capítulo 42
mi vida
Die letzten Tage des Sommers liegen nun vor mir. Wie jeden Sommer steht Ende der Woche ein kleines ‚Festival‘ an, an dem auch wir teilnehmen werden. Die leuchtenden Quallen ziehen am Strand von Pelican Town vorbei. Sie machen sich auf den Weg Richtung Süden. Abends kommen sie sogar bis zum Ufer, sodass man einen guten Blick auf sie hat.
Erst hatte ich Zweifel, ob wir die Mädchen zu so später Stunde noch mit zum Strand nehmen sollten, doch dann sind diese Zweifel schnell verflogen. Dieses beinahe magische Naturschauspiel sollten sie nicht verpassen. Wer weiß, ob wir im nächsten Jahr dazu kommen, uns die Quallen anzusehen, immerhin haben wir viele Pläne, die nach und nach verwirklicht werden.
Die Zukunft nimmt immer mehr Gestalt an und ich kann es kaum erwarten, endlich wieder durchzustarten. Jayson und ich werden uns in drei Wochen zusammensetzen und einige Texte und Ideen durchgehen. Die Themen, die wir auf unserem Comeback-Album behandeln wollen, sind mittlerweile breit gefächert und wir sehen zu, dass wir sie eingrenzen und uns auf ein stimmiges Konzept einigen können.
Jayson knabbert noch ein wenig an seiner Scheidung, auch wenn Jenny und er sich einvernehmlich getrennt haben. Ich bin ziemlich sicher, dass er darüber geschrieben hat. Für Max ist es wichtig, dass er die Freuden des Vater-seins mit einem Song verbreiten darf. Er und Sebby haben schon den einen oder anderen Song geschrieben, den wir auf dem Album verwenden könnten. Ich für meinen Teil würde mich gerne eingehender mit dem Thema Beziehungen im Allgemeinen beschäftigen. Die Gedichte von William haben mich auf die Idee gebracht, auch eine romantische Richtung einzuschlagen. Selbst wenn es für Außenstehende etwas irritierend sein könnte, dass ich Inspiration aus Wills Gedichten schöpfe, ist Richie eine ausgesprochen gute Muse. Sein spontaner Kuss war zwar ebenfalls eher als Scherz gedacht, doch all das hat tatsächlich geholfen. Natürlich werde ich in meinen Songs nicht meine Liebe für Richie breit treten, sondern meine eigenen Erfahrungen mit Hilfe eines Songs verarbeiten.
Geschehnisse, die ich aufarbeiten sollte, gibt es ja genug. Selbst mein Alkoholkonsum, meine Albträume und mein Entzug bieten eigentlich schon genug Stoff, um Geschichten zu erzählen. Nicht nur Liebe und Beziehungen gehen mir durch den Kopf, auch Verlust ist ein Thema, das ich gerne in einem Song behandeln würde. Selbst einem Song über William bin ich sehr zugetan. Seine Gedanken werden mir durch seine Gedichte und Kurzgeschichten immer vertrauter. Wills Lyrik ist eine inspirierende Starthilfe, die mir den perfekten Anstoß verpasst, selbst wieder die Feder zu schwingen. Es wäre eine schöne Geste, wenn ich ihm durch einen Song den letzten Respekt zollen und mich erkenntlich zeigen würde. Das ist das mindeste, was ich tun kann, um mich bei ihm zu bedanken. Ohne ihm würde ich immer noch festhängen…
Abgesehen von meiner Musikerkarriere beschäftigen mich natürlich noch viele andere Dinge. Dans Rückmeldung zu unseren zukünftigen Angestellten sieht bis jetzt noch etwas dürftig aus, aber ich bin sicher, dass wir noch jemanden finden werden, der zu unserer Familie passt.
Die Pläne für die nächsten Monate nehmen langsam aber sicher Gestalt an. Die Mädchen kommen in den nächsten Tagen in eine neue Schule und ich freue mich, etwas Zeit mit Calum alleine verbringen zu können, bevor wir uns wieder in unsere Arbeit stürzen. Es gibt noch so vieles, was zwischen uns nicht ganz funktioniert. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Vielleicht ist es Romantik, die uns beiden immer mehr abhandengekommen ist, doch vielleicht reicht es auch schon, wenn wir unsere Freizeit miteinander verbringen. Die Unterbrechungen, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden, sobald wir intim werden wollen, sind ebenso nicht unschuldig an der teilweise seltsamen Stimmung zwischen Calum und mir. Wir sind nicht ausgelastet, ich bin nicht der einige in dieser Beziehung der viel mehr Zeit im Bett verbringen möchte.
Selbst der Alltag, so langweilig er auch manchmal sein mag, kann eine Beziehung, die ohnehin immer schon etwas instabil war, noch mehr zum Wackeln bringen. Ohne Kinder war es auf jeden Fall einfacher, eine zumindest halbwegs funktionierende Ehe zu führen. Es ist nicht so, dass ich mir wünsche, keine Kinder zu haben, aber ich bin sicher, dass meine Beziehung zu Calum einfacher wäre, wenn wir nicht so viele Reibungspunkte beim Thema Kindererziehung hätten. Im Idealfall zieht man an einem Strang, doch das kommt bei uns immer seltener vor. Calum gibt zu leicht nach, während ich wahrscheinlich in einigen Punkten viel zu streng und unnachgiebig bin.
