Der Weg nach Sans Souci ist gepflastert von Hindernissen, eines sieht aus, wie ein Espritladen, den wir Frauen, ohne Vorankündigung aber zielsicher, und mit sich steigernder Geschwindigkeit aufsuchen.
Wir frieren ja jetzt schon gelegentlich.
Für morgen ist noch schlechteres Wetter prognostiziert, wobei es unklar ist, wie viel Wahrheitsgehalt dem innewohnt, denn ich habe gelesen, dass den Meteorologen die Daten aus gewöhnlichen Linienflügen fehlen. Wir haben ganz klar die falschen Sachen mit auf die Reise eingepackt, denn als wir von zuhause losfuhren, hieß es noch, dass uns sommerliche Temperaturen erwarten.
Im Laden ist es dann auch wenig hilfreich, dass Sommer ist.
Er birst vor Sommerklamotten, die wir selbst haben.
Ohne das zu kommentieren, warten Männer und Kinder vor dem Geschäft und allein, dass ich sehe, wie sich der Meine die Zigaretten aus der Hosentasche fischt, zeigt mir, dass er sich auf eine längere Wartezeit einrichtet, die aber immerhin von irischen Folksongs unterlegt ist.
Vor dem Shop steht ein verlottert aussehender junger Mann mit Dreadlocks und schmettert zuerst „Irish Rover“.
Wir wühlen im Laden, zeigen uns dieses und jenes, meist Sommersachen, kaufen dann aber doch je eine Strickjacke und zwei Langarm-Shirts.
Als wir hinaus treten, beginnt der Musiker einen meiner liebsten irischen Songs zu spielen. Meine Augen huschen zu Tom, der gerade die Geldbörse wegsteckt und grinst. Die Esprittüte in seine Hand gedrückt, denn er muss ja tragen, greife ich seine anderen Hand und er zieht mich voraus.
„Sad to say I must be on my way“, grölen wir im Chor, „So buy me beer and whiskey 'cause I'm going far away!
I'd like to think of me returning when I can
To the greatest little boozer and to Sally Maclennane!“
Manches ist tausend Mal schöner, als Blumen geschenkt zu bekommen.
Mich zurückwendend, sehe ich unsere Freunde breit grinsend über uns den Kopf schütteln. Aber ich bemerke auch, wie beglückt der Ire ob unserer Textsicherheit dreinblickt, und sich noch mal richtig ins Zeug legt, bis wir uns immer weiter entfernen und ihn nicht mehr hören.
Wir schlendern und schlendern durch das angenehme Maß an Menschenmenge.
Eben Menschen-keine Menge-
Letzteres sicher der Pandemie geschuldet, aber doch deutlich angenehmer, als die evakuierte Leere Havelbergs.
"Ich muss mal", nölt Nicki, was zur Folge hat, dass Thomas in einem Bistro nachfragt, ob sein Sohn auf die Toilette dürfe.
Er darf, wir warten.
Ohne Thomas, vor einem Geschäft, das ein wenig wie ein Antiquariat anmutet, und dessen Bücherkiste vor der Tür von uns einer Inspektion unterzogen wird.
Wir finden nur Bücher, die wir bereits besitzen, aber plötzlich weiten sich Steffis blaue Augen überrascht, als sie einen Blick in das Ladeninnere erhascht.
"Oh wei. Lass' uns woanders warten."
"Warum?", frage ich stirnrunzelnd, folge aber ihrem Blick und entdecke drinnen Regale, die übervoll mit Schallplatten sind.
Thomas' Hobby sind Schallplatten
"Wenn er das entdeckt, stehen wir morgen früh noch hier."
"Einzusehen", kommt es von Tom, der ein Geschäft weiter schlendert. So verharren wir wartend vor einer ganz und gar reizlosen Wäscherei, deren Auslage gespickt ist mit selbst genähtem Mund-Nasen-Schutz, was sich uns nicht erschließt, denn obwohl es vorgeschrieben ist, trägt in Potsdam kaum jemand so ein Ding.
