prólogo
Dass der Höhepunkt meiner Musikerkarriere mittlerweile über zwei Jahre zurück liegt, ist nur schwer nachzuvollziehen, wenn ich an die Paparazzi denke, die mich auch heute Nachmittag wieder auf Schritt und Tritt verfolgen. Das penetrante Blitzlichtgewitter würde bei gefährdeten Menschen einen epileptischen Anfall auslösen. Egal wohin ich sehe, überall erblicke ich helle, weiße Blitze. Glücklicherweise sind meine Augen durch eine Sonnenbrille geschützt.
„Vamos, princesa. Wir sind gleich beim Auto“, bitte ich meine Tochter etwas strenger. Die kurzen Beinchen meiner sechsjährigen Tochter können jedoch leider nicht schneller. Natürlich bin ich nicht von ihr, sondern von dieser verdammten Situation genervt. Lucía kann nichts dafür, dass wir kaum vorankommen.
„Tengo miedo, papá“, drückt sie ängstlich ihr Unwohlsein aus.
Ich nehme meine Tochter schnell auf den Arm, drücke sie beschützend an mich. „Schon gut, princesa, papá ist bei dir.“ Beruhigend streichle ich durch ihre schwarzen Locken. „Muss das ausgerechnet heute sein?“, frage ich genervt, als ich mich durch die Menschen dränge. „Kommt schon… Lasst mich durch. Wenn ich alleine bin, könnt ihr mich gerne stalken, aber ich habe meine Tochter dabei.“
„Ich will nach Hause, papá“, schmollt Lucía gegen meinen Hals. Ich drücke sie weiterhin an mich, dränge mich dabei wütend durch diese Versager, die nicht im Stande sind, sich einen richtigen Job zu suchen. Wie kann es sein, dass diese Wichser mit dem Belästigen fremder Menschen ihr Geld verdienen?! Wie kann so etwas legal sein?!
„Verpisst euch doch einfach…“
Als ich endlich bei meinem Wagen ankomme, wird mir wenigstens so viel Platz gemacht, dass ich meiner Tochter die Tür öffnen kann. Ich setze sie ab und bleibe schützend zwischen ihr und den Menschen mit ihren Kameras stehen. „Steig ein und schnall dich fest.“
Ich gehe sicher, dass Lucía meiner Anweisung folgt, ehe ich selbst einsteige. Die verdunkelten Scheiben dämpfen die immer wieder aufleuchtenden Blitze der Kameras, sodass zumindest meine Tochter nicht weiter belästigt wird.
Den Sicherheitsgurt anzulegen und den Motor zu starten ist das einzige, das ich noch hinbekomme. Ich bin sauer, ich habe die Schnauze voll davon, ständig bedrängt zu werden. Ans Losfahren ist wie so oft kaum zu denken, denn die Paparazzi stehen vor meinem Auto, um noch mehr Fotos von mir zu schießen. Mittlerweile müssten sie doch schon hunderte von Bildern geschossen haben. Irgendwann sollte es doch mal gut sein! SO spannend bin ich nun auch wieder nicht, vor allem nicht, seit ich sozusagen im Ruhestand bin.
Genervt drücke ich immer wieder auf die Hupe, doch es ist nicht möglich, die Paparazzi zu verscheuchen. Sie wittern einen weiteren Nervenzusammenbruch und ich spüre genau, dass ich immer näher an den Abgrund schlittere. Das darf nicht passieren…
Ich gebe die ersten Ziffern von Calums Telefonnummer ein, klicke auf den Kontakt und rufe an. Jemand klopft an mein Fenster, doch mein Blick bleibt auf das Lenkrad gerichtet, als ich mein Smartphone an mein Ohr lege. Ich muss meinem marido Bescheid geben, dass wir es wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig schaffen…
„Hey, Sweetie. Wo bist du?“
„Ich schaffe es nicht mehr… Lo siento, mi amor. Ich hab Lucía abgeholt, aber ich komme nicht vom Parkplatz weg. Diese Arschlöcher stehen. Vor. Meinem. Verdammten. Wagen!“ Immer wieder drücke ich auf die Hupe, in der Hoffnung, dass ich sie verscheuchen kann. Gestresst zeige ich meinen Mittelfinger, drücke dann noch einmal lange auf die Hupe. „Es könnte sein, dass ich heute das erste Mal jemanden überfahre… …und ich bin fast sicher, dass ich das nicht bereuen werde. Ich bin es leid, ständig so bedrängt zu werden, Calum.“
„Bleib bitte ruhig, Lucía kann dich hören“, erklingt Calum auf der anderen Seite der Leitung.
