Amron huschte rechtzeitig nach rechts und wich damit den unerwarteten Angriff aus. Keuchend sah er sich in der plötzlichen Schwärze um. Diese leuchtenden großen Stäbe an den gepflasterten Straßen, die das Tageslicht eingefangen hatten wie Feuer und die Helligkeit zurückwarfen, wurden mit einem Mal trüber und wanden sich unter der Dunkelheit, bis auch das letzte Körnchen Licht in dem auskommenden Nebel verschwand, der sich zwischen Amron und dem immer weiterfliegenden Wesen bildete. Dieses Mädchen wand sich zwischen den Nebelfäden, sodass Amron seine Position nicht mal erahnen konnte. So schnell wie sich dieses Mädchen bewegte, vermochte er es nicht mal mit seinen Augen wahrzunehmen. Ihm war wohl bekannt, dass diese seit seinem Blutritual an die Behausung geschlichen war und ihn beobachtet hatte. Amron hatte alle Hoffnung, dass sie diese die Magie nicht gespürt hatte, die er verbotenerweise heraufbeschwören hatte.
Nachdem er sie nun endgültig in seinen Fängen gehabt hatte, konnte er diesen bekannten Geruch nach stechender Sauberkeit und klinischem Weiß nicht unterdrücken. Sie verband sich mit diesen Menschen, die ihn gefangen gehalten hatte. Doch zu töten in dieser offenen Gegend, wollte er nicht. Dann könnte er sich auch gleich ergeben und zurück zu seiner Zelle laufen. Dazu wäre er ebenso im Stande gewesen, aber irgendetwas hinderte ihn daran.
Zwischen dem Geruch von Wachs und Wärme, dem klinischen Alkohol und einer unbekannten Kellerfeuchte, zwischen dem ihr eigenen Geruch nach Minze und Vanille heraustrat, hatte er etwas Vertrautes ausmachen können. Tief in seinem Inneren hatte er eine unbewusste Verbindung zu dieser Frau, die sich ihm trotzig in den Weg gestellt hatte. Und so unschuldig wie sie aussah, wusste Amron durch seine langejährige Erfahrung als Krieger, dass sie etwas in sich beherbergte, was er nicht zu erkennen vermochte. Etwas Dunkles und Abscheuliches.
Trotzdem war sie seine Feindin.
Und trotz dieses Wissens wollte er sie gehen lassen, ihr eine Chance zur Flucht geben. Er konnte doch nicht anders, wenn er so schwach war. Dieser hohe Blutverlust, dieses Heraufbeschwören von Macht, die ihm nicht gänzlich zu eigen war, verbrauchte derart viel Kraft, dass er sich nur schwerlich auf den Beinen halten konnte. Doch während Buck nun auf dem Bett verweilte und die Tiefen der Träume lauschte, so musste er sich behaupten. Sonst hatte keiner von beiden eine Chance zu Überleben.
Und so musste er sich ebenfalls eingestehen, dass diese Frauen in dieser Welt wohl nicht solche waren, wie er sie in seiner kannte. Viel selbstständiger und bewusster, viel direkter…und dickköpfiger. Wohl zu reinen Information für ihn selbst, Hohn und Spott reizen die Damen hier wohl auch. Sie waren auch keine reinen Geburtsmaschinen zur Erhaltung der eigenen Gene und Macht. Würde Amron nicht dem Zusammenfall nahestehen, hätte er über diese Tatsache geschmunzelt.
Ein Zischen durchzog die Nacht, als sich Amron zu konzentrieren versuchte. Seine übernatürlichen Sinne machten es ihm möglich, sich halbwegs auf den Angriff gefasst zu machen. Doch seine Bewegungen waren viel zu langsam, sein Atem ging schnell und der Schweiß verband sich mit all dem Schmutz und Dreck von der Haut, tropfte in einer Mischung zu Boden, die undefinierbar war. Amron hielt sich nicht länger mit unsinnigen Gedanken auf, sondern schleuderte dem ankommenden Wesen eine Welle seiner verbliebenen Macht entgegen. Gekonnt wich das Monster aus und verband sich wieder mit dem Schwarz.
