Sofern Hina nicht beide Augen aus dem Kopf fielen, weil sich dieser Dämon als ihr Vater ausgab, würde sie dennoch gerne ihre Lider zukneifen, um diesem Alptraum ein Ende zu setzen. Allein die rasenden Schmerzen an Gliedern und Schädel bewiesen ihr, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Im Augenblick jedenfalls nicht.
„Klar, und ich bin der Kaiser von China“, murmelte sie, während Burukvashrun träge lächelte.
„Jaja, dein neuer Daddy macht dich sprachlos. Kein Wunder, bei einer so umwerfenden Erscheinung wie mich.“ Hina musste zugeben, dass wenigstens er besser aussah als ihre bisherigen Gegner, allerdings machte ihn das nicht unbedingt sympathischer.
„Das einzige umwerfende für mich waren die Ketten und die Schwerkraft. Aber sprich ruhig weiter, vielleicht erübrigt sich ein Teil von mir deinen Worten zu glauben und fällt in Ohnmacht bei deinen reizenden Kommentaren.“
Buck musste unweigerlich grinsen und nahm beide Hände in die Hosentaschen. Scheinbar lässig stand er neben der rauchenden schwarzen Stelle am Boden. Der Geruch, der dieses Feuer entfacht hatte, glich nicht dem stechenden erdrückenden Rauch, den sie kannte. Bloßes Feuer war das nicht gewesen, das aus seinen Händen geschossen kam und binnen weniger Sekunden eine magische Kette geschmolzen hatte. Sicherlich würde Buck sie mit einem Fingerschnipsen verbrennen können, wenn er es wünschte. Doch das war nicht sein Ziel. Auch wenn Hina nicht begriff, was Buck eigentlich wollte, hatte sie ihr Ziel bereits vor Augen: Die offene Tür zum Rücken des Dämons.
Thiana?, fragte sie im Geiste noch einmal, doch die Göttin war verschwunden.
„Dein hübsches Mündlein scheint ja nicht genügend Kraft zu haben, um solch liebliche Worte auszustoßen. Das wird mein Herz ja ganz warm.“ Sein Grinsen erstarb nicht, als würde es einem Spiel gleichen. Bei welchem er die Regeln aufstellte und Hina bereits verloren hatte, bevor er überhaupt begonnen hatte. So viele Fragen schossen ihr durch den Kopf, während sich ihr Leib nach und nach wieder regenerierte. Glücklicherweise hatte sie genügend ausruhen können, bevor sie in dieser fremden Halle erwacht war.
„Also, Hina...“, setzte der Dämon an, doch kam zu keinem weiteren Wort. Die Schwarzhaarige stürmte mit Präzision und Kälte voraus, direkt in seine Arme. Überrascht blinzelte Buck, als er begriff, was sie vorhatte. Doch es war zu spät. Der Fausthieb in seine Visage täuschte einen Angriff an, während der Mann einen Ausfallschritt nach hinten setzte. Hina wirbelte rechts herum, zog ihren Arm zurück und fokussierte ihre Muskelkraft in ihr Schienbein. Sie gab alles, was sie hatte, in diesen Tritt, während ihre Knochen das weiche Gewebe der linken Seite trafen. Eigentlich hätte sie seine Rippen brechen wollen, doch er war schnell genug ausgewichen, um den größtmöglichen Schaden einzudämmen. Dennoch reichte es nicht, den Schwung abzuwehren. Als es Hina dennoch Knacken hören, war das wie Musik in ihren Ohren.
Buck schlitterte einige Meter weiter, ging in die Knie und hielt sich die wunde Seite. Rasselnder Atem quetschte sich durch ihre Lungen, während ihr Gegenüber sich langsam und lachend aufrichtete. Durch die mehrere Atemzüge, die Buck brauchte, um zu Wort zu kommen, begriff sie endlich. Und musste ebenfalls grinsen.
„Erstaunlich,“ gab Buck hinzu. Das Lob schien ihn sichtlich nicht viel abzuverlangen. Doch dessen Bedeutung glich wie ein loser Grashalm auf Asphalt. Unbedeutend und nutzlos. Der jetzige Abstand zwischen den beiden würde ausreichen, um Hina die Flucht zur Tür zu ermöglichen. Doch dieser Angriff zeigte deutlich, dass Buck dies niemals zulassen würde. Auch wenn sie es nach draußen schaffte, der Dämon zog an ihren Fäden. „Nur wie ich bereits sagte, du nutzt nicht einmal zehn Prozent deiner Macht. Allein rohe Gewalt wird mich nicht aufhalten. Ich dachte, Jack hätte dies begriffen, als er dich geschaffen hatte. Jedenfalls hoffte ich das“, er schien mit sich selbst zu sprechen. Ein Ärmel an den Mund tupfend erkannte Hina, dass ein schwarzes Rinnsal Blut von seinem Kinn tropfte. Vielleicht hatte sie doch eine Chance.
Aus den sanft geschwungenen Lippen, die bedächtig von zwei Fingern abgetastet wurden, wurde anschließend ein scharfes Lächeln. Diese Herausforderung war ein Versprechen zugleich, als er flüsterte: „Jetzt zeige ich dir mal meine Kraft.“ Augenblicklich wurde es still um sie herum. Jedes Geräusch froren in einen Moment ein, als eine Welle der Macht auf sie zustürmte. Wie eine tosende See erfüllte Schwärze und Finsternis den Raum, die Lichter verdunkelten sich und gaben nur noch trüb das Licht ab. Doch ihre Augen sahen es und ihr Hirn verstand, wie wenig sie eigentlich wusste und wie wenig sie akzeptieren wollte.
