capítulo 36
el cambio
Einige Tage später läuft fast alles wieder wie gewohnt. Um meinen Morgensport einhalten zu können, stehe ich täglich um vier Uhr morgens auf. Dass mir dadurch die morgendliche Kuschelzeit mit Calum entgeht, stört mich zwar sehr, aber anders lässt es sich nicht einrichten, solange die Mädchen nicht in der Schule sind.
Jeder Tag hat dieselbe Routine. Morgens laufen, dann Frühstück machen oder die Haare der Mädchen frisieren. Ein bisschen Chillzeit, einkaufen und/oder Haushalt und dann ist bereits wieder die nächste Mahlzeit in Planung.
Auch Richie geht es ein wenig besser. Er nimmt regelmäßig seine Medikamente, liest und vergisst natürlich nicht, mich mit seinen morgendlichen Yogaübungen zu erfreuen. Ich habe dafür gesorgt, dass meine Zigarettenpause und seine Übungen auf dieselbe Zeit fallen, um ihn ‚im Auge behalten zu können‘ und bis jetzt klappt das sehr gut.
Zwischen Calum und mir läuft alles noch etwas vorsichtig. Die versprochene Spontanität einzuhalten ist nicht einfach. Wie auch? Spontanität zu planen war von Anfang an eine dumme Idee. Das Gefühl, dass mich dieser langweilige Alltag etwas einengt, verschwindet nicht, im Gegenteil, es wächst von Tag zu Tag immer weiter.
„Wir müssen etwas ändern“, bitte ich meinen marido leise. Wir stehen auf der Veranda. Es ist spät und ich sollte schon längst schlafen, um morgens wieder rechtzeitig aus dem Bett kommen zu können.
„Du hast Recht. Es ist komisch, oder?“
Ich nicke. „Und wie.“ Genüsslich ziehe ich an meiner Zigarette, blicke dabei zu Calum, der am Geländer lehnt und über die Farm blickt.
„Mir fehlt auch etwas“, bestärkt Calum mich in meinem Gefühl.
Mittlerweile tragen wir beide wieder unsere alten Eheringe. Die neuen, die ich bestellt habe, tragen wir an einer Kette. Selbst wenn Calum mir meinen alten Ring wieder angesteckt hat, ist es nicht mehr dasselbe. Alles an unserer Beziehung ist nicht mehr so, wie es mal war.
„Denkst du, dass… die Luft raus ist?“, fragt Calum mich. Er richtet sich auf und sieht mich an. Ich zucke bloß mit den Schultern. „Liebst du mich noch?“
„Ay… Natürlich liebe ich dich noch. Es ist nur so, dass das hier nicht alles gewesen sein kann.“
„Ganz genau“, stimmt Calum mir zu. „Ich kann nicht vor meinem 30sten Lebensjahr in den Ruhestand gehen. Pelican Town ist nett. Es ist gut als Alterswohnsitz und spannend für die Kinder, weil sie im Wald viel entdecken können… …aber ich will wieder arbeiten. Ich will die Welt sehen und noch ein paar Magazincover zieren, bevor ich zu alt bin und mich keiner mehr haben will.“
„Also ich will dich auch noch wenn du älter wirst. Aber ab 40 ist dann Schluss, dann brauche ich ein neues Modell. Am besten wieder einen knackigen 20-Jährigen, den ich dann alle paar Monate austausche.“
„Haha, du Arschloch.“ Calum boxt meine Schulter. „Sei froh, dass ich dich nicht eintauschen möchte, immerhin gehst du auch Schritt für Schritt auf die 40 zu, mein Freundchen.“
„Tja, Baby, ich habe das Glück, dass du auf alte Männer stehst“, antworte ich schmunzelnd.
Ich drücke meine Zigarette aus. Calum macht einen Schritt auf mich zu. Er legt seine Arme um mich und drückt mich etwas. „Auch wenn du alt bist und nach Gras und Rauch stinkst, liebe ich dich trotzdem.“
Ich schließe meine Augen und lasse mich von Calum drücken. Die Nähe ist eigentlich ganz nett und eigentlich fände ich Sex jetzt sehr ansprechend, aber wenn ich nicht bald Schlaf bekomme, verschlafe ich den morgigen Tag. Unglaublich, dass ich Sex jemals gegen Schlaf eintauschen möchte…
Ich werde wohl wirklich alt.
…
Schon kurz nach dem Frühstück setze ich mich an Calums Laptop. Obwohl mein Körper nach einem Nickerchen schreit, wird mir das im Moment noch nicht vergönnt, denn Max möchte sich mit mir unterhalten. Ich blicke auf das Display meines Smartphones.
