capítulo 2
la mudanza
Ay… mein Kopf…
Kinder sind komplizierte kleine Wesen. Sie sind sehr komplizierte kleine Wesen. So kompliziert, dass ich mich damit nicht weiter auseinandersetzen möchte, weil ich es einfach nicht verstehe.
Hinter mir sind Geheule und Geschreie zu hören und ich weiß absolut nicht, was ich falsch gemacht habe, um die Mädchen in diesen ohrenbetäubenden Zustand zu versetzen. Mit ihnen zu reden bringt auch nicht viel, da sie nicht in der Lage sind, mir zu erklären, was nicht stimmt. Wahrscheinlich werde ich es niemals erfahren.
„Was machst du mit den beiden?“, fragt Calum, als er gerade zu uns ins Zimmer der Mädchen kommt. „Warum weinen sie?“
„Dreimal darfst du raten…“, antworte ich genervt. „Sie haben es mir auf jeden Fall sehr gründlich erklärt, sodass ich die Möglichkeit hatte, es zu ändern. …aber naja, du weißt schon, ich hab mich dagegen entschieden, weil ich die Geräuschkulisse mag.“
Calum sieht mir dabei zu, wie ich auf dem Boden sitzend Spielsachen der Kinder in einen Umzugskarton packe, schüttelt dann den Kopf. „Bist du schon auf die Idee gekommen, dass das da etwas damit zu tun hat?“ Er zeigt auf den Karton neben mir auf dem Boden. „Wie kannst du es wagen, ihre Sachen anzufassen?“, zieht mein Mann mich auf. „Du Monster.“
„Witzig“, winke ich neutral ab. „Willst du mir helfen?“
„Beim Packen oder bei den Kindern?“ Das Geschreie hinter uns wird so laut, dass mir der Kragen platzt. Wenn sie schon ohne Grund weinen, könnten sie wenigstens leise weinen, denn diesen Lärm hält auf die Dauer kein Mensch aus.
„¡Cállense, las dos!“, ermahne ich meine Kinder laut. So laut, dass es beinahe so klingt, als würde ich sie anschreien. …aber eben nur beinahe.
Calum verzieht ein wenig das Gesicht, er schubst mich. „Hör auf, die Kinder anzuschreien. Sie weinen gerade, was ist los mit dir? Wieso explodierst du immer, anstatt mit ihnen zu sprechen?“
„Du würdest sie auch anschreien. Seit du das Haus verlassen hast, um deinem Hobby nach zu gehen, schreien und weinen diese kleinen Monster“, beschwere ich mich. „Egal, was ich tue, sie hören einfach nicht auf, aber ich hab keine Zeit, darauf zu warten, dass sie es endlich schaffen, mir zu sagen, was nicht mit ihnen stimmt. Wir müssen packen. Ich hab die Schnauze voll, Calum.“
Er rollt mit den Augen, lässt mich dann sitzen, um mir die Mädchen abzunehmen. Gespannt auf seine Taktik drehe ich mich zu meiner Familie. Calum setzt sich auf Lucías Bett. „Wieso weint ihr beiden eigentlich?“, fragt er fürsorglich, als er sich Cassidy schnappt und sie auf seinem Schoß absetzt. Er streicht durch ihre blonden Haare, drückt sie dann sanft an sich. „Gestern habt ihr euch doch noch gefreut, dass wir umziehen. Papá packt doch nur euer Spielzeug.“ Cassidy schluchzt und weint weiterhin, sie gibt Calum keine Antwort. Auch Lucía liegt nach wie vor weinend in ihrem Bett.
Genau das hab ich doch gesagt. Sie reden nicht, sie heulen nur.
Manchmal ist es nicht einfach, seine Kinder zu lieben. Ich beobachte Calum eine Weile dabei, wie er versucht, die Mädchen zu trösten.
„Pa-Papá will u-uns we-weggeben“, schluchzt Cassidy etwas unverständlich, sodass ich fast sicher bin, dass ich sie nicht richtig verstanden habe.
