"Es lebe der Sport! Er ist gesund und macht uns hart! Er gibt uns Kraft, er gibt und Schwung! Er ist beliebt bei Alt und Jung!", sang Martina lauthals, während sie mit dem Wischmopp den Flur im Krankenhaus wischte. Der alte Reinhard Fendrich Song wollte ihr schon den ganzen Tag nicht aus dem Kopf, also versuchte sie ihn loszuwerden indem sie ihn sang.
"Ist das ihr ernst?", fuhr sie ein junger Mann im Rollstuhl unwirsch an.
Martina fuhr herum und ließ vor Schreck fast den Mopp fallen. "Was hab ich getan?", fragte sie unsicher.
"So ein Lied zu singen … sie sind in der orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses, was sich hauptsächlich um Sportverletzungen kümmert", stellte er klar.
Martina sah ihn immer noch verwirrt an. "Ich verstehe nicht", stammelte sie.
"Das merke ich. Es ist echt nicht schön Menschen, die sich beim Sport verletzt haben, so etwas vor zu singen."
"Verzeihung", sagte Martina und ging vor dem Rollstuhl in die Hocke, damit sie mit dem jungen Mann auf Augenhöhe war. "Ich wollte niemanden beleidigen oder verletzen. Ich werd nur diesen blöden Ohrwurm nicht los", erklärte sie und sah ihn fest an.
Der junge Mann seufzte und atmete tief durch. "Okay. Mir tut es auch leid. Ich wollte sie nicht so anfahren", sagte er.
"Kein Problem. Hier zu sein ist sicher nicht einfach", erwiderte Martina und streckte ihm die Hand entgegen. "Ich bin übrigens Martina."
Der junge Mann begann zu lachen. "Hi, ich bin Martin", sagte er und seine Augen blitzten.
Martina studierte ihn für einen Moment. "Darf ich dich zur Entschuldigung auf einen Kaffee einladen?", wollte sie wissen.
Einen Moment lang war es still auf dem Gang, weil er zu überlegen schien, ob sie das aus Mitleid tat oder aus einem anderen Grund. Dann aber gab er sich einen Ruck. "Gern. Aber bis wir bei der Cafeteria ankommen, dauert es ein wenig. Ich bin noch nicht sonderlich geübt mit dem Rolli", sagte er und sah verlegen zur Seite.
Martina räumte ihren Mopp und den Wagen aus dem Weg und lächelte ihn freundlich an. "Wenn du ne Pause brauchst oder ich helfen kann, sag einfach Bescheid", sagte sie und ging an seiner Seite. Sie passte sich seinem Tempo an und nahm die Unterhaltung einfach wieder auf. Sie machte keine große Sache aus der Tatsache, dass Martin im Rollstuhl saß. Er war dadurch ja nicht weniger Mensch oder weniger sympathisch. Als sie merkte, dass er nicht mehr konnte, sah sie ihn fragend an und er nickte einfach nur, ohne die eigentliche Unterhaltung zu unterbrechen.
Ihre Hände schlossen sich um die Griffe des Rollstuhls und sie schob ihn den Gang hinunter in Richtung Cafeteria, wo sie ihn an einem Tisch parkte. "Was darf es sein?", wollte sie wissen.
"Der Kakao hier ist sehr gut … und wenn sie ihn heute haben, ein Stück Bienenstich bitte", sagte Martin.
"In Ordnung", sagte Martina und verschwand in Richtung Tresen. Wenig später war sie zurück und setzte sich ihm gegenüber hin. Die Unterhaltung zwischen ihnen floss ohne Probleme und als Martina ihn Stunden später zurück zu seinem Zimmer brachte, waren sie Freunde geworden. Wenn Martina ehrlich war, dann wünschte sie sich mehr als nur mit ihm befreundet zu sein, aber sie hatten ja Zeit. Ihre Nummern hatten sie schon ausgetauscht und wenn aus ihrer Freundschaft irgendwann mehr würde, dann wäre das gut und wenn nicht, dann war Martina auch zufrieden damit. Immerhin war Martin ein echt netter Kerl, wenn man einmal durch die schützende raue Schale gedrungen war, die er nach seinem Unfall um sich gelegt hatte.