Der Wind peitschte das kohlrabenschwarze Haar ins Gesicht, als er sich auf seinem getreuen Ross befand und in die Weite blickte. Einen Tagesritt, dann würden sie am Ziel sein. Würden es endlich geschafft haben, den Zorn der Götter zu entkommen und ihre Freiheit wieder zu erlangen.
Zwischen den haselnussbraunen Augen verband sich der ebenso gleiche Zorn wie auch Wille in ihm. Gedankenverloren blickte er durch die Menge seiner Leute, seiner Kämpfer, als er vom Pferd abstieg und das Ross an dem Zaumzeug durch das sporadische Lager lenkte. Zwischen all den Schmutz und Dreck und Sand sah er blutende Wunden, ernste Gesichter und eiserne Rüstungen. Zwischen den einfachen Zelten, in welchen sein Heer nächtigte, hörte man vereinzeltes Stöhnen, Schnarchen. Doch kein Lachen, keine Freude. Immerhin waren sie fast am Ziel, und das sah man ihnen an. Durch die leeren Blicke und ausgeschöpften Leibern. Er kam am Eingang seines eigenen Zeltes an, als die Tücher, die den Eingang darstellten, sich plötzlich weiteten und jemand mit Schwung auf ihn zu rannte. Grade so wurde das Pferd noch angebunden, als er sich auf den Wurf wappne, der den Heersanführer akut zu Boden schleudern ließ.
Beide lachten ausgelassen, als ein roter Schopf voller herausstehenden lockigen Strähnen wild hin und her wedelte und den Blick freigab auf das schönste Gesicht, das er je erblickt hatte.
„Hallo Thiana“, lachte der Anführer ausgelassen, stand auf und hob sie hoch. In den Armen hielt er seine Gefährtin, steuerte auf den Eingang zu und wollte sie schon lieben, wie sie es verdient hatte, als ein plötzliches Knirschen hinter ihm seine Aufmerksamkeit erforderte. Ein wenig zu ruckartig drehte er sich um und wollte den Diener schon anknurren, er solle gefälligst das Weite suchen, als er seine sanfte Hand an der Wange spürte.
„Liebster“, ein Wort reichte und er beruhigte sich wieder. Wie konnte diese Frau ihn nur bändigen, wenn er selbst seine Gefühle unkontrolliert nach außen trug? Er küsste sie auf den Scheitel und half ihr, sich auf die Beine zu stellen. Doch sie wich nicht von seiner Seite, also fixierte er seine Rechten an der Hüfte Thianas und lauschte den Worten, die er eigentlich nicht hören wollte.
Voller gebieterischer Abscheu blickte er hinab auf den armen knienden Mann, der zitternd vor ihm auf dem Dreck lag und sein Gesicht nicht wagte zu heben. Gut so, sollte er Angst haben.
„Was?“ Ein Knurren und ein Fauchen. Eine Warnung und eine Drohung. Mehr war dieses bloße Wort nicht.
Thiana legte ihre Hand auf seine an ihren Körper, zog ihn näher an sich und drückte leicht zu. Sie wollte ihn damit zeigen, dass er still sein sollte. Also spie er nicht weiter und fixierte den Diener vor sich.
„Herr!“ Das Zittern und Bibbern in der Stimme waren ja nicht auszuhalten.
„Sprecht oder verzieht Euch“, gab er deutlicher zu verstehen. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er voller Ungeduld ab, während Thiana sicher dem Mann, obwohl er sie nicht anblickte, einen ruhigen Ausdruck auf diesen sanften Zügen zeigte. Mit der kleinen geschwungenen Nase und den leicht roten Wangen, dem vollen Mund und dem engelsgleichen Körper sah sie aus wie von den Göttern selbst geschaffen. Ihre Augen, so unendlich wie das Meer, waren ihm verfallen, wie auch er ihr.