Was Richie angeht…
Unser Kleiner wird auf Dauer bei uns einziehen, so viel steht jedenfalls fest. Er möchte sich trotz allem immer noch nicht von seinem alten Apartment trennen. Es wird vermutlich noch dauern, bis er mit Will abschließen kann. Seine Schwärmerei für Adam konnte ihn leider noch nicht von seinem Verlust ablenken. Richie braucht noch etwas Zeit, um sich selbst zu finden, bevor er jemanden an sich heranlassen kann. Ich bin sicher, dass er seinen Weg finden wird, trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich doch nur dafür sorgen könnte, dass Richie glücklich wird. Er hat ein besseres Leben verdient…
„Hey, Sweetie, worüber grübelst du so eifrig nach?“
„Ach… so dies und das…“, antworte ich meinem marido.
Unter meinem Sitz sind ein Schnaufen und dann ein Schnarchen zu hören. Selbst an so einem verregneten Tag lässt Domingo mich nicht alleine. Er will immer in meiner Nähe sein. Immer wieder kommt mir die Frage in den Sinn, wieso er sich ausgerechnet mich ausgesucht hat, doch die Antwort bleibt aus.
Dass die Zigarette in meiner Hand ausgegangen ist, merke ich erst, als ich versuche, einen Zug zu machen. Erloschene Zigaretten schmecken scheiße. Mit einem metallischen Klicken öffne ich das Feuerzeug und entzünde meine Zigarette wieder. Ich inhaliere den Rauch und atme ihn durch die Nase wieder aus.
Calum stellt mir eine Tasse Tee auf den Tisch und legt mir eine Decke um die Schultern.
„Du frierst.“
„Wundert es dich bei diesem Wetter?“, frage ich, dabei sehe ich über unser Grundstück. Zu meinem Bedauern wird der Regen nicht weniger. Die kalten Jahreszeiten kommen Schritt für Schritt näher.
„Nein, aber es wundert mich, dass du es anscheinend gar nicht richtig mitbekommst. Was geht dir wirklich durch den Kopf? Heiße Männer? Sexy Frauen?“
„Eigentlich habe ich über die Zukunft und mein Leben nachgedacht“, antworte ich ihm.
„Da gibt’s vieles, worüber man grübeln könnte…“ Calum kuschelt sich an seinem üblichen Platz in eine Decke und sieht mich an. „Deine Karriere beschert mir beispielsweise ein paar Bedenken.“
„Wieso?“
„Naja… Du beginnst deine Tour immer clean und dann beginnt es schleichend… Du trinkst vor jedem Konzert, du trinkst nach jedem Konzert… Du feierst deine Show… Dann die Drogen, damit du die ganze Nacht durchhalten kannst. Dann-“
„Baby, bitte“, unterbreche ich ihn mit einem Seufzen. „Deine Zweifel sind nicht neu und Max ist das alles schon mit mir durchgegangen. Es wird keine Partys mehr geben. Max und Jayson haben keine Lust auf Partys und ich bin ehrlich gesagt auch eher daran interessiert nach den Konzerten zu meiner Familie ins Hotel zu fahren. Die offene Beziehung auf Zeit erübrigt sich auch, wenn wir beide zusammen sind, also wozu sollte ich in einen Club gehen? Zum Tanzen? Alleine? Das wäre langweilig, immerhin trinke ich ja auch nicht mehr so viel wie damals. Früher hat Max mich meistens begleitet, aber der wird auch schon alt, der hat kein Interesse mehr daran, die Sau rauszulassen… Alles, was er nach einem gelungenen Konzert machen will ist, sich in die Wanne zu legen, mit seinem Mann zu sprechen und Neuigkeiten über seine Zwillinge zu hören. Und Jayson schont nach den Auftritten ohnehin seine Stimme und zieht sich nach einem Drink an der Hotelbar in sein Zimmer zurück.“
„Dein Wort in Yobas Ohren“, antwortet Calum, wonach er einen tiefen Seufzer loslässt. „Bitte, bitte, bitte halt dich an deine Vorsätze, Trevor. Ich habe wahnsinnige Angst, dass du wieder abrutschst.“
„Ich verspreche dir, dass ich mich benehme. Ich komme nach jedem Konzert brav ins Hotel zu dir und den Kindern.“
„Das hoffe ich… Du hast mir schon so vieles versprochen. Unsere gesamte Ehe besteht aus Versprechen, die immer wieder gebrochen und erneut ausgesprochen werden. Das ist echt scheiße und ich will nicht, dass es so weiter geht. Wir bauen uns hier etwas Besonders auf.“ Ich nicke. „Die Villa soll all unsere Ansprüche unter ein Dach bringen. Ich will meinen Flügel wiederhaben. Du bekommst dein eigenes kleines Studio und ich fände es auch ganz praktisch, wenn die Mädchen für die Zukunft gleich ein ganzes Stockwerk für sich beanspruchen könnten. So wollen sie nicht ausziehen, sondern bleiben erstmal in unserer Nähe, wenn sie erwachsen werden.“
Ich schmunzle ein wenig. „Na diese Pläne gehen gar weit in die Zukunft, denkst du nicht auch?“, frage ich grinsend nach.