Was mich, unabhängig von der Thematik, ein wenig mit den Preußen versöhnt.
Als Nicki und Thomas zurückkehren, gehen wir weiter zum Brandenburger Tor, nicht zu verwechseln mit dem in Berlin, das wir fotografieren.
Hinter diesem steht ein monströser Brunnen, der aussieht, als hätte ihn ein Mafiosi seinem Hausarzt nach gelungener Schussverletzungsbehandlung, ohne ihn zu fragen, in den Vorgarten gestellt.
Irgendwie deplatziert, aber das diesbezüglich Befremdlichste steht mir noch bevor.
Der Wind weht die Wasserfontänen wie Regentropfen zu uns hinüber, dass wir zunächst kaum bemerken, wie heftig es tatsächlich regnet. Steffi zieht den Schal enger um den Hals und ich stülpe die Kapuze meiner Sweatshirt -Jacke auf, nicht ohne zu maulen, dass ich die dämliche Rainforest auf dem Boot gelassen habe.
„Du hast eine Rainforest?“, Jan marschiert stramm neben mir.
„In Wien gekauft. Da regnete es auch nur. Im Juni“, schimpfe ich, aber seine Augen wandern erwartungsvoll zu seiner Mutter, die lakonisch bemerkt, dass sie in ganz Potsdam noch keinen Napapirji-Shop gesehen hat.
Er gibt das Thema spätestens an der Stelle dran, als es zu regnen aufhört, und wir ein italienisches Restaurant passieren, in dem wir beschließen, essen zu gehen, sobald wir das Schloss gesehen haben.
Die Straße entlang gehend, tut sich vor uns der Eingang zum Schlosspark auf. Vom Schloss selbst ist noch nichts zu sehen, aber am Torbogen sagt Thomas irgendetwas. Er fragt mich etwas, doch was, rauscht an mir vorbei, so wie ich an ihm vorbeisehe.
Hinter ihm strebt ein Kirchturm in den Himmel. Ein hoher, eckiger Turm im Rundbogenstil, in seiner ganzen Architektur einem romanischen Kloster nachempfunden, wie es in die Toskana gehört.
„Was ist das denn?“, schreie ich entgeistert und gestikuliere dorthin.
„Die Friedenskirche“, liest Jan aus Wikipedia vor, „sie wurde von Friedrich Wilhelm....“
„Das sieht total verkehrt aus“, echauffiere ich mich weiter, und selbst meine beste Freundin, neben mir stehend, die Handtasche am Unterarm baumelnd, mit Blick in ihr Smartphone, räumt ein, dass solch ein Bauwerk einfach nicht her passt.
„Aber die Götterdämmerungsvögel würden wahrscheinlich behaupten, die Italiener hätten es von uns geklaut“, klingt es trocken aus ihrem entgeistert gespannten Mund, „1883?“
„Sieht aus wie ein Rennaissancebau“, konstatiert Jan und schaut mich an, „War die nicht im fünfzehnten Jahrhundert?“
„In Italien schon. Aber nach Deutschland kommt ja alles viel später“, ich schnappe die Greifringe meines Rollstuhls und fahre die baumbestandene Straße Richtung Schloss entlang.
„Von wegen deutsche Leitkultur“, kichert Steffi und endlich lache ich auch, immer lauter, je näher wir dem Schloss kommen, und je zahlreicher die rennaicance-anmutenden Bildhauereien um den mittigen Brunnen herum werden.
Alles Gründerzeit, dreihundert Jahre zu spät, aber doch schön.
Thomas macht einen Schnappschuss von Zeus.
„Der hat eine Plauze“, grinst er schäbig, „kann mir vielleicht als Rechtfertigung dienen.“
Sie klopft ihm lachend den Bauch, wir wenden uns um, und sehen das prachtvolle Schloss vor uns wie eine Verheißung.