der Energiewand. Silbernes Licht war kurz zu sehen und sofort strömten die dunklen Wolken hinein. Sie schienen in den Riss zu greifen und ihn auseinander zu biegen. Das Loch wurde immer grösser und plötzlich fiel der Schutz wie ein Nebelvorhang in sich zusammen. Rincobal triumphierte! Er hatte den Kristallschutz durchbrochen!
Entsetzt hatte Alturin die Szene beobachtet. Sofort reagierte er. "Verstärkt das Tor - sofort!", befahl er den Männern. Sogleich rannten etliche der Lichtkrieger zum Haupttor, um es zusätzlich mit Balken zu sichern.
Der erste Rammbock hatte die brennende Pechsperre überwunden und raste auf das Tor zu. Mit brennenden Rädern knallte der schwere Stamm des Sternenbaumes gegen das mächtige Portal. Die starke Erschütterung lies das Tor heftig erbeben. - Aber es hielt stand. Der Rammbock wurde zur Seite gerollt und schon kam ein weiterer angerast und prallte gegen das Tor.
Mikkel und Belgomir schickten Pfeil um Pfeil von der Mauer herunter. Doch die Angreifer waren durch die vielen Schilde gut gesichert und sie trafen deshalb nicht viele von Ihnen. Je zwei Lichtkrieger hatten Mikkel und Belgomir beidseitig mit Schilden flankiert, um sie vor den immer noch in sehr grosser Zahl niedergehenden Pfeilen der Angreifer zu schützen. In der Mitte liessen sie eine kleine Öffnung, durch die ihre Pfeile den Weg zu den Gegnern suchten.
Plötzlich wurde Rincobal's Aufmerksamkeit abgezogen. Etwas stimmte nicht! Er drehte sich zu seinen Truppen hinter ihm um und sah mit Entsetzen, wie seine Reihen Stück für Stück durcheinander gewirbelt wurden. Die Männer flogen durch die Luft und wie ein Strich zog sich die Spur der Verwüstung durch seine Reihen. Es war kaum auszumachen was es war, denn es war unglaublich schnell.
Auch die Männer auf der Mauer bekamen das Geschehen mit. "Das sind die Waldsäumer!", rief Bengolf aufgeregt. "Sie kommen uns mit ihren Bukkis zur Hilfe!" Schneise um Schneise wurde durch die Reihen der Angreifer gezogen.
Rincobal schäumte vor Wut. Er machte mit seinen beiden Händen eine Bewegung nach oben und.....erhob sich ein Stück in die Luft! In Baumeshöhe schwebend konnte er den Gegner nun besser ausmachen. Dann richtete er seinen Arm auf die Spitze dieses Etwas, dass die Reihen seiner Krieger auflöste und verfolgte ihre Bewegung. Plötzlich fuhr ein Blitz aus einem Ring an seiner Hand und umfasste den Anfang dieser vernichtenden Brut. Augenblicklich stand der Waldsäumer mit seinem Bukkigefährt still. Sofort stürmten seine Krieger über sie her und machten sie nieder. Der Waldsäumer war tot, doch er hatte Hunderte von Rincobal's Kriegern mitgenommen.
Entsetzt hatten die Männer auf der Mauer die Szene beobachtet. Es war unterdessen ihrer Aufmersamkeit entgangen, dass sich zwei Krieger der Gnomm seitlich an der Mauer entlang geschlichen hatten. Ihre grausige Fracht hatten sie vor den Haupttor platziert und zogen sich nun im Schutz der Schilde zurück. Auch die Angreifer an den Rammböcken liefen zurück in die Menge und entfernten sich vom Tor.
Mikkel hatte das plötzliche Zurückweichen mitbekommen und wurde stutzig. Er beugte sich über den Rand der Mauer genau über dem Tor. Knallkraut! Die Lunten brannten! "Schnell, entfernt euch vom Tor - rasch! Knallkrauuut!", schrie er aus Leibeskräften.
So schnell er konnte, versuchte er von der Mauer herunter zu kommen, doch ein ohrenbetäubender Knall mit einer grossen Druckwelle hob ihn in die Luft empor und schleuderte ihn mitten in den Hof der Stadt, wo er regungslos liegenblieb. Menschenkörper, Steine, Holz, Waffen und Feuer. Alles flog durch die Luft.
Alturin und Bengolf hatten es gemeinsam mit Belgomir noch rechtzeitig nach unten geschafft. Nachdem sich der Rauch etwas verzogen hatte, konnten sie das klaffende Loch in der Mauer sehen. Bengolf und Belgomir liefen zu Mikkel, um nach ihm zu sehen. Alturin starrte auf den Mann an der Spitze der Angreifer, der sich nun langsam auf das Tor zu bewegte. Rincobal schritt mit breitem Grinsen im Gesicht auf ihn zu.
Der Weg in die Stadt war nun frei!