„Ja, das schon, aber wenn man mal baut, dann sollte man versuchen, alles zu bedenken. Wäre doch scheiße, wenn wir jetzt bauen und dann in ein paar Jahren wieder umbauen, weil wir es uns anders überlegen. Ich will da vorausdenken. Klar bleiben Renovierungen und ab und an ein neuer Anstrich oder neue Einrichtung nicht aus, aber ich will in den nächsten Jahren keine Wände einreißen müssen… Ich habe keine Lust auf Staub und Schmutz und ich bin mir ziemlich sicher, dass du ungenießbar bist, wenn Handwerker mit schmutzigen Schuhen durch das Haus laufen.“
„Stimmt auch wieder… Aber eigentlich könnten die Mädchen dann das Haus hier haben, sobald sie alt genug sind…“
Mein marido wirkt mehr als überrascht. „Du willst ihnen ein Haus für sich alleine geben?“, fragt Calum nach. Nun grinst er etwas. „Dann kannst du aber gar nicht kontrollieren, ob sie Männerbesuch bekommen oder nachts brav alleine in ihren Betten liegen.“
Meine Augen weiten sich. „Oh, denk gar nicht erst daran, dass sie jemals Männerbesuch haben könnten. Wenn ich daran denke, dass irgendein Kerl meine Mädchen anfasst, dann wird mir ganz übel.“
„Oh, ich seh es schon kommen“, lacht Calum belustigt. „Die Mädchen stellen uns ihre Freunde vor und du sitzt wie einer dieser Mafiabosse aus einem miesen Film auf der Couch mit einem Glas Tequila in der Hand und einer Waffe auf dem Tisch. Und dann drohst ihnen, dass du ihnen in den Kopf schießen wirst oder die Mitglieder deiner Latino-Gang ihnen die Kniescheiben zertrümmern, sollten sie sich unseren Mädchen auch nur auf einen Meter nähern. Die armen Jungs werden vor Angst gar kein Wort rausbekommen, während du sie einfach nur noch anstarrst wie ein Verrückter. Am besten du legst noch etwas Eyeliner auf, damit wirken deine Augen noch ein bisschen fieser.“
„Tz… Mach dich ruhig über mich lustig, aber das ist ganz und gar nicht witzig. Ich will nicht, dass jemand meine Töchter anfasst. Was ist, wenn sie schon mit 13 Sex haben und mit 14 dann heulend zu uns kommen, weil sie schwanger sind? Das will ich mir gar nicht erst ausmalen…“
Calum zuckt mit den Schultern. „Warst du nicht selbst derjenige, der sein erstes Mal mit 13 hatte?“
„Das tut gar nichts zur Sache, weil-“
„Oh doch. Du bist so ein Heuchler“, unterbricht Calum mich eilig.
„No, das war etwas ganz Anderes“, antworte ich beleidigt.
„Wieso? Weil Enrique ein Kerl ist und du ihn nicht schwängern konntest?“, fragt Calum belustigt. Trotz des ernsten Themas lacht er mich eindeutig aus.
„Ähm… no… aber sí, das ist ein Punkt, den man nicht vernachlässigen sollte.“
„Also wäre es okay, wenn sie mit Frauen in Beziehungen wären?“, hakt Calum nach. „Da kann ja immerhin niemand schwanger werden.“
„Damit könnte ich mich eher anfreunden, um ehrlich zu sein. Das ist weniger gefährlich. Recht wäre es mir trotzdem nicht unbedingt. Vielleicht irgendwann wenn sie… 30 sind oder so…“
„Du bist ein intoleranter Idiot. Grade jemand wie du sollte bei Sex offener sein. Übrigens, bei deinem Verschleiß an Sexualpartnern kann es durchaus sein, dass irgendwo auf diesem Planeten viele kleine Mini-Trevors herumlaufen. Einige von denen könnten sogar schon Volljährig sein… So viel zu ungewollten Schwangerschaften.“
„Dann stirbt die Intelligenz wenigstens nicht ganz aus“, antworte ich. „Und Calum, um ehrlich zu sein bin ich froh, dass dieses Problem noch weit in der Zukunft liegt. Vielleicht werden die Mädchen ja auch Karrierefrauen und interessieren sich nicht für Liebe und Beziehungen. Es muss ja auch nicht jeder eine Familie gründen… Mir wäre es auf jeden Fall Recht, wenn meine Mädchen unberührte Blümchen bleiben würden. Am liebsten würde ich jeden Kerl, den sie anschleppen persönlich Zwangskastrieren.“
Calum seufzt. „Das Gespräch ist mir echt zu blöd.“ Er steht auf und tätschelt meinen Kopf. „Die Mädchen werden in ein paar Jahren ihre eigene Sexualität und ihren Körper entdecken und du wirst es nicht verhindern können. Sie werden zu wunderschönen, begehrenswerten Frauen heranwachsen und auch das lässt sich nicht aufhalten, mein Lieber.“
„Erzähl mir so etwas nicht“, antworte ich schmollend. „Ich will das gar nicht hören.“
„Bleib nicht mehr zu lange hier draußen, sonst friert dein Kopf noch ein… obwohl, vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Dein heißes Gemüt könnte eine Abkühlung vertragen.“ Calum beugt sich zu mir, um meine Wange zu küssen. „Ich liebe dich, Honey.“
„Mhm…“
Als Calum nach drinnen gehen will, drehe ich mich noch einmal zu ihm um und spreche ihn an. „Moment… Honey? So hast du mich noch nie genannt.“
Calum macht einen Schritt rückwärts, sodass wir einander wieder ansehen können. Er legt den Kopf schief, als er in meine Richtung blickt. „Oh… Ich dachte, ich probiere mal was Neues aus. Gefällt dir Sweetie besser?“
„Nicht wirklich, aber wenigstens nennst du mich nicht mehr Schildkröte.“
Mein marido schmunzelt. „Lass deinen Kopf auslüften. Ich warte im Bett auf dich.“
„Okay.“
Calum begibt sich ins Schlafzimmer, während ich noch alleine meine Zigarette in Ruhe zu Ende rauche. Auch den Tee, den Calum mir gebracht hat, trinke ich ohne weiteren Stress. Für einen Moment überlege ich, ob ich mir noch eine Zigarette drehen sollte, doch dann entscheide ich mich dafür, ins Bett zu gehen. Morgen muss ich wieder früh raus, ob ich will oder nicht…
Ich quäle mich aus meinem Sessel. Kaum stehe ich, springt auch Domingo auf. Er sieht zu mir nach oben und wedelt freudig mit dem Schwanz. Er folgt mir, als wäre er mein kleiner Schatten in Chihuahua-Form und er sieht aus, als wäre er damit mehr als zufrieden.