Max: ‚Hey! 9 Uhr Videokonferenz!‘
Ich dachte, dass er seine Nachricht im Nachhinein vielleicht noch ein wenig ausführt, aber es ist nicht passiert. Glück für mich, dass der Holzklotz recht einfach zu durchschauen ist. Es kann sich nur um eine Handvoll Themen handeln. Entweder er möchte mit mir über seine Familie, meine Familie oder über Musik reden. Seinen Social Media Posts von gestern zu urteilen, ist Musik am wahrscheinlichsten, denn er hat ein Selfie mit Jayson gepostet. Vielleicht geht es um die Zukunft der Band. Angeschnitten hatten wir dieses Thema ja bereits.
Ich sehe irritiert vom Bildschirm auf, als ich meine Tochter Cassie weinen und schreien höre. Durch das Fenster kann ich mir kein gutes Bild machen, aber Calum ist schon dabei, sich darum zu kümmern. Es dauert noch ein paar Minuten, bis Max sich meldet, also beschließe ich, ebenfalls nach draußen zu gehen, um nach Cassie zu sehen. Im Gehen tippe ich eine Nachricht an meinen ehemaligen Bandkollegen.
Trevor: ‚Cassie weint. Melde mich gleich.‘
Mein Smartphone lasse ich auf dem Tisch in der Küche liegen. Schon als ich rausgehe, kommt Calum mir mit Cassie auf dem Arm entgegen. Untere Tochter sieht sehr aufgelöst aus. Sie klammert sich schluchzend an Calums Hals. Was passiert ist, weiß ich nicht, es ist nicht eindeutig zu erkennen. Leider kann man das auf den ersten Blick ohnehin schwer einschränken, denn zwischen ‚Mein Buntstift ist abgebrochen‘ und ‚Ein Fremder wollte mich entführen‘ gibt es kaum einen Unterschied. Das Drama ist immer dasselbe, egal was passiert.
„Papá“, weint Cassie mich an. Sie streckt ihre Arme nach mir aus. Ich zögere nicht, meine Tochter zu übernehmen. Als ich sie fest im Arm halte, gebe ich ihr gleich einen Kuss auf die Stirn.
„Pass auf ihren Fuß auf, sie ist auf eine Biene getreten. Ich bin gleich wieder da und sehe mir das genauer an.“
„Alles klar.“ Ich setze mich mit Cassie auf meinen Stuhl. Sie bekommt einen Kuss auf die Wange. Natürlich hat sie Schmerzen und wahrscheinlich ist sie auch ein wenig erschrocken, doch das Gejammer muss nicht sein. „Na jetzt hast du aber genug geheult, oder?“, frage ich unbeeindruckt nach.
„Aber-Aber es tut so weh“, antwortet sie schluchzend.
„Das glaube ich dir, Prinzessin, aber es wird bald besser sein. Dein Daddy kümmert sich darum.“
Genau das tut er. Calum bringt den Verbandskasten nach draußen. Ich lege Cassies Bein auf meinen Oberschenkel, sodass mein marido einen guten Blick auf die kleine Verletzung hat. Calum kniet sich vor uns auf den Boden und legt seine Hand an Cassies Fuß. Cassie wirkt etwas ängstlich, als ihr Daddy den Bienenstich betrachtet. Ich streichle über Cassies Bein, um sie etwas zu beruhigen.
„Sieh mich an, Prinzessin“, bitte ich Cassie lächelnd. Als sie mir ins Gesicht sieht, zeige ich ihr die Zunge. Ich versuche, sie ein wenig von ihrem Schmerz abzulenken.
„Du zeigst mir ja die Zunge, wie fies.“
„No, tue ich nicht, du musst dich täuschen“, antworte ich grinsend.
„Doch hast du“, entgegnet sie. Nun zeigt sie mir die Zunge. „Bäh.“
Ich strecke erneut meine Zunge heraus. Cassie lacht etwas, ehe sie gegen meine Wange stupst. Ich ziehe meine Zunge wieder hinein.
„Na gut, vielleicht habe ich sie dir doch gezeigt“, antworte ich grinsend. Um Cassie noch etwas mehr abzulenken, gebe ich ihr einen dicken Kuss auf die Wange. „Ham, ham, ham, ich fress dich auf.“
„Nein, nicht auffressen“, bittet sie nun wieder fröhlicher. Sie lacht sogar etwas. Um meinem marido die Arbeit nicht zu schwer zu machen, halte ich selbstverständlich Cassies Bein fest, während ich mit ihr blödle.
