Es erklang das leidige Stöhnen seines Mitreisenden, als sich der Krieger neben ihn an die Mauer lehnte. Sein Atmen ging schwer, seine Muskeln krampften bei jedem weiteren Atemzug. Doch das Gefühl des Erfolges und der vorläufigen Freiheit waren ihm gewiss. Das zählte. Und nur das. Dennoch blickte er mit trübem Blick in seine Zukunft. Und in Richtung graue Mauer vor ihm.
„Woher wusstet Ihr, wie man aus diesem Labyrinth des Teufels entkommen konnte?“, fragte er zwischen zwei schweren Atemzügen. Neben ihm ertönte ein Lachen, das mehr nach Hysterie oder Wahn klang. Doch mehr kam nicht. Genau wollte er diese Laute nicht einordnen, vielmehr bedachte er den Mann, den er aus der Zelle befreit hatte. Mit diesen roten Augen, dem dürren Leib und dem Fetzen von Kleidung.
Was war ihm denn anders übriggeblieben? Lieber einem Verrückten aus einem Kerker verhelfen, als einem unbekannten Monster in einem Gebäude entgegenzustehen, das ihm bisher nichts als Leid zugefügt hatte. Die strahlenden Leuchten blendeten ihm immer noch, egal wie sehr versuchte, sie wegzublinzeln. Sein Fokus legte sich auf einen Stein, der ein paar Löcher aufwies. Seine Gedanken rasten, als er die letzten Momente Revue passieren ließ. Genau in dem Moment, als er den Fremden auf die Schultern gehievt hatte, stürzten die Zellenstangen zu Boden und entließen alles Schreckliche, was darin gewesen war. Er hatte nicht mehr herausfinden wollen, mit was Blutrünstigem noch dieses Gebäude bestückt war. Der Fremde hatte ihn zielsicher aus dem Gebäude gebracht, die Türen mit Hilfe einer ihm unbekannten Macht aufschließen können und beide waren innerhalb weniger Momente in die Freiheit gelaufen.
So wie der erste Moment strich auch jetzt die kühle Brise über seine Haut. Er genoss es, doch seine Aufmerksamkeit wich nicht. Im Gegenteil, er war fokussierter denn je. Kurz schloss er die Augen und breitete seine Sinne aus.
„Schlafen ist jetzt nicht“, stupste der Fremde ihn an und grinste feixend. Woher auch immer dieser Hohn kam, die Freude über die erlangte Freiheit war ihm deutlich anzusehen. „Wir sollten hier weg, die kommen bestimmt bald wieder!“
Der Krieger nickte stumm, stand auf und fegte grob die Staubkörner von seinem Lederharnisch. Ohne weitere Worte nahm er den Fremden auf die Schulter, hievte ihn auf eine bequeme Position und lief seinen Anweisungen nach in die Natur. Hinter ihnen erstreckten sich eine alte Ruine einer Scheune mit sporadischem Steinmauern, welche wohl das Grundstück abgrenzen sollten. Doch die Besitzer waren seit Jahren verschollen, denn seine feine Nase machte keinen menschlichen Geruch aus. Lediglich die Tiere, die in dieser Welt lebten, hatten sich in diesen ruhigen Minuten zu ihnen gesellt.
Der Mann auf seinem Rücken dagegen hielt nichts von Stille. Er holte direkt Luft, als sie die Ruine hinter sich gelassen hatten und einen mit Gras bewachsenen Trampelpfad entlangliefen. Vor ihm erstreckte sich nichts weiter als Bäume, Gras, ein paar Berge und vor allem, was ihn selbst überraschte, keine menschenähnlichen Wesen. Ebenso wenig wurden sie verfolgt. Der Fremde redete ununterbrochen über die Gegend, seine Laune und kommentierte seine stetige Ausdauer und die Verschwiegenheit. Die Geduld seinerseits wurde derart strapaziert, dass er sich auf die Zunge beißen musste.
„Du bist ganz schön muffig. Kannst ja ruhig mal was von dir erzählen. Immerhin bist du ein...“, wollte er sagen, doch sofort stockte der Krieger, ließ den Mann zu Boden fallen und funkelte ihn zornig an.
