Fluchend schlug ich die Autotür zu und gab ein genervtes Jammern von mir. Das konnte doch nicht wahr sein! Erst die vielen Staus auf dem Weg zum Kunden, dann das Unwetter und zu guter Letzt hatte der Mietwagen aufgegeben, den mir die Firma für die Fahrt gestellt hatte. Den halben Tag hatte ich mit Meetings verplempert, war dann viel zu spät losgefahren und direkt in den Berufsverkehr geraten. Von da an ging alles bergab.
Die zweistündige Fahrt hatte sich auf fünf Stunden gezogen dank zwei Rettungseinsätzen auf der Autobahn und den verdammt langen Strecken, die nur voller Baustellen so trotzten. Irgendwann hatte dann ein Stau auf der A20 so lang gedauert, dass die Polizei alle Personen, die die Möglichkeit dazu hatten, aufforderte die Autobahn zu verlassen. Genervt hatte ich die Ausfahrt genommen und war dann nach Google gefahren – es war voll, laut, warm und schwül gewesen, während ich dem Kunden versucht hatte mitzuteilen, dass der Termin sich auf den Samstag verlegen würde. Und dann war das Drama los gegangen, die vollen Bundesstraßen hatten Google dazu verleitet, mich durch den Wald zu schicken zusammen mit 30 weiteren verzweifelten Autofahrern, die alle zum Wochenende hin Richtung Meer wollten.
Die Strecke hatte mir den letzten Nerv geraubt, hatte mich wahnsinnig gemacht. Das schnelle Mietauto hatte einen entscheidenden Nachteil zu meinem, aktuell in der Werkstatt wartenden Favoriten: Es war tiefergelegt und tiefergelegte Autos auf engen Radwegen bestehend aus Stein und Geröll, 20 Autos, die nicht zurück konnten und verzweifelt den Weg suchten, waren keine schöne Situation gewesen. Zwei Mal war ich mit der Stoßstange hängen geblieben, hatte die Seiten zerkratzt und das Gefühl gehabt der Auspuff wäre abgefallen – das würde mein Chef nicht gut finden, der musste den Mietwagen am Ende nämlich zurückgeben. Schlussendlich hatten wir den Weg zur Landstraße gefunden und irgendwie hatte ich mich dann mit meinen Mitreisenden weiter gen Norden geschlängelt, bis der absolute Supergau kam.
Es war seit Wochen schwül gewesen. Der warme August hatte sich aufgestaut und Deutschland sehnte sich seit einigen Tagen noch einer feuchten Erlösung, die selbstverständlich genau für den Tag geplant war, als ich mitten in der Pampa von Mecklenburg-Vorpommern auf dem Weg zu einem abendlichen Kundentermin war. Rundum: Es fing an zu Gewittern, es schüttete und als der Matsch hinzukam, war es endgültig vorbei. 30 Kilometer vor meinem Kunden – und damit auch meinem Hotel für die Nacht, denn der Kunde besaß ein Renaissance Schloss, dass dringend Unterstützung für ein wichtiges Event benötigte. Ich hatte ein Zimmer gemietet, eines, dass nun 30 Kilometer weit weg im Trockenen lag, während ich in einem Auto, das nicht mehr ansprang, hockte und nicht weiter wusste. Mein Chef war bereits im Feierabend, der Kunde reagierte nicht; ADAC nicht zu erreichen, geschweige denn von der Mietwagenfirma. Und so hatte ich beschlossen, da der Handyempfang mitten im Wald unter aller Sau war, mich in den strömenden Regen zu begeben und zu schauen, welche Alternativen mir in der Einöde blieben.
Ich befand mich zwischen zwei Dörfern, die, wenn ich nicht irrte, gute 15 Kilometer auseinander lagen. In Rock und Bluse sowie leichten Sandalen nicht unbedingt das passendste Outfit für eine abendliche Wanderung durch den wäldlichen Matsch, zumal irgendwo hier im Wald auch ein See sein sollte, laut Google – dem Freund und Helfer. So stand ich da also nun auf der Straße, die Bluse nass an meinem Oberkörper klebend, vom Rock ganz zu schweigen; die Schuhe waren mit dem ersten Tritt ruiniert und ich fragte mich, was ich denn nun tatsächlich tun sollte. Es war durch den strömenden Regen so dunkel geworden, dass ich mir unsicher war, ob ich überhaupt etwas finden würde – und wenn denn, was ich überhaupt machen sollte. Es gab ja keine Garantie dafür, dass wer auch immer am anderen Ende meiner Wanderung sitzen würde, Lust hätte auf eine durchnässte Heulsuse wie mich. Zumindest hatte ich das Gefühl in den nächsten Minuten aus lauter Verzweiflung in Tränen ausbrechen zu müssen.
Trotzdem schnappte ich mir meine Handtasche – stets in der Hoffnung das Handy würde immerhin trocken bleiben – und entschied mich nach links zu gehen. Aus der Richtung war ich gekommen und wenn ich mich nicht täuschte, dann war dort leicht versteckt ein schwarzes Schild mit goldener Aufschrift gewesen – wenn ich Glück hatte, war es ein Hotel. Und bei dem ganzen Scheiß musste es ja quasi Glück sein, oder nicht?
Noch einmal kontrollierend, ob das Auto auch wirklich zu war, drehte ich mich also entschlossen um und machte einen kräftigen Schritt in die Richtung – mit Tatendrang ans Ziel half häufig und da ich mir bereits den Arsch ab fror, würde ich den nicht mehr lang haben. Gute zehn Minuten lief ich so vor mich hin, stolperte zwei Mal über zwei Steinchen auf der matschigen Straße und war kurz davor meine Schuhe auszuziehen, als ich endlich erreichte, was ich suchte. Das dunkle Schild stand in einer Kurve von Bäumen umrahmt und deutete auf einen noch verlasseneren Waldpfad – genau das Richtige im Dunkeln bei Regen, in einer Region, in der man sich nicht auskannte. Aber welche Wahl hatte ich denn schon? Ich konnte wohl kaum die Nacht im Auto verbringen – immerhin waren die Getränke leer, Essen gab es auch nicht. Außerdem hatte ich noch von keinen Mecklenburg-Vorpommern gehört, die Menschen aßen. Glaubte ich zumindest.