„Dann eben nicht. Aber ich bin sicher, dass du ganz furchtbar lecker schmeckst. Du schmeckst bestimmt süß, wie ein freches Früchtchen.“
„Nein, gar nicht wahr“, entgegnet Cassie lachend. Ich drücke ihr noch einen Kuss auf die Wange.
„Ich hab dich lieb, Prinzessin, du bist sehr tapfer.“
Meine Tochter sieht mich strahlend an. „Danke, papá.“
Calum richtet sich auf. „Schon erledigt. Jetzt kühlst du deine Verletzung noch ein bisschen und dann kannst du schon wieder spielen. Es wird noch ein bisschen wehtun, aber das ist nicht so tragisch, oder?“
„Nein, ich bin tapfer. Danke, Daddy.“ Calum gibt Cassie einen sanften Kuss auf die Wange.
„Du steckst das weg wie eine Große, ich bin stolz auf dich.“
Cassie legt ihre Arme um mich, sie schmiegt ihren Kopf gegen meinen. „Mit papá ist das alles ganz einfach.“
„Cassie, ich freue mich, dass du so gerne an mir klebst, muss jetzt mit meinen Freunden reden. Bleib am besten noch ein bisschen bei deinem Daddy. Er kühlt deinen Fuß und wenn die Schwellung zurückgeht, dann kannst du wieder spielen.“
„Aber ich will bei dir bleiben…“
„Cassie, ich diskutiere nicht mit dir. Du bleibst bei deinem Daddy.“
Als ich sie hochheben und auf den Stuhl nebenan setzen will, klammert sie sich an mir fest. Im Wasser, wenn wir schwimmen, ist das ja ganz witzig, aber an Land nicht. Vor allem, wenn ich ihr schon sage, dass ich jetzt keine Zeit mehr habe und sie an meinen Haaren zieht. Wenn ich das als Kind gemacht hätte, hätte ich eine Ohrfeige bekommen. Meine Kinder haben es verdammt gut.
„Cassie, lass mich los. Du ziehst an meinen Haaren.“
„Ich will aber bei dir bleiben“, beschwert sie sich.
„Ich sag es nur noch ein einziges Mal: Lass mich los, Prinzessin. Ich will dir nicht wehtun.“
„Aber… aber ich will bei dir bleiben…“, antwortet Cassie schmollend.
„Lass sie doch. Nimm sie mit, wenn du mit Max redest“, bittet Calum mich. „Cassie, hast du gehört? Du darfst mitgehen, aber nur wenn du papá nicht bei der Arbeit störst.“
„Ich bin ganz leise“, verspricht Cassie schnell.
„Von mir aus… na komm…“, gebe ich mich geschlagen. Es ist wohl besser nachzugeben, anstatt weiterhin zu streiten. Ich will keine Zeit verschwenden, sonst kann ich mein Nickerchen abschreiben.
Mit Cassie auf dem Arm stehe ich auf. Als wir am Küchentisch vorbei kommen, beuge ich mich etwas nach vorne, sodass Cassie mein Smartphone für mich mitnehmen kann. Sie hält es fest und drückt es an ihren Brustkorb.
„Gracias, Prinzessin.“
„Ich helfe dir gerne, papá.“
Ich setze mich wieder vor Calums Laptop und deute auf den Tisch, wo Cassie das Smartphone gleich hinlegt. Nachdem ich dafür gesorgt habe, dass sowohl Cassie, als ich auch es bequem haben, schreibe ich Max eine kurze Nachricht.
Trevor: ‚Ich wäre jetzt fertig, aber Cassie ist bei mir.‘
Sekunden, nachdem ich die Nachricht gesendet habe, geht auch schon der Videoanruf ein. „Willst du klicken?“, frage ich. Cassie greift gleich nach der Maus und bewegt den Cursor. Mit einem Klick ist der Anruf angenommen.
„Hallo Max“, begrüßt Cassie meinen ehemaligen Bandkollegen freudig. Sie winkt ihm aufgeregt.