„Vamos, Domingo, Zeit für’s Bett.“
…
Es hat die ganze Nacht geregnet und es regnet immer noch. Der Hund, den ich nie wollte, muss natürlich auch an so einem grässlichen Morgen seine Runde ziehen. Die nasse, widerliche Kälte verdirbt mir die Laune, als ich mit dem Hund unterwegs bin. Domingo lässt sich nicht aufhalten, das Spazierengehen ist seine liebste Beschäftigung, das Wetter scheint ihm vollkommen egal zu sein.
Mir hingegen ist es nicht egal. Ich trage einen Pullover, einen dünnen Schal und auch eine warme Jacke, um mich vor der Kälte zu schützen. An Tagen wie diesem fehlen mir die Fern Islands so sehr, dass ich dafür sterben würde, ein paar Tage in der Sonne liegen zu können.
„Wenigstens wird meine Zigarette nicht nass“, murmle ich in den Regen, ehe ich einen Zug nehme. Der Regen prasselt aggressiv auf Calums Regenschirm. Er ist für meinen Geschmack etwas zu bunt, doch er schützt mich dennoch gut vor dem nassen Wetter.
Ich bin nicht der einzige Größenwahnsinnige, der im Regen spazieren geht. Am Fluss kann ich jemanden erkennen. Der schwarz-weiße Regenschirm kommt mir bekannt vor. Auch die Größe der Person kann nur auf das Zuckerstück hindeuten. Sebastian ist verrückt. Wie kann man so ein Wetter nur gut finden…
Um ihn nicht zu erschrecken, wenn ich plötzlich hinter ihm stehe, rufe ich nach ihm: „Hey! Sebastian!“
Der Kleine dreht sich tatsächlich zu mir. Ich war nicht ganz sicher, ob er mich hören würde, doch er tut es. Er winkt mir, was ich erwidere.
Ich lege die letzten Meter zwischen uns zurück, auch er zieht an einer Zigarette. Beim näheren Anblick wird mir klar, wieso Sebastian hier draußen ist. Er braucht eindeutig frische Luft. Sebastian sieht fix und fertig aus. Seine Haare sind unter einer Kapuze versteckt, seine müden Augen sprechen Bände. Die Jungs kosten ihm vermutlich wieder seinen wohlverdienten Schlaf.
„Hey Trevor“, begrüßt er mich mit einem Lächeln. Seine Laune scheint nicht so mies zu sein, wie ich im ersten Moment dachte.
„Du siehst… müde aus…“
„Danke, dass du es bemerkt hast“, antwortet er grinsend. „Ich mache eine neue Kur. Sie heißt: Schlaf so wenig wie möglich und geh ohne Makeup im Regen spazieren.“
„Steht dir ausgezeichnet.“ Ich sehe mich nach meinem Hund um, Domingo schnüffelt gerade an einem Busch. Nachdem er sein Beinchen gehoben hat, um zu pinkeln, schüttelt er sich, ehe er wieder an einem weiteren Busch schnüffelt.
„Danke. Und was ist mit dir? Du führst den Hund aus?“
„Mhm, leider. Wenn es nach mir ginge, würde ich noch im Bett liegen. Bei dem Sauwetter fällt joggen gehen ja auch flach, wozu dann aufstehen?“
„Ach ja, genau, du bist ja unter die Sportler gegangen. Fehlt es dir schon? Max wird immer ganz unausstehlich, wenn er ein paar Tage auf der faulen Haut liegt.“
„No, mich betrifft das nicht, ich bin von Natur aus unausstehlich.“
„Das hast jetzt du gesagt“, antwortet Sebastian lachend.
„Unrecht hab ich ja nicht“, meine ich schmunzelnd.
Sebastian und ich spazieren den Fluss entlang. Durch den andauernden Regen ist der Wasserspiegel deutlich erhöht. Das sonst so friedliche Plätschern ist eine reißende Strömung, die meinen Hund sofort ins Meer spülen würde. Gut, dass Domingo mittlerweile weiß, dass das Wasser nicht immer sein Freund ist. Er hält brav Abstand zu dem Fluss, bleibt jedoch wie immer in meiner Nähe, um mich nicht zu verlieren.
„Also, wieso bist du schon wach, Zuckerstück?“
„Damian hat Husten“, antwortet Sebastian. „Damit er Aiden nicht anstecken kann, hab ich die beiden getrennt und - surprise - sie hassen es. Sie schlafen immer schon zusammen. Sie sind sozusagen ihr ganzes Leben nicht voneinander getrennt gewesen und ich Unmensch hab sie in separate Zimmer gesperrt. Entweder ich wache von dem Husten auf oder weil einer der beiden weint, weil er den anderen vermisst. Wenn man ein Babyphone hat, braucht man keinen verdammten Wecker mehr.“ Sebastian lässt einen tiefen Seufzer los. „Dabei haben sie jetzt schon so brav durchgeschlafen und ich konnte auch endlich schlafen… Immer wenn ich mich an eine Besserung gewöhne, kommt irgendwas dazwischen und schon bin ich wieder eine wandelnde Leiche.“
„So Kleinigkeiten werden immer öfter vorkommen. Erst bekommen sie Zähne, dann fallen sie hin und verletzen sich, irgendwann treten sie auf Bienen und schon verlieren sie ihre Milchzähne wieder… Und dann sind sie plötzlich so groß, dass man sich schon darüber sorgen muss, dass sie Alkohol trinken und Drogen konsumieren könnten… Dann die Männer, die ihnen die große Liebe vorspielen, nur um ihr Blümchen zu pflücken und-“
Sebastian bricht neben mir in schallendem Gelächter aus. „…um ihr Blümchen zu pflücken“, wiederholt er belustigt meine Aussage. „Bei Yoba, Trevor, what the fuck?“
„Ich wollte es jugendfrei halten, darauf stehst du doch, seit du die Zwillinge hast.“
Meine Erklärung bringt Sebastian noch mehr zum Lachen. Sein Lachen wird jedoch nach recht kurzer Zeit von einem Hustenanfall abgelöst. Sebastian schnappt nach Luft, seine Zigarette fällt in den Matsch und erlischt. „Fuck, ich wär fast gestorben…“, krächzt er.
