capítulo 17
la vida cotidiana I
Nach der letzten Nacht bin ich nicht in Stimmung dafür, früh aufzustehen, doch Calum schleift mich wortwörtlich aus dem Bett. Während er schon bereit dazu ist, sein morgendliches Sportprogram zu starten, klammere ich mich müde und verzweifelt an die Bettdecke. Ich will nicht aufstehen. Solange die Mädchen mich nicht wecken, will ich hier liegen bleiben und meine Ruhe genießen.
„Jetzt komm schon, stell dich nicht so an“, bittet Calum mich, als er an meinen nackten Beinen zieht. „Du bist schlimmer als Cassie, wenn sie zur Schule gehen muss…“
„Ich will nicht…“
„Max wartet auch schon auf uns.“
„Ich will eine Zigarette und einen Kaffee… und nicht Schweiß und Muskelkater…“
Es klopft an der Zimmertür, sie wird gleich im Anschluss geöffnet.
„Oh… Er liegt noch im Bett… ‚Trevor ist noch nicht ganz fertig‘ klang für mich eher so als würde er sich gerade anziehen.“
Die Stimme gehört zu Max. Ich hasse Max im Moment.
„Steh auf, Trevor“, bittet Calum mich nun lauter.
„Ich hebe ihn hoch und trage ihn nach draußen“, schlägt Max vor.
„Er ist nackt…“
„Na und? Als ob ihn das stören würde. So wie ich ihn kenne, hat die halbe Stadt ihn bereits nackt gesehen“, antwortet Max belustigt. „Beweg deinen Arsch, Trevor oder ich brenne mit Calum durch.“
„Mach doch… Lass mir Sebastian da und das passt schon.“
Mein marido lässt von meinen Beinen ab. Er fängt an zu lachen, als er neben mir ins Bett fällt. Max stürzt sich auf ihn und schmiegt sich an Calum. Ich sehe Max genau in die Augen, er grinst mich breit an. Er versucht meine Eifersucht zu triggern, das weiß ich ganz genau. „Ich liege nur schon mal Probe, falls dein ‚Mach doch‘ ernst gemeint war.“
„War es nicht, runter von meinem marido oder ich falle über Sebastian her und zeige ihm, wie sich richtiger Sex anfühlt.“
„Sebastian bekommt richtigen Sex… und wenn du ihn anrührst muss ich dich leider töten.“
Mir entgeht Calums Blick nicht, als Max sich etwas aufrichtet. Er wirkt, als hätte es ihn nicht im Geringsten gestört, dass Max sich einfach auf ihn geworfen hat. „Du riechst total gut, Max…“
„Danke, Calum. Ich kann das Kompliment nur zurückgeben.“
„Ihr seid solche Homos…“
Ich steige aus meinem Bett und begebe mich einige Schritte zum Kleiderschrank. Ein paar Kleidungsstücke später bin ich auch schon angezogen.
„Darf ich wenigstens eine Zigarette rauchen, bevor ihr mich durch den Wald treibt, als wäre ich ein armes Tier?“
„Nein“, antworten beide im Chor.
…
Keuchend jogge ich den beiden Sportskanonen hinterher. Calum und Max unterhalten sich angeregt, während ich schon ziemlich außer Atem bin. Es war klar, dass die beiden mich abhängen, aber dass ich immer weiter zurückbleibe frustriert schon ein wenig. Meine verdammte Raucherlunge macht es mir nicht leicht, mitzuhalten. Dass ich die letzten Tage in der Klinik verbracht habe, um mich von meinem Entzug zu erholen ist vermutlich auch nicht besonders hilfreich. Die anstrengendsten Bewegungen der letzten Tage bestand darin, dass ich die Treppen zu Harveys Apartment hochgestiegen bin, um dort eine Dusche zu nehmen.
Vor ein paar Wochen war ich jedenfalls noch um einiges sportlicher als ich es jetzt bin. Calum hatte Recht, ich baue sofort an Motivation und an Sportlichkeit ab, sobald ich mich ‚ein paar Tage‘ ausruhe. Sitzen und ausruhen ist nicht gesund, ich hab’s kapiert, aber es wird trotzdem Zeit für eine Pause, bevor ich ersticke.
Ich werde immer langsamer und komme schließlich doch ins Stehen. Müde lehne ich mich mit einem Arm an einem Baum an und atme einige Male tief durch. Es dauert einige Atemzüge, doch dann sehe ich wieder auf. Calum und Max stehen ebenfalls. Sie sind bereits am Fluss angekommen. Mein marido hält nach mir Ausschau, er winkt mir.