„Hey Cassie“, begrüßt Max sie lächelnd, dabei erwidert er ihr Winken. „Gut, dass du da bist, mein Schatz. Ich war einkaufen…“ Er beugt sich zur Seite, hebt dann eine Tüte auf seinen Schoß. „Und ich habe für dich und deine Schwester richtig tolle Sachen gefunden.“
„Max…“, bitte ich ihn seufzend. „Du musst meine Mädchen nicht ständig beschenken.“
„Doch, wir lieben Geschenke“, antwortet Cassie freudig. „Was hast du für mich?“
„Es sind nur Kleinigkeiten, Trevor, alles cool“, winkt Max meine Bedenken locker ab. Er zieht einige Sachen aus der Tüte und legt sie auf den Tisch vor sich. Er hebt zwei große Schleifen hoch. „Da ihr ja immer so hübsche Frisuren habt, hab ich mir gedacht, dass euch das gefallen wird. Ein paar Schleifen, glitzernde Gummibänder, Haarreifen“, zählt Max auf, dabei hebt er die jeweiligen Artikel hoch. „…und Haarspangen mit Blumen und Schmetterlingen.“
Cassie wird vor Freude etwas unruhig. „Wann kommst du wieder?“
„Das dauert noch ein paar Wochen, meine Süße“, erzählt Max lächelnd. „Ich bin leider erst wieder im Herbst zu Hause, du weißt ja, dass ich viel reise.“
„Das ist doof. Mit dir zu spielen macht immer viel Spaß, Max.“
„Awww“, erklingt der Mann auf dem Bildschirm. „Ich gehe morgen zur Post und schicke euch die Geschenke, ist das besser?“
„Ja!“, antwortet Cassie freudig. „Danke, Max.“
„Und sobald ich wieder da bin, schnapp ich mir dich und deine Schwester und wir sehen uns ein paar Filme an.“
„Ja, das wird toll“, freut Cassie sich. „Ich hab dich lieb, Max.“
„Ich dich auch, meine Süße.“ Max haucht meiner Tochter einen Kuss zu. Auch Cassie küsst ihre Hand und schickt Max den Kuss winkend zu. Kichernd schmiegt sie sich an mich.
Ich räuspere mich laut. „Seid ihr dann fertig? Max, gibt es noch etwas, das du wolltest, außer meine Kinder zu beschenken?“
„Oh, klar, klar. Cassie? Bist du ein Schatz und lässt uns ein bisschen alleine? Ich muss mit deinem papá über echt langweilige Dinge reden und das kann ich dir nicht zumuten.“
„Aber ich will bei papá bleiben“, schmollt meine Tochter. Sie legt ihre Arme um meinen Hals und hält sich an mir fest.
„Sie ist gerade ein bisschen kuschelbedürftig. Fang mal an, die Langeweile vertreibt sie vielleicht von selbst“, scherze ich mit einem Funken Hoffnung, dass es funktionieren könnte.
„Also na gut…“ Max sieht auf seine Uhr am Handgelenk, ehe er wieder in die Kamera sieht. „Jay und ich treffen uns später hier im Hotelrestaurant und wir werden ausgiebig brunchen und uns über die zukünftigen Projekte unterhalten.“ Ich nicke. „Fest steht jedenfalls, dass einer seiner Gitarristen aussteigen muss oder eher will. Seine Frau ist schwanger und er will lieber Daddy sein. Ich hätte also einen Platz in 1000 Years From Now, das Ding ist nur, dass sich unsere Soloprojekte nicht so einfach zusammenmischen lassen.“
„Inwiefern gibt das Probleme?“
„Naja, was macht Jay, wenn ich singe?“
„Dir das Mikrofon wegnehmen, weil er darin besser ist als du“, antworte ich schnell und ohne groß zu überlegen.
Max’ Blick spricht Bände. Er will mir gewisse Worte an den Kopf werfen, doch wegen Cassie sagt er nichts. Mit einem Grinsen und Augenkontakt zur Kamera gebe ich meiner Tochter einen Kuss auf die Schläfe. Kinder sind ein tolles Schutzschild gegen böse Worte.
