In vollkommene Schwärze gehüllt schrie alles in ihr nach dem Blut des Butlers. Er atmete hektisch, das konnte sie spüren. Als wäre der Nebel eine Erweiterung ihrer Sinne, huschte er über jede Zimmerecke. Sie erkannte, wie die Spinne in der oberen linken Zimmerecke verzweifelt versuchte, sich in ihrem Netz zu verstecken und sich nicht dem düsteren Meer aus Macht und Lust zu ergeben. Sie wollte fliehen. Hina erkannte deutlich, dass dieses kleine Tierchen vor ihr panische Angst hatte. Auch ging es nicht anders einem kleinen Insekt am Boden des Badezimmers. Auch wenn die Tür geschlossen war, so konnte sie doch durch den Schlitz zwischen Boden und Tür den Nebel kontrolliert sich ausbreiten lassen. Wie ein Atemhauch fegte der Nebel jegliches Leben weg, fror den Moment der Stille ein und hielt ihn fest. Das Insekt rannte um sein Leben. Rannte und suchte Schutz.
Hina drehte die Hand, die Handfläche zeigte nun zur Decke. Und das Insekt wurde ebenso langsam, wie die Bewegung dauerte, auf den Rücken geworfen und mit dem Zusammenballen der Hand erdrückt. Ihre Mundwinkel hoben sich leicht.
Jaa, stirb du kleines Wesen in unseren Händen. Lass uns spielen, spielen! Lass uns Blut sehen!
Die Spinne verklebte sich nicht in ihrem Netz wie erhofft, doch ein Kopfnicken reichte aus, um die Beinchen zu Boden rieseln zu lassen wie sanfter Schneefall.
Tod ist Spaß und Blut eine Freude, Grausamkeit ein Spiel der Wonne. Lass uns spielen!
„So klein und doch so grausam.“ Eine lieblich neckende Stimme im Hintergrund, außerhalb ihrer Reichweite, sang in ihrem Verstand und unterbrach damit ihren Singsang. Sie hörte sich vertraut an und Hina wusste erst spät, dass es ihr Vater war. Doch für sie war er wie ein weiser Fleck auf der Landkarte. Unerkennbar, unerreichbar.
Wieder vernahm sie ein hektisches Atmen. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf James. Der Schweiß implizierte seine Panik, doch seine Augen glitzerten vor Mut und ..Hochachtung?
„Nun, deine Grenze ist nicht erreicht“, sang die männliche Stimme weiter und ließ sie warten. Sie drehte ihren Kopf, wo der weiße Fleck war. Es störte sie und gleichzeitig hörte sie unbewusst auf das Gesagte wie ein Befehl. Hina wollte einen Schritt tun, auf den weißen Fleck. Und erstarrte. Der Mensch. Der Verdammte.
Er zitterte, ging doch einen Schritt vor. Diese Mischung aus Furcht und Neugier, Mut und etwas Undefinierbarem lag in der Luft. Der Nebel strich sanft über die schweigedeckte Haut, über die geballten zitternden Fäuste und die glatt gebügelte Kleidung, bis sie den Cocktail fast schon schmeckte. Sich danach sehnte. Ihn wollte.
Und dann hatte sie Hunger.
James wand sich nicht, ging noch einen Schritt vor und ging in Deckung. Er wusste, was sie konnte oder spürte ihre Absichten. Ihre Angriffe waren schneller, so schnell wie ihre Schatten flogen. Der Nebel war ihr Reich, also konnte sie sich darin bewegen, als wäre sie der Nebel selbst. Doch der Verdammte wich ihre Krallen aus, wenn sie nach ihm schnappte.
„Nicht so lieblos, Herzchen“, kommentierte Buck trocken und schien sich doch an ihrem Anblick zu laben. Die unterdrückte Entzückung aus seinem Mund zu hören verwirrte sie, sodass die Explosion aus Schmerz an ihrer Wange sie zum Straucheln brachte.
„Und konzentrier dich bitte..“, kam es sogleich. „James ist mächtig, aber dir eigentlich nicht gewachsen. Wisch mit ihm den Boden auf.“ Das war ein Befehl, und sobald die Worte des Dämons den menschlichen Verstand beider erreicht hatte, sahen sich James und Hina direkt in die Augen. Durch die Dunstschleier erkannte man gegenseitig nur die Entschlossenheit, endlich siegreich zu sein.