Was war das nur für ein Wesen?
Die sanften Gesichtszüge, die ernst ihn anstarrten, hatten sich sofort zu etwas verbunden, dass er nicht definieren konnte. Wie der leibhaftige Tod wurden die langen schwarzen Haare immer länger, die stechenden Augen spitzer und nahmen die vollkommene Nacht ein. Die helle sonnengerötete Haut verschmolz mit den Haaren, als würde darauf ein langer wehender Umhang entstehen, bis die Füße nicht mehr zu sehen waren. Lediglich die Krallen, die seinen bei übermäßigem Zorn glichen, sprühten Funken der Macht. Das Wesen ging langsam in die Höhe und sprühte das reine Böse aus, als sich Nebelschwaden aus dessen Körper ausweitete und die Umgebung miteinschloss. Und ihm damit jegliche Möglichkeit zur Flucht nahm. Leere Löcher in dem nun mit dunkler ledriger Haut überzogenem Gesicht starrten ihn wortlos an, bevor ein heller Schrei sein Trommelfell zerrissen hatte. Dann war es verschwunden und hatten ihn in der finsteren Nacht allein gelassen.
Zwar konnte er jetzt noch dumpfe Geräusche wahrnehmen, doch auch seine sonst so zuverlässigen Selbstheilungskräfte schwanden leicht. Wieso hatte er nur diesem dummen Schelm seine Macht geliehen und ihn geheilt?
Weil es ihm so gelehrt worden war, einen Waffenbruder nicht sterben zu lassen. Buck glich keinem Kameraden, wie Amron es definieren würde, aber allein diese Tatsache hatte Buck das Leben gerettet.
Doch so sehr er auch Grübeln konnte, so sehr wurden die Ränder seines Blickfeldes immer unschärfer. Oder war nur der Nebel, der ihm seine Sicht nahm? War etwas in diesem Hauch aus Tod und Verderben denn noch enthalten, dass seine Sinne täuschte?
Ein weiterer greller Schrei erklang, als sich das Biest aus dem Nichts auf ihn stürzte und versuchte, die Krallen in seinen Körper zu wetzen. Er hatte sie nicht kommen sehen, also schützte er sich mit der roten Klinge nur behelfsmäßig und schlug die Krallen weg, der sich ihr enthoben hatte. Dann schaffte er es, Gleichgewicht zu finden und wich gekonnt zurück, und der zweite Angriff ihrerseits ging ins Leere. Er wirbelte herum, stand nun hinter ihr und stach die Spitze in ihrem Leib.
Doch das Metall sirrte nur durch den dürren Leib, als der erwartete Widerstand ausblieb. Sofort zog sich Amron zurück und starrte das Wesen an. Nicht mal einen physischen Körper? Magie hatte er keine mehr. Und Waffen dieser Art würde es nicht ausbluten lassen können.
Heilige Götter des Zorns.
Er legte sich mit dem leibhaftigen Tod an.
Kaum drehte sich dieses Biest um und schien zu lächeln, als die Mundhöhle weiter gehöffnet wurde und Rauchschwaden emporstiegen. Fäulnis und Graberde schlugen ihm ins Gesicht, während die verfaulten Zähne und der endlose Schlund zu sehen waren. Amron hielt sich den Ärmel vor die Nase und hustete ein paar Mal, vergrößerte den Abstand und erkannte, dass der Geruch nun schwer um ihn flog. Das Biest grunzte einmal, als wollte sie ihn auslachen und schlug erneut zu. Doch diesmal viel schneller.
Einhändig konnte Amron dem Monster nicht gegenüberstehen. Auch wenn seine Klinge die Todesspitzen an den Klauen ablenkte und nur ein paar leichte Schürfwunden zurückblieben, so würde seine scheinbar endlose Ausdauer auch irgendwann verbraucht haben.