In ihr regte sich etwas. Etwas Vertrautes. Etwas Unbekanntes. Etwas Gefährliches. Es musste hell am Tag sein, sodass Hina ihren Schatten mit Leichtigkeit unterdrücken hätte können. Doch bei diesem Zuspruch an Dunkelheit und Finsternis, dem Versprechen von Qualen und Leid und bei diesem Lied von Tod und Verzweiflung fand ihre zweite Hälfte sich selbst wieder. All das allein trat durch einen Blick des Dämons vor ihr in Erscheinung, während sich ihr Schatten unter dieser Kraft wandte.
Lass mich raus, schrie es und Hina schüttelte den Kopf.
„Wie ich sehe, bedarf es keiner weiteren Worte.“ Bucks Lächeln zeigte Hohn. Doch dieser tadelnde Ausdruck blieb ihr nicht verborgen.
„Nein“, gab Hina zu, während ihr Hirn arbeitete. Sie blieb starr stehen, als das Zentrum des scheinbaren Bösen auf sie zukam. Fäuste ballten sich zu ihrer Seite. Gänsehaut und Atemlosigkeit verbanden sich zu schierer Panik, als die Schwarzhaarige untätig stehen blieb und trotzig den Dämon anstarrte. Dieser grinste siegessicher. Lässig fuhr er sich durch seine Haare, nachdem lose Strählen sein Blickfeld durchzogen hatten. „Natürlich muss es dir nicht peinlich sein, dass du...“, setzte er erneut an, während er vor ihr stehen blieb. Leicht bückte er sich ihr herunter, obwohl beide nur einen halben Kopf Größenunterschied hatten. „...es einfach nicht mit mir aufnehmen kannst.“ Stechendes Rot wie glühende Kohlen trafen ihre trüben Augen, die viel zu menschlich wirkten. „Klar,“ gab sie erneut zu und stach zu. Überraschung und Missmut zeichneten sich auf seinen Zügen, während er locker ihr Handgelenk packte. Er musste diesmal nicht zur Seite weichen, während ihre Fingersitzen nicht einmal sein Hemd berührten.
„Du bist schlau, das gebe ich zu.“ Er wirbelte sie herum, bis ihr Rücken seinen Oberkörper streifte. Muskeln, die härter waren als Eisen, trafen ihre Haut und sie errötete, als er so schamlos mit seinen Vorzügen spielte. Ihre linke Hand hielt er nach wie vor fest, während seine Linke auf ihrem Bauch ruhte.
„Deine Kräfte auf einen Punkt zu konzentrieren und daraus Krallen zu formen, ist nicht schlecht.“ Doch diese Macht verpuffte wie eine Seifenblase. In ihr regte sich Scham und Frust, doch ihre Kraft war am Ende. Das wusste sie ebenso gut und Buck. „Und meine Demonstration hat dir wohl auch einen letzten Kick gegeben.“ Er beugte sich zu ihrem Ohr herunter. „Doch leider bist du nicht in der Lage, es mit mir aufzunehmen.“ Die Wiederholung wäre unnötig gewesen. Doch diesmal durchzog sie eiserne Furcht. Keuchend spürte Hina, wie seine Hand Machtimpulse in ihren Körper gleiten ließ. Die flache Hand bewegte sich nicht und doch bemerkte sie, wie Schwärze ihre Adern ausfüllte und ihr Schatten sich ihrer Kontrolle zu entwinden versuchte. Als die Finsternis allerdings ihr zweites Ich traf, verzog es sich augenblicklich wie ein jaulender Hund. Hina zitterte in seinem Griff und ballte wieder die Fäuste, um ihre Angst zu unterdrücken.
„Ihr Männer seid alle gleich“, bemerkte sie trocken. Wenigstens hatte sie ihren Trotz noch. Den wollte sie auch behalten. „Meint, euch alles nehmen zu können. Ich bin kein verdammtes Spielzeug, das man nach Gebrauch wegwerfen kann.“ Zum Ende hin fauchte sie. Doch er schien in ihr Ohr zu lächeln.
„Oh, du bist weit mehr als das, meine Liebe. Aber tu mir bitte den Gefallen und vergleiche mich nicht mit diesem bemitleidenswerten alten Mann, der sich selbst der König der Welt nennt.“ Hina erstarrte und sah auf. Seine roten Augen durchstachen ihren Panzer und trafen sie bis ins Mark.
„Ich bin mir bewusst, wie ich auf dich wirken müsste. Aber das war auch beabsichtigt.“ Er ließ sie frei, hielt aber ihre Hand. Ihr Knie wurden weich und Müdigkeit zog träge an ihrem Verstand.
„Wieso?“, fragte sie nur, während ihre Lider schwerer wurden.
„Weil ich dich brauche. Und du mich.“ Diese Worte waren das letzte, was sie hörte, während ihr Körper ihr nicht mehr gehorchte. Sie fiel auf eine Brust, die warm und zugleich kühl war. Seine Macht umschloss ihre, wog sie in sanfte Gewässer, während sie nur noch mitbekam, wie ihr Leib getragen wurde.