Warnung: Achtung! Die Geschichte spricht vom Selbstverletzendem Verhalten und Suizidgedanken!
Gefühle …
Wer braucht schon Gefühle?
Ganz ehrlich … ohne Gefühle wäre ich besser dran. Alles, was sie tun, ist weh. Mehr nicht.
Die Gedanken taten genauso weh, wie die Gefühle, die sie ausgelöst hatten. Meine Finger krallten sich in meine Unterarme, versuchten den seelischen Schmerz mit körperlichem Schmerz zu bekämpfen, aber die Kniffe und Kratzer halfen nicht, besaßen nicht die Kraft dazu.
Ich wusste, was helfen würde. Meine Fingerspitzen strichen über die verheilten Narben an meinen Unterarmen. Einige noch rot und frisch; andere blass und kaum noch sichtbar. Der Gedanke zur Klinge zu greifen war da. Stärker als zuvor. Es war eine Methode, die sich für mich bewährt hatte. Sie half die Stimmen und die Gefühle in den Hintergrund zu drängen. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich von ihr Gebrauch machen wollte. Wenn ich nicht aufpasste, würde mich meine 'bewährte' Methode irgendwann das Leben kosten.
Immerhin waren die letzten Schnitte schon so tief gewesen, dass sie genäht werden mussten. Man hatte mir geraten Hilfe bei einem Therapeuten zu suchen, aber all die Therapeuten hier in der Nähe nahmen entweder keine neuen Patienten mehr an oder hatten Wartezeiten zwischen neun und vierundzwanzig Monaten, bevor es zu einer Behandlung kommen konnte. Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, wäre eine akute Einweisung in eine Klinik, aber ich konnte mir den mindestens sechswöchigen Aufenthalt dort nicht leisten.
So sehr ich die Hilfe auch benötigte. Sie würde mich meinen Job und damit meine Wohnung kosten, was bedeutete, dass ich zurück zu meinen Eltern ziehen müsste, deren Verhalten der Grund für all die widersprüchlichen Gedanken und Gefühle waren, die mich seit Jahren plagten und mich in diese Situation geführt hatten. Ich befand mich in einem Teufelskreis aus dem ich ohne Hilfe nicht ausbrechen konnte, aber diese Hilfe anzunehmen bedeutete auch gleichzeitig mich wieder meinen 'Peinigern' auszuliefern. Sie meinten es zwar nur gut, aber wie sehr sie mir mit ihren Worten wehtaten, verstanden sie nicht.
Hier und jetzt stand ich an einem Scheideweg. Doch wie meine Entscheidung ausfallen würde, wusste ich nicht. Im Moment stand ich einfach nur da wie erstarrt. Die Gedanken tobten wie ein Sturm durch mich hindurch, meine rechte Hand zuckte in Richtung Schublade, wo meine Klinge verborgen lag, die linke umklammerte mein Handy wie einen Rettungsanker.
Endlose Minuten stand ich einfach nur da.
Schließlich hob ich meine Hand …
Die linke …
Und wählte die 112, wo ich um Hilfe bat. Um die Folgen würde ich mir später Sorgen machen. Ich wusste, ich wollte leben und um das tun zu können, brauchte ich Hilfe. Hilfe, nach der ich mit beiden Händen griff. Als es an der Tür klingelte, stand ich mit einer kleinen gepackten Tasche dahinter. Ich öffnete und ließ die beiden Männer vom Rettungsdienst ein. Nach einer ausführlichen Belehrung ihrerseits, einer kurzen Untersuchung und der Frage, ob ich sie freiwillig begleiten und keinen Ärger machen würde, schloss ich meine Wohnungstür hinter mir. Schon jetzt konnte ich ein wenig leichter atmen.
Ich hatte den ersten Schritt getan …
~Ende~