„Aber nur fast“, bestärke ich ihn grinsend.
„Okay… Autsch…“ Sebastian räuspert sich. Er verzieht das Gesicht und räuspert sich ein weiteres Mal, ehe er weiter spricht: „Seit wann willst du irgendwas jugendfrei ausdrücken? Bist du krank, high oder betrunken?“
„Wäre ich high oder betrunken würde ich mir nicht die Mühe machen, mich jugendfrei auszudrücken. Es geht um meine Mädchen, Sebastian… Sie sind mein Ein und Alles.“
„Mit dem Unsinn hast du doch noch sicher so zehn Jahre Zeit“, winkt Sebastian ab.
„Wohl eher sechs bis sieben Jahre…“
„Okay, das ist kurz, du solltest dir Sorgen und Gedanken machen. Am besten du lässt sie Keuschheitsringe tragen und erklärst ihnen, wie wichtig es ist, sein Blümchen bis zur Ehe unberührt zu lassen.“
Unbeeindruckt sehe ich Sebastian an, der sich jedoch für so witzig hält, dass er mir ins Gesicht lacht.
„Ich hoffe, dass du schwimmen kannst, ich werfe dich nämlich gleich in den Fluss.“
„Nimm es locker, Trevor“, bittet er mich mit einem Lächeln. „Du kannst sie ohnehin nicht vor allen Dingen beschützen. Wenn du deinen Mädchen alle sozialen Kontakte verbietest, dann werden sie so naiv wie Richie. Obwohl er behütet aufgewachsen ist, hat er trotzdem seine scheiß Erfahrungen gemacht. Das ist das Leben. Manchmal ist es super und dann auch mal wieder scheiße. Mein Dad hat sich auch immer Sorgen gemacht und versucht mich zu beschützen und trotzdem war mein Leben nicht immer rosig.“
„Du verstehst es nicht“, antworte ich ihm geschlagen.
„Nein, du verstehst es nicht. Eltern sind Wegbegleiter. Wir bringen unseren Kindern alles bei, was sie im Leben brauchen könnten und wenn sie hinfallen oder von irgendetwas in ihrem Leben enttäuscht werden, dann sind wir da, um ihnen über den Kummer hinweg zu helfen. Ich weiß, ich hab gut Reden, weil ich zwei kleine Jungs habe, die noch nicht mal richtig sprechen können, aber auch sie werden irgendwann erwachsen und werden sich für jemanden interessieren.“ Ich seufze, da gibt Sebastian mir einen kleinen Schubs. „Du hast das Potenzial, ein cooler Dad zu sein. Du bist ein berühmter Musiker, du sieht ganz gut aus und du bin an sich ganz okay. Wenn du etwas lockerer wirst, dann werden die Mädchen dich auch in ihren Teenagerjahren in alles einweihen, was ihnen durch den Kopf geht. So kannst du den gepflückten Blümchen und den gebrochenen Herzen erstmal zuvorkommen. Hör auf mich, ich bin heute sehr clever.“
„Ich hoffe, dass du damit Recht hast…“
„Natürlich hab ich Recht“, bestärkt Sebastian sich selbst. „Am besten du fängt gleich damit an, lockerer zu werden. Dann hast du so sieben Jahre Zeit, das ist ein guter Zeitraum, um sich zu verändern. Das packst du schon.“
„Gracias, Zuckerstück. Du bist echt nicht so dämlich wie du aussiehst.“
„Ja, das ist die Sebastian-Produktbeschreibung“, scherzt er über sich selbst.
Der verständnisvolle, coole Dad zu sein wird mir vermutlich schwerer fallen als die Finger von Suchtmitteln zu lassen. Ein Glück, dass das alles noch in weiter Ferne vor mir liegt.
…
Den Nachmittag verschwende ich damit, mir meine telenovela anzusehen. Gerade als die attraktive Hauptdarstellerin und der zögernde Schönling sich endlich küssen, läuft Richie am Bildschirm vorbei. An der Badezimmertür bleibt er stehen. Für einen Moment lenkt mich seine Anwesenheit ab, doch dann richte ich meinen Blick genau wie er auf den Bildschirm.
Einige Sekunden bleibt Richie neben mir stehen. „Oh-kay… Du siehst dir also tatsächlich regelmäßig diese Seifenoper an. Süß, dass du so ein romantisches corazón hast“, meint er schmunzelnd, doch dann betritt er das Badezimmer.
Was daran so zum Schmunzeln ist, leuchtet mir nicht ein. Auch Richie übersieht das Offensichtliche. Den schwulen Männern in meinem Leben fällt natürlich nicht auf, was für sinnliche Lippen und spektakuläre Kurven die Hauptdarstellerin hat. Wie kann es auch anders sein?
Als er wieder aus dem Badezimmer kommt, trägt er immer noch dieses freche Schmunzeln auf seinen Lippen. Er geht am Fernseher vorbei und wirft mir einen Blick zu.
„Ay, hör auf mich so anzusehen, sonst lege ich dich sofort über’s Knie.“
„Das tust du nicht. Das würdest du meinem Hintern nicht antun, der hat das ja auch gar nicht verdient.“ Richie verlässt das Wohnzimmer. „Das ist ein braver Hintern und das weißt du ganz genau“, höre ich ihn in der Küche sprechen.