„Das sind ja nicht alle Probleme, das war jetzt nur so ein albernes Beispiel“, winkt Max ab. „Es geht um das Management, den Namen der Band, Rechtsfragen und so weiter… Mir wäre Highway 89 lieber als 1000 Years From Now. Immerhin ist das quasi Jays Soloprojekt und mein Herz hängt an dem Namen Highway 89…“
„Hm…“
„Jay arbeitet ja aktuell mit den Jungs an einem neuen Album. Geplant wäre der Release für nächstes Jahr, irgendwann im Sommer schätze ich. Ich könnte mich an dem kreativen Prozess auch nicht so stark beteiligen, weil wir im Herbst wieder drehen. Ich will ja auch so viel Zeit wie möglich mit meinen Kindern und Sebastian verbringen, bevor ich wieder auf der Bühne stehe.“
„Ich verstehe, aber viele rechtliche Probleme sollte es eigentlich nicht geben, schätze ich. Alle Beteiligten bekommen natürlich ihre Credits, was den Schreibprozess für das neue Album angeht und dadurch dass alle Beteiligten bei DRS Records unter Vertrag stehen, ist das Problem weniger tragisch. Klar kann niemand seinen Vertrag ohne Konsequenzen brechen, aber Verträge lassen sich einvernehmlich lösen und neu aufsetzen. Gerade du solltest mit Dan locker verhandeln können. Jeder der möchte, kann bei der neuen Konstellation mitmachen und die, die beispielsweise jetzt mit dir nicht klarkommen würden, finden mit Dans Hilfe einen neuen Platz. Es ist ja nicht so, als würde irgendwer arbeitslos werden. Dan findet immer die passenden Jobs.“
„Ja schon…“, antwortet Max nachdenklich. „Haben du und Calum schon darüber gesprochen?
„Ihm geht es nicht anders, er will auch wieder arbeiten“, antworte ich.
Max nickt. „Und du? Willst du immer noch mitmischen?“
„Liebend gerne“, antworte ich mit einem Grinsen.
Cassie löst sich ein wenig von mir. „Heißt das, dass du weggehen willst, papá?“
„Ich gehe nicht weg, Prinzessin. Bevor man auf Tour geht, muss man noch Songs schreiben, viel zusammen proben, ein Album aufnehmen und ganz viele andere langweilige Dinge tun.“
„Ich will, dass du immer bei mir bist“, erzählt Cassie mit großen Augen. Sie umarmt mich fest und schmiegt ihren Kopf dabei an meinen. Ich sehe auf und erblicke Max, der mich mit einem sanften Lächeln ansieht. Er formt seine Hände zu einem Herz und grinst breit, woraufhin ich ihm dezent meinen Mittelfinger präsentiere.
„Jay meinte übrigens, dass du viel sympathischer bist, seit du Kinder hast. Nutz das als einen Punkt für dich, wenn er sich bei dir meldet.“
„Ihr redet also auch darüber, ob ich wieder einsteigen darf“, stelle ich fest, worauf Max nickt.
„Darf klingt so böse, aber im Prinzip ja“, stimmt er mir zu.
„Ich kann es kaum erwarten, das ‚Kleingedruckte‘ von euch zu bekommen…“
„Darüber reden wir noch einmal, wenn Jayson auch dabei ist, okay?“
Nun bin ich derjenige der nickt. „Geht klar. Ich nehme an, dass ich kaum ein Mitsprecherecht haben werde und froh sein kann, dass ihr mich wieder aufnehmt, sehe ich das richtig?“
Max seufzt. „Ich weiß, worauf du anspielst und… Von mir aus bekommst du Solos und generell ein größeres Mitspracherecht. Wir waren uns in der Vergangenheit nicht immer einig, aber ich bin mittlerweile so weit, dass ich meinen Selbstwert nicht nur aus meinen Fans ziehe.“
„Oh, der große Max Jackson ist doch erwachsen geworden.“
„Naja“, antwortet er schmunzelnd. „Sollte ich doch. Ich hab jetzt zwei Babys. Wie soll ich ihnen beibringen Kompromisse einzugehen, wenn ich immer meinen Kopf durchsetze? Ich will es ihnen nicht nur sagen, sondern auch vorleben.“
„Du Heiliger…“
Ich nehme Max’ Klingelton wahr. Er greift sofort nach seinem Smartphone, stellt es aber auf lautlos, ehe er wieder zu mir sieht.
„Schon gut, geh ran“, antworte ich ihm. „Sprich mit Jayson über alles. Ich rede mit Calum und wir bekommen das alles schon irgendwie unter einen Hut. Wir sind doch Profis.“
„Sozusagen“, antwortet Max grinsend. „Ich schreibe dir, wenn Jay und ich durch sind, okay?“
„Klar, bitte die Kurzfassung, aber nicht so kurz, dass ich nicht weiß, worauf du hinaus willst.“
„Wird gemacht. Wir sehen uns. Bye Cassie.“
Cassie dreht sich wieder zu Max, sie erwidert sein Winken. „Ich hab dich lieb, Max. Bis bald.“
„Ich hab dich auch lieb. Bis bald, meine Süße.“
Auch jetzt tauschen die beiden einen Luftkuss aus. So schnell das Gespräch begonnen hat, so schnell beendet Max den Videoanruf auch wieder.