„Herr“, wiederholte der Diener. „Unsere Späher haben berichtet, dass etwas Unnatürliches am Horizont sich aufmacht.“
„Unnatürliches?“, fragte er spöttisch und lachte auf. Allein die Götter entschieden, was natürlich war und was nicht.
„Ja, Herr, als würde…“, ein weiteres unkontrolliertes Zittern, als der Diener den Kopf hob. „Als würde unser Gott Dhiandar es nicht verzeihen, dass wir sein Reich betreten haben.“ Die Angst in diesem verzerrten, angespannten Gesicht war wahrlich nicht der eines Kriegers oder überhaupt einem, der in seinem Heer arbeitete, würdig.
„Das ist vollkommener Humbug!“, schrie er und sorgte damit für eine Sekunde Ruhe im gesamten Lager. Ohne weitere Aufforderung schlich der Diener davon, während Thiana beruhigt eine Hand auf seine Brust legte. Unter der ledernen Rüstung, dessen eiserne Ergänzungen in seinem Zelt warteten, schwitzte er erheblich.
„Vielleicht solltest du auf deine Leute hören“, riet sie ihm.
Und er nickte stumm. „Holt die Seherin.“
Tiefes Atmen füllte seine Lunge mit warmer Kaminluft, ein weiter kam hinzu, und der Geruch von Blumen und etwas Schwerem füllten seine Atemwege. Nun spürte er, dass er seinen Körper bewegen konnte und schlug hastig seine Augen auf. Gedanken formten sich zu einer Geschichte, die so passiert war, als er sich den Kopf rieb und seine Umgebung musterte. Vorerst verschlafen, dann immer klarer, blickte er sich um.
Er war im Himmel, ganz sicher.
Amron befand sich in einem Raum, dessen Boden mit Fell bedeckt war und hohe Decken gaben Leuchtelemente preis, die wie Kristalle aussahen. Aus Holz geschlagene, edle Möbelstücke säumten sich an den Wänden, die mit einer weichen Farbe seinen Augen schmeichelte. Das dunkle Holz zusammen mit den sanften Farben der Wände und des roten Bodens fingen alle Ängste ein und erzeugten eine wohlige Wärme. Zusammen mit dem Kamin, dessen offenes Feuer für zusätzliche Wärme sorgte, schwang sich Amron aus dem Bettgestell, das unter seinem hohen Gewicht wunderlich nicht knarrte oder nachgab. Sein Blick huschte an Gemälden vorbei, dessen Pinselstriche kein wirkliches Bild ergaben. Doch der Blick auf die Welt hinaus, war einzigartig. Wie die Wolken so tief hingen, dass er sie anfassen konnte und Spitzen von eckigen Häusern derart riesig waren, dass die die leuchtenden Punkte verstärkten, diese Sterne und den Mond gleichermaßen, und die Dunkelheit vertrieben. Die wirre Anordnung von diesen Häusern und Punkten erleuchtete das gesamte Gebiet, bis Amron selbst am Horizont keine schwarze Nacht mehr ausmachen konnte.
„Na, gut geschlafen?“, neckte ihn eine Stimme, die ihm wohl bekannt war. Er drehte sich nicht um. Sondern fühlte seine Wunde ab, die mit weisen Bänden versorgt worden war. Er hatte keine Schmerzen mehr, doch raue Striemen und rote Striche zierten noch vom Zentrum aus ein Loch, das sich bisher noch nicht geschlossen hatte. Langsam legte Amron den Verband wieder auf die stahlharten Muskeln und wartete. Die Stimme kam näher.