„Ich weiß, Baby. Ich bin nur so genervt, so verdammt genervt… Ich dachte, dass es besser wird, wenn ich die Band verlasse. Ich dachte, dass es hilft, mich zurück zu ziehen… Ich kann das Haus nicht mehr verlassen, ohne mich zu verstecken. Sie hören nicht auf, bis ich irgendwann wieder…“
„Atme tief durch, okay?“, bittet Calum mich ruhig. „Du steigerst dich schon wieder hinein. Lass dein Temperament abkühlen, sonst haben diese Idioten, was sie wollen.“ Meine bessere Hälfte hat vollkommen Recht, ich atme tief durch. Er spricht mir weiterhin gut zu: „Je mehr du dich aufregst, desto mehr Grund haben sie, dich zu fotografieren. Es verkauft sich gut, wenn Trevor einen weiteren Zusammenbruch hat, verstehst du?“
„Sí… Du-Du hast schon Recht, entschuldige. Wann fängt die Aufführung an?“
„In 20 Minuten…“
„Vielleicht schaffen wir es noch, aber ich kann nichts versprechen.“
„Es ist kein Drama, wenn du ein bisschen zu spät kommst. Cassidy hat nach dir gefragt, aber sie weiß, dass ihr papá sich ganz doll beeilt.“
Ich lächle ein wenig, doch dieses Lächeln vergeht mir bei einem weiteren Klopfen auf meine Fensterscheibe. „Ich versuche mein bestes, Baby.“
„Ich weiß. Bis dann. …und Trevor?“
„Hm?“
„Bleib ruhig. Bevor du etwas Dummes tust, denk daran, dass Lucía bei dir ist. Sie ist noch so klein… Pass bitte auf, was du tust.“
„Mach ich. Ich bin ruhig, versprochen. Es ist alles okay. Es war nur für den Moment so viel, weil ich Cassie nicht enttäuschen möchte.“
„Okay. Bis dann. Oh und fahr nicht zu schnell, nur weil du im Stress bist.“
„Es ist immer wieder süß, wie du dir Gedanken um mich machst. Bis dann, Calum.“
„Bis dann.“
Ich lege auf, werfe das Smartphone auf meine Umhängetasche auf dem Beifahrersitz. Nachdem ich ein weiteres Mal kurz durchgeatmet habe, drehe ich mich zu meiner Tochter nach hinten. „Geht’s dir gut?“, frage ich mit einem Lächeln nach.
„Papá, wieso machen die Menschen immer Fotos?“
„Du weißt doch, dass dein papá Musik macht. Viele Menschen mögen meine Musik und diese Idioten da draußen verdienen Geld mit Fotos von uns.“
Lucía lächelt ein wenig. „Du schimpfst wieder, papá. Du hast ‚Idioten‘ gesagt.“
Ich schmunzle. Natürlich macht mein kleines Mädchen mich darauf aufmerksam, dass ich meine Worte sorgfältiger wählen soll. „Du bekommst einen Keks, wenn du es nicht deinem Daddy verrätst“, versuche ich mein Kind zu bestechen. An ihrem fröhlichen Lächeln merke ich sofort, dass es funktioniert.