„Wenn du arbeitest und Daddy arbeitet, wo bin ich dann?“, fragt Cassie mich etwas betrübt.
„Das ist das, worüber Daddy und ich noch sprechen müssen, Prinzessin. Du wirst aber auf keinen Fall alleine zurückbleiben, das verspreche ich dir“, erkläre ich. Ich sorge dafür, dass Cassie auf meinem anderen Oberschenkel sitzt, da mein Bein langsam aber sicher etwas schmerzt. „Könnte sein, dass die ganze Familie mitkommt, wenn ich auf Tour bin. Dann könntest du aber nicht mehr in eine normale Schule gehen und hättest einen eigenen Lehrer.“
„Man kann einen eigenen Lehrer haben?“, fragt Cassie überrascht nach. „Das ist voll cool.“
„Ach, das gefällt dir?“, hake ich nach.
„Mhm. In die Schule zu gehen ist voll blöd, das mag ich nicht. Immer muss man aufstehen, obwohl man schlafen möchte. Und Schlafen ist echt voll super.“
Diese Aussage bringt mich zum Lachen. Kinder sehen die Welt so naiv, dass es eigentlich schon wehtun sollte, trotzdem ist Cassie so süß, dass ich ihr jetzt unmöglich die brutale Realität offenbaren kann.
„Da hast du wohl Recht, Prinzessin.“ Cassie lächelt mich an. Ich stupse mit dem Zeigefinger gegen ihre Nase. „Wie sieht’s aus? Was macht dein Fuß?“
„Der fühlt sich ganz warm an…“
„Na dann wird es Zeit, dass wir ihn kühlen.“
Mit einem Nicken stimmt sie zu, außerdem legt sie ihre Arme wieder um meinen Hals. „Ich hab dich so lieb, papá. Wenn du arbeitest, dann darfst du nicht weggehen so wie Max. Der ist nämlich immer ganz lange weg und das ist blöd. Ich will nicht, dass du weggehst. Wenn wir mitkommen dürfen, bin ich auch ganz brav, das verspreche ich.“
„Ich finde eine Lösung, die für uns alle perfekt ist, das verspreche ich dir“, erzähle ich, wobei ich über Cassies Rücken streichle. „Ich hab dich auch lieb, Prinzessin.“
…
Nach meinem Nickerchen fühle ich mich gleich viel erholter. Den Nachmittag genieße ich auf der Veranda.
Ich trinke meinen Kaffee und gehe auf meinem Tablet einige alte Klatschgeschichten der letzten Jahre durch. Wenn man meinen Namen in eine Suchmaschine eingibt, muss man nicht lange nach einem Skandal Ausschau halten. Schon die Schlagzeilen bringen mich dazu, über mein ‚altes Ich‘ zu schmunzeln. Ich habe absolut nichts ausgelassen. Drogen, Alkohol, Fremdgehen, Körperverletzung, Sachbeschädigung…
Ein aktueller, vorgeschlagener Artikel weckt meine Aufmerksamkeit.
Trevor Sanchez ohne Ehering: Ist das das Ende seiner holprigen Ehe?
Interessiert, was die ‚Reporter‘ sich nun jetzt wieder aus den Fingern saugen, tippe ich besagten Artikel an. Ich nehme einen Schluck meines Kaffees und stelle meine Tasse gleich wieder ab.
Unbehelligt von den Schlagzeilen über ihre Eltern, betätigen sich Cassie und Lucía wie so oft kreativ. Sie zeichnen, friedlich und ganz ohne zu streiten.
Ich sehe wieder auf den Bildschirm, auf dem sich ein Foto von mir und Domingo befindet. Ich erinnere mich sofort daran, denn das ist das Bild, das Calum an Gabe geschickt hat. Weil ich es so gelungen fand, habe ich es hochgeladen. Wenn ich gewusst hätte, dass das zu einer Schlagzeile führt, hätte ich dazu geschrieben, dass ich meinen Ehering verloren habe und ein neuer bereits bestellt ist…
Der ehemalige Gitarrist der Band Highway 89 hat ein Foto auf seinem Social Media Account geteilt. Nichts Ungewöhnliches, doch bei genauerem Hinsehen sind die Fans schockiert: Trevor Sanchez (37) trägt keinen Ehering. Untypisch, wie einige Fans feststellen.