„Komm schon, Sweetie! So weit ist es gar nicht mehr! Nur noch hier bis zum Fluss, dann drehen wir wieder um.“
„Du schaffst das, Trevor. Go, Trevor! Go, Trevor!“, feuert mich Max motiviert an.
Verdammter Max. Oh Yoba, wie sehr ich sein perfektes Gesicht und sein Lächeln und seine Muskeln hasse. Und seine bescheuerten schwarzen Haare. Er denkt auch, dass er gut aussieht mit seinem dämlichen Zopf und seinem viel zu engen T-Shirt. Ich kann seine verdammten Nippelpiercings bis hier her sehen. Ich sollte dieses immer fröhliche Arschloch im Fluss ertränken und seine Leiche ins Meer werfen.
Nach einigen weiteren Atemzügen bekomme ich wieder die Kraft, die ich brauche, um aufzuholen. Meine müden Beine tragen mich noch bis zum Fluss, doch ich will nicht weiter und zurückjoggen will ich schon gar nicht.
„Wieso überredest du nicht noch Sebastian zum Joggen? Wäre lustig, wie so ein Doppeldate“, fragt Calum nach.
„Oh klar“, antwortet Max lachend. „Sebastian würde ungefähr einen Meter weit kommen, sich dann hinsetzen und warten, bis wir ihn wieder abholen. Er macht Yoga, das reicht ihm an Bewegung. Ich hab zwar versucht, ihm einen Plan zusammen zu stellen, aber Sebastian jammert und heult viel zu sehr. … Ein bisschen so wie Trevor, nur schlimmer.“
„Das… ist… kein Jammern… Ich bekomme keine… Luft…“
„Das wird schon“, antwortet Calum ohne einem Funken Mitleid in seiner Stimme. „Ein paar Atemzüge noch, dann hast du wieder genug Luft. Zuhause mache ich dir dann einen Shake und dann darfst du deine Zigarette rauchen.“
Max lacht. „Also ich würde die Zigarette weglassen, wenn ich so keuchen würde wie du.“
„Cállate, Max“, drücke ich immer noch atemlos heraus. Es wird allerdings immer besser. Meine Lunge hat doch nicht ihre Funktion eingestellt.
„War ja nur ein Gesundheitstipp. Du bist genauso stur wie Sebastian“, zieht Max mich auf.
„Naja, offenbar bin ich nicht… stur genug, immerhin bin… ich hier…“, antworte ich geschafft. Wenn die beiden das morgen wieder mit mir vorhaben, greife ich wieder zur Flasche. Das hält doch kein Mensch aus.
Max und Calum dehnen und strecken sich, während ich an meiner Raucherlunge mehr oder weniger ersticke. Da ich mir nicht die Blöße geben will, zurück zu bleiben oder hinter den beiden herzugehen, gebe ich beim Rückweg noch einmal alles, was ich kann.
Ich kann zwar nicht ganz mit Max und Calum mithalten, doch wenigstens gebe ich nicht auf!
…
Nach einer Dusche bin ich zu erledigt, um mich aktiv an irgendetwas zu beteiligen. Ich liege auf einer Decke in der gemähten Wiese, um meinen Kindern wenigstens körperlich nahe zu sein. Neben mir hat Domingo es sich bequem gemacht, auch er hält ein kleines Nickerchen. Zusammengerollt schmiegt er sich an meine Seite, er schnarcht ein wenig, doch das stört mich nicht besonders. Die nächsten Stunden muss ich mich garantiert erst einmal erholen. Ich habe meinen Mädchen viel versprochen, das ich heute allerdings auf keinen Fall einhalten kann. Hoffentlich habe ich Glück und es reicht ihnen, dass ich hier bin.
„Schläft papá?“, höre ich Cassies Stimme.
„Du solltest sein Gesicht bemalen, wenn er es sich gefallen lässt, dann schläft er“, schlägt Sebastian böswillig vor. Dieses kleine Monster trichtert meinen Mädchen nur dumme Ideen ein.
Das Kichern meiner Tochter erklingt. „Das klingt nach einer tollen Idee. Das ist witzig.“
„Hier nimm den Stift, dann hat dein papá ganz lange etwas von deiner Kunst.“
„Was soll ich zeichnen?“, fragt Cassie nach.
„Du kannst doch Blumen ganz gut. Zeichne deinem papá eine Blume auf die Stirn, das findet er sicher toll.“
Mit einem frechen, aber leisen Kichern legt Cassie mir eine Hand ins Gesicht. Ich öffne die Augen und sehe meine Tochter mit bösem Blick an.