„Okay“, antwortet meine Tochter wieder lockerer. „Bekomm ich den Keks jetzt?“
„Sí.“ Ich öffne meine Umhängetasche, suche die kleine Box mit den selbstgebackenen Keksen, die sich irgendwo zwischen meiner Wasserflasche, einem Apfel und meinem Zubehör zum Zigarettendrehen befindet. Ich nehme einen Keks heraus, außerdem reiche ich Lucía noch ein Taschentuch, damit sie sich nach dem Essen gleich die Finger abwischen kann. Normalerweise sind Kekse im Sportwagen tabu, aber Ausnahmen bestätigen die Regel.
„Lass ihn dir schmecken, mi mariposa.“
„Gracias, papá.“
Ich drehe mich wieder nach vorne, öffne dann ein Stückchen meines Fensters. „Hey ihr arbeitslosen Loser. Lasst mich durch, ich will niemanden von euch überfahren. Auch wenn ich so aussehe, als hätte ich kein Leben, muss ich zu einem verdammt wichtigen Termin.“ Ich löse die Bremse, der Wagen rollt einige Zentimeter vorwärts. Tatsächlich treten die ersten Fotografen zur Seite. „Gracias, sehr freundlich.“ Kaum drücke ich ein wenig aufs Gas, fliehen auch schon die nächsten Paparazzi. Langsam fahre ich noch wenige Meter den Parkplatz entlang, gehe dabei sicher, dass ich niemanden von diesen Idioten erwische, da ich mir keine Klage einhandeln möchte.
„Verpassen wir Cassies Auftritt, papá?“
„No, princesa. Wir kommen vielleicht ein bisschen zu spät, aber wir werden sie auf jeden Fall sehen.“
Das hoffe ich zumindest…
Egal wie viele PS unter der Haube unseres Autos schlummern, in der Stadt werden wir durch den frühen Feierabendverkehr und die unzähligen roten Ampeln eingebremst. …außerdem hat Calum mich wie immer darum gebeten, vorsichtig zu fahren. Falls ich einen Unfall baue und den überlebe, bringt er mich um.
…
Mit Lucía an der Hand gehe ich eilig über den Parkplatz der Privatschule. Unsere kleine Cassidy hat heute endlich ihren Auftritt. In den letzten Wochen hat Calum sie immer wieder zu den Proben gefahren. Natürlich habe auch ich meinen Beitrag geleistet. Ich musste mit meiner kleinen Prinzessin immer wieder den Text durchgehen. Mittlerweile kann ich das gesamte Stück im Alleingang spielen. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass mir Cassies Kostüm nicht stehen würde. Prinzessin zu sein stand mir nie besonders gut. Mein Liebster würde sich in der Rolle vermutlich wohler fühlen als ich.
„Da seid ihr ja“, begrüßt Calum uns leise, als ich mich neben ihn setze.
„Lo siento“, entschuldige ich mich ein weiteres Mal. Ich hebe Lucía auf meinen Schoß, da kein Platz für sie frei ist. „Wie viel hab ich verpasst?“
„Gar nichts. Die Anmoderation hat ein kleines bisschen länger gedauert“, flüstert er. „Es geht gleich los.“
„Perfecto.“
Calum streichelt Lucías Wange. „Hey, mein kleiner Schmetterling. Geht’s dir gut?“ Unsere Tochter nickt, ehe sie sich an mich schmiegt, um ein bisschen mit mir zu kuscheln. Ich greife nach Calums Hand, er erwidert den Druck ein wenig, außerdem bekomme ich einen Kuss auf die Wange. „Ich bin froh, dass du es geschafft hast.“
„Ich erst… um nichts in der Welt wollte ich das verpassen.“
Als der Vorhang aufgeht, fällt der angestaute Stress von mir ab. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich den großen Tag meiner Tochter verpasst hätte…
…
Am nächsten Morgen finde ich mein Gesicht in einer Klatschzeitung. Ich wollte es mir eigentlich abgewöhnen beim Frühstück auf meinem Tablet zu surfen, doch das ist nicht so einfach. Vor allem wenn man weiß, dass sich jemand das Maul über einen zerreißt. Genervt und vielleicht ein bisschen aggressiv spieße ich aufgeschnittene Tomaten auf meine Gabel auf.