Die Ehe mit dem Model Calum Sanchez (29) hatte in den letzten Jahren immer wieder ihre Höhen und Tiefen. Immer wieder waren die beiden in den Schlagzeilen. Das Paar hat sich nach der Adoption ihrer zwei Töchter nach und nach aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, doch das Interesse der Fans hat nie nachgelassen.
Trennungsgerüchte. Ist ihre Ehe gescheitert?
Ein weiteres Foto ist in den Artikel eingebettet. Calum trägt eine dunkle Sonnenbrille, an jeder Hand hält er eine unserer Töchter. An den bunten Haarsträhnen meiner Töchter, erkenne ich, dass das Foto wohl während unserer Beziehungspause geschossen wurde. Die verdammten Paparazzi finden einen wohl überall.
Calum Sanchez, hier mit den gemeinsamen Töchtern Cassidy und Lucía zu sehen, wurde in den letzten Tagen immer wieder ohne Ehemann in Zuzu City gesichtet. Ob die beiden eine Trennung durchmachen ist nicht bekannt. Ein offizielles Statement bleibt aus.
Ich fasse mir an den Kopf und lege das Tablet weg. Ist ja nicht so, als hätte mich jemand gefragt…
Enough internet for today.
Ich stütze mein Kinn an meiner Handfläche ab und lasse meinen Blick über die Zeichnungen meiner Mädchen schweifen. Cassies Bild bringt mich etwas zum Schmunzeln. Die Frisur der gezeichneten Figur erinnert mich doch glatt an einen gewissen Gitarristen, den ich kenne.
„Na? Was zeichnest du da, Prinzessin?“, frage ich meine Tochter.
Sie sieht zu mir, legt aber dann ihre Hand auf das Bild. „Das ist ein Geschenk für Max.“
„Ach wirklich?“
„Ja“, bestätigt sie sich. „Ich hab Max sehr lieb. Hoffentlich kommt er bald wieder. Dann kann ich ihn wieder ganz fest umarmen.“
„Sag mal, Cassie. Was macht ihr eigentlich so, wenn ihr bei Max und Sebastian seid?“
„Spielen“, antwortet Cassie knapp, doch dann führt sie ihre Antwort genauer aus. „Wir verkleiden uns und Sebastian schminkt uns, damit wir aussehen wie Prinzessinnen. Max ist lustig, er zieht alles an, was wir sagen.“
„Er hat ein Tutu. Wie ich beim Tanzen“, erzählt Lucía leise.
Ich grinse vor mich hin. Darin ist Max besonders gut. Er macht sich immer zum Affen und es ist ihm vollkommen egal, was andere dazu sagen oder von ihm denken. Ich bin da ein wenig anders. Mir ist zwar auch egal, was Leute von mir halten, dennoch bin ich mir für so einen Blödsinn zu schade. Wenn meine Kinder mir die Nägel lackieren ist das noch okay, aber ich würde für sie kein Kleidchen anziehen…
Ein Blick auf Lucías Zeichnungen bringt mich zum Stutzen. Ich greife nach einer der fertigen Zeichnungen. Sie hat wieder ihre imaginären Freunde gezeichnet. Auf dem Bild ist nicht nur einer dieser bunten apfelähnlichen Männchen, sondern auch ein Teller mit Crackern, so wie der in ihrem Zimmer. Ich greife nach dem nächsten Bild. Was ich da sehe, verwirrt mich etwas. Einige ihrer kleinen Freunde stehen im Gras. Bei den Blumen hat Lucía sich wie immer besonders viel Mühe gegeben. Der verwirrende Teil des Bildes ist der Ring, den sie in die Mitte gezeichnet hat.
…das erinnert mich an etwas.
„Lucía?“, frage ich meine Tochter. Sie hebt ihren Kopf und sieht mich an. „Was ist das?“ Ich deute auf den Ring.
„Dein Ring“, erzählt sie. „Meine Freunde haben ihn gefunden.“
Ich blinzle irritiert. „Deine Freunde haben ihn gefunden?“
„Sí.“ Lucía legt ihren Stift weg und zeigt neben mich. „Sie haben ihn da hingelegt.“
Überrascht drehe ich mich um. Ihre Freunde haben den Ring auf das Fensterbrett gelegt? Wie…
„Wieso?“, frage ich sie, dabei drehe ich mich wieder zu ihr.
„Du warst traurig und sie helfen“, erzählt sie mit einem Lächeln. „Du hast ihnen Essen gegeben. Ihr seid auch Freunde.“
Ich nehme Lucías Zeichnungen an mich. „Ich bin gleich wieder da.“ Mit den Zeichnungen in den Händen eile ich nach drinnen.