Da das Schild nur ein Logo in Form eines ritterlich aussehenden Wappens trug und ein Pfeil mit einem dezenten >>800 Meter“, blieb mir sowieso nichts anderes übrig. Mir war kalt, ich hatte Hunger und ich musste dringend aus dem Regen heraus, wenn ich meinen Kunden am nächsten Tag nicht im Fieberwahn überfallen wollte. Die Vorstellung war zwar zweifellos etwas komisch, brachte aber immerhin ein Schmunzeln auf meine Lippen. Der Besitzer des Schlosses war ein junger Mann maximal vier Jahre älter als ich. Mit Ende 20 hatte er schon erreicht, was viele sich erhofften. Er hatte Geld, Frau und ein ordentliches Unternehmen, dass schlussendlich auf sein Erbe mehrere Schlösser zurückzuführen war, immerhin war er von Adel. Und er war ein furchtbarer Snob, auf den ich so überhaupt keine Lust hatte. Die Vorstellung ihm fiebernd um den Hals zu fallen, würde ihn mit Sicherheit verschrecken. Vielleicht sollte ich die Taktik also doch nicht ganz verwerfen, dann musste ich mich vielleicht nicht allzu lang mit ihm herumschlagen.
Seufzend blickte ich noch einmal auf den kleinen Wanderweg vor mir und zuckte dann mit den Schultern. Es wurde sowieso immer dunkler, war schon fast halb 10. Länger konnte ich nicht mehr im Wald bleiben und es war immernoch so furchtbar kalt. Also straffte ich die Schultern, ärgerte mich, dass ich als Berlinerin mein Pfefferspray mal wieder nicht dabei hatte und machte mich auf den Weg zum goldenen Wappen, was auch immer das heißen sollte.
Tatsächlich war der Weg nicht schwieriger als die vorherige Strecke, auch wenn der kleine Weg deutlich verlassener schien. Nach ein paar Metern war die Straße sogar wieder gepflastert, was meine wehleidigen Füße durchaus zufrieden zu Kenntnis nahmen. Wenige Minuten später sah ich dann auch den ersten schwarzen Zaun, der offensichtlich ein größeres Grundstück vom Rest der Straße abtrennte. Wer auch immer dort wohnte, hatte wohl etwas übrig für Luxus. Der Zaun sah aus, als würde er direkt zu einem Schloss gehören mit so blumenartigen Spitzen und der schwarzen Lackierung. Leider war hinter dem Zaun zunächst bis auf etwas gepflegten Rasen und adrett geschnittene Bäumchen nichts zu sehen.
Die Hoffnung schwand, immerhin konnte es ja auch ein riesiger Golfplatz sein, für den man ein kleines Auto benötigte, um ihn komplett zu umrunden. Trotzdem blieb mir keine andere Wahl übrig. Das Auto war mindestens 20 Minuten in der aktuellen Verfassung in die andere Richtung und meine Füße, die in den dünnen Sandalen hin und her rutschten, schmerzten von dem ganzen Schlamm, der sich bereits an ihnen sammelte. Ich war normalerweise nicht zimperlich. Als Kind aus dem echten Norden – so nannten sich Schleswig-Holsteiner neuerdings – war mir Wind und ein wenig Unwetter nicht unbekannt. Berlin hatte mich in den letzten Jahren jedoch weich werden lassen und so fluchte ich mittlerweile bei kleinen Windböen und ärgerte mich über wirre Haare, obwohl das bis vor meinem Studium noch ein Teil von mir gewesen war.
Wieder zwang ich mich, mich zusammen zu reißen. Es konnte doch nicht so schlimm sein. Nur noch ein paar Meter – versuchte ich mich aufzuheitern und machte die nächsten Schritte, bis ich endlich das Ziel erreichte, das ich verfolgt hatte. Es war ein großes Tor, passend im Stil der Zäune gehalten, mit verschiedenen Blumen und es stand leicht offen. Ein Auto hätte kaum reingepasst, aber da mir in dem Moment weder Klingel noch eine andere Art der Kommunikation auffiel, zwängte ich mich einfach hindurch. Erleichtert, dass noch jedes Fettpölsterchen an Ort und Stelle saß – ich konnte wem auch immer das Ding gehörte ja wohl kaum ein Stückchen aufgespießte Marketing-Fachfrau hängen lassen – folgte ich dem gepflasterten Weg hin zu einer Baumgruppe, bis ich verstand, dass diese in Wahrheit mein eigentliches Ziel verbargen.
Als ich es erkannte, staunte ich nicht schlecht. Vor mir ragte ein Herrenhaus empor. Es war riesig, hatte drei Stockwerke und war hell verputzt. Ein wenig wie diese stilisierten Herrenhäuser, die man sich immer in Romanen erträumt mit weißer Fassade und ein paar Säulen um den Eingangsbereich. In diesem Fall war dieser ausladend gestaltet mit einer Überdachung und einem Hotel ähnlich mit einer runden Auffahrt, die man mit einem Auto befahren konnte.
Durch die Dunkelheit war das Licht, das durch die Fenster schien, deutlich zu sehen. Drinnen waren offensichtlich Menschen und wenn das nicht irgendeine dubiose Sekte war, dann würde es ganz offensichtlich meine Rettung sein. Völlig fertig machte ich die letzten Schritte und nahm den großen Türklopfer in die Hand, um zu klopfen, stolperte dann aber in die offene Tür, die in dem Moment gerade jemand aufgemacht hatte. An der Türschwelle hängenbleibend machte ich mich also erstmal lang, konnte mich gerade noch so mit den Armen vor einem paar hoher Schuhe abfangen.
„Ha, habe ich es dir doch gesagt“, meinte eine deutlich zu hohe Stimme, woraufhin jemand etwas murmelte und zwei Hände sich um meine Arme legten. Desorientiert ließ ich mir aufhelfen, nur um dann ein hübsches Gesicht mit braunen Augen zu sehen.
