Natürlich bin ich wieder viel zu früh wach, lange vor dem Wecker. Aber an mir liegt es nicht. Mir ist generell schleierhaft, wie ein Mensch so lange schlafen kann. Allzu viel Schlaf kommt mir seit 25 Jahren, genau genommen seit dem Unfall, wie Vergeudung von Lebenszeit vor, so als hätte das Koma Schlaf vorweg genommen. In mir wohnt ein instinktiver Lebenshunger, in dem es um Wahrnehmung geht, aber das zu erklären ist, wie Blinden die Farbe zu erklären.
Es geht nicht um hedonistische Daseinsvererhung.
Es gibt um Wahrnehmung.
Davon, Sonnenaufgänge zu sehen und mich an ihnen zu erfreuen.
Es geht um jeden Sonnenstrahl auf meiner Haut. Um zwischenmenschliche Interaktion, sei sie noch so banal.
Dafür stelle ich keinen Wecker, vielmehr ist es so, als wollte ich das automatisch, ich werde einfach wach. Geistere in der Gegend herum und habe Methoden, andere weiterschlafen zu lassen, zumindest in größeren Räumen, aber man sollte mal versuchen, auf so engem Raum mit dem Rollstuhl leise zu sein. Ich rumpele überall gegen, und wenn nicht das, quietschen meine Reifen auf den Holzbohlen.
Es quietscht also und ich ziehe gereizt Luft durch die Nase ein, was irgendwie auch quietscht. Aber endlich auf die Terrasse gerollt, rauche ich meine Zigarette und schaue in den diesigen Morgen. Stille herrscht, bis auf das Geschrei und Gezwitscher der Vögel. Der Wind ist noch im Schlaf.
Die anderen Bungalow-Boote und die Yacht dümpeln ruhig in den seichten Wellen.
Schilf knackt und in der Ferne, beim hintersten BunBo, entdecke ich die Schwanenfamilie, die sich gemächlich dem ersten BunBo nähert und es neugierig umrundet, nur um dann auf das nächste zuzusteuern.
Es ist ein graues Küken, das mich zuerst entdeckt, zu fiepen beginnt und schneller auf mich zu gleitet. Der Rest der Familie folgt und legt an Tempo zu.
„Guten Morgen“, wispere ich, glücklich nach dem zerrupften Brötchen neben dem Ruder greifend. Sofort setzt das kollektive Gefiepe ein, nicht zu vergessen das prophylaktische Fauchen des Schwanenvaters. Als das Brötchen verfüttert ist, breite ich entschuldigend die Arme aus. „Ist nichts mehr da.“
„Kaffee?“
Ich wende mich um und entdecke die beste Freundin von allen in einem Night-Shorty und mit zerwühltem Haar. Meine sehen auch nicht besser aus. Ich nicke.
Nach und nach erwachen alle, bis auf die Kinder, die selig in ihrer Kajüte pennen, und auf diese Weise nicht ständig mit uns kollidieren, denn jeder ist jedem irgendwie im Weg, was bei uns mit reichlich Gekicher kompensiert wird.
„Wann soll der Sturm denn losgehen“, fragt Tom, der sich seine Oberarm-Tattoos mit spezieller Sonnencreme eincremt.
„So gegen zehn Uhr“, kommt es von Thomas.
„Ja, so ungefähr“, spitzt Steffi, „Aber es ist Wetter, das nicht um Pünktlichkeit bemüht ist. Es kann nur eine Schätzung sein.“
„Nicht in Preußen“, ich reibe dem Göga über den eingecremten Arm, „die Medusa hat einen Damenbart, vielleicht solltest du dir die Armhaare da abrasieren.“
Er Schubbelt mir durch die ohnehin derangierte Frisur. „Wir fahren sofort los. Kurz vor dem Hafen suchen wir uns eine Bucht zum Frühstücken. Dann sind wir schnell in Sicherheit.“
Das tun wir dann auch.
Jagen mit 9 Stundenkilometern zwei Stunden gen Plaue, lassen Landschaft und Tiere an uns vorbeiziehen, derweil der Wind immer stärker auffrischt, jedoch weit entfernt davon ist, bedrohlich zu sein.
Die Sonne grellt zwischen herum eilende Wolken.
Kurz vor Plaue setzt das übliche Ankerprozedere ein, zu dem Jan unsanft aus dem Schlaf gerissen wird.
Vor dem Frühstück schwimmen wir.
In Ermangelung von Brötchen essen wir Ciniminis (die Kinder), Müsli (Steffi & Thomas) Smacks (Tom) und Haferflocken mit Kefir und Erdbeeren (Ich), was so eine ungefähre Vorstellung davon vermittelt, wie vollgestopft unser Boot ist, und wie viel das, was wir hier tun, mit Campingurlaub gemein hat.
Eigentlich nichts.
Ich frage mich immer noch, wo wir all den Plunder untergestellt haben.
Als wir dann gesättigt und geduscht im Plauer Hafen eintrudeln, zeigen wir uns angesichts der Leere am BunBo-Steg überrascht. Die Meisten sind unterwegs, was uns ganz und gar leichtsinnig vorkommt.
Nur ein BunBo läuft gleichzeitig mit uns ein.
Nach dem Vertäuen schlendert Tom dort hin und fängt ein Gespräch mit dem jungen Angler an. Als ich hinzukomme, höre ich, dass er aus Hamburg stammt und zur See fährt. Dass er hier Angelurlaub macht, und zwar nicht zum ersten Mal. Ein Spitz wuselt auf dem Vorderdeck herum, den ich vergnügt streichele.
„Ne“, sagt der Hamburger abfällig, „das muss ich nicht haben. Die haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen“, seine Hand, die ein Tau aufwickelt, zuckt Richtung Plauer See, wo es ja schon bei Südwestwind ohne Sturm prekär sein kann, „die sind alle in die Richtung. Wenn ihr was lachen wollt, stellt euch, wenn’s losgeht, mit dem Feldstecher da auf die Autobrücke. Die Dinger schaukeln wie Irre.“
Ich muss lachen. „Wir fahren mit dem Auto nach Havelberg.“
„Verdammt gute Idee. Aber vertäut richtig."