„Er will was?“, fragt Calum ungläubig nach, doch er bekommt keine Antwort mehr. Mein Mann sieht zu mir. „Was hast du zu ihnen gesagt?“
„Dass ich ihre Sachen packe…?“, frage ich verwirrt. „Ich hab ihnen doch nicht gesagt, dass ich sie wieder ins Heim bringe, ich bin doch kein Vollidiot. Wieso sollte ich das überhaupt wollen?“
Abgesehen davon, dass sie mir gerade den letzten Nerv rauben?
„Dir fehlt echt jedes Feingefühl, wenn du gestresst bist“, antwortet Calum ziemlich sauer. „Du könntest dir ruhig ein paar Minuten nehmen, um mit ihnen zu sprechen und zu erklären, was du vorhast, anstatt ihnen zu sagen, dass du ihre Sachen packst. Das kannst du nicht machen. Ich meine, was würdest du denken, wenn ich zu dir sage, dass ich deine Sachen packe? Du würdest denken, dass ich dich rausschmeiße… Manchmal bist du wirklich… nicht besonders schlau.“
Natürlich. Es ist wie immer alles meine Schuld. Ich mache immer irgendetwas falsch und ich bin auch immer der Böse in der Geschichte. Es ist nichts Neues für mich, ich bin diese Rolle gewohnt, sie wurde für mich geschrieben.
Ich wende mich wieder zu dem Karton, um ihn noch aufzufüllen. Kaum habe ich ihn verschlossen, öffne ich einen schwarzen Permanentmarker und beschrifte den Karton, sodass wir uns in unserem neuen Haus in Pelican Town schnell wieder zurechtfinden.
Nachdem ich das gemacht habe, begebe ich mich ebenfalls zu Lucías Bett. Ich hebe meine princesa an, setze sie auf meinem Schoß. Weinend vergräbt sie ihr Gesicht in meinem Shirt. Ich atme tief durch, um mich davon abzulenken, dass sie mich gerade vollspuckt. Vorsichtig lege ich meine Arme um sie und streichle tröstend ihren Rücken.
„Du solltest dich entschuldigen, Sweetie…“
„Lucía, bitte hör auf zu weinen. Cassie?“ Ich löse eine Hand von Lucía, um nach meiner zweiten Tochter zu greifen. „Hört mir mal zu. Ich stecke euch doch nicht in ein Heim. Ich würde auch niemals wieder hergeben. Wir ziehen alle zusammen um. Daddy und ich haben euch das doch erklärt. Wir ziehen in eine kleine Stadt. Wir haben dort ein schönes Haus und viel Platz. Eure Kaninchen bekommen einen großen Stall und ihr beide bekommt ein eigenes Zimmer. Ihr dürft euch sogar die Farbe für eure Zimmer aussuchen.“ Liebevoll streiche ich Lucías Haare aus ihrem Gesicht. „Ich würde euch doch nie wieder hergeben, wie kommt ihr nur auf so einen Unsinn?“ Auch Cassidy hebt ihren Kopf, ich lächle sie ein wenig an, streichle dann ihre Wange. „Geht’s euch wieder besser?“ Cassidy nickt, sie klettert zu mir.
Ich lasse mich auf den Rücken sinken, meine Töchter klammern sich liebesbedürftig an mich. Auch Calum beugt sich über mich, er gibt mir einen sanften Kuss. „Ich geh eben duschen, wenn ich zurückkomme, sollten wir vielleicht alle zusammen packen, weil wir auch alle zusammen umziehen, Sweetie.“
„Sei nicht immer so ein verdammter Klugscheißer.“
„Papá hat schon wieder geschimpft“, verpetzt Cassidy mich sofort.
„Ich hab’s gehört. Wenn papá so frech ist, muss ich ihm den Hintern versohlen.“
Grinsend sehe ich meinen Mann an. „Oh bitte nicht, das wäre ja furchtbar.“ Er zwinkert mir zu, ehe ich einen weiteren Kuss von ihm bekomme. Ich sollte es nicht sein, aber ich bin im Moment sehr scharf auf ihn. Um Calum so lange wie möglich bei mir zu halten, lege ich eine Hand in seinen Nacken. Ich erwidere den Kuss intensiver, als er es geplant hat. Es ist schwer für ihn, mich wieder loszuwerden, doch ich lasse von selbst von ihm ab, als eines der Mädchen in meine Wange stupst.