„Ja, du hattest ausnahmsweise recht. Aber ich glaub nicht, dass sie versucht hat einzubrechen“, meinte das hübsche Gesicht, das einem Mann mittleren Alters gehörte. Er hatte einen leicht ergrauten Bart, der zu seinem etwas graueren Haar passte und schaute besorgt, während seine Begleiterin kurz zu überlegen schien und dann offensichtlich seine Meinung teilte.
„Stimmt wohl. Die Presse sieht auch anders aus.“, stimmte sie ihm schließlich zu und ich konnte ihren musternden Blick geradezu spüren.
„Ich, äh. Entschuldigung, ich wollte eigentlich gerade klopfen. Mein Auto ist liegen geblieben“, versuchte ich mit kratziger Stimme zu erklären, aber wurde harsch von ihrer Handbewegung unterbrochen.
„Ja, das sieht man dir an. Komm rein. Du siehst furchtbar aus. Ich bin Sabrina und das ist Thomas. Wir sind hier eigentlich zu Gast, aber da das Personal mal wieder, naja, du weißt schon wo ist, nehme ich dich einfach mal mit. Du bist ganz unterkühlt“, stellte sie fest, nahm meinen Arm und zog mich mit sich. Thomas schüttelte nur den Kopf.
„Bring sie ruhig in die 114. Ich denke, das wird passen. Ich versuche unseren Gastgeber zu erreichen. Und irgendjemand muss den Schlamm aufwischen.“
Verwirrt sah ich auf den Boden und dann auf mich. Der Schlamm kam offensichtlich von mir.
„Ich möchte keine Umstände machen“, versuchte ich noch einzubringen, aber Sabrina war das offensichtlich egal.
„Machst du nicht. Zumindest aktuell nicht. Wenn die anderen Gäste dich sehen, könnte das aber anders ausfallen. Immerhin kommt hier nicht jeder rein. Sollte zumindest nicht. Wie heißt du denn?“, ihr Blick war leicht forschend, wandte sich dann aber wieder dem Gang zu. Sie schaute offensichtlich ob die Luft rein war mich weiter in das Herrenhaus zu schleusen. Jeder normale Mensch hätte in diesem Fall wohl Sorge gehabt – immerhin hätte sie mich ja auch in einem Kerker einsperren können und niemand hätte es je erfahren müssen. Allerdings war die Wärme, die sich langsam in mir ausbreitete und meine tauben Füße umspielte so angenehm, dass es mir fast egal war. Folterkammer? Kein Problem, Hauptsache nicht mehr draußen im Regen stehen und auf billig Sandalen durch den Wald laufen.
Tatsächlich war der Weg durch das Herrenhaus nicht weit. Kurz konnte ich etwas entfernt Musik und Gelächter hören, war dann aber mehr auf meinen Weg fokussiert und nicht darauf, mich auf dem roten Teppich, der den Fußboden bedeckte, nicht noch einmal flach zu machen. Dafür schmerzte mein Körper einfach zu viel. Einen Blick wandte ich auch zu Sabrina, die mich zwar ab und an mit erhobener Augenbraue musterte, sonst aber nichts sagte. Ihre blonden Locken hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz nach hinten gebunden und das Kleid, dass sie trug, war schwarz und aus einem Lederähnlichen Material. Schick, aber irgendwie ein wenig fehl am Platz für einen abendlichen Empfang. In Berlin wäre es mit einem weißen T-Shirt und Sneaker wiederum perfekt gewesen für den nächsten Einkauf bei Hit.Ulrichs.
„Was, was ist denn die 114?“, hakte ich nach Minuten der Stille, ehe ich auch schon den Raum erblickte.
„Hm? Achso, das ist eins der Spielzimmer, aber im Grunde nicht anders als die anderen Zimmer im Anwesen auch. Thomas hatte es eigentlich für sich und seinen -äh- Partner reserviert, aber da ich dich ungern in mein Badezimmer stecken möchte und er auch nicht, wirst du hier jetzt erstmal untergebracht“, erklärte sie und öffnete die Tür mit einem Armband, dass sie am linken Handgelenk trug. Scheinbar die neue Art der Schlüsselkarte, denn die Tür blinkte über dem Griff kurz grün und ehe ich mich versah, zog mich Sabrina in das durchaus geräumige Zimmer. Es war edel eingerichtet mit dunklem Fußboden, hellen Wänden und einem schicken Kingsizebett. Neben einer Sitzgruppe und einer etwas eigenartigen Kunst an der Wand, befand sich ebenfalls eine Art Peitschensammlung an der Wand. Verwirrt sah ich zu Sabrina, legte irritiert den Kopf schief.
„Seid ihr zum Reiten hier oder so?“, fragte ich zaghaft. Ich selbst hatte in meinem halben Jahr, dass ich auf einem Pferderücken verbracht hatte, niemals eine Gerte oder ähnliches genutzt, wusste aber in dem Moment auch nicht, wofür ich sie sonst gebrauchen könnte.
„Wie kommst du darauf?“, kam die belustigte Stimme von Sabrina aus einer angrenzenden Tür. Sie hatte offensichtlich das Badezimmer aufgemacht und stand an einer luxuriösen Badewanne, die völlig frei im Raum stand. Sie sah himmlisch aus, insbesondere, da Sabrina gerade das heiße Wasser aufdrehte und meine kalten Füße sich sehnlichst nach etwas Warmen sehnten – insbesondere eine heiße Dusche. Ich ließ meinen Blick kurz schweifen, stockte dann aber.
Nicht eindeutig, aber dennoch vorhanden, waren an der Decke und an den Wänden Ösen angebracht. Ein kurzer Blick durch das Schlafzimmer bestätigte dieses Bild. Gut versteckt, befanden sich an verschiedenen Orten im Raum – unter anderem auch in der komischen Kunst – unterschiedliche Befestigungsmöglichkeiten, die mir schnell klar machten, dass das keine Gerten zum Reiten waren.
„Ja, ich glaub ich hab‘s geschnallt“, gab ich leicht peinlich berührt zu und musterte die Frau vor mir, deren Blick leicht amüsiert schien. Ein wenig Badezusatz in die Wanne schüttend, kam sie auf mich zu und stemmte dann die Hände in die Seiten.