„Hör niemals auf etwas, dass Sebastian dir sagt.“
„Jaaa! Du bist wach!“ Cassie lässt sich sofort auf mich fallen. Mir bleibt die Luft ein weiteres Mal an diesem Morgen weg, aber wenigstens hat sie die Idee verworfen, mich anzumalen.
„Pass bitte auf Domingo auf.“
„Mach ich.“
Dem Hund ist alles egal. Domingo öffnet zwar kurz seine Augen, schließt sie aber gleich wieder. Solange man ihn nicht vertreibt, lässt er sich bei seinem Nickerchen nicht weiter stören.
„Ich wusste, dass du nicht schläfst“, meint Sebastian gleichgültig. „Deine Mimik hat die ganze Zeit dezent auf alles um dich herum reagiert.“
„Ich werde deinen Jungs übrigens auch Blödsinn beibringen, sobald sie keine kleinen Kartoffeln mehr sind und sich Informationen tatsächlich merken können“, kontere ich.
„Hast du gerade gesagt, dass meine Kinder dumm sind?“, fragt Sebastian ungläubig. „Sie sind Babys, okay?“
„No? Ich habe sie nicht dumm genannt. Wie du gesagt hast, sie sind Babys. Sie merken sich noch nichts, aber das macht nichts, sie sind sehr hübsch und gut gekleidet wie kleine Puppen“, antworte ich grinsend.
„Danke. … Moment, das war eine Beleidigung, richtig? Du bist so ein… Doofi.“
Sebastians kindliches Schimpfwort ist zu süß, ich muss einfach lachen.
„Deine Kinder sind okay wie sie sind, Sebastian. Nur wird es langsam Zeit, dass sie ein paar Wörter drauf haben sollten, findest du nicht?“
Sebastian seufzt, doch dann erklärt er: „Sie plappern schon ein bisschen, es macht nur noch nicht viel Sinn. Der Kinderarzt sagt aber, dass das normal ist. Manche Kinder sind ein bisschen langsamer als andere. Nicht jeder von uns ist gleich.“
„Lucía redet ja auch nicht so viel“, meldet sich Cassidy zu Wort.
„Da gibt es aber einen Unterschied: Sie könnte reden, sie tut es nur nicht“, antworte ich. „Abgesehen davon kann sie bereits zwei Sprachen, da kommt man schon mal durcheinander.“
Lucía hebt ihren Kopf, sie reicht Sebastian ein Bild. Leise rechtfertigt sie sich: „Ich höre lieber zu. Reden ist nicht so einfach.“
„Also ich finde, dass du sehr toll sprechen kannst. Außerdem bist du unheimlich talentiert.“ Sebastian legt seinen Arm um meine Tochter und streichelt sie. „Deine Bilder sind Kunstwerke, Lucía.“ Sebastian dreht die Zeichnung zu mir, sodass auch ich einen Blick darauf werfen kann. Er dreht das Bild wieder in seine Richtung. „Schenkst du mir das Bild, Lucía?“, fragt er meine Tochter lächelnd. „Es ist so schön, das passt perfekt in meine Sammlung.“
Lucía strahlt Sebastian an. „Sí. Es un obsequio.“
„Gracias“, antwortet Sebastian und drückt meiner Tochter einen Kuss auf die Wange.
„Was hat sie gesagt, Sebastian?“, fragt Cassie nach. Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und nimmt ein bisschen Abstand, um selbst wieder zu zeichnen.
Sebastian schmunzelt. „Ich hab nur ‚Sí‘ verstanden und das heißt ‚ja‘.“
„Sie schenkt dir das Bild. Sebastian du hast viel Zeit, lern endlich unsere Sprache“, ziehe ich das Zuckerstück auf.
