"Schau sie dir an", flüsterte Marie Johannes ins Ohr und deutete auf Leni, die dick eingepackt in ihrem dunkelblauen Schneeanzug mit den kleinen Schneemännern darauf auf der Wiese hinter dem Haus stand und den Kopf zurückgelegt hatte.
Ihr kleiner Mund war geöffnet und sie versuchte Schneeflocken mit dem Mund zu fangen. Ihre rot-weiße Bommelmütze rutschte ihr dabei ins Gesicht und nur Maries mahnender Ausruf hinderte das kleine vierjährige Mädchen daran sie sich vom Kopf zu ziehen.
Johannes zog Marie in eine liebevolle Umarmung und küsste ihre Wange, während er mit ihr gemeinsam ihre Tochter im Auge behielt.
"Das ist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie bewusst mitbekommt, dass es schneit. Beim letzten Mal war sie zu klein", stellte er fest und grinste, als Leni das Gleichgewicht verlor und auf ihren vier Buchstaben im Schnee landete.
Einen Moment lang befürchteten die beiden, dass gleich die Sirene losgehen würde, aber Leni lachte nur hell auf, ließ sich ganz auf den Rücken fallen und machte einen Schneeengel, so wie Papa ihr das gezeigt hatte.
Dann verharrte sie auf einmal und drehte ihren Kopf, bis sie ihre Eltern ansehen konnte.
"Willst du einen Schneemann bauen?", fragte Marie. Ihre Stimme war dabei ein sanfter Singsang, wie Annas Stimme in Frozen, Lenis momentaner Lieblingsfilm.
"S'neemann bauen!", rief sie mit leuchtenden Augen, weil sie gemerkt hatte, dass der Schnee mittlerweile höher lag, als noch eine halbe Stunde zuvor.
Johannes löste sich von seiner Frau und hockte sich zu Leni in den Schnee. Marie folgte einen Moment später und zusammen baute die kleine Familie einen Schneemann, der auch die nächsten Tage überlebte und schon bald gemeinsam mit einer Schneefrau und zwei Schneekindern sein Dasein im Garten fristete, weil Leni fand, dass der Schneemann nicht einsam sein und eine Familie haben sollte, genau wie sie.
Auf die Frage, weshalb der Schneemann und die Schneefrau zwei Kinder hatten, erklärte Leni ihnen ernst, dass sie gerne einen kleinen Bruder haben wollte oder einen Hund, aber lieber einen Bruder. Wenn es sein müsste, würde sie sich aber auch mit einer kleinen Schwester zufrieden geben.
Marie lächelte nur geheimnisvoll.
Erst am Abend, als sie an Johannes Brust gekuschelt im Bett lag, flüsterte sie: "Weißt du, Johannes, ich glaube, ich kann Leni ihren Wunsch erfüllen. Als der erste Schnee kam, da hat er ein Baby mitgebracht und wenn wir Glück haben, dann ist es ein kleiner Junge"
Johannes verharrte einen Moment lang ganz still unter ihr, bevor er sie enger an sich drückte. "Du bist schwanger?", fragte er seine Frau zur Sicherheit noch einmal.
"Ja", erwiderte Marie amüsiert.
Einen Moment später lag sie auf dem Rücken und Johannes küsste sie voller Hunger und Liebe. Sie feierten diese Offenbarung auf ihre eigene Weise. Leni würde erst später von ihrem Glück erfahren. Da war der Schnee schon geschmolzen und Marie am Ende des vierten Monats ihrer Schwangerschaft.