„Wir sind ein recht eigensinniger Club. Ich hoffe, du verstehst, dass das hier alles höchster Diskretion unterliegt? Normalerweise muss jedes Mitglied eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben. Es gibt hochrangige Personen, die heute Abend zur Feier des Tages zu Gast sind. Ich würde dir daher raten, dich jetzt erstmal in die Badewanne zu setzen und dich vom Schlamm und der Kälte zu befreien. Ich schau so lange ob ich Kleidung finde, die wir gegen die zerrissene Bluse dort austauschen können. Und dann schauen wir mal, was der Besitzer dieses Anwesens davon hält, dass ich dich einfach reingeholt hab“, sie ließ ein tiefes Seufzen hören, lächelte dann aber leicht eigensinnig.
„Du weißt doch hoffentlich, wo du dich befindest?“
„Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich denken, es sei ein BDSM Club“, antwortete ich direkt. Den letzten Funken Kraft den ich hatte, steckte ich in den Augenkontakt mit ihr. Ich wollte nicht nachgeben. Sie war offensichtlich dominant. Eine Eigenschaft, die ich normalerweise auch an den Tag legte, wenn ich nicht gerade am Rande meiner Kräfte war. Sie nickte zufrieden.
„Keine Sorge, wir alle sind hier zum Vergnügen. Keiner wird hier gezwungen etwas zu tun und solang du dich hier aufhältst, musst du auch keiner Orgie beiwohnen. Es gibt hier auch keine gekauften Begleitungen, aber dennoch wäre es von Vorteil, wenn du erstmal nicht durch die Gegend läufst. Ich würde dich ungern fesseln müssen“, erwiderte sie mit einem hochgezogenen Mundwinkel, fing sich dann aber offensichtlich wieder.
„Fühl dich wie zu Hause“, damit verschwand sie. Kurz hörte ich noch auf die zufallende Tür, atmete dann erleichtert auf. Das war skurril, aber nach dem Tag mitunter das Beste was mir passieren konnte. So schloss ich die Tür des Badezimmers hinter mir, wollte auch abschließen, fand jedoch keinen Schlüssel. Schulterzuckend drehte ich mich zu der mittlerweile fast vollen Wanne und seufzte erleichtert. Eigentlich war es mir egal, wer mich sah. Hauptsache raus aus den klebrigen, nassen Klamotten, die sogleich in eines der Waschbecken verschwanden. Die konnte ich auch später auswaschen – Hauptsache erst einmal die Wärme.
Etwas irritiert schlug ich die Augen auf. Ich hatte mich in die Badewanne gelegt und musste offensichtlich weggedriftet sein. Sabrina stand leicht besorgt neben der Wanne und hielt mich am Arm fest.
„Geht es dir gut? Du hast nicht reagiert“, sagte sie, schien sich aber zu fangen, als ich mich ungelenk aufrichtete und damit ungewollt mehr preisgab als ich eigentlich wollte. Sofort verschränkte ich die Arme vor der Brust, aber sie grinste nur kurz.
„Ich habe heute schon so viele Brüste gesehen, meine Liebe, da brauchst du dich kaum zieren. Dennoch, wir haben uns Sorgen gemacht. Du warst scheinbar so erschöpft und wir wollten nicht, dass es dir schlecht ergeht.“
„Alles gut. Ich muss wohl eingenickt sein, so fertig war ich“, gab ich zerknirscht zurück. Normalerweise vertraute ich fast niemandem, ließ mich niemals fallen, erst recht nicht, wenn Fremde im Spiel waren. Einfach so irgendwo einzuschlafen, passte überhaupt nicht zu mir. Aber besondere Situationen führten scheinbar zu besonderen Herangehensweisen.
„Das ist gut. Ich habe Kleidung gefunden, die dir in etwa passen sollte. Sie liegt dort drüben auf der Anrichte. Mach dich in Ruhe fertig, föhn dir die Haare. Danach hat Jan für dich Zeit. Er wird entscheiden was wir heute Abend mit dir machen. Immerhin ist die Party im vollen Gange und wenn du nicht mitspielen möchtest, dann solltest du besser nicht hier sein“, sie nickte sich mehr selbst zu und drehte sich dann um, verschwand durch die Tür, die sie ein wenig offen ließ. So viel zur Privatsphäre. Wenn dies jedoch ein Sex Club war, war das auch nicht sonderlich verwunderlich. Nackte Menschen fand man an solchen Orten bekannterweise häufiger.
So stieg ich aus dem mittlerweile nicht mehr ganz so heißen Nass und nahm mir eines der flauschigen Handtücher, in die wieder das goldene Wappen eingestickt worden war. Wer dieser Jan wohl war? Bestimmt ein abgedrehter Master oder doch eher ein Mr. Grey? Ich schüttelte den Kopf und ermahnte mich selbst. Völlig irrelevant. Ich war ja nicht da, um mitzuspielen, sondern um Schutz zu suchen vor dem Unwetter.
Die Klamotten, die Sabrina mir besorgt hatten, waren ein wenig eng, aber immernoch sehr komfortabel. Ein mittellanges Sommerkleid, was offensichtlich dazu gedacht war, leicht im Wind zu wehen, sowie eine Strickjacke. Unterwäsche gab es nicht, aber da meine noch immer triefend Nass zwischen den schlammigen Sachen lag und ich mir sicher war, dass man die nassen Abdrücke unter dem Sommerkleid sehen würde, entschied ich mich das erste Mal in meinem Leben ohne Unterwäsche herum zu laufen. Ziemlich gewagt für meinen Aufenthaltsort, aber ich wollte meinem Gastgeber ungern in einem Kleid mit nassen Brüsten entgegentreten.
Meine Schuhe waren zum Glück recht leicht von dem Schlamm zu befreien und durch das Handtuch auch schnell wieder trocken, sodass ich zumindest diese wieder anziehen konnte. Ein Griff zur Handtasche und ich trat aus dem Badezimmer heraus.
Mein Blick fiel fast sofort auf Thomas. Er saß mehr oder weniger gelangweilt auf seinem Handy tippend in der Sitzgruppe am Fenster und schaute erst nach einem Räuspern auf. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, was ihn offensichtlich noch attraktiver machte.