„Tz…“
„Was ist mit deinem Hintern?“, erklingt nun Calum neugierig.
„Trevor sieht sich schon wieder seine Seifenoper an. Jetzt will er mich über’s Knie legen, weil ich ihn angesehen habe.“
Ich rolle mit den Augen. „Könnt ihr mal bitte eure Keksluken halten?“
Ich ernte Gelächter aus der Küche. Nicht nur Calum und Richie lachen, auch meine Mädchen lachen mit.
Domingo hebt sein Köpfchen, doch er macht es sich gleich wieder auf meinem Schoß bequem. Er legt seine Ohren nach hinten, als er tief ausatmet.
„Ich bin froh, dass wenigstens du mich nicht verarschst. Dich mag ich von allen am liebsten, Domingo.“
Um den Hund für seine Treue zu belohnen, streichle ich seinen Kopf und kraule dann seinen Rücken. Es stimmt schon, Hunde sind die besten Freunde des Menschen. Wahrscheinlich, weil sie einem keine dämlichen Kommentare an den Kopf werfen, sondern ihrem Herrchen bedingungslose Liebe schenken.
Während Calum die Kinder noch mit dem Backen von Keksen beschäftigt, sehe ich mir die Folge der telenovela zu Ende an. Für den Moment gibt es ein Happy End, doch sobald der papá der Schönheit herausfindet, in wen sie sich verliebt hat, wird es Ärger geben. Die Klischees häufen sich von Folge zu Folge, doch unterhaltsam ist es trotzdem irgendwie.
Nachdem ich meinen Kopf durch seichte Unterhaltung frei bekommen habe, widme ich mich wieder meinem Notizblock. Ich verscheuche Domingo von meinem Schoß, um mich anders hinzusetzen. Ich ziehe meine Beine an und lehne meinen Notizblock dagegen. Der Hund nimmt es mir nicht übel, dass ich sein Platz eingenommen wurde, ganz im Gegenteil, er kuschelt sich an meinen Oberschenkel und schließt schnell wieder seine Augen. Schmunzelnd lege ich einen Finger an seine kurze Schnauze und streichle über seinen Nasenrücken. Domingo öffnet kurz die Augen, schnauft dann, ehe er sie wieder schließt. Seine Geduld und seine Gutmütigkeit nehmen kein Ende. Dafür, dass Chihuahuas so einen miesen Ruf haben, ist Domingo ganz gut geraten. Gabe ist gut darin, Hunde zu erziehen. Das sollte er zu seinem Hobby machen, falls er das noch nicht längst getan hat.
…vielleicht sollte ich ihn mal wieder anrufen, aber die Gefahr, dass er mir dann noch mehr bedürftige Tiere andreht ist sehr groß, also…
Schnell bemerke ich, dass ich mich schon wieder selbst ablenke, anstatt zur Sache zu kommen. Um mich auf das Treffen mit Jayson vorzubereiten mache ich mir mit Textmarker und Kugelschreiber Notizen zu meinen Texten, schreibe grobe Ideen auf und fasse sie zusammen. Einige meiner Ideen möchte ich unbedingt auf dem Album verwirklichen, andere können ruhig erstmal vernachlässigt werden.
Aus der Küche nehme ich den Duft von Keksen wahr. Es riecht verführerisch, doch ich kann nicht aufstehen, um zu kosten, sonst nehmen mich die Kinder in Beschlag und ich komme erst wieder nicht dazu, zu arbeiten.
„Papá, sieh mal“, ertönt Cassies Stimme an der Tür. Wenn man vom Teufel spricht.
Meine Tochter sieht mich voller Stolz an, als sie auf mich zukommt und mir einen ihrer ziemlich unästhetisch dekorierten Kekse auf einem Teller präsentiert. Der Zuckerguss ist grob auf die Oberfläche des Kekses geklatscht. Die bunten Streusel und die großen Zuckerperlen lassen den Keks sehr überladen wirken. Doch anstatt meine Tochter zu kritisieren, baue ich sie auf, so wie ich es bei Calum und Richie immer wieder bemerkt habe.
„Wow, Prinzessin, den hast du ganz alleine verziert?“, frage ich überinteressiert nach. „Der ist dir ja ausgesprochen gut gelungen.“
„Er gefällt dir?“, fragt Cassie freudig nach.
„Aber klar doch. Der Keks ist schon fast zu schön zum Essen, wir sollten ihn im Museum ausstellen lassen“, lüge ich ungeniert weiter.
Freudig kichernd macht Cassie sich wieder vom Acker. „Papá sagt, dass mein Keks viel zu schön ist, um gegessen zu werden!“
Dass es mir doch so einfach fällt, Interesse und Bewunderung vorzuheucheln überrascht mich etwas, doch ich bin stolz auf diesen Fortschritt. Wie Calum schon sagte: Man muss seine ehrliche Meinung nicht immer in die Welt hinaus posaunen.
…außerdem bin ich sicher, dass der Keks trotz seiner überladenen Glasur schmecken wird, auch wenn man vermutlich Diabetes davon bekommt.
…
Den verregneten Tag lassen wir alle gemeinsam auf der Couch ausklingen. Wir alle tragen unsere Pyjamas, denn die Mädchen haben sich eine Pyjamaparty gewünscht. Um ihnen vorzugaukeln, dass sie heute extra lang aufbleiben dürfen, stellen wir die Uhren zwei Stunden nach vor. Ich bin ein wenig neidisch, dass ich nicht auf diese Idee gekommen bin, doch ich gönne Calum diesen Triumph. Natürlich springt auch für mich etwas heraus, immerhin habe ich so zumindest die Möglichkeit, etwas mehr Schlaf zu bekommen. In der Theorie jedenfalls.