„Alles okay, Sweetie?“, fragt Calum besorgt nach.
Ich schüttle den Kopf. „Ein weiterer Zusammenbruch? Wird Trevor Sanchez der Druck zu viel?“, lese ich vor, rolle dann mit den Augen.
Calum schmunzelt etwas. „Zeig her.“ Genervt reiche ich ihm das Tablet.
„Wer drückt dich denn, papá?“, fragt Cassidy neugierig.
„Niemand, iss dein Gemüse.“
„Ich mag mein Gemüse aber nicht“, widerspricht unsere Tochter schmollend. In diesem Alter hätten meine Eltern hätten mich ohne Essen auf mein Zimmer geschickt, wenn ich jemals gesagt hätte, dass ich etwas nicht essen möchte. Cassie hat Glück, dass ich streng, aber ein wenig nachsichtiger bin als meine Eltern es damals waren.
„Wir tauschen“, erklärt Lucía sich schnell bereit zu helfen. Sie schiebt ihre halbe Portion Haferflocken zu ihrer Schwester, nimmt ihr dann den Teller mit aufgeschnittenem Gemüse ab. Wie immer hat Cassidy den süßen Teil ihres Frühstücks gegessen. Das Gemüse lässt sie jedoch wie jeden Morgen beinahe unberührt stehen. Mehr als eine halbe Tomate lässt sie sich leider nicht einreden. Meine Nachsicht hilft mir, Drama am Esstisch zu vermeiden.
Calum hält das Tablet in meine Richtung. Mit seiner freien Hand zeigt er auf das vergrößerte Foto, das mich in unserem Wagen zeigt. „Dein Ernst?“
„Sí“, antworte ich grinsend, als ich den Schnappschuss betrachte. Ich muss sagen, dass ich verdammt gut aussehe. Mein gestriges Outfit steht mir wunderbar, noch wunderbarer ist dagegen mein Mittelfinger, den ich vom Fahrersitz aus in die Kamera halte. „Sie mussten wieder Security vor die Tanzschule stellen. Diese Ar- … Menschen waren überall.“
„Papá wollte Arsch sagen“, erklingt Cassidy belustigt.
„Das ist überhaupt nicht wahr“, verteidige ich mich grinsend. Ich wollte Arschlöcher sagen, aber meine Prinzessin war nah dran.
Ich höre auf der Stelle auf zu grinsen, als mein marido mich mit bösen Augen anfunkelt. Er wendet sich zu unserer Tochter. „Cassie, das ist ein böses Wort. Wir haben über Schimpfwörter gesprochen. Wenn man sie sagt, kann man andere Menschen traurig machen und das wollen wir nicht, richtig?“, erklärt Calum streng.
Unsere Töchter stimmen ohne weitere Widerworte zu.
„Schimpfworte böse“, meint Lucía leise, ehe sie sich wieder Cassies übergelassenem Gemüse widmet.
Ich sollte den beiden ein besseres Vorbild in puncto Sprache sein, aber es ist schwer, sich immer zurück zu halten, vor allem wenn man zum Großteil aus aufbrausendem Temperament besteht. Aber ich habe mich nach zwei Buchstaben zusammen gerissen, der Versuch sollte zählen, Calum sollte mir das nicht so übel nehmen.
Ich beuge mich zu meiner Tochter, fahre mit meinen Fingern durch Lucías schwarze Lockenmähne, um ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr zu streichen. Die dichte Haarpracht ist schwer zu bändigen, sodass es öfter vorkommt, dass ihre Locken in ihren Teller und somit in ihr Essen hängen. Ich werde Lucías Haare später auf jeden Fall zu einem Zopf flechten. Ich würde es ja gleich machen, aber ich müsste aufstehen, um ein Gummiband zu holen, aber dazu bin ich zugegebenermaßen zu faul.