„Küsst ihr euch wieder mit Zunge?“, fragt Lucía neugierig.
„Sí“, antworte ich ehrlich.
„¿Por qué?“, fragt sie weiter nach.
„Weil wir uns über alles auf dieser Welt lieben“, antworte ich lächelnd. Calum gibt mir noch einen kurzen Kuss.
„Ganz genau. Ich liebe dich, Sweetie.“
„Ich weiß, Calum, ich liebe dich auch.“ Um ihn zu ärgern lege ich noch ein paar Worte nach: „…aber bitte geh jetzt duschen, ich will heute noch fertig werden.“
Calum gibt beiden Mädchen noch einen sanften Kuss, bevor er von uns ablässt, um eine Dusche zu nehmen. Alles in mir schreit danach, ihm zu folgen und ein wenig Action zu haben, doch leider bin ich im Moment nicht besonders flexibel. Anstatt mich um meine Bedürfnisse zu kümmern, putze ich die beiden Rotznasen meiner Kinder. Jede von ihnen bekommt ihren eigenen Karton, indem sie ihre Lieblingssachen einräumen sollen, damit wir diesen Karton in unserem neuen Haus zuerst öffnen können.
Ich kann kaum beschreiben, wie froh ich bin, dass das Geheule der beiden endlich wieder vorbei ist. Natürlich liebe sich sie über alles, aber manchmal könnte ich sie in meinen Kofferraum werfen, um sie außer Landes zu schaffen. Ich bin froh, dass ich nicht der Einzige bin, der so über seine Kinder denkt, sonst würde ich mich vermutlich furchtbar fühlen, aber da auch Sebastian mit seinen Zwillingen kämpft, bin ich beruhigt.
…
Da unsere Prinzessinnen kein besonders großes Durchhaltevermögen haben, was das Aufräumen und wegpacken ihrer Sachen angeht, machen wir eine Pause. Ich sitze zusammen mit Lucía und Cassidy auf dem Boden. Mit einer Bürste streiche ich vorsichtig durch Lucías Locken. „Willst du einen Zopf oder willst du lieber zwei?“
„Ich will zwei.“
„Okay“, antworte ich, ziehe dabei schon einen Mittelscheitel.
„Ich will auch Zöpfe haben…“
„Cassie, ich habe nur zwei Hände, du musst warten, bis ich mit Lucías Frisur fertig bin.“
„Aber wieso muss ich immer warten? Lucía bekommt immer zuerst einen Zopf, das ist voll unfair. Du hast sie viel lieber als mich.“
„Papá hat mich lieber, weil du ihn immer nervst“, antwortet Lucía frech.
„Du bist echt blöd, Lucía.“
„Hey“, unterbreche ich den Streit. „Wenn ihr zwei nicht nett zueinander seid, dann bekommt keiner von euch Zöpfe und ich mache auch keine Churros.“
„Sie hat aber angefangen“, antwortet Cassidy weiter.
„Du weißt ganz genau, dass mir das vollkommen egal ist. Hört auf zu streiten, ich flechte euch beiden die Haare, es ist ja nicht so, als würde ich dir keinen Zopf machen. Und Lucía hat mich zuerst gefragt, deswegen bekommt sie zuerst einen Zopf. Wenn du mich morgen vor ihr fragst, dann flechte ich dir zuerst die Haare.“
„Ich will von dir gar keine Zöpfe mehr haben.“ Schmollend steht Cassidy auf, sie nimmt ihr Haargummi mit nach draußen, vermutlich um sich von Calum helfen zu lassen. Da ich mit meinem Kind keinesfalls diskutieren werde, sehe ich ihr nur kurz nach.
„Ella es mala conmigo, papá.“
Ich beginne damit, Lucías Haare zu flechten. „Wieso sagst du mir das erst jetzt?“
„No se… Cassie me quita mis juguetes“, erklärt Lucía weiter.