Mit einem wuchtigen Schlag hielt er den Tod auf Abstand, rammte die Spitze des Schwertes in den Beton und spie einen Kampfschrei aus. Das Monster schien für eine Sekunde verwirrt, als würde diese Art der brutalen Kraft und Willensstärke es verwirren. Im nächsten Moment hielt Amron die Luft an, hielt seine letzten verbliebenen Kräfte beisammen und schrie Worte aus seiner Landessprache der Finsternis entgegen.
Der transparente Geist, der sich vor ihm wütend aufmachte, versuchte einen weiteren Angriff zu starten, hielt akut inne und sah zu, wie sich ein Feuer aus dem Boden emporstieg. Dort, wo die Klinge gesteckt hatte, versengte nun brühende Hitze den Boden und schmolz das Gestein. Lava quoll hervor und nach dem Willen Amrons formte sich dieses zu einem Ball. Er schleuderte dem Monster faustgroße Bälle entgegen und wollte versuchen, das Monster mit Licht zu verdrängen. Doch nur bei direkter Berührung mit dem Schwarz sprühte ein Zorn aus der leeren Mundhöhle, dessen Schrei abrupt verstummte.
Immer weiter zischten das Feuer und damit das Licht durch den endlosen Nebel, der zwischen den beiden herrschte. Immer weiter strahlte das Helle das Dunkle zurück. Um Amron selbst hielt sich eine Schlange aus reinem Feuer und Glut, fauchte und zischte, als es um den Leib des Kriegers sich wand und das Schwarz, selbst das letzte Körnchen Dunkelheit, verdrängte.
Auch wenn Amrons Wille einer tosende See glich, die niemals Ruhe finden würde, so würde es auch Tag der Stille folgen, wenn der größte Sturm vorbei war. Doch er würde kämpfen, um sich zu behaupten. Seine Muskeln fingen an zu zittern, seine Atemstöße wurden schneller und das Blut rauschte wie Lava durch seine Adern. Doch umso mehr griff er dieses blutrünstige Wesen an.
Immer tiefer verharrte der Geist in den Nebelschwaden und zog sich zurück, während sich Amrons Blickfeld nach und nach verdüsterte. Doch nicht der Nebel war seine Schwäche, etwas war in seinen Kreislauf gelangt, das nicht dort hinsollte. Gift?
Er fiel auf die Knie, die Schlange zischend mit ihm, als er immer noch sein Schwert wie ein rettender Anker hielt. Er durfte nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht, wenn er sein Ziel einen Schritt näher war.
Er konzentrierte sich nicht zu sehr, er musste mehr Kraft aus sich herausholen, mehr Macht. Mehr Willen zeigen. Doch er war am Limit. Das war er schon gewesen, als er Bucks Leben gerettet hatte.
Und so hing sein Kopf nur noch schlaff vornüber, während das Licht aber nach wie vor heller strahlte als die Nacht. Und der eiserne Griff an seinem Schwert war Beweis genug. Für seine Stärke. Seinen Willen. Seine Kraft. Seinen Überzeugungen.
„Mein Zorn ist größer als es deine Macht je sein sollte“, zischte es neben seinem Ohr, nachdem sich tiefe Krallen durch seine Muskeln, Organe und Adern stießen. Ein tiefes Loch klaffte im Bauch, als sich Blut ergoss. Er hustete die rote Flüssigkeit schwer aus seinem Mund, doch hielt den Griff des glühenden Metalls in der Hand.
„Ich werde nicht sterben!“ Ein Schrei, der ihm bis ins Mark erschütterte, obwohl es seine eigenen Worte waren. Damit schlug er mit letzter verbliebener Kraft die Klinge dem Monster entgegen, das sich schreiend in der Dunkelheit verkroch.
Bis auch sein Verstand die Leere suchte und er schlaff zu Boden glitt.