„Lern… oh Mann, jetzt wollte ich das zurückgeben, aber du bist total sprachtalentiert. Wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?“
„Vier Sprachen kann ich mehr oder weniger fließend und dann noch Latein, aber das braucht kein Mensch. Im Studium war es aber ganz praktisch.“
„Wieso hast du aus deinem Wissen eigentlich nie mehr gemacht?“, fragt Sebastian nach. „Du hättest so viel machen können. Du hättest bestimmt Astronaut werden können.“
Ich überlege kurz. „Weißt du, ich hab Chemie und Jura studiert und habe durch Musik Millionen verdient, ich hab mein Soll erfüllt. Ein Flug ins All war nie auf meiner Liste, die Erde ist gut genug für mich“, antworte ich grinsend. „Hätte sein können, dass ich vielleicht ein guter Arzt oder ein messerscharfer Anwalt geworden wäre, aber ich wollte Musik machen… Lief gut, würde ich sagen. Ohne dich wäre das vielleicht nicht so glatt gegangen, trotzdem würde ich sagen, dass ich mich über den Verlauf meiner Karriere nicht beschweren kann.“
„Hm…“ Lucía nimmt Sebastians Hand. Sie inspiziert seine Armbänder, ehe sie anfängt zu zeichnen. Sebastian sieht auf die Zeichnung meiner Tochter, legt sie dann aber zur Seite. „Machst du eigentlich noch was in die Richtung? Dein Soloprojekt fand ich eigentlich ganz cool. So als Chillmusik hat mir dein Akustikalbum echt gut gefallen. Schade, dass da nichts mehr kommt.“
„Vor dem Umzug war ich öfter verhindert, die Mädchen hatten viele außerschulische Aktivitäten und Calum und ich waren überall dabei. In den letzten Tagen hatte ich ja auch nicht wirklich die Möglichkeiten, wenn du verstehst. Erst der Umzug, dann meine Verletzung, dann ging es mir schlecht… aber ich hab schon mit deinem Dad geredet, ich darf mir sein Studio leihen, wenn ich etwas aufnehmen möchte. Ein paar Stücke sind so gut wie fertig. Wenn du magst, kannst du mir im Studio Gesellschaft leisten.“
„Das fände ich gut“, meint Sebastian mit einem Lächeln.
„Was ist eigentlich mit deiner Karriere? Irgendwie hat sich dieses ‚Sebastian sein‘ in meinem Kopf eingeprägt. Ich weiß nie genau, was du eigentlich machst“, frage ich nach.
„Naja, ich hab mit Max zusammen sein Merch designt. Dann haben wir ja noch unsere Show und Ende dieses Jahres hätte ich eine kleine Rolle in der Serie, wo ich schon einmal mitgespielt habe. Ich weiß nicht, ob du die Folge gesehen hast. Das war so eine Krimiserie, da habe ich einen Zeugen gespielt und die Ermittler kommen quasi wieder zurück in mein Viertel. Mehr kann ich noch nicht sagen, ich hab mein Skript noch nicht, aber das war sozusagen das, was mir gesagt wurde.“
„Klingt doch gut. Ich finde, dass du dich als Schauspieler eigentlich ganz gut machst, Sebastian.“ Er wirkt nicht ganz überzeugt und zuckt nur mit den Schultern. „Im Ernst. Calum und ich haben die Folge gesehen und ich war erstaunt wie gut du das gemacht hast.“
„Danke“, antwortet Sebastian verlegen. „Es hat auch viel Spaß gemacht.“ Sebastian überblickt meine Mädchen, sie sind voll und ganz in ihrem Element, sobald sie Buntstifte und Zeichenblock haben. „Ich hab noch ein Jobangebot für einen Film bekommen… Also nicht direkt ich, sondern eher die Zwillinge. Ich würde gerne mit ihnen zu dem Casting gehen, aber vorher muss ich das mit Max besprechen. Es wäre zwar nur eine kleine Rolle, aber es wäre süß, wenn Aiden und Damian jetzt schon in meine Fußstapfen treten. Und sie sind ja auch verdammt hübsche Kinder, als Karriereeinstieg wäre eine Rolle in einer Familienkomödie total cool. Wenn sie jetzt schon einen Job haben, müssen sie sich niemals darüber Gedanken machen, was sie später mal werden wollen.“
„Hm…“, gebe ich überlegend von mir. „Meinst du echt, dass das so gut ist? Sie sind ja noch so klein und Kinderstars bekommen spätestens in der Pubertät immer einen… naja, Dachschaden…“
Sebastian seufzt. „Deswegen hab ich noch nicht mit Max gesprochen, ich fürchte, dass er das ähnlich sieht. Aber vielleicht nehmen sie Aiden und Damian ja gar nicht oder es ist eine einmalige Sache. Also ein Dreh schadet ihnen bestimmt nicht, immerhin haben sie immer Kameras um sich, wenn wir unsere Show drehen. Im Prinzip kennen sie das ja.“
Das Zuckerstück dreht sich zur Seite, als Max mit einem weinenden Baby auf uns zukommt. Er setzt seinen Sohn auf Sebastians Schoß und reicht ihm noch eine Flasche.