Immer wieder stach Hina zu und wich seinen direkten Schlägen aus. Immer wieder warf sie sich ihm mit einem Wutschrei entgegen, doch es blieb ein Unentschieden. James war kampferprobt und so konnte sie trotz des Nebels seine Absichten nur kurz vor den Angriffen nachvollziehen.
„Das ist doch langweilig“, murmelte Buck im Hintergrund. Hina keuchte. Der Kampf dauerte keine drei Minuten und ihre Glieder zitterten. Die Stimme in ihrem Kopf verstummte und kam mit einem Fingerschnipsen wieder, ging und hinterließ ein Echo, dann Stille. Verließ die Stimme ihren Verstand, sang sie nach Tod, kam sie abrupt, so wollte sie Fleisch zwischen den Zähnen und Schmerzensschreie in den Ohren hören. Hinas Verstand kämpfte kontinuierlich gegen sie mit Rationalität und Vernunft an. Allein das strengte sie unheimlich an. Diese Gefühlsleere und der Durst nach mehr waren zwei Naturgewalten vereint in dem Körper einer jungen Frau.
„Sagte ich doch“, hieß es schließlich von James, der sich das Jackett glattstrich. Als wären Staubkörner gefährlicher als sie, legte er sanft die flache Hand auf den Stoff und wischte abfällig langsam darüber. „Ihr seid es nicht wert, dem hohen Herrn die Ehre zu erweisen.“ Ein feixender Glanz in den Augen und verzogener Mundwinkel nach unten.
Stille.
„Oh, James. Sind wir heute auf Krawall gebürstet?“ Buck miste sich in das Gespräch ein.
„Nein, mein Herr“, versicherte er ihm. Ernst blickte er auf den für sie nur sichtbaren weißen Fleck. „Ich habe nur meine Bestätigung gesucht und sie gefunden. Verzeiht mir, Eure Zeit derart verschwendet zu haben.“ Er verneigte sich in Richtung des weißen Flecks.
„Ah“, machte Buck nur. Ohne Hinzusehen erkannte Hina, dass sich James erhob, nickte und sich wieder zu ihr wandte. Dann wurden ihre Augen groß. Nur sie erkannte den weißen Fleck. Nur sie sah den Nebel.
„Jaja, wahrlich interessant, wie schwer du von Begriff bist, mein Täubchen.“ Buck schien schneller zu begreifen als sie.
Die Stimme sang wieder und übernahm ihren Körper. Hinas Idee, ihre Kräfte zu sammeln und sie eine Klinge werden zu lassen, schnitt durch den Raum und durchbrach die Wand zwischen Zimmer und Flur. Irgendwo schrie jemand überrascht auf, als Mörtel und Beton von der Wand rieselte. Doch keinen im Raum störte diese Tatsache.
Hina hatte das behelfsmäßige Schwert aus Schatten und Nebel aus der Zuversicht geschmiedet, man würde es nicht sehen. James stand keuchend vor ihr, die Klinge keine fünf Zentimeter von seinem Gesicht weg. Sie hätte damit seinen Kopf gespalten. Und wäre glücklich gewesen. Er starrte nur mit weit aufgerissenen Augen die Faust an und erkannte darin ihr Vorhaben. Die Klinge hatte er wirklich nicht kommen sehen.
Doch war es der Hohedämon, der die ganze Aufmerksamkeit einheimste.
„Genug“, nuschelte er und hielt ihr Handgelenk fest. Eisenhart war sein Griff, bis sich schwarze Klinge verflüchtigte und mit einem Atemzug auch der Nebel von jetzt auf gleich verschwand. Buck stand direkt zwischen ihr und dem Verdammten.
James begriff den stummen Befehl. Er trat zurück, verneigte sich. „Ich werde Euch nun in Ruhe lassen.“ Dann verschwand er. Doch keiner schenkte ihm Beachtung, als er ging. Hina blickte hoch, sah die rotleuchtenden Augen und einen undefinierbaren Blick.
„Und jetzt, Hina. Spielen wir.“ Buck grinste.