Mein marido steht auf, er nimmt seine Tasse zur Hand. „Willst du auch noch Kaffee, Sweetie?“, fragt er mich freundlich.
„Sí, gracias, mi amor.“
Calum beugt sich zu mir, um sich einen Kuss abzuholen, ehe er auch meine Tasse mitnimmt. „Wollt ihr noch etwas haben?“, erkundigt sich Calum auch nach den Bedürfnissen der Mädchen. Er betätigt bereits den Knopf, der die Kaffeemaschine einschaltet.
„No gracias, Daddy“, antwortet Lucía ihm, auch Cassidy schüttelt den Kopf, um zu zeigen, dass sie genug hat.
Ich beobachte meinen hübschen marido dabei, wie er Kaffee macht. Um ehrlich zu sein gilt mein Blick eher seinem knackigen Hintern, als seinen Bewegungen. Selbst nach neun Jahren Beziehung kann ich immer noch nicht genug von Calum bekommen, selbst wenn er diese pinke Schürze trägt. Nicht einmal der große Flamingo auf seinem Brustkorb macht meinen Liebsten unattraktiv. Noch nie hat mir ein Mensch so viel bedeutet wie er.
„Papá ich bin fertig, darf ich aufstehen?“, fragt Cassidy mich mit ihrem bezauberndsten Lächeln.
Ich nicke. Nicht nur Cassidy, sondern auch Lucía ist mit ihrem Frühstück fertig. Sie trinkt gerade ihren Kakao aus, als Cassidy dabei ist, von ihrem Stuhl zu hüpfen.
„Dürfen wir spielen mit den Kaninchen?“, fragt Lucía zuckersüß. Sie liebt diese flauschigen, kleinen Dinger. Am liebsten würde sie ihr Kaninchen mit ins Bett nehmen, um die ganze Nacht damit zu kuscheln. Das ist ein Grund mehr, wieso ich diese Viecher nicht im Haus haben möchte und sie nach draußen in einen kleinen Stall verbannt habe.
„Wascht euch vorher die Hände“, bittet Calum. „Und wenn ihr fertig seid auch. Und vergesst nicht, vorsichtig mit den Kaninchen umzugehen. Wenn ihr zu grob seid, könnt ihr ihnen wehtun.“
„Wir sind immer vorsichtig, Daddy“, erklärt Cassidy frech. Die beiden Mädchen eilen zur Terrasse, wo sie in ihre Schuhe schlüpfen. Cassidy öffnet die Tür, Lucía läuft sofort nach draußen.
Ich sehe meinen Töchtern kurz nach, doch dann verschwinden sie die Treppe runter und somit aus meinem Sichtfeld.
Mein marido setzt sich wieder neben mich. Er schiebt mir meine Tasse hin, sofort steigt mir der aromatische Geruch des Kaffees in die Nase. Ich süße meinen Kaffee mit zwei Löffeln Zucker, rühre dann um.
„Baby… Ich… hab letzte Nacht viel nachgedacht“, erkläre ich, wobei ich meine Tasse ansehe. Ich ziehe den Löffel aus der dunklen Flüssigkeit, stecke ihn den in den Mund, um den Kaffee abzulecken.
„Worüber?“, fragt Calum nach. Er hebt skeptisch eine seiner Brauen.