„Aiden mag mich heute nicht. Es war fast unmöglich, ihn zu wickeln. Er hat mich angepinkelt… zweimal…“ Ich lache Max aus. Endlich gibt es in seinem perfekten Leben einen kleinen Dämpfer. „Lach mich nicht aus du Doofi.“ Das Wort ‚Doofi‘ macht es nur schlimmer, ich vertreibe dadurch sogar Domingo, der sich jemand neuen zum Kuscheln sucht. „Sei leise, Trevor.“
„Max! Ich hab ein Shirt für dich!“, ruft Calum von der Veranda aus. „…aber zieh es lieber nicht an, Damian braucht auch eine frische Windel.“
Mitleidig sieht Max zu seinem Mann, doch Sebastian wendet seinen Blick schnell auf Aiden.
„Hey Aiden, wieso weinst du denn so? Awww, hast du Dad ein bisschen geärgert? Jetzt wo du wieder Platz in deinem Bäuchlein hast, hast du bestimmt wieder Durst.“ Das Baby beruhigt sich tatsächlich ein wenig. Sebastian lächelt breit, als er über Aidens Bauch streichelt. „Jetzt bist du wieder bei Daddy, es ist alles okay, mein Schatz.“ Liebevoll und vorsichtig führt Sebastian die Flasche zu Aidens Mund. Der Kleine trinkt brav seinen Tee. „Bringst du mir noch Tücher, Max? Also falls er doch wieder spuckt.“
„Mhm… und dann räume ich noch eine Ladung Babykacke weg.“
„Hör auf, ich hab kein Mitleid. Ich hab das jetzt lange alleine gemacht, du musst aufholen.“
„Wie du meinst… Brauchst du noch etwas?“
„Ja, meine Tasche“, antwortet Sebastian gleichgültig.
„Deine Tasche oder die Babytasche?“
„Meine Tasche. Hör mir zu, wenn ich etwas sage.“
Max runzelt etwas die Stirn. „Okay, schon gut.“
Während Sebastian und Max sich gedanklich im Moment verabscheuen, wendet sich meine kleine Cassie an mich.
„Darf ich dir heute die Nägel lackieren? Du darfst dir auch die Farbe aussuchen.“
Ich atme tief durch. „Wenn ich liegen bleiben darf, dann ja.“
„Das darfst du“, antwortet sie. „Welche Farbe willst du?“
„Schwarz.“ Den kann ich nämlich dran lassen. Mit pinken Nägeln würde ich niemals mein Haus verlassen. Das ist mir dann doch ein bisschen too much.
„Wir haben aber kein Schwarz“, antwortet Cassie schmollend. „Nimm eine andere Farbe.“
„Ich hab schwarzen Nagellack in meiner Tasche. Max bringt sie gleich, dann kannst du ihn raussuchen.“
„Danke, Sebastian. Du bist mir von allen Freunden meiner Eltern der Liebste“, bedankt Cassie sich.
„Awww, danke Cassie, das ist so süß von dir.“
Wortlos legt Max Sebastians Tasche ab. Das Zuckerstück bekommt noch ein Spucktuch für seine Schulter, doch dann geht Max wieder zurück zur Veranda, wo Calum gerade seinen Kaffee trinkt.
„In meiner Tasche ist eine schwarze Kosmetiktasche“, erklärt Sebastian. „Du darfst sie dir rausnehmen, Cassie.“
„Okay.“
Ich schließe die Augen und genieße die Sonnenstrahlen, die durch die sich bewegenden Blätter des Baumes über uns, dringen. Neben meinem Ohr höre ich das Schnüffeln von Domingo. Da ich nicht will, dass er mein Gesicht mit seiner Schnauze berührt, drehe ich mich etwas zur Seite. „No, Domingo.“ Ich spüre seinen Kopf erst wieder an meiner Seite, denn er kuschelt sich wieder zu mir. Keine Ahnung, wieso er sich ausgerechnet so sehr in mich verliebt hat, doch an meiner Seite schläft er wohl am liebsten.
Als ich ein komisches Rascheln höre, öffne ich wieder meine Augen.
„Bist du krank, Sebastian?“, fragt Cassie erschrocken. „Du hast Medikamente in deiner Tasche.“
„Das sind Vitamine“, erklärt Sebastian die kleine Tablettenbox. Ich weiß ganz genau, dass es keine Vitamine sind. Sebastian kämpft seit Jahren gegen seine Depression und das ist auch kein Geheimnis, doch Kinder müssen nicht alles wissen.
„Wieso brauchst du die?“, beginnt Cassie gleich, ihren neuen Lieblingserwachsenen zu löchern.