„Immerhin hast du fast einen ganzen Tag geschlafen.“ Ein Quietschen erklang, das Amron in den Ohren schmerzte. Er konnte nicht anders, als sich daraufhin herumzudrehen und Buck auf einem schwarzen Sessel, wohl aus Leder, zu sehen. Doch anders als erwartet hatte dieser keinen Leinensack mehr an. Die Haare waren zurechtgeschnitten und lagen fein und sauber auf dem Gesicht, dessen elegant geschwungenen Gesichtszüge etwas Ernstes hatten. Der schlanke Leib war in einen wohl hier modernen Anzug gesteckt worden, die Schuhe aus geschupptem Leder glänzten von der leuchtenden Decke her. Waren seine Fingernägel etwa angemalt? Schwarz, wenn es Amron richtig sah und auch die Augenlider schienen geschminkt zu sein. Nur der Schelm in den Augen und das verschmitzte Lächeln waren das Gleiche. Und er konnte laufen, war nicht mehr ausgemergelt. Amron unterdrückte das Bedürfnis seiner Neugier und zeigte ein emotionsloses Gesicht.
„Ihr seht aus wie eine verzierte Zuchtstute, die man anpreisen will.“ Ein trockenes Lachen erklang aus der Kehle des Mannes, der eigentlich ganz anders aussehen sollte.
„So sehr ich auch dein gutes Stück bewundere, mein lieber Amron, würde ich dir gerne erstmal was zum Anziehen besorgen. Und am besten auch etwas zu essen.“ Amrons Magen grummelte nicht, sondern schien mehr nicht zu existieren, so sehr klammerte er sich an die restlichen Kräfte, die er durch den tiefen Schlaf wiedererlangt hatte. Doch er wägte nicht ab. Wenn Ruhe eines war, dass der Weißhaarige brauchte, so wäre Nahrung auch nicht zu verschmähen.
Einige Zeit später hatte sich Amron in eine bequeme Hose und einem Hemd gezwängt, das ihm bereit gelegte wurde und saß nun vor einem Tablett voller Fleisch, Gemüse und dampfenden Tee.
„Meine Köche wissen nicht, was sie dir zubereiten sollten. Und auch ich kenne deine Vorzüge beim Essen nicht.“ Amron selbst rührte kein Lebensmittel an, denn er blickte wortlos zu dem Buck, den er nicht in der Rolle des reichen Mannes vorstellen konnte. Einfluss hätte er wohl, aber Zusammenhänge erschlossen sich ihm nicht. Skeptisch blickte er den schweigenden Mann an, dessen Grinsen von einem Ohr bis zum anderen ging.
Also stand der Krieger auf, trat Richtung Ausgang und ignorierte die Bemerkungen Bucks.
„Bevor du deine Waffen suchst, mein Lieber, würde ich gerne dich daran erinnern, dass du noch verletzt bist.“ Schweigen. Der Krieger blieb stehen, blickte sich um. Amron kramte in den Schubladen und Schränken, wollte nach erfolgloser Suche aus dem Zimmer marschieren, als ein Fingerschnipsen erfolgte und eine Barriere die Türflügel verbarrikadierte.
Mit gekühlter Gelassenheit sah Amron den plötzlich ernst dreinblickenden Buck in die Augen, dessen fuchsrot mehr Macht und Kontrolle ausstrahlte, als Amron gerade aufzubieten hatte. Er fühlte sich zwar noch ausgelaugt und kraftlos, diese würden aber binnen Stunden zurückkehren. Und dann würde er hier nicht länger verweilen, als er müsste.
„Mal ehrlich, was willst du jetzt tun? Dein Schwert nehmen und in dieses Labyrinth aus dir unbekannten Gegenständen und Lebensweisen hineingleiten? Meinst du durch dein Auftreten würde sich etwas ändern und alle sagen dir, wohin du zu laufen hast?“ Ein raues Lachen. „Selbst wenn du das schaffst und ich deine Ziele nicht kenne, habe ich einige Vorzüge.“ Er zeigte mit einer selbstverständlichen Geste durch den Raum und meinte wohl viel mehr. Dann blickte das geschminkte Gesicht den Krieger feixend an. „Ich habe nicht tausend Jahre in der Menschenwelt gelebt, um mich von dir jetzt so undankbar abweisen zu lassen.“
Amron lag ein Satz auf der Zunge, und er öffnete seinen Mund, um ihm eine Warnung zukommen zu lassen, als Buck ihm seine Handgelenke hinhielt.
Und Amron erstarrte.