„Lucía, versuch’s bitte auf Deutsch. Ich weiß, dass dir das manchmal noch sehr schwer fällt, aber du musst es lernen.“ Um ihr zu zeigen, dass ich das nicht böse meine, binde ich die Spitzen ihrer Haare zusammen und gebe ihr im Anschluss einen Kuss auf die Wange. Die herausfallenden Haarsträhnen stecke ich mit einer rosa Blumenhaarspange fest. „Ich helfe dir, wenn du die Wörter nicht weißt.“
Kurz überlegt meine kleine princesa, sie sucht nach den richtigen Worten. „Cassie hat eine eigene Puppe, aber sie will immer meine.“
Ich widme mich den Rest ihrer Haarpracht, um auch diese in einem geflochtenen Zopf zu bändigen. „Wieso sagst du mir nicht, dass sie deine Sachen nimmt?“, erkundige ich mich interessiert.
„Du sagst, wir sollen teilen.“
„Sí, aber Lucía, da gibt es einen Unterschied. Wenn ihr zusammen ein Puzzle spielt, dann teilt ihr, verstehst du?“ Sie nickt etwas. „Aber wenn Cassie dir deine Puppe wegnimmt, damit du nicht damit spielen kannst, obwohl sie eine eigene Puppe hat, dann ist das gemein.“
Sie zuckt mit den Schultern. „Creo que no le agrado mucho a Cassie.“
Während meine Finger weiterhin damit beschäftigt sind, Lucías Haare zu flechten, seufze ich. „Ich bin sicher, dass sie dich gern hat…“
„No, papá.“
„Hast du Cassie denn gern?“
„Sí, aber sie ist immer gemein. Ich teile juguetes mit ihr, wenn sie fragt, aber sie fragt nicht, sie nimmt.“
„Wenn das wieder passiert, dann sagst du es Daddy oder mir, okay? Es ist nicht in Ordnung jemandem etwas wegzunehmen.“
„Okay, gracias, papá.“
„De nada, mi mariposa.“ Ich binde auch den zweiten geflochtenen Zopf zusammen. Lucía reicht mir eine kleine schwarze Schiebespange mit der ich auch auf dieser Seite die herausfallenden, zu kurzen Haare befestige.
„Sind wir fertig?“
„Sí.“ Lucía greift nach dem Spiegel, der vor ihr liegt, sie betrachtet ihre Zöpfe mit einem Lächeln. Ich lege meine Arme um meine Tochter und ziehe sie auf meinen Schoß. Dass Cassidy das Gefühl hat, dass ich Lucía lieber habe als sie ist nichts Neues. Diese Diskussion hatten wir bereits, nachdem ich mit Lucía von den Fern Islands zurückgekommen bin. Ich muss mich teilweise intensiver um Lucía kümmern, einfach weil sie nach wie vor sehr schüchtern ist und es ihr nicht leicht fällt, zu sprechen. Sie hat Angst etwas Falsches zu sagen und sagt deswegen in gewissen Situationen lieber gar nichts.
Es bedrückt mich etwas, dass Cassidy deswegen denkt, dass ich sie nicht so gern habe, wie Lucía, aber ich kann das erst mit ihr klären, wenn ich mit Calum gesprochen habe. Egal welchen Grund es hat, dass Cassie ihrer Schwester die Spielsachen wegnimmt, es ist nicht in Ordnung. Sie hat keinen Grund zur Eifersucht, ich schenke ihr dieselbe Aufmerksamkeit wie Lucía, nur dass ich Lucía einige Dinge eben auf zwei Sprachen erklären muss, damit sie es auch versteht.
Ich werde auf jeden Fall mit Calum darüber reden, trotzdem habe ich die Hoffnung dass dieses Problem sich von selbst klären wird. Wenn wir umgezogen sind und die Mädchen ihre eigenen Zimmer haben, wird es leichter. …hoffe ich zumindest.
„Und jetzt Nägel“, erklärt Lucía fröhlich. „Ich will rosa.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, princesa.“
…
Nachdem die Mädchen endlich im Bett sind, sind Calum und ich noch damit beschäftigt, unseren Kleiderschrank auszuräumen. Calum nutzt die Gelegenheit, um wieder einmal einige Kleidungsstücke auszusortieren.
„Ich bin unschlüssig“, erklärt er, hält dabei ein Shirt vor seinen Körper.