„Oh Aiden… Du hast dich ja angespuckt, du kleiner Frechdachs.“ Sebastian wischt über den Mund seines Sohnes, legt ihn dann an seine Schulter und klopft leicht gegen Aidens Rücken. „Weißt du Cassie, ich rauche viel und das ist ungesund und damit ich nicht krank werde, nehme ich Vitamine.“
„Ach so. Das ist eine gute Idee. Ich hab immer ein bisschen Angst, wenn jemand krank ist. Als papá krank war, hatte ich so große Angst, dass er nicht mehr da sein wird, dass ich von Zuhause weggelaufen bin, um ihn zu besuchen.“ Cassidy schmiegt sich sofort an mich. Ich streichle durch ihre blonden Haare. Cassie betrachtet die Tabletten, legt sie dann aber wieder zurück in die Tasche.
„Du bist weggelaufen? Du weißt aber mittlerweile, dass das nicht okay ist, oder?“
„Ja… Der Onkel Doktor hat mir das gesagt und Daddy hat geschimpft.“
„Tja, manchmal müssen Daddys schimpfen“, erklärt Sebastian mit einem Lächeln. Er hat definitiv Dans Gene. Auch Sebastian kann gut mit Kindern umgehen, auch wenn er es sich früher nie zugetraut hat. „Aber wir Daddys lieben unsere Kinder trotzdem über alles. Stimmt’s Aiden? Dein Dad liebt dich auch noch, obwohl du ihn angepinkelt hast.“
Ich schmunzle als Aiden nur irgendwas vor sich hinblubbert. Sebastian ist mit dieser Antwort allerdings mehr als zufrieden. Er kümmert sich darum, dass Aiden wieder sauber ist, eher er ihm einen Kuss gibt. Der kleine Stinker bekommt noch etwas Tee. Ich denke, dass es doch seine Vorteile hat, keine Babys zu haben. Kinder im Schulalter können einem wenigstens erklären, was mit ihnen los ist.
„Ich hab den Nagellack. Gib deine Hand her, papá.“
„Zu Befehl.“
„Wenn ich groß bin, will ich das als Beruf machen. Bunte Nägel sind total cool“, erzählt Cassie freudig.
„Wenn es so weit ist, dann kaufe ich dir einen tollen Saloon, damit du dein eigener Chef bist“, verspreche ich zuversichtlich.
„Das ist cool, dann kann ich immer arbeiten, wenn ich Lust habe und wenn nicht, dann mache ich den Saloon zu.“
Ich liebe kindliche Naivität. Wenn sie den Laden tatsächlich so führen würde, wäre mein investiertes Geld schnell den Bach runter gehen. Naja, solange sie die Finger von Drogen und Alkohol lässt, ist mir das aber mehr als recht.
„Du darfst deine Hände jetzt nicht bewegen, bis ich fertig bin und bis der Nagellack trocken ist.“
„Okay, Prinzessin, weck mich, sobald du mich schön gemacht hast.“
„Mach ich.“
…
Ich habe mich selten so sehr gefreut, ins Bett zu kommen. Müde und etwas teilnahmslos liege ich da, als Calum vor sich hinredet. Meine feuchten Haare hängen mir ins Gesicht. Auf dem Boden in seinem Körbchen schnarcht Domingo bereits seit einigen Minuten. Der lange Spaziergang im Wald hat ihn ausgepowert und ihm gut getan. Ich hingegen fühle mich, als würde Calum mich gerade foltern, doch ich bin froh, dass er da ist. Alles ist besser als alleine in der Klinik zu liegen.
„Und weißt du, was mich noch an den beiden fasziniert?“, fragt Calum nach. Er redet seit einer Stunde nur über Max und Sebastian.
„Was denn?“
„Der Sex. Sebastian redet da ja nicht so gerne darüber, also habe ich Max ein bisschen ausgequetscht, weil wir beide ja immer ein wenig um den Top-Part kämpfen. Max hat mir gesagt, wie sie das machen.“
„Mhm… Ich kann es mir gut-“ Ich gähne herzhaft. „-vorstellen. Sebastian liegt da und Max sorgt dafür, dass Sebastian einen Orgasmus bekommt.“
„Nein gar nicht, die beiden sind total süß. Max sorgt für Stimmung mit Kerzen und Duftölen, dann massiert er Sebastian und hilft ihm sich zu entspannen. Das ist so richtig kuscheliger Kuschelsex. Sie küssen sich und nehmen sich viel Zeit für einander, bevor es dann zur Sache geht. Bei denen ist es übrigens einfacher, weil Max immer Top ist.“
„Mhm…“
„Ich finde, wir sollten auch ab und zu ein wenig romantischer sein, wenn wir Sex haben.“
„Reicht es dir nicht, wenn ich dich knalle?“, frage ich grinsend.