„Sabrina weiß immer, was die Leute tragen können. Ich wünschte, ich hätte so ein Händchen für Mode“, erklärte er zufrieden. Ein Blick in den Spiegel neben der Eingangstür zeigte tatsächlich auch, dass ich deutlich repräsentabler aussah, als ich mich fühlte. Das Kleid hielt meine Brüste trotz fehlendem BH gut zusammen und die Strickjacke ließ den Look ein wenig wie am sommerlichen Lagerfeuer aussehen – romantisch süß. Nur, dass ich mich wahrscheinlich gleich einer Meute aus Latex und Leder stellen musste.
„Äh, ja. Die Sachen passen gut“, gab ich zu und lächelte unsicher.
„Nana, kein Grund zur Schüchternheit. Ich beiße nicht, zumindest keine Frauen. Wie war noch gleich dein Name?“, er deutete auf einen der Sessel neben ihm, den ich dankbar annahm. Meine Beine waren noch immer ein wenig durch von der Wanderung.
„Hm? Oh, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Entschuldigung. Elena Schneider.“, lächelte ich entschuldigend.
„Nun, Elena. Sabrina meinte, du wüsstest, dass das hier ein BDSM Club ist?“, hakte er nach. Seine Stimme war unglaublich beruhigend. Im Gegensatz zu Sabrina, die deutlich aggressiver rüberkam, wirkte er wie ein älterer Professor, die Beine überschlagen und dich mit aller Ruhe dieser Welt abwartend anschauend. Auf mein Nicken hin, fuhr er fort: „Kennst du dich in diesem Bereich aus? Oder brauchst du noch eine kurze Einweisung in das, was wir machen? In vielen Köpfen wabert das Bild von weinenden Menschen, Hundeleinen und diesen Masken und ich möchte dich ungern mit einem mulmigen Gefühl hier im Haus herumrennen lassen. Nicht, dass du die Polizei rufst, wenn du einen Sklaven im Käfig siehst“, erläuterte er.
Ich zögerte. Natürlich wusste ich, was BDSM war. Aber das hatte ich bisher noch nie so aussprechen können. Die Angst, dass mich jemand deswegen nicht mögen würde, war immer zu groß gewesen. Das Verständnis meiner Freunde, nie richtig vorhanden. Ich hatte es mal angedeutet, aber sie wollten es nicht wahrhaben. Niemand stand auf diese Dinge, niemand wollte darüber reden. Ich hatte im Laufe der letzten Jahre viel darüber gelesen, hatte angefangen Videos zu sehen, Geschichten zu lesen. Meine Sammlung derartiger Romane war mittlerweile umfassend, aber hatte ich es jemals erlebt? Hatte ich mal mit einem dominanten Menschen zu tun gehabt, auf einer sexuelleren Ebene? Zu meinem eigenen Leidwesen nicht. So dominant ich mich auch im Alltag gab, die Vorstellung von einem dominanten Partner hatte mich schon oftmals in Versuchung geführt. Das hier war aber nicht der richtige Ort für die Erkundung meiner Träume. Ich musste zusehen, dass ich etwas zu Essen bekam, ein Bett für die Nacht und dass ich den Abtransport des Autos organisiert bekam.
„Ich kenne mich wohl schon aus, aber ich habe es noch nicht erlebt“, gab ich meine wohl gewählte Antwort. Ich war nicht hier für Spaß, gleichzeitig machte der Gedanke, andere Leute dabei zu sehen, mich kribbelig. Es war so nah und doch so weit entfernt.
„Das ist gut. Dann brauch ich dich nicht daran erinnern, dass die Dinge, die hier getan werden, im Einvernehmen miteinander stattfinden. Ich glaube nicht, dass wir vielen Leuten auf dem Gang begegnen werden, immerhin läuft gerade eine Darbietung im großen Saal. Dennoch wäre es mir lieb, wenn du nicht einspringst, wenn jemand anders behandelt wird, als du es wollen würdest. Jeder Sklave und Sub, der heute hier anwesend ist, bezahlt Geld dafür, hier sein zu dürfen. Versuch bitte niemanden aus Käfigen zu befreien“, folgte seine recht trockene Antwort mit einem angedeuteten Lächeln.
„Ich versuch es“, gab ich zu und stand dann mit ihm auf. Er lächelte nur und nahm mich mit aus dem Zimmer. Meine Sachen blieben dort, was mich zu einem anderen Thema führte.
„Sabrina meinte, du hättest das Zimmer reserviert. Es tut mir leid, dass ich das Badezimmer schmutzig gemacht habe“, versuchte ich ein wenig Smalltalk zu betreiben. Die Nervosität fraß an meinen Nerven.
„Mach dir darum keinen Kopf. Es wird kurz geputzt und dann werden mein Partner und ich dort eine Menge Spaß haben“, er lächelte verschmitzt und räusperte sich dann, deutete auf eine Treppe, die ich ihm hinauf folgte. Ein paar Türen weiter, eine Treppe ebenfalls nach oben und durch eine Zwischentür hindurch, die nur mit seinem Armband öffenbar war, standen wir vor einer großen Holztür, die wieder das Wappen zeigte, dass ich mittlerweile erkannte.
Thomas klopfte einmal und öffnete dann die Tür.
„Hi Jan, ich bringe den Eindringling“, meinte er, lächelte amüsiert und ließ mich dann eintreten. Ich sah Thomas an, wollte noch etwas zu dem unschönen Wort sagen, aber die Tür schloss sich wieder, ehe er eintreten konnte. Er hatte mich einfach allein gelassen.
„Es tut mir leid. Ich wollte wirklich nicht einbrechen, mein Auto ist kaputt gegangen und ich hatte keinen Empfang. Ich habe versucht jemanden zu erreichen und“, fing ich an zu erklären. Den Text hatte ich mir auf dem Weg schon zurechtgelegt, wurde aber durch eine Stimme unterbrochen.
„Habe ich alles schon gehört. Sabrina hat mir versprochen, dass sie deiner Geschichte glaubt“, vernahm ich eine tiefere Stimme und sah das erste Mal auf. Der Raum war nicht so groß, wie ich ihn erwartet hatte, aber durchaus massiv eingerichtet. Neben einer altmodischen Sitzgruppe, die hervorragend zu der vertäfelten Wand passte, stand vor einer massiven Regalwand, die voller Ordner und Bücher war, ein ebenso massiver Holzschreibtisch.