Calum sitzt gerade vor seinem Klavier und studiert ein neues Lied ein. Ich lege eine Hand auf seine Schulter und stecke die zwei Zeichnungen vor seine Notenblätter. Augenblicklich hört er auf zu spielen und sieht zu mir nach oben.
„Irgendwas ist hier faul“, beginne ich das Gespräch.
„Was?“
„Sieh dir das an. Das sind Lucías imaginäre Freunde. Ich hab ihnen Cracker auf Lucías Schreibtisch gestellt und als Dankeschön haben sie meinen Ring gefunden und ihn auf das Fensterbrett gelegt.“
Calum sieht auf die Zeichnungen, dann dreht er sich wieder zu mir nach oben. „Bist du high oder so?“
„Ich weiß wie verrückt das klingt, Calum. Hör mir kurz zu.“
Skeptisch hebt er eine Braue. „Ja, okay, schieß los…“
„Als ihr nicht da wart, hat Richie einen Teller mit Crackern nach oben gebracht. Am nächsten Tag waren sie weg. Ich dachte, dass er mich verarschen will und er dachte, dass ich ihn verarschen will. Ich habe eine Kamera aufgestellt. Ein paar Mal ging sie aus, ohne etwas zu filmen und ein paarmal hat sie zwar gefilmt, aber man konnte außer einem schwarzen Bild nichts sehen oder hören. Das ist doch verrückt.“
Calum legt den Kopf schief. „Wieso sprichst du das erst jetzt an, wenn es dich so beschäftigt?“
„Weil…“ Ich zucke mit den Schultern. „Weil ich andere Dinge im Kopf habe. Unsere Ehe zum Beispiel. Ich hab das irgendwie verdrängt oder so. Aber sieh dir das an… Lucía sagt, dass ihre Freunde meinen Ring gefunden haben. Er lag einfach so auf dem Fensterbrett, wir hätten ihn sehen müssen, wenn er dort gewesen wäre.“
„Nur so fürs Protokoll: Die imaginären Freunde sollen echt sein und deinen Ring gefunden haben. Sie haben ihn auf das Fensterbrett gelegt, damit du ihn findest, weil sie sich damit für die Cracker bedanken wollten. Das ist also real, aber wenn Richie sagt, dass Will ihm Sternschnuppen schickt, dann ist das vollkommener Schwachsinn. Nur so interessenshalber: Wo ziehst du die Grenze, Trevor?“
Ich seufze.
„Ich klinge verrückt…“
„Mhm.“
„Ich bin nicht verrückt.“
„Aber vermutlich high…“
„Calum…“
Er nimmt die Zeichnungen und steht auf. „Du duftest so stark wie eine gesamte Hanfplantage, also nimm es mir nicht übel, dass ich dich im Moment vielleicht nicht ganz so ernst nehme. Du warst schon oft ziemlich wirr und hast mir schon einiges erzählt, das mich zum Schmunzeln gebracht hat. Das hier ist aber der Höhepunkt, Sweetie.“
„Tz…“
Mein Liebster grinst mich breit an, dabei reicht er mir die Bilder. „Was gedenkst du zu tun? Die kleinen Männchen weiterhin füttern und sie wie Haustiere behandeln?“
„Ich ähm… Machst du dich gerade über mich lustig?“
„Ein bisschen.“ Calum gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Solange diese kleinen Dinger niemandem etwas tun, wird schon nichts schief gehen. Und du kiffst weniger, okay?“
Calum geht an mir vorbei und verlässt das Zimmer. Ich lasse einen tiefen Seufzer los und setze mich auf die Couch. Die Bilder lasse ich auf den Couchtisch sinken. Kurz schnüffle ich an meinem Shirt. Stimmt schon, ich rieche nach Gras, aber das macht das alles hier nicht weniger oder mehr verwirrend.
Es ist unfair, dass weder Richie, noch Emily oder Lucía als verrückt gelten, wenn sie an irgendwelche unlogischen, übernatürlichen Dinge glauben, aber…
Ich verziehe etwas das Gesicht.
Natürlich spinne ich. Diese kleinen bunten Äpfelchen können nicht real sein. Das wäre doch vollkommen bescheuert. Erst die Sternschnuppen, die Richie von einem Geist geschickt bekommt und dann diese imaginären Freunde, die echt sein sollen.
Was kommt als nächstes?
Geister, die einen heimsuchen?
Calum hat Recht, ich sollte weniger kiffen.
Ich brauche einen Drink.