„Halt die Schnauze.“ Ich sehe auf, mein marido cremt gerade seine Beine ein. Wahrscheinlich Feuchtigkeitscreme, seine Haut sieht an einigen Stellen aus, als wäre sie durch die Sonne gerötet. „Weißt du, an die Mädchen denke ich immer, Cassie und Lucía sind immer eingecremt. Und ich Idiot wollte mir Sonnencreme holen, hab das aber dann wegen irgendwas vergessen. Und jetzt hab ich Sonnenbrand.“
„Ich seh’s.“ Ich verkneife mir einen dummen Spruch, um Calum nicht zu ärgern und kuschle mich stattdessen in mein Kissen.
„Ich beneide dich manchmal um deinen Teint, deine Haut ist unverwüstlich.“
„Dafür sorgen meine Gene dafür, dass ich im Winter erfriere…“
Calum lässt sich neben mich ins Bett sinken. Ich werde gestreichelt und geküsst, danach schaltet er das Licht aus.
„Was sagst du zu meiner Idee?“, fragt er in der Dunkelheit.
„Was weiß ich… Calum, bitte…“
„Nur noch diese eine Sache“, erklärt mein marido schnell. „Ich hab in unserem Lieblingsshop ein paar neue Spielsachen gekauft. Ich verrate noch nicht, was ich gekauft habe, aber ich habe auch Massageöl und duftende Kerzen besorgt. Du weißt schon, für die Romantik.“ Calum klingt so glücklich, doch ich kann diese Freude gerade nicht teilen.
„Das ist toll, Baby“, antworte ich gleichgültig.
„Das klingt aber nicht überzeugt.“
„Ich bin müde.“
„Hm…“ Calum zieht mich zu sich, sodass ich auf seinem Brustkorb liege. Die Lotion mit der er sich eingecremt hat, riecht eigentlich ganz gut. Nicht so blumig, wie das Zeug, das er noch vor ein paar Wochen benutzt hat, sondern eher dezent fruchtig. „Dann solltest du schlafen. Morgen nehmen Max und ich dich wieder mit zum Joggen.“
„Wieso erschießt ihr mich nicht einfach… das wäre ein schmerzfreier Tod…“
…
Ich liebe unseren Hund!
Durch den kleinen, frechen Chihuahua erspare ich mir bis an sein Lebensende das morgendliche Joggen!
Nach einer kleinen Diskussion vor Publikum wird mir erlaubt, das morgendliche Joggen gegen einen langen Spaziergang mit Domingo einzutauschen. Calum ist zwar nicht ganz zufrieden, doch mein Argument, dass wir ohnehin nicht jeden Morgen zusammen joggen gehen können, weil sich einer um die Kinder kümmern muss und der Hund ebenso raus muss, hat funktioniert.
Ich wähle den Wanderweg Richtung Berge. Zwischen den Bäumen ist es recht kühl, da ich allerdings um fünf Uhr morgens nichts Anderes erwartet habe, trage ich einen Hoodie.
Der kleine Flohzirkus inspiziert die neue Route besonders gründlich. Er markiert jedes Grasbüschel, das höher ist als er selbst. Auch die größeren Steine und Bäume entkommen ihm nicht. Während ich Domingo dabei zusehe, wie er seine Flüssigkeit loswird, trinke ich meinen Kaffee.
Zugegeben fit bin ich nicht. Ganz im Gegenteil.
Seit ich hier eingezogen bin, aber vor allem in den letzten Tagen, habe ich mich hauptsächlich ausgeruht. Mein Körper hat sich an das Faulsein gewöhnt. Meine Motivation hat gleich mitgezogen und nun fällt es mir schwer, wieder reinzukommen.
Als ich jünger war, war es auf jeden Fall einfacher, fit zu bleiben. Ein paar Stunden pro Woche waren immer für das Fitnessstudio reserviert und ich hatte trotz Alkohol und Drogen immer mehr Ausdauer als heute.
Alt werden nervt.
Sobald Calum sich seinen Fitnessraum eingerichtet hat, werde ich ein paar seiner täglichen Übungen mitmachen. So wie ich ihn kenne, wird er mich ohnehin dazu verdonnern, mich zu bewegen. Mein marido wird mir vermutlich so lange in den Hintern treten, bis ich meine Motivation zum Training wiedergefunden habe. Die Motivation kann gar nicht früh genug auf mich zukommen.