Ich drehe mich kurz zu ihm, widme mich dann aber wieder meinen Klamotten. „Du bist jung und sexy und du kannst alles tragen.“
„Das sagst du jedes Mal… Das hilft nicht…“
„Dann erinnere dich an meinen Grundsatz: Ein nackter Calum ist der beste Calum.“
„Danke, Sweetie, das ist sehr romantisch und unfassbar hilfreich“, ernte ich sarkastischen Dank.
„Alles, was dich nicht auf den ersten Blick überzeugt kommt weg.“
„Dann kommt das hier auch weg“, antwortet er frech, als er meinen schwarzen Hoodie zur Hand nimmt. Auf der Rückseite dieses Hoodies befindet sich ein großes, grünes Hanfblatt.
„Lass das liegen, das war ein Geschenk von Gabe, das ist mein neuer Lieblingspullover. Wenn der im Obdachlosenheim landet, dann landest du auch dort“, drohe ich Calum scherzhaft.
„Als ob du ohne mich leben könntest. Du wärst in zwei Wochen tot.“
„Ay, ich gebe mir eine Woche, immerhin bin ich außer Übung, was das Kokain angeht.“
Mein Mann legt den Pullover kopfschüttelnd zurück in den Umzugskarton, aus dem er ihn genommen hat. „Du bist ein Idiot, Trevor. Ein riesengroßer Idiot.“
All die Sachen, die wir ins Obdachlosenheim bringen, sind bereits in Wäschekörben eingeordnet, sie sind leichter zu tragen, außerdem können die gleich weiterverwendet werden. Sachspenden sind immer gerne gesehen, egal welcher Art. Wir werden auch einige unserer Lebensmittel ins Heim bringen, da sie die Hitze der langen Umzugsfahrt vermutlich nicht überleben werden.
Ebenso wie Calum nutze ich die Möglichkeit des Umzuges, um einige Klamotten loszuwerden. Da mein Mann in der Modebranche arbeitet bekommt er oft Klamotten geschenkt, die er dann unter seinen Freunden verteilt. Auch ich habe leider ab und zu das ‚Vergnügen‘ Geschenke zu bekommen. Es ist nicht so, dass ich denke, dass mein Mann einen schlechten Geschmack hat, im Gegenteil, Calum sieht immer gut aus, es ist aber eher so, dass er oft Styling-Ideen hat, die an mir meiner Meinung nach scheiße aussehen.
Ich bleibe bei meinen dunklen, kühlen Farben und selbst neun Jahre Beziehung haben daran nichts geändert.
„Du willst das Hemd weggeben?“, fragt er schmollend nach. „Ich hab dir das geschenkt.“
„Es passt mir nicht mehr“, antworte ich.
„Beweise es.“
Augenrollend ziehe ich den letzten Stapel Shirts aus unserem Schrank. Wieso denkt er, dass ich ihn wegen einem Hemd anlüge…?
„Un momento…“
Ich lasse den Stapel in einen Umzugskarton fallen. Dass ich die nicht aussortieren werde, weiß ich genau, also spare ich mir die Mühe, sie durchzusehen.
Als ich auf meinen Mann zugehe, schlüpfe ich aus meinem Shirt. Grinsend lasse ich es zu Boden fallen. Calum streicht über meinen Brustkorb. „Ich bin froh, dass du so hart an dir gearbeitet hast…“
„Was meinst du?“, frage ich nach.
„Die Drogen, der Alkohol…“ Er sieht von meinem Brustkorb zu meinem Gesicht. Liebevoll legt er seine Hand an meinen Hals, ich bekomme einen sanften Kuss. „Dass du alleine eine konstruktive Art findest, mit den Problemen umzugehen, erleichtert mich. Ich wüsste nicht, wie ich eine weitere ‚Trevor-Aktion‘ durchstehen könnte. Vor allem jetzt mit den Kindern.“
„Ich hab ein bisschen dazu gelernt“, antworte ich grinsend.
„Wird Zeit, du bist bald 40.“
„Nimm nicht so böse Worte in den Mund.“
„Dann gib mir etwas Anderes, das ich in den Mund nehmen kann“, zieht Calum das Gespräch in eine Richtung, dir mir definitiv besser gefällt.