Und an jenem lehnte sich ein großer Mann, die Arme in seinem weißen Hemd, das leicht hochgekrempelt war, vor der Brust verschränkt, ebenso wie die Beine, die lässig übereinander geschlagen leicht nach vorn zeigten. Er war riesig, was durch seine breite Körperform nur noch einmal unterstützt wurde. Er war nicht dick, aber doch etwas stärker gebaut, wobei auf den ersten Blick nicht klar war, ob da die Liebe zu gutem Essen oder zu Sport dran schuld war. Ein Blick nach oben zeigte ein glatt rasiertes Gesicht mit dunklen, ergrauten Haaren. Die Augenbrauen waren etwas schief und die Augen offensichtlich in einem Blauton. Eine hochgezogene Augenbraue musterte mich schief, während mir langsam dämmerte, dass mir die Stimme bekannt vorkam. Nur der Mann vor mir, sah nicht so aus wie ich es erwartet hätte.
„Liebelein?“, fragte ich fast schon selbst erschrocken, dass ich es wirklich ausgesprochen hatte. Eine kurze Stille, dann verzog er das Gesicht überrascht. Er hatte mich offensichtlich auch erkannt.
„Kleines! In dem Kleid ohne Ausschnitt hätte ich dich fast nicht erkannt!“, freute er sich, sprang dann regelrecht auf und war in wenigen Schritten bei mir, um mich in eine kräftige Umarmung zu ziehen. Und ich? Ich ließ mich einfach mitziehen, erleichtert. Ich kannte ihn. Und zwar recht gut. Ich hatte jahrelang auf einem großen Festival im Ausschank gearbeitet. Nicht beim Bier, aber bei anderen Alkoholitäten, bei denen man die Kundschaft doch besser kennen lernte. Und auf diesem riesigen Festival hatte sich irgendwann für meine beste Freundin und mich eine Fangemeinde entwickelt. Männer, und auch wenige Frauen, die jedes Jahr wieder zum Festival pilgerten, um sich dann an meinen Stand zu heften und die vollen vier Tage einfach nur mit mir zu reden und Alkohol zu trinken.
Und er hier, war einer davon. Ich kannte nicht seinen Vornamen. Er war immer Liebelein gewesen. Gute 20 Jahre älter als ich, hatte er mir in all den Jahren immer einen guten Gesprächspartner abgegeben, hatte mich vor den Betrunkenen beschützt und mich unterstützt, während ich ihn abgefüllt hatte. Jeden Tag von neuem, bis auf den Tag vor drei Jahren, als ich meinen neuen Job angefangen hatte. Von da an fiel das Festival aus und ich war nicht mehr wiedergekommen. Liebelein schien das nicht weiter zu interessieren, denn er hielt mich noch immer fest im Arm, zog mich aber zu seiner Couch und setzte mich recht eindeutig darauf.
„Elena, das ich dich noch einmal wiedersehe, hätte ich nicht erwartet. Was machst du hier?“, fragte er, nun deutlich ruhiger im Ton. Sein Blick wurde etwas intensiv, aber er war noch immer so, wie ich ihn kannte. Er hatte mir erzählt, er wäre Kindergärtner und ich hatte zwar gewusst, dass das nicht stimmte, hatte aber nicht erwartet, dass ihm offenbar ein Sexclub gehörte.
„Äh. Schwierige Frage. Ich war auf Kundenbesuch aus Berlin, aber 30 Kilometer vor meinem Ziel ist der Mietwagen kaputt gegangen. Also hab ich ein Haus gesucht, wo ich ein Taxi oder ähnliches anrufen kann, da mein Handy nicht funktioniert hat“, gab ich die ehrliche Antwort und wich seinem Blick automatisch ein wenig aus.
„Und du hast also einen Club, hm? Ich dachte du bist Kindergärtner?“, versuchte ich ihm gegenzuhalten und musterte ihn, woraufhin er nur die Mundwinkel verzog.
„Nun, ich konnte dir kaum die Wahrheit verraten. Wobei du recht hast. Das ist mein Anwesen und mein Club. Und du hast dir den besten Tag des Jahres ausgesucht, um hier zu stranden. Wir haben unsere Sommerparty und sind voll belegt. Eigentlich sollte ich unten bei den Gästen sein, wenn da nicht jemand in meinem Garten herumgeschlichen wäre“, entgegen seiner sonstigen Art verzog er die Lippen nicht zu einem Grinsen, sondern musterte mich nur. Er testete mich und ich rutschte unruhig und durchaus überfordert mit der Situation auf meinem Platz herum.
„Wie gesagt. War keine Absicht. Ich brauch auch echt nur ein Telefon, um ein Taxi zu rufen“, versuchte ich nicht auf die Party einzugehen, während sich mein Bauch lautstark meldete.
„Und offensichtlich etwas zu Essen“, kam seine Antwort, ehe er kurz auf seinem Handy herum tippte, dass er aus seiner Hosentasche gezogen hatte.
„Ein Taxi wird dir heute Abend nicht mehr viel bringen. Wegen des angekündigten Unwetters mussten wir heute Abend einen Shuttleservice für die Gäste beauftragen, da das Taxiunternehmen heute geschlossen hat. Wobei dir der Shuttleservice auch nicht viel bringen wird. Wo wolltest du denn hin?“, fragte er und lehnte sich in männlicher Manier zurück an die Sofalehne, einen Arm halb um mich herum gelehnt. Das sah durch das relativ gerade und unbequeme Sofa nicht einmal so unelegant aus, wobei ich mit seinem Outfit nicht wirklich zurechtkam. Ich hatte ihn bisher nur in Jeans, schwarzen T-Shirts und Nietenarmbändern gesehen. Nun sah er aus wie ein Geschäftsmann. Leicht elegant, aber hinter seinen Augen blitzte etwas, dass ich nicht richtig zu ordnen konnte. Er war in den letzten Jahren nie dominant gewesen, hatte nie Anspielungen gemacht. Und nun? Nun war er Besitzer eines SM Clubs und weg war das schwarze T-Shirt und der Bart, den er sonst immer getragen hatte. Zugegebenermaßen, der hatte ihn vom Gesicht her deutlich weicher gemacht.