Wir lackieren den Mädchen die Nägel, flechten ihnen die Haare und verspeisen die Kekse, die sie heute Nachmittag mit ihrem Daddy gebacken haben. Im Hintergrund läuft leise Musik, es ist eigentlich weniger furchtbar, als ich es befürchtet habe. Natürlich kommt auch wieder das Thema Schule auf.
„Wie war das als du in die Schule gegangen bist, Daddy?“, fragt Cassie nach, als Calum ihr gerade die Haare bürstet.
„Nun… ganz okay, schätze ich“, antwortet er nachdenklich.
„Hattest du auch Angst?“
„Aber sicher doch. Neue Umgebungen und Veränderungen machen uns allen Angst.“
„Oh ja und wie“, stimmt Richie seinem Cousin zu.
Calum räuspert sich. „Als ich damals auf eine neue Schule kam, hatte ich auch Angst davor, keine Freunde zu finden, aber meine Angst war ganz unbegründet. Ich hab mich schneller in die Klasse integriert, als ich dachte. Die Jungs haben mich in ihrer Clique aufgenommen und mich gefragt, ob ich mit ihnen Basketball spielen möchte. So hab ich ziemlich schnell viele Freunde gefunden.“
„Hm… Ich mag aber kein Basketball“, meint Cassie nachdenklich.
„Musst du ja auch nicht. Ich bin sicher, dass die Mädchen sehr interessiert sein werden, euch kennenzulernen. Euer papá wird euch eure Nägel ganz toll lackieren, das wird für eure Mitschülerinnen sicher spannend sein.“
„Das stimmt, papá kann das ganz super. Er macht das am schönsten“, meint Lucía zufrieden. Sie legt ihre Arme um mich und kuschelt sich an meine Seite. Ich streichle gleich ihren Kopf.
„Wie war die Schule für dich, Onkel Richie?“, fragt Cassie nun den nächsten in der Runde. „Du hattest sicher ganz viele Freunde.“
„Oh…“, meint Richie, dann lacht er etwas verlegen. „Naja, ich hatte nicht so viele Freunde. Aber euer papá hat mir damals Nachhilfe gegeben, er wurde dann mein Freund, da war ich dann nicht mehr so alleine.“
Gut, dass er die Stelle weglässt, an der er mich gestalkt hat und nach meinem Umzug ungefragt vor meiner Tür gestanden hat, um mir seine Liebe zu gestehen. Die Dinge, die zwischen uns hier im Wohnzimmer vorgefallen sind, erspart er meiner Familie glücklicherweise auch.
„Wieso hattest du nicht so viele Freunde? Du bist lieb und lustig und du kannst gut zeichnen“, meint Cassie neugierig. „Du müsstest ganz viele Freunde haben, weil du so toll bist.“
„Aww, danke Cassie, das ist so süß von dir.“ Richie streichelt Cassies Arm. „Naja, meine Eltern wollten, dass ich lieber zu Hause bin, anstatt mich mit meinen Schulkollegen zu treffen. Ich hatte ja Ballettunterricht, hab Yoga-Stunden genommen, war regelmäßig auf dem Tennisplatz und dann hatte ich ja noch meinen Nachhilfeunterricht. Bei all den Beschäftigungen hatte ich dann nicht wirklich die Zeit oder Möglichkeit, etwas mit meinen Schulkollegen zu unternehmen. Aber mit Calum hab ich ab und zu etwas unternommen, das hat immer Spaß gemacht.“
Calums Schmunzeln zeigt, dass er gerade an eine bestimmte Situation denkt, die ihm so durch den Kopf geht. Wahrscheinlich haben die beiden die Regeln von Mister Jones öfter gebrochen, als sie zugeben würden. So wie Calum früher drauf war, kann ich mir da einiges vorstellen… Allerdings weiß ich auch ganz genau, dass Calum Richie niemals in Gefahr gebracht hätte. Er war ihm bestimmt immer schon ein guter Freund.
„Und papá war ja immer in der Schule, der hat da ja geschlafen“, meint Cassie nachdenklich. „Hattest du da viele Freunde?“
„Auf den Fern Islands schon“, antworte ich ehrlich. „In Zuzu City unter den reichen, eingebildeten Schnöseln war das dann nicht ganz so einfach. Da war ich schon durch die Sprachbarriere sehr auf mich allein gestellt, aber als ich meine Mitschüler dann endlich verstanden habe, wurde es auch nicht besser.“ Ich streichle durch Lucías Haare. Meine Tochter kuschelt sich mit ihrem Stofftier zu mir. „Wisst ihr, mit manchen Menschen muss man nicht befreundet sein. Wenn jemand nur fies ist und lästert, dann darf man von diesen Personen gerne Abstand halten und sich andere Freunde suchen. Es ist auch okay, wenn man nicht immer und bei allen beliebt ist. Die Hauptsache ist, dass man sich in seiner Haut wohlfühlt und sich nicht verbiegen muss, um Freunde zu finden.“
Calum sieht mich überrascht an, sieht so aus, als hätte er nicht erwartet, dass ich meinen Mädchen in seinen Augen einen ausnahmsweise guten Rat gebe.
„Und wenn in der Schule alle doof sind?“, fragt Cassie nach.
„Es sind bestimmt nicht alle doof, immerhin gehen Sina und Lucas ja auch auf eure Schule“, antworte ich lächelnd. „Ihr schafft das schon.“
„Das stimmt wohl“, antwortet Cassie zufrieden. „Und wenn wir keine Freunde finden, weil alle doof sind, dann spielen wir eben mit Max. Der ist nicht doof, sondern lieb und cool und witzig und er ist so stark. Er kann uns beide gleichzeitig tragen, das ist supercool.“
Mein marido schmunzelt, als Cassie anfängt zu schwärmen. „Ich bin sicher, dass er sich schon darauf freut, mit euch spielen zu können“, erzählt er. „Als ich ihm gesagt habe, wie gern ihr ihn habt, hat er gesagt, dass er es kaum erwarten kann, wieder auf euch aufpassen zu dürfen.“
„Hast du ihm etwas von meiner Zeichnung verraten?“, fragt Cassie erschrocken. Sie legt ihre Hände etwas beschämt in ihr Gesicht.