…
Heute ist es soweit, heute Mittag holt die Umzugsfirma unsere Sachen. Unser Bett ist bereits zerlegt, die letzte Nacht haben wir nur auf unserer Matratze geschlafen. Die Morgensonne scheint mir ins Gesicht, ich schließe meine Augen wieder, um mich davor zu verstecken.
Calum kuschelt sich an meinen Brustkorb. Ich atme tief durch, streichle durch sein Türkis gefärbtes Haar. Mein Mann legt seinen starken Arm um mich. Calums Haut an meiner zu spüren ist auch nach all den Jahren immer noch ein Highlight für mich. Ich liebe es, neben ihm aufzuwachen.
Alleine aufzuwachen ist das, was mich am Musikerdasein am meisten gestört hat. Auch Calum musste arbeiten, oft waren wir in verschiedenen Städten, wenn nicht sogar verschiedenen Ländern, um unsere Brötchen zu verdienen. Somit waren unsere Herzen sich meistens nicht so nah, wie sie es jetzt sind.
Wir hatten zwar die Abmachung, dass sowohl er, als auch ich in dieser Zeit ‚Gesellschaft‘ haben dürfen, trotzdem waren diese One Night Stands nicht mehr das, was ich mir wünsche. Klar, für Sex reicht es, einfach irgendwen auf das Hotelzimmer mitzunehmen. Ich würde auch lügen, wenn ich sage, dass ich keinen Spaß hatte und nicht froh war, den Druck abbauen zu können.
…trotz allem ist es immer noch am schönsten mit jemandem zu schlafen, den man über alles liebt. Die Intimität und Nähe ist ehrlicher und intensiver als bei bedeutungslosen One Night Stands. Und neben einem geliebten Menschen aufzuwachen ist einer der schönsten Momente, die ich kenne.
„Bist du schon wach?“, murmelt Calum verschlafen.
Ich streichle über seinen Rücken. „Guten Morgen, Baby.“
„Morgen… Machst du- … oh die Kaffeemaschine ist weggepackt.“
„Ich kann dir French Press Kaffee machen“, biete ich an, obwohl ich eigentlich gar keine große Lust habe, aus dem Bett beziehungsweise von der Matratze zu steigen. Ich will eigentlich am liebsten hier liegen bleiben und weiterhin die Nähe zu meinem Liebsten genießen.
„Mach dir keine Umstände. Ich fahr ja dann mit den Kindern zu Car-“ Mit einem genervten Geräusch unterbreche ich ihn. „Hör auf…“
„Ich kann sie aber nicht ausstehen“, meine ich genervt.
„Und sie kann dich auch nicht ausstehen, deswegen nehme ich dich ja auch nicht mit.“ Calum küsst zart meine Haut, ich werde liebevoll gestreichelt.
„Dann steht der Plan noch? Ich fahre mit dem Sportwagen und du mit dem Kombi?“, frage ich grinsend nach.
„Mhm. Ich brauch ja Platz für die Kinder und die Snacks, die sie die Fahrt über brauchen. Wir machen auch ein paar Zwischenstopps. Wahrscheinlich komme ich erst sehr, sehr spät am Abend an. Ich hab schon überlegt, ob wir die Fahrt nicht splitten und in einem Hotel übernachten.“
„No, das kannst du nicht machen, dann muss ich ja alleine schlafen“, lehne ich seine Idee ab. „Und dabei brauche ich meinen schönen marido an meiner Seite.“
„Weil du mich liebst oder weil ich schön bin?“
„Hm…“, erklinge ich überlegend. „Ich würde sagen, weil ein junger, knackiger Mann an meiner Seite mir das Gefühl gibt, selbst noch frisch und knackig zu sein.“
„Mach’s doch wie Dan und tauch dein Gesicht in Botox“, scherzt Calum.
„Im Gegensatz zu ihm kann ich in Würde altern“, gehe ich belustigt darauf ein.
„Oh ja, das tust du, mein Sweetie altert in Würde.“
„So alt bin ich ja auch noch gar nicht und ich fühle mich auch nicht alt. Mir ist nur bewusst, dass ich nicht mehr der Jüngste bin.“
„Awww… Ich hab da was Anderes gehört“, zieht Calum mich auf.