„Ich habe ein Hotelzimmer bei Dargun. Das sollte nicht allzu weit sein. Wenn der Shuttleservice mich hinbringen kann, falle ich dir nicht zur Last“, versuchte ich zu widersprechen, aber er hob nur die Hand und schüttelte den Kopf.
„Wir brauchen den Shuttleservice selbst. Außerdem sind es von hier aus fast 40 Kilometer und bei dem aktuellen Wetter auf der Schlammpiste da draußen, braucht der Shuttle auch viel zu lang. Du bleibst heute Nacht hier. Es sind zwar alle Zimmer ausgebucht, aber ich habe etwas weiter im Garten ein kleines Häuschen direkt am See, wo ich wohne, wenn ich hier bin. Da ist ein Gästezimmer, das kannst du für die Nacht haben“, erklärte er ruhig und als wäre es beschlossene Sache. Was es damit denn wohl auch war – viele Alternativen hatte ich ja eh nicht.
„Oh, das ist ganz lieb. Aber wenn du heute Nacht lieber, äh, Besuch hättest, dann.“, versuchte ich mich zu winden. Ich hatte ihn immer gemocht. Und ich hatte ihm immer vertraut. Trotzdem saß er nun vor mir wie ein anderer Mann. Und der Gedanke, dass er im Nebenzimmer eine Frau auspeitschen würde, war mir unangenehm. Nicht, dass die Sadistin in mir nicht irgendwie neugierig war, aber ich wollte nicht in seine Privatsphäre eindringen. BDSM war ein heikles Thema, eines, dass ich insgeheim nur mit einem Partner angehen wollte. Nicht an einem Abend nach so einem beschissenen Tag.
„Du kannst beruhigt sein, dass ich aktuell keine Spielpartnerin habe und mich auf derartigen Veranstaltungen auch gern herausnehme. Jemand muss einen Blick über die Organisation haben, während der Rest sich vergnügt“, erklärte er lächelnd und für einen kurzen Moment erkannte ich ihn wieder. Der Blick wurde so weich, dass ich es mir erlaubte mich nach hinten zu lehnen, unabhängig von dem Arm, der dort lag. Er hatte mir jahrelang auf den tiefen Ausschnitt gestarrt, da konnte ich es ja wohl wagen mich an ein Sofa anzulehnen. Kurz war ich irritiert, als sich nichts veränderte, aber er ließ seine Hand dort liegen und musterte mich nur.
„Wo warst du die letzten Jahre? Ich habe immer vergebens an deinem Stand gewartet.“
„Ich habe es zeitlich nicht mehr geschafft, seitdem ich Festangestellte bin. Der Sommer ist die Event-Zeit und im Marketing, nimmt man da nun mal alles mit, was so geht. Da kann ich mir nicht aussuchen, ob ich einen Kunden betreuen will oder nicht. Aber falls es dich aufmuntert, ich habe dich auch vermisst“, meinte ich lächelnd und sah zu ihm hoch. Er lächelte jedoch nicht, musterte mich weiter, dann das Kleid und schüttelte dann den Kopf.
„So züchtig hätte ich dich fast nicht erkannt“, war alles, was er erwiderte. Scheinbar gefiel ihm die Antwort nicht, wenn er sie aber doch akzeptierte.
„Tja, Sabrina war so lieb und wenn ich ehrlich bin, war mir alles lieber als die kaputte, nasse Bluse."
„Das kann ich mir vorstellen“, brummte er in den nicht vorhandenen Bart und lächelte dann, als ich offensichtlich versuchte meine Brüste zu bedecken. Unter seinem forschenden Blick hatte passieren müssen, was nun mal immer passierte. Meine Brustwarzen waren durch den leichten Stoff zu erkennen und auch wenn er meinen Ausschnitt gut kannte, war ich mir nicht sicher, ob ich mir die Blöße geben wollte.
„Du hast nie erwähnt, dass du auf derartige Dinge stehst?“, versuchte ich ihn abzulenken und sah mich das erste Mal im Büro um. An der Wand hingen drei Fotografien von nackten Frauen, die offensichtlich BDSM like gefesselt von der Decke hingen. Schwarz-Weiß. Klischeehaft, aber irgendwie hübsch und passend. Durch die entsprechenden Bilderrahmen passten sie gut in das Zimmer.
„Hmm, normalerweise gehe ich damit nicht hausieren. Was mich auch zu einem wichtigen Thema bringt: Jede Person, die hier anwesend ist, muss eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben. Vom Personal bis zum Shuttle. Das gilt auch für dich.“, sagte er und stand auf, um mir einen Zettelbatzen und einen Stift zu geben. Ich musterte ihn kurz, setzte dann aber meine Unterschrift darunter. Mir blieb sowieso nichts anderes übrig und wenn er nicht wollte, dass ich erzählte, wer sich hier von wem schlagen ließ, war das wohl durchaus gerechtfertigt. Er nickte zufrieden und seufzte dann auf.
„Ich hatte nicht erwartet, dich noch einmal wiederzusehen“, gab er erneut offen zu, lächelte dann aber wieder.
„Hmmm und was hast du dir ausgemalt, was passiert, wenn es doch so ist?“, gab ich spielerisch zurück. Ich hatte immer gern geflirtet mit meinen Kunden. Das war auch häufig unsere Ebene gewesen, auch wenn es eigentlich nie sexuell gemeint gewesen war. Wir hatten uns nur verstanden.
Er verzog kurz die Augenbrauen und legte dann den Kopf schief, um mich intensiv zu mustern. Ich schluckte, als ich in seinen Augen etwas erkannte, dass ich zuvor nicht gesehen hatte. Es war nicht ganz zu ordnen bar, aber ich war mir relativ sicher, dass es kein gutes Zeichen war. Sein Blick glich ein wenig einem Raubtier und auch wenn ich mir sicher war, dass er mich nicht fressen würde, wollte ich eigentlich kein Opfer sein. Ich war doch immerhin dominant und gab sonst den Ton an – zumindest bis auf in meinem Fantasien.