Den Löffel lege ich auf meinen Teller. „Gestern Abend war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich halte diesen ständigen Mediendruck nicht mehr aus. Ich hab’s satt so zu leben, ich brauche eine Pause.“
Calum atmet durch, ich kann ihm deutlich ansehen, wie sehr ihn diese Aussage stresst, eine seiner Hände ballt sich zu einer Faust. „Okay. Pause wie in ‚Du schließt dich vier Nächte mit einer Menge Drogen und ein paar Groupies in einem Hotelzimmer ein?‘ Oder Pause wie in ‚Du verschwindest drei Wochen und die Polizei zerrt dich aus einer Bar, weil du zugedröht eine Schlägerei anfängst?‘ oder… Was ja mein liebstes Szenario war: ‚Du verschwindest verdammte zwei Monate auf die Fern Islands und meldest dich weder bei mir, noch bei deinen Freunden oder sonst jemandem?‘ Worauf kann ich mich dieses Mal einstellen? Sag’s mir gleich, damit ich gar nicht erst anfange, dich zu suchen. Ich habe wirklich keine Lust mehr, ein weiteres Mal wegen dir heulend im Bett zu liegen, weil ich nicht weiß, ob du dir nicht doch irgendwo eine Überdosis reingezogen hast…“
„Ich…“
Calum hat vollkommen Recht damit, dass er sich aufregt. Ich habe ihm in den letzten Jahren viel zugemutet. Wir beide sind nun seit neun Jahren zusammen und seit sechs Jahren verheiratet.
Unsere Beziehung war nicht immer leicht und ich stehe dazu, dass ich der Grund dafür war. Ich stehe zu meinen dummen Fehlern. Alles, was Calum mir gerade vorhält, ist wahr, seine Wut ist nicht unbegründet, sie ist nachvollziehbar.
Ich gebe es zu, ich habe in der Vergangenheit unzählige Male über die Stränge geschlagen und ja, ich bin einige Male verschwunden, ohne etwas zu sagen und ohne ein Lebenszeichen von mir zu geben.
Es war dumm, das zu tun, manchmal weiß ich selbst nicht, wieso ich mich so extrem aufführe… …ich bin wohl in allem, was ich tue extrem, egal in welcher Lebenslage.
Ich habe viele dumme Dinge getan, doch besonders meine letzte große Aktion liegt Calum auch nach all den Jahren immer noch im Magen. Es ist wahr, ich war zwei Monate wie vom Erdboden verschluckt. Im Internet entstand schnell das Gerücht, dass ich eine Überdosis hatte und gestorben bin, doch das bin ich nicht. In Wirklichkeit hatte ich einen Nervenzusammenbruch und brauchte eine verdammte Pause. Ich musste verschwinden, sonst hätte ich es dieses Mal vielleicht doch geschafft, mir durch Drogen das Leben zu nehmen.
Calum und ich waren zu dem Zeitpunkt erst wenige Monate verheiratet. Das Interesse der Medien war allgegenwertig. Jeder wollte ein Stückchen aus unserem Privatleben abhaben. Ich habe mir das Leben als Promipaar einfacher und vor allem lustiger vorgestellt.
Mein marido ist ein erfolgreiches Model. Er modelt nach wie vor für viele große Designer, auch wenn er mittlerweile glücklicherweise weniger Aufträge annimmt, um bei der Familie zu sein.
Auch wenn ich meine Band Highway 89 verlassen habe, bin ich nach wie vor Musiker. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen veröffentliche ich den einen oder anderen Song, allerdings gebe ich keine großen Konzerte mehr, da auch ich Zeit mit meiner Familie verbringen möchte. Außerdem will ich die einsamen Stunden in Hotelzimmern in der Vergangenheit lassen. Ich kann das einfach nicht mehr.
Jedenfalls… zurück zu meinem dümmsten Fehler, dem Fehler, der Calum fast dazu gebracht hätte, mich zu verlassen.
Kurz nachdem wir geheiratet haben, hat das zweite Album meiner Band gerade die Spitze der Charts erreicht, nicht lange darauf wurden wir schon mit Platin ausgezeichnet. Wir standen in Mitten der Medienaufmerksamkeit, man konnte nicht das Radio einschalten, ohne auf einen unserer Songs zu stoßen.