Es ist schon süß, dass sie Max so anhimmelt. Vielleicht bleibt ihr Typ ja ‚schwule Männer‘, dann muss mich mir auch keine weiteren Gedanken um gepflückte Blümchen machen.
„Nein, noch nicht, du wolltest sie ihm ja persönlich schenken, also hab ich das noch für mich behalten.“
„Er freut sich ganz bestimmt über deine Zeichnung, Cassie“, bestärkt auch Richie sie. „Ich freue mich auch immer, wenn ihr beide etwas für mich zeichnet. Ihr seid so unglaublich talentiert, da wird man ja schon fast neidisch.“
Lucía, die die ganze Zeit still war, kichert nun. „Du bist auch toll, Onkel Richie.“
„Danke, meine Süße.“ Richie beugt sich zu Lucía und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.
Während dem Gespräch hat Calum ganze Arbeit geleistet. Cassies blonde Haare sind nun zu einem lockeren Fischgrätenzopf geflochten, den er ihr nun über die Schulter legt. Mit einem Handspiegel zeigt er ihr ihre neue Frisur.
„Oh cool, danke Daddy“, freut Cassie sich strahlend.
Ein Blick auf die verstellte Uhr zeigt mir, dass es tatsächlich spät wird. Richie nimmt meine unauffällige Geste sofort wahr. Er streckt sich und gähnt genüsslich.
„Also langsam werde ich wirklich sehr, sehr müde“, erzählt er. „Ich glaube, ich sollte langsam ins Bett gehen.“
„Es ist ja auch schon echt spät“, antworte ich ihm.
Calum sieht überrascht auf das Smartphone, das ich ihm hinhalte. „Oh, es ist wirklich spät. Höchste Zeit, dass wir uns die Zähne putzen und hinlegen.“ Calum steigt von der Couch. „Kommt, wir gehen ins Badezimmer. Wie versprochen durftet ihr extra lange aufbleiben und sogar noch Kekse knuspern.“ Mein marido reicht unseren Töchtern seine Hände. Ganz begeistert sind sie zwar nicht, doch sie folgen meinem Liebsten brav ins Badezimmer.
„Na dann wird ich mal hochgehen“, verabschiedet sich Richie für heute. „Gute Nacht, Trevor.“
„Falls du nicht schlafen kannst, bist du auf unserer Pyjamaparty gerne willkommen“, erinnere ich ihn, doch Richie schmunzelt nur.
„Ich schätze nicht, dass hier noch Platz wäre.“
„Ach was, du kannst mit Domingo auf dem Boden schlafen“, ziehe ich ihn auf.
„Tz, wenn hier einer auf dem Boden schlafen sollte, dann du. Immerhin bist du ja der Hund von uns beiden“, antwortet Richie gespielt arrogant. Etwas eingebildet hebt er seinen Kopf, als er von der Couch klettert, um auch den Mädchen und Calum eine gute Nacht zu wünschen. Er stolziert an mir vorbei, als er sich auf den Weg in die Küche und somit nach oben in sein Zimmer macht.
Ach, der Kleine…
Gut, dass er sein Selbstbewusstsein wiederfindet, selbst wenn der Spruch auf meine Kosten ging.
Ich stelle die Uhr auf meinem Smartphone wieder auf die richtige Zeit, als ich das auch bei Calums Smartphone machen möchte, erinnere ich mich daran, dass ich seinen Code gar nicht kenne. Auf seinem Bildschirm wird die Meldung angezeigt, dass er einige Nachrichten hat. Wäre ich neugierig, würde mich das jetzt wurmen, doch es interessiert mich nicht besonders, also lege ich das Smartphone zusammen mit meinem auf den Tisch. So eine Flut an Nachrichten kann ohnehin nur von Carly kommen.
Während mein Liebster mit den Kindern noch im Badezimmer zugange ist, räume ich etwas auf und befreie die Couch so gut es geht von Kekskrümeln. Morgen muss ich unbedingt den Staubsauger anwerfen.
Ehe ich mich versehe bin ich selbst bereit fürs Bett und liege schon eingekuschelt zwischen meinen Familienmitgliedern und dem Hund, der es sich auf meinem Bein bequem gemacht hat. Domingos Schnarchen erklingt in der Dunkelheit. Mein vergeblicher Versuch, Calum einen Kuss zu geben, wird mir durch meine Unbeweglichkeit verwehrt. Ganz leer gehe ich glücklicherweise doch nicht aus, denn gleich nachdem Calum sein Smartphone zur Seite legt, beugt er sich zu mir, um mich zu küssen.
„Gute Nacht, Sweetie.“
„Gute Nacht.“
Ich schließe meine Augen und atme durch. Nicht nur draußen prasselt der Regen, auch das Plätschern des Aquariums trägt zu einer ruhigen Atmosphäre bei. Wenn ich ein wenig mehr Platz hätte, wäre es vielleicht sogar richtig bequem hier im Wohnzimmer.
Selbst wenn sich in meinem Leben einiges verändert, werden andere Dinge doch immer irgendwie gleich bleiben. Die nächsten Monate werden zeigen, wie wir als Familie mit den großen Veränderungen zurechtkommen, doch ich bin zuversichtlich. Sehr zuversichtlich.
Calum und ich werden das schaffen, da bin ich mir mehr als sicher.