Wir finden eine wunderschöne Bucht, und weil wir hier bleiben wollen, auch über Nacht, wird das ankern nicht nur wegen der Wassertiefe und der Lehre von vorhin spannend. Zum einen soll die Terrasse zur Sonne stehen, aber eben auch....
„Jan, geh mal loten.“
Jan lotet.
„...wenn du so stehst, rollen die Wellen gerade unter dem Boot durch“, erläutert Steffi dem Kapitän.
„Ja, na und?“ Er zieht die blonden Brauen zusammen.
„Dann schaukelt es in der Nacht nicht so sehr.“
„Passt!“, kommt es von Jan.
„Anker hinten setzen!“, brüllt ihm sein Vater zu.
„Ja, na und?“
„Sie wird schnell seekrank“, springe ich für Steffi in die Bresche.
„Und da machst du so was“, Tom reibt sich verwundert die Stirn.
„Nicht nur so was“, erinnere ich meinen Gemahl, „sie macht auch Segeltörns mit Skipper auf dem Mittelmeer und hatte schon einen Hausbooturlaub in Frankreich.“
„Es gibt Tabletten gegen Reiseübelkeit“, zwitschert sie vergnügt.
Tom schüttelt den Kopf, wundert sich aber wenig, weil ihm die Ähnlichkeiten zwischen seiner Frau, also mir, und deren besten Freundin bekannt sind.
Was wir wollen, machen wir, notfalls mit Gewalt.
Geht nicht, gibt es nicht.
Hinten geankert, dreht sich das Boot der Sonne zu. Im Wasser sehe ich eine Schwanenfamilie auf uns zu schwimmen.
„Ja, so“, nickt sie.
„Aber der Wind kann sich drehen“, seine Hand zuckt zum Wasser, „dann kommen die Wellen von anderer Stelle.“
„Ja, dann kannst du immer noch....“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“
„Ist es“, antworte ich an ihrer statt.
Die Schwanenfamilie rückt näher.
Eltern und fünf Halbwüchsige, grau gefiedert.
„Oh!“, jubelt Nicki und schleppt Brötchen herbei, die er auseinanderrupft und bröckchenweise ins Wasser wirft, „Guckt mal!“
Die Schwäne fiepen wie verrückt, stürzen sich auf die Krumen. Der Schwanenvater faucht gelegentlich prophylaktisch, um seine Gefährlichkeit zu signalisieren. Beglückt und mit vor der Brust gekreuzten Armen sehen wir zu. Es ist so zauberhaft hier.
„Da hinten schwimmen Taubenhaucher“, Tom reibt sich die Nase und zeigt aufs Schilf.
Verdutzt glotzen wir ihn an.
„Was ist?“
„Taubenhaucher?, giggele ich.
„Habe ich das gesagt?“
Im Vorbeirollen streiche ich ihm über den Arm. „Hast du.“
„Taubenhaucher“, jubelt Steffi. Gleichzeitig ziehen wir unsere Kleider über die bezopften Schöpfe „Wir gehen schwimmen.“
„Dafür müssen die Schwäne weg“, wage ich einen Einwand, „Sonst hält der Vater das noch für einen Angriff“, ich drehe mich suchend herum und finde Nicki, „Kanns du die Schwäne mit dem Brot ans Heck des Bootes lotsen?“
„Ja, natürlich.“ Aber zuvor sieht er mich an, wie ich, aus meinem Rolli auf den Boden gestemmt, auf den Holzbohlen der Terrasse sitze. Schnell fliegt er herbei und umarmt mich. „Es ist so schade, dass du nicht laufen kannst.“
Ich lege einen Arm um seinen zarten Rücken. „Aber Nicki, du kennst mich doch nicht anders.“
„Ist trotzdem schade.“
Beseelt lächelnd lasse ich ihn los. Wie das bei Kindern eben so ist, ist die Besinnlichkeit ruckzuck von dannen und er lotst die Schwäne mit Brot hinter das Boot, damit wir ins Wasser können, ohne attackiert zu werden.
