Hina wich einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf und drehte sich zu allen Seiten um. Und das Lachen Bucks verriet ihr, wie sehr sie ihr Geheimnis mir ihrer unvorsichtigen Art offenbarte. Dabei war es noch nicht einmal schlimm, schließlich spielte sie damit nicht in Bucks Hände. Nur sein Vorhaben, sie zu benutzen, könnte ihr gefährlich werden. Doch er konnte sie nicht zwingen, wollte es nicht. Hina blieb dennoch stumm.
„Also schön, keine Geheimnisse mehr?“ Das Funkeln in den Augen und in diesem spitzbübischen Ausdruck sagten mehr als tausend Worte. Hina hielt den Mund geschlossen. Die ausgebreiteten Armen vollführten einige einladenden Gesten, sich ihm zu öffnen, Buck alles zu sagen. Doch Hina schüttelte erneut den Kopf. Thiana war ihr zur Hilfe geeilt, als sie sie am meisten gebraucht hatte. Daher würde sie einem verrückten Dämon keine Information preisgeben. Und wenn er ihr dabei die Haut von dem Leib reisen würde. Ihre Schreie wären ein lohnenswerter Preis.
In der einsamen Stille in ihr regte sich etwas. Ein Funken voller Freude strahlte hell auf und glomm weiter in ihrem tristen Dasein.
„Ahh, du hast dich der Seele also verbunden gefühlt, wie?“ Buck setzte sich wieder auf den Sessel und thronte auf ihm. Mit einer Handbewegung klingelte eine helle Glocke inmitten des Raums und sofort öffneten sich die Türen. Hina blieb in der Mitte stehen und sah zu, wie ein ihr unbekannter Butler einen Schritt tat und in der Türöffnung mit geschlossenen Augen eine tiefe Verbeugung andeutete.
„Ihr wünscht?“ Rau fragte der in einem Frack gehaltene Mann. Das Monokel vor der Linken ließ ihn ein wenig adelig erscheinen, während er schließlich die Augen öffnete und blaue Augen den Boden musterten. Doch die menschliche Erscheinung hinterließ in Hina eine Warnung. Er war nicht ganz menschlich.
„Das ist einer meiner Gezeichneten, Liebes.“ Bucks vor sich auftauchende Tasse voller dampfendem Gebräu stellte ihn dar, als würde er bei etwas nun Zuschauen wollen. So, wie er sich zurücklehnte, schien er die Show bereits zu genießen, bevor sie angefangen hatte.
„Du wirst dich mit ihm messen. Ich will deine Stärke testen.“
„Keine Lust mehr, dich mit mir anzulegen?“ Buck hatte doch selbst gesehen, wie sie gekämpft hatte, wie sie ihre Macht scheinbar nicht gezielt genug nutzte. Wieso sollte sie sich dann mit einem Verdammten anlegen? Menschen waren für sie Beute, keine Spielzeuge.
Bucks Mundwinkel zuckten. „Weil ich dich in tausend kleine Stücke reisen würde, wenn ich erst einmal Blut gelegt hätte. Du magst meine Fähigkeiten besitzen, aber wie bereits erwähnt, hast du nicht annähernd genug Erfahrung, sie entsprechend einzusetzen. Er hier könnte es dir zeigen.“ Er schwang dabei eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Butler, der sich ein wenig tiefer verneigte. Es war keine Angst, die in seiner Aura zu lesen war. Mehr Hochachtung und Verehrung? Hina kramte ihr Wissen über die Verdammten aus. Man nannte Seelenlose, die einen Pakt mit einem Teufel schlossen, Verdammte. Nicht, weil sie sie ihre Seele hergaben. Manche Dämonen wollten diesen Preis, aber das wäre eine Verschwendung. Sondern weil Dämonen sich zumeist von den Gefühlen und emotionalen Bedürfnissen menschlicher Seelen ernährten. Je mehr Verdammte ein Dämon unter sich hatte, desto mächtiger war er. Im Gegenzug konnten diese Verdammten ihre kühnsten Träume aussprechen, ihre Toten wiedersehen, je nachdem, auf was für eine Grundlage dieser Pakt beruhte. Buck dagegen schien eine andere Art des Handels zu nutzen. Hina sah den Butler erneut an, der sich nun erhob und sein Monokel zurecht zupfte. Die grauen Haare waren nach hinten gegelt, während die Augen Weisheit ausstrahlten. Wie lange wandelte dieser Verdammte schon unter Bucks Macht? Er wirkte nicht besonders stark, doch dumm war Hina nicht.
„Wer ist er?“
Der Butler räusperte sich tatsächlich, während der Dämon schweigend an seiner Tasse nippte. Nein, er schlürfte lautstark. Und nach dem „Ahh“ sagte sich Hina, sie würde ihn irgendwann vermöbeln. Wohl nicht heute, aber irgendwann.
Thiana. Die Göttin antwortete nicht.
„Mein Name ist James. Ich bin einer der ersten, die der hohe Herr für würdig empfunden haben.“ „Jetzt sage mir bitte nicht, dass du auch noch ein Gentleman bist, und mich, weil ich eine Frau bin, entweder verschonst oder gewinnen lässt.“
„Mir würde nichts dergleichen einfallen. Ich bin nicht besonders erpicht auf diese Art des Dialogs mit Fäusten oder Tritten. Außerdem seid ihr eine Dame…“ Hina rollte bereits die Augen. „…also werdet Ihr wohl nicht lange durchhalten.“
Jetzt hoben sich die ihre Augenbrauen. „Bitte?“
„Ein naives dummes Kind wie Ihr werdet sicherlich nicht einmal ein Schwert halten können. Gebrechlich und schwach, diese Weibesbrut.“ Buck sagte nichts, blieb stumm, wie auch die Leere