Ich kann mich nur schwer erinnern, was der genaue Auslöser für meinen Nervenzusammenbruch war, aber ich vermute, dass mir der Druck zu groß wurde und ich einfach zu viel gesoffen und ich zu viele Drogen konsumiert habe. Ich hatte am Ende unserer Tour einen Zusammenbruch und musste raus. Anstatt zu Calum zurück zu fliegen, habe ich mir ein Ticket auf die Fern Islands besorgt und bin abgehauen, ohne mit jemandem über meine Entscheidung oder meine Probleme zu sprechen. Ich brauchte Abstand zu meinem Leben, ich brauchte Abstand zu den chemischen Drogen und zu den falschen Promi-Freunden, die mir nicht gut getan haben und die mich immer weiter in die falsche Richtung geleitet haben.
Die zwei Monate Funkstille zu meinem Leben haben mir geholfen, wieder auf den Boden zu kommen. Ich habe in dieser Zeit dem Alkohol abgeschworen, jedoch viel gekifft, um meinen Kopf ruhig zu halten. An viel erinnere ich mich nicht, um ehrlich zu sein, aber ich weiß, dass ich diese Stille gebraucht habe, um wieder fester im Leben stehen zu können. Ich erinnere mich zumindest daran, dass ich beinahe täglich den Sonnenuntergang am Strand betrachtet habe. Ich bin geblieben bis die Sonne verschwunden, der Himmel dunkel und der Wind kalt war. Ob Isolation und Drogen eine gute Lösung sind, um mit seinen Problemen fertig zu werden, kann ich nicht sagen, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit mit meinem Stress umzugehen. Die Funkstille zur Außenwelt hat mir jedoch gezeigt, wie wichtig es ist, sich einfach mal hinzusetzen und nichts zu tun. Es kann befreien…
Als ich nach meiner Pause zurückgekommen bin, war Calum bereit, die Scheidung einzureichen. Er hat sich gefreut, dass es mir gut geht, aber er war so wütend auf mich, dass er mich sofort rausschmeißen und die Scheidung einreichen wollte. Ich konnte ihn nur davon abbringen, indem ich ihm versprochen habe, in eine Klinik zu gehen und einen betreuten Entzug zu machen, außerdem habe ich mir psychologische Hilfe gesucht, wir haben sogar eine verdammte Paartherapie hinter uns, weil ich Calum um nichts in der Welt verlieren wollte. Ich habe vor einem fremden Menschen geweint, ich habe einem fremden Menschen all die Erlebnisse erzählt, die meinen Kopf ins Chaos gestürzt haben… …und das alles für Calum.
Es hat sehr lange gedauert, bis ich wieder bei meinem marido im Bett schlafen durfte. Er hat mir mein Verhalten sehr übel genommen, aber ich verstehe seine Entscheidungen. Ich war dumm und ich hatte es verdient, dass Calum mir nicht einfach so verziehen hat. Es war für uns beide wichtig, dass ich mich für unsere Beziehung einsetze und hart an mir und an uns arbeite.
Ich weiß, dass Calum mir nach wie vor manchmal misstraut. Ich habe schon öfter mitbekommen, dass er meine Sachen durchsucht, um sicher zu gehen, dass ich keine Drogen bei mir habe. Er weiß nicht, dass ich es weiß und ich habe nicht das Bedürfnis, ihm sein Misstrauen vorzuhalten. Ich habe ihn dazu gebracht, sich so zu verändern. Und vielleicht ist es gut für uns. Er ist erleichtert, wenn er nichts findet und ich weiß, dass Calum sich Sorgen um mich macht und auf seine Art auf mich aufpassen möchte, ohne mich zu sehr zu bedrängen oder zu bevormunden.
Calum hat in den letzten Jahren aus Liebe zu mir viel toleriert und noch mehr ertragen. Und ich habe mich aus Liebe zu ihm geändert, gebessert. Egal, was in Zukunft passieren mag, wir beide wissen, dass wir einander lieben und wir werden einander niemals aufgeben, denn das Schlimmste liegt bereits lange hinter uns.