„Ich sagte Ihr sollt still sein, was meine Person betrifft. Ihr scheint zu wissen und doch redet Ihr nur. Taten sprechen nicht für Euch und ich trage Euch wie einen Eselkarren seit Stunden auf meinem Rücken. Anders als Ihr habe ich für mein Leben gekämpft, gelitten und uns beide aus diesem verfluchten Labyrinth gerettet.“ Er wollte noch mehr sagen, doch er beließ es dabei. Dass man das „du“ nur engsten Vertrauten anbot und das einem Hohn gleichkam, schien der Fremde ebenso wenig zu interessieren, wie die Tatsache, dass er ihn benutzt hatte wie ein Stück Vieh.
Der Krieger bedachte sein Gegenüber, dieser blieb jedoch reglos auf dem Boden liegen. Ein Augenblick sah man Traurigkeit in seinen Augen, doch dieser Moment verstrich wie ein Windhauch. Doch nicht Zorn oder Angst brach zwischen den Gesichtszügen hervor. Es war Verschmitztheit. Getriebenheit. Neugier. Und vor allem: Wissen.
„Na gut, mein Großer.“ Ohne weitere Worte zog der Mann seine dürren, fast zerbrechlichen Beine an sich, bis er in einem Schneidersitz vor ihm saß. Er schnippte einmal mit den Fingern und der Krieger spürte sofort Magie um sich aufwallen. Er schnappte sich den Schwertgriff, sprang zurück und ging in Angriffsposition. Ein Lachen ertönte, dann erkannte er das dumpfe Geräusch an seinen Ohren. Eine Barriere. Er sah um sich, doch erkannte immer noch die viel zu friedliche Gegend. Eine Barriere gegen Lauscher, Spione und Verfolger. Das Grinsen auf dem Gesicht des Rotäugigen schien diesmal noch breiter. Des Kriegers Hand ruhte aber immer noch auf der Waffe. Er würde ihn in sekundenschnelle köpfen können. Das schien dem sitzenden Mann ebenso bewusst wie dem Krieger sich nun die Magie des Schwächlings vor ihm nun bewusst wurde. Er war nicht so schwach, wie er tat.
„Nun gut, so kommen wir nicht weiter.“ Er machte eine wirre Handgeste, doch der Krieger reagierte nicht. „Ich muss dir sagen, dass ich dich eben benutzt habe, um aus diesem Loch herauszukommen. Du musst wissen, ich wäre diesmal nicht allein herausgekommen.“ Der Krieger richtete nun seine volle Aufmerksamkeit auf den Mann. Seine Locken spielten im Wind und fast schelmisch grinste der Sitzende weiter.
„Also musste ich nach jemanden suchen, der eben mobiler war als ich. Und außerdem, wir hatten beide unsere Vorteile. Und nun muss ich sagen, komme ich auch hier nicht allein vorwärts.“ Er zeigte auf die Beine, die mehr Zahnstochern glichen als einem wirklichen Fortbewegungsmittel. Der Krieger nickte nicht, sondern starrte den sprechenden Mann nur nieder. Er spannte sich bei jedem weiteren Wort an.
„Und du bist jemand, der sich hier nicht auskennt. Der keine Ahnung von dieser Welt hat. Und der ebenso Hilfe braucht, wie ich aktuell. Also würde ich sagen…“
„Nein!“, zischte der Krieger streng. „Kein Schwur. Keine Bindung!“
„Ein Versprechen?“, schlug der Schelm vor. „Ich verspreche dir, ich zeige dir, wo die erste Zivilisation ist, erkläre hier und da diese Welt. Und du hilfst mir, wieder zu Kräften zu kommen, bis ich allein wieder agieren kann.“ Einige Minuten verstrichen, in denen der Krieger diesen Vorschlag abwägte. Es war kein Blutschwur, keine Bindung, keine Verpflichtung. Sein quirliger, fast schon feixender Gegenüber hatte recht, diese Gewissheit machte ihn angreifbar, aber der Pakt führte auch zum Erfolg. Schließlich nickte er. „Gut“, sagte sein Gegenüber. „Dann wäre da noch eine Sache.“
Eine hohle Hand wurde dem Krieger entgegengestreckt, als sein Gegenüber sich vorstellen wollte. „Mein Name ist Buck.“
Der Krieger jedoch drehte sich um, nahm die blutverschmierte Hand nicht entgegen, drehte Buck den Rücken zu.
„Amron“, kam die tonlose Antwort.