Aber ich will nicht schwimmen, ich will Kajak fahren, bin mit diesem Wunsch allerdings alleine, weshalb ich bald einsam ein Zweipersonen-Kajak gegen den starken Wind steuere. Die Schwäne sind versorgt, inzwischen sind wir alle im Nass, aber die Kinder schwimmen zu nah am Schilf. Mir die Naturschutzbestimmungen ins Gedächtnis rufend, schreie ich: „Nicht ins Schilf!“
„Was?“ Jan schwimmt ein Stück näher ans Kajak.
Ich drehe den Kopf zu ihm. „Nicht ins Schilf! Da nisten Wasservögel!“
Knirsch.
Ich zucke zusammen. Entsetzt sehe ich mich ins Schilf trudeln. Wie von Sinnen paddele ich unter irritierten Schwanenblicken dagegen an und komme eben noch raus, ohne größeren Schaden angerichtet zu haben.
Wir bleiben, denn hier ist es schön.
Und wenn wir den Mund halten, auch still.
Über die nächsten Stunden ankern zwei Yachten in unserer Bucht und wir paddeln einen schmalen Seitenarm der Havel in einen noch kleineren See. Steffi und Nicki in einem Boot, Jan und ich in dem anderen, kommen wir aus dem Lachen nicht mehr raus, weil es so unkoordiniert aussieht, was der kleine Bruder da so macht.
Langsam gleiten wir über die von Wasserlilien gesäumte Wassergasse. Immer mal wieder taucht ein Blesshuhn auf.
Oder ein Taubenhaucher.
Am Abend, zwei weitere BunBos haben sich in ausreichender Entfernung eingefunden, grillen wir die zweitbesten Spareribs der Welt, denn an die von Bones kommt keiner ran, lauschen den Vögeln und sinnieren über die Schönheit der Natur.
„Wir müssen morgen früh in den Hafen“, ich scrolle über den Bildschirm meines Handys und alle starren mich an. „Ich kann nichts dafür, aber es kommt ein Sturm auf.“
„Ein Sturm?“, Thomas zückt sein Smartphone.
„S-T-U-R-M. Windgeschwindigkeit circa 23 bis 30 Km/h mit Böen von 53 bis 63 Km/h.“
„Wann denn?“ Tom leert sein Corona.
„So gegen zehn in der Frühe soll es los gehen.“
„Oh“, Steffi heftet sich das Haar beidseitig hinter die Ohren, „Dann schlage ich vor, wir ankern morgen früh im Hafen und fahren mit dem Auto nach Havelberg.“
„Im Hafen gibt es W-Lan“, murmelt Jan, der auf dem Bett-Sofa lümmelt.
„Und du meinst, das ändert was am Wetter?“, zwinkere ich im zu,
„Ich hab‘ einen Pickel“, schrillt Steffi aus dem Bad.
„Nimm doch die Aknecreme von deinem Sohn“, rufe ich zurück, „die steht auf dem Bördchen.“
Mit einem Zinksalbenfleck auf der Wange stelzt sie zurück zu uns.
„Was machen die da?“ Verwirrt deutet sie auf die Männer, die über ihren Handys brüten.
„Die gucken so lange in eine Wetter-App, bis sie eine gefunden haben, die Wetter zeigt, das ihnen gefällt.“
„Nein, ich such‘ eine, bei der man das Wetter selbst machen kann“, wirft Thomas galant zurück.
„Ich stelle den Wecker auf sieben“, ich leere mein Glas und entschwinde ins Bad, mit angeschalteter Wasserpumpe, denn zu mehr als Händewaschen nach dem Klo reicht das stehende Wasser in der Leitung nicht.
„Gute Nacht.“
„Nächtle.“
Wenig später liegt der Liebste neben mir, an den ich mich wohlig seufzend kuschele. Schön ist es hier, und noch schöner mit diesen Freunden zusammen zu sein, die 80 Kilometer von uns weg wohnen, und die wir viel zu selten treffen. Der Alltag will es nicht. Jedes Treffen ist freigeschaufelt, und die einmal im Jahr stattfindenden Freundinnentour übers Wochenende im nahen Ausland hart erkämpft. Steffi ist Lehrerin an einem Gymnasium und derzeit extrem unter Stress. Wir alle haben Stress durch Corona.
"Heute", summe ich an seine Brust, "war Corona nur ein Bier."
Er schnaubt belustigt und umarmt mich fester. "Ich bin fast sicher, das wird in diesem Urlaub auch so bleiben."