Ich weiß sofort, auf was er hinaus möchte. „Es war ein graues Haar und ich habe es ausgerissen, krieg dich wieder ein.“ Mein Mann lacht, er setzt sich auf. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich streckt. Die Sonne setzt seinen Körper perfekt in Szene. Meine Augen können kaum genug von ihm bekommen. Ich lasse es mir nicht nehmen, über seinen Oberkörper zu streichen. Calum streicht durch seine Haare, meine Hand wandert von seinem Brustkorb, seinen Bauch entlang, ehe ich sie auf seinem Oberschenkel ruhen lasse. Dass er nach wie vor täglich trainiert, um fit zu bleiben, macht mich glücklich. So kann ich immer mit meinem schönen marido angeben. „Jeden Morgen wenn ich neben dir aufwache, erinnere ich mich daran, dass ich der glücklichste Mann der Welt bin“, erzähle ich leise. Zärtlich streichle ich über Calums Oberschenkel. Calum beugt sich zu mir, um mir einen Kuss zu geben.
„Danke, dass du mir immer noch so viele Komplimente machst.“
„Wie könnte ich dich ansehen und damit aufhören?“
„Du bist heute eindeutig auf der romantischen Seite aufgewacht“, meint Calum lächelnd. „Das gefällt mir.“ Ich setze mich auf, gebe ihm einen kaum spürbaren Kuss.
„Ich mache mit dem Bisschen was wir noch haben Frühstück und du bekommst deinen Kaffee. Und wenn du brav bist, bin ich heute Abend vielleicht noch immer in romantischer Laune.“
Calum lächelt ein wenig. „Danke, Sweetie, aber ich weiß nicht, ob ich heute in romantischer Stimmung bin, ich hab ja den ganzen Tag die Kinder im Auto.“
„Und dann siehst du auch noch Carly… bei der vergeht mir auch jede romantische Stimmung.“
Calum greift nach seinem Kissen, um es mir an den Kopf zu werfen. „Hör auf, sie ist meine beste Freundin.“
„No.“
„Hau ab und wehe das Frühstück schmeckt nicht, sonst bleib ich bei Carly.“
„Wenn du die zwei Prinzessinnen auch bei dir behältst klingt das himmlisch“, antworte ich frech, was mir aber noch mehr Schläge mit dem Kissen beschert. Um zu flüchten kämpfe ich mich von der Matratze. Ich eile aus dem Schlafzimmer, die Tür ist noch nicht einmal richtig geschlossen, schon fliegt mir das Kissen entgegen. Da Calum jetzt wahrscheinlich keine Munition mehr hat, ich aber nicht sicher bin, öffne ich die Tür einen Spalt. „Darf ich mir wenigstens etwas anziehen?“
„Hier, du Arsch“, beschwert Calum sich, wobei er meine Jogginghose ebenfalls gegen die Tür wirft.
Ich bücke mich, um sie aufzuheben. „Gracias, mi amor.“
„Ja, leck mich…“
„Sei ruhig eingeschnappt, bleib am besten wirklich ein paar Tage bei Carly… Spinn dich aus und komm dann erst zu mir. So vergeht mir echt die romantische Stimmung.“ Mit ziemlich viel Wucht wirft Calum das zweite Kissen, sodass die Tür zufällt.
„Streitest du mit Daddy?“, fragt Lucía mich leise. Ich sehe zu meiner kleinen princesa. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass sie hier ist. Sie schleicht sich immer an, als wäre sie ein kleines Kätzchen. Eingeschüchtert spielt Lucía mit einer ihrer schwarzen Haarsträhnen.
Ich ziehe meine Jogginghose über meine Boxershorts, reiche meiner Tochter dann die Hand. „No, mi mariposa. Todo está bien.“ Lucía lässt von ihrer Haarsträhne ab, sie kommt auf mich zu, hebt ihre Arme, um mir zu zeigen, dass sie getragen werden möchte. Natürlich komme ich dieser stummen Bitte nach. Ich nehme Lucía auf den Arm, drücke ihr einen Kuss auf die Wange. „¿Dormiste bien?“
„Sí, papá.“
Auch wenn Lucía gut geschlafen hat, ist sie immer noch sehr verschlafen, sie bekommt ja kaum die Augen auf. Ich setze meine princesa auf der Küchentheke ab, streiche ihr dann die schwarzen Locken aus dem Gesicht. So ganz überzeugt bin ich allerdings nicht davon, dass es ihr gut geht. Sie wirkt ein bisschen, als würde sie schmollen.