Jan ließ sich offensichtlich Zeit mit der Antwort und als er ansetzte zu antworten, erlöste ihn ein Klopfen an der Tür. Wenig später kam ein leicht bekleideter junger Mann herein, der schüchtern nickte, ein Tablett auf den Tisch vor dem Sofa stellte und dann nach einer Anweisung von Jan, direkt wieder verschwand, bevor ich auch nur etwas sagen konnte. Meinen Gastgeber schien das nicht zu stören. Er hob den Deckel an, der sich auf dem Tablett befunden hatte und zeigte mir damit eine Auswahl an kleinen Snacks. Von gefüllten Datteln bis Dips mit Crackern und kleinen Schnittchen, die ausgesprochen nett angerichtet waren, war alles dabei. Und als hätte er es geahnt, knurrte mein Magen in dem Moment.
„Greif zu. Du musst furchtbaren Hunger haben“, meinte Jan mit einem Blick auf die Uhr, die schon 11 Uhr zeigte. Draußen war es vollständig dunkel geworden und nur sehr leise war im Hintergrund von unten ein wenig Musik zu vernehmen.
„Danke“, sagte ich leise und schnappte mir den Teller. Er hatte mir häufiger beim Essen zu gesehen, immerhin hatte er mich regelmäßig mit Leckereien versorgt, wenn er selbst Essen jagen gegangen war. Aber irgendwie war es anders gewesen. Anders als jetzt, wo er offensichtlich Gefallen daran fand mir beim Essen zuzuschauen, bis ich ihm den Teller vor die Nase hielt. Er lächelte, nahm sich noch kurzer Überlegung eine der gefüllten Datteln und schob sie sich seelenruhig zwischen die Lippen, die, befreit von all dem Bart, auf einmal ganz anders wirkten als sonst. Räuspernd wandte ich meinen Blick ab.
„Ich komm immer noch nicht darüber hinweg, dass du kein Kindergärtner bist“, gab ich leise zu, woraufhin er amüsiert schnaubte.
„Ich habe einen erwachsenen Kindergarten, das kannst du mir glauben“, erwiderte er.
„Aber du wolltest nie hinter das Zelt von dem Zelt.“, gab ich gespielt beleidigt zurück und erinnerte mich an das Hauptthema zwischen einer anderen Gruppe von Stammgästen, die immer stolz von dem Zelt hinter ihrem Zelt erzählt hatten, wo Freunde von ihnen ein BDSM Zelt aufgebaut hatten – quasi für alle Vergnüglichkeiten.
Er schien sich seine Antwort zu überlegen und nickte schließlich.
„Ich spiele nicht einfach mit jedem. Die Thematik ist für mich wichtiger und deutlich sensibler. Wenn ich auf einem Festival bin, möchte ich Unterhaltung. Da spielt Sex in welcher Form auch immer, zunächst eine untergeordnete Rolle. Zudem waren die Jungs nicht von dem Schlag Mensch, mit dem ich mich umgebe. Es gibt Richtlinien, die für mich unumgänglich sind, die es immer sein sollten. Hackevoll zu sein und jemanden dann windelweich zu prügeln gehört nicht dazu. Ein anständiger Dom trinkt niemals mehr als ein Glas leichten Alkohol“, erklärte er.
„Und du bist ein anständiger Dom?“, rutschte es mir direkt heraus. Es war reine Intuition. Ich hatte ihn schon immer so provoziert und es genossen mit ihm in Wortgefechte zu duellieren.
Dieses Mal war jedoch unüberlegt gewesen. Zunächst war deutlich Verärgerung in seinem Gesicht zu lesen, ehe seine Züge weicher wurden und er sich vorbeugte, um die letzte Dattel von meinem Teller zu nehmen, zu der ich gerade gegriffen hatte. Genüsslich sah er sie an, steckte sie sich dann aber nicht zwischen die eigenen Lippen, wie ich es erwartet hatte, sondern hielt sie mir vor den Mund.
Damit hatte er gewonnen. Zum einen, weil ich die Dattel unbedingt haben wollte und sie daher in jedem Fall nehmen würde und zum anderen, weil er in gewisser Weise die Macht besaß. Er hatte gewonnen, wegen einer beschissenen Dattel. Zögernd sah ich hinab, versuchte sie ihm dennoch abzunehmen, aber er wich meiner Hand aus und hielt sie mir wieder vor die Lippen. Also öffnete ich den Mund. Immerhin war in der Dattel eine Füllung, die unglaublich gut schmeckte und mein Hunger war noch nicht wirklich gesättigt. Er lächelte gewinnend, war aber so fair die Dattel tatsächlich in meinen Mund zu schieben und sie sich nicht selbst zu nehmen. Während ich also rot wie eine Tomate auf meiner Dattel rum kaute, lehnte er sich wieder nach hinten und leckte sich den leicht öligen Daumen ab, die Augen auf mich gerichtet.
Ich hatte mich in meinem Leben selten so gedemütigt gefühlt. Gleichzeitig schien es in mir zu prickeln. Ich mochte dieses Spiel, mochte den Machtkampf, mochte das Gewinnen und vielleicht auch ein wenig das Verlieren; das Wissen, dass er stärker war als ich.
„Wenn ich keiner wäre, würdest du schon längst über meinen Knien liegen“, antwortete er schließlich und seufzte, fast schon genervt, als sein Handy klingelte. Er schaute auf das Display, drückte den Ton weg und richtete sich leicht auf. Während ich noch in der Vorstellung über seinen Knien lag, war er schon aufgestanden.
„Ein Freund fragt nach mir. Iss ruhig zu Ende und mach es dir gemütlich. Wenn du etwas brauchst, drückst du auf dem Telefon die 117. Das bringt dich zu Janina, die dir gern behilflich sein wird. Ich muss kurz weg, aber es sollte nicht zu lang dauern“, gab er ruhig von sich.
„Danach bring ich dich rüber in dein Gästezimmer. Du musst furchtbar müde sein“, damit verschwand er und ließ mich zurück. Immer noch hungrig, verwirrt und definitiv erregt in seinem Büro. Allein, während drei Damen mich von den Bildern mit gefesselten Brüsten anstarrten. Das hatte ich ja mal wieder super hinbekommen.