„Du sag mal Domingo. Du bist doch ein ziemlich kleiner Hund. Mal angenommen jemand würde mit dir joggen gehen, würdest du dann laufen oder vor dich hinschnüffeln und diesen Jemand aufhalten?“
Natürlich erwarte ich keine Antwort, ich bin kein Idiot, aber diesen Gedanken geäußert zu haben, ist hilft mir beim Nachdenken. Rein theoretisch könnten Calum und ich das Training mit dem Hundespaziergang verbinden, vorausgesetzt wir haben jemand, der da ist, falls die Mädchen aufwachen. Spätestens wenn sie wieder zur Schule gehen, hätten wir ungestört Zeit dafür.
Es dauert ewig bis ich mit Domingo beim See ankomme, doch hier oben lasse ich ihn von der Leine. Seine Pinkelpausen halten einen ganz schön auf. Neugierig schnüffelt er an dem Schilf neben mir. Ich suche mir einen Platz in der Sonne, um mich nicht in das taunasse Gras setzen zu müssen. Ein prüfender Blick gilt unserem Flohzirkus. Als ich sehe, dass er mit seinen Vorderpfoten vorsichtig ins Wasser steigt, um etwas zu trinken, beginne ich gleich damit, mir eine Zigarette zu drehen.
Ich zünde meine Zigarette an und inhaliere genüsslich den Rauch. Das Joggen von gestern hängt mir immer noch nach. Muskelkater lässt grüßen.
Domingo läuft an mir vorbei, er schnüffelt an einem Stein, ehe er sich daran wagt, die kleine Brücke zu erkunden.
„Domingo? ¿Adónde vas?“
Als er mich ignoriert und die schmale Brücke entlang geht, pfeife ich nach ihm. Er hebt seinen Kopf und dreht sofort wieder um, um zu mir zu kommen. Ich streichle durch sein kurzes Fell und kraule ihn hinter dem Ohr.
„Qué buen chico.“
Ich lasse von Domingo ab, er schnüffelt noch ein wenig an mir, doch als er die Zigarette bemerkt, niest er und nimmt etwas Abstand. Klingt so als wäre er Nichtraucher. War ja klar.
Mein Smartphone verlangt nach meiner Aufmerksamkeit. Ich ziehe an meiner Zigarette und checke meine Nachrichten.
Calum: ‚Du bist schon so lange weg. Ist alles okay?‘
Calum: ‚Wohin bist du gegangen?‘
Calum: ‚Te amo <3‘
Ich schmunzle. Wenn er die letzte Nachricht nicht drangehängt hätte, würde ich ihm unterstellen, dass er mich schon wieder kontrollieren möchte. Aber! Ich habe dazu gelernt, ich bin überempfindlich gewesen und das muss ich abstellen, denn sonst wird unsere Ehe nie wieder besser.
Trevor: ‚También te amo, mi corazón ;)‘
Trevor: ‚Domingo ist sehr gründlich, wenn er etwas beschnüffelt. Wir sind in den Bergen und machen eine kleine Pause am See. Es wird wohl noch dauern, bis wir wieder zu Hause sind.‘
Ich sehe zu unserem Chihuahua, der gerade vorsichtig einige Schritte am seichten Wasser des Ufers macht. Auch jetzt trinkt er wieder.
Trevor: ‚Er begutachtet gerade das Wasser. Wir sehen uns später, ich muss aufpassen, dass unsere Wasserratte nicht ertrinkt. Wann wir wieder da sind, weiß ich nicht. Vielleicht sind wir ja schneller, jetzt wo er schon alles angepinkelt hat.‘
Calum: ‚Schick mir Fotos <3 <3 <3‘
Trevor: ‚Von mir oder der Ratte?‘
Calum: ‚Von Domingo und nenn ihn nicht Ratte! Er ist genauso ein vollwertiger Hund wie du es bist!‘
Trevor: ‚Fick dich.‘
Ich rauche meine Zigarette zu Ende und mache mich dann daran, meinem Liebsten ein paar Fotos von unserem Hund zu schicken. Domingo ist im Wasser sichtlich vorsichtiger, als an Land. Er sorgt dafür, dass er sich nur im seichten Wasser aufhält. Sobald das Wasser seinen Bauch berührt, geht er einige Schritte rückwärts. Ich bin gespannt, wie er sich anstellen wird, wenn ich ihn heute Abend bade.
Mit einem Pfiff locke ich Domingo wieder zu mir, um ihm die Leine anzulegen. „Nos vamos a casa.“ Kaum gehen wir einige Schritte, drückt er seine Nase bereits wieder in den Dreck und schnüffelt.
Der Weg wird lang, aber es ist besser, als mit Max und Calum zu joggen. Domingo nimmt wenigstens Rücksicht darauf, dass meine Lunge ihre besten Jahre weit hinter sich hat.
Von Tag zu Tag wird mir der kleine Flohzirkus immer sympathischer.