„Was ist los?“, frage ich, wobei ich ihre Wange streichle. Sie legt ihre Hände an den Bund ihres rosa Nachthemds. Ihre Beine wippen auf und ab. Selbst als ich sie noch einmal anstupse, mehr als eine Schmolllippe bekomme ich aus ihr nicht heraus. „¿Princesa? ¿Qué pasa?“, frage ich zum letzten Mal. Nada, nichts, keine Antwort. „Wenn du nicht mit mir reden willst, ist das auch okay.“
Ich beginne damit, Kaffee zu kochen. Außerdem stelle ich ein Glas Orangensaft neben meine Tochter, falls sie durstig sein sollte. Nach wenigen Minuten blubbert das Wasser auf dem Herd. Ich sehe zu Lucía, da ich mir einbilde, dass sie etwas sagt. „¿Qué?“
Ich muss mich stark konzentrieren, da sie gerade in ihre Locken hineinnuschelt. Alles, was ich verstehen kann ist das Wort ‚conejo‘, was Kaninchen bedeutet. Ich zähle eins und eins zusammen, seufze dann.
„Du machst dir Gedanken um die Kaninchen? Princesa, die nehme ich mit nach Pelican Town.“
„Aber du hast sie nicht eingepackt, papá. Sie sind noch draußen.“
Lucía bringt mich zum Schmunzeln. „Aber ich packe sie später ein. Sie sollten noch eine letzte Nacht in ihrem Stall verbringen, damit sie sich noch von ihrem alten Zuhause verabschieden können.“
Ich schenke den Kaffee in die zwei letzten Tassen, die noch in unserer Küche stehen. Abgesehen von einer Dose Kaffee, meiner geliebten French Press und zwei Gläsern haben wir nicht mehr viel in unserer Küche. Im Kühlschrank befinden sich noch ein bisschen Milch, Orangensaft, etwas Gemüse und ein paar Eier.
Vorausschauend, wie ich bin habe ich auch Salz, Pfeffer und eine Pfanne stehen lassen, damit ich heute noch Frühstück machen kann.
„Papá, ich muss Pipi.“
Ich hebe Lucía von der Theke. „Vergiss nicht, dir die Hände zu waschen und sieh mal nach, ob deine Schwester schon wa-“
„Sie ist wach“, erklärt Calum, als er Cassie auf dem Arm in die Küche trägt. Lucía läuft aus dem Zimmer, um ihrem Bedürfnis nachzugehen. Calum setzt Cassie auf der Theke ab, er kitzelt sie ein wenig, sodass ihr Lachen durch das leere Zimmer hallt.
Als ich meinen Kaffee ansehe, rolle ich mit den Augen. An alles hab ich gedacht, außer an Zucker. Jetzt bin ich derjenige, der schmollt, denn der Zucker ist schon verpackt und bereit abgeholt zu werden.
Ich würde mir gerne selbst applaudieren, aber das würde meine Familie verwirren und ich müsste mich erklären und… ich bin so ein Idiot.
„¡Papá!“
„Sag mir nicht, dass das Toilettenpapier auch schon eingepackt ist…“
„Es sollte eigentlich welches da sein“, antwortet Calum.
Ich atme tief durch, ehe ich mich auf den Weg zu Lucía mache. Ich eile die Treppe hinauf, da sie vielleicht noch gar nicht auf der Toilette war und der Druck immer schlimmer wird. Lucía kämpft mit der Tür, da ein Karton davor steht. Welches Genie hat den da abgestellt? Ich schiebe den Karton zur Seite, sodass Lucía ins Badezimmer gelangen kann.
„Gracias“, bedankt sie sich eilig, als sie die Tür hinter sich zuzieht.
Als ich die Schrift auf den Kartons wiedererkenne, erinnere ich mich daran, dass ich eventuell dieses Genie gewesen sein könnte. Was stimmt nicht mit meinem Kopf? Vielleicht sollte ich weniger kiffen…