„Sweetie?“, fragt Calum leise. Er streicht über meinen Arm. „Du sagst gar nichts mehr… Was ist los? Sprich mit mir…“ Mein marido macht sich auch jetzt Sorgen um mich, auch wenn er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. „Irgendwas stimmt doch nicht.“
„Ich brauche eine Pause von diesem Leben, Calum… Ich bin müde und ich will das alles nicht mehr…“
„Was hast du vor? Lässt du mich mit den Kindern sitzen?“, fragt Calum deprimiert. „Willst du deine Sachen packen und verschwinden? Du willst wieder auf die Fern Islands flüchten, richtig? Ich hab gesehen, dass du deinen Pass und einige Dokumente zusammen gesucht hast. Ich bin nicht dumm, Trevor…“
„No, Calum, hör mir zu. Es geht nicht nur um mich, sondern auch um Lucía und Cassie…“
„Was meinst du?“, fragt mein marido verwirrt. „Du willst doch nicht mit den Kindern abhauen… …und mich alleine sitzen lassen?“
„Ay, no, no. Du verstehst mich ganz falsch. Lo siento, ich muss mich klarer ausdrücken, aber mein Kopf ist aktuell so… voll.“ Ich atme tief durch. „Ich will dir nicht die Kinder wegnehmen oder mich alleine auf den Fern Islands absetzen. Ich will meine Gefühle auch nicht wieder mit Drogen oder Alkohol ersticken. Mach dir darüber keinen Kopf, das ist ein für alle Mal vorbei.“ Liebevoll nehme ich Calums Hand in meine. „Ich will meine Familie in Sicherheit bringen. Ich will dich und die Kinder mitnehmen. Ich will, dass wir unsere Ruhe haben. Erinnerst du dich an die Farm in Pelican Town? Sie steht wieder zum Verkauf.“ Calum nickt, er macht allerdings trotzdem den Eindruck, als würde er mehr Informationen von mir hören wollen. „Cassie und Lucía haben es verdient, in einem gefestigten Umfeld aufzuwachsen und ich habe Angst, dass ich ihnen dieses Umfeld nicht mehr bieten kann. Nicht solange wir hier sind. Lucía hat mir gestern gesagt, dass sie Angst hat, als wir uns durch die Paparazzi gekämpft haben. Ich bin so verdammt müde, Calum und ich denke, dass diese winzige Stadt ein weiteres Mal mein Leben retten könnte.“
Mein marido legt seine Hand an meinen Handrücken, ich werde sanft von ihm gestreichelt. „Danke, dass du mit mir gesprochen hast. Ich dachte schon, dass du…“ Calum seufzt. „Ich dachte, dass du verschwindest und uns alleine lässt. Ich wüsste nicht, wie ich das den Kindern erklären sollte…“
„Ich habe viele Fehler gemacht, aber das wäre mit Abstand der dümmste Fehler, den ich je machen würde.“
Calum nickt enthusiastisch. „Oh ja, das stimmt und dabei gibt es so viel Konkurrenz für den dümmsten Fehler, den du je gemacht hast“, zieht er mich auf. Er will mich ein bisschen ärgern, er sagt das, um mich wieder auf andere Gedanken zu bringen und es funktioniert.
Ich beuge mich zu meinem marido, wir geben einander einen sanften Kuss. „Also? Was sagst du? Zurück zu den Wurzeln?“
„Nur wenn du mir versprichst, dass ich nichts umgraben muss“, antwortet Calum grinsend.
„Ich werde mich um alles kümmern und du kannst deinen sexy Körper in der Sonne brutzeln lassen“, versichere ich ihm.
„Das klingt verführerisch.“
„Ich zeig dir gleich etwas Verführerisches“, gehe ich grinsend darauf ein, ehe ich Calum in einen intensiven Kuss verwickle.
Niemals hätte ich geglaubt, dass ich das sage, aber ich kann es kaum erwarten, ein ruhiges, stressfreies Leben auf dem Land zu führen.
Ay, ich klinge als wäre ich in meinen späten Sechzigern…
Das muss ich mir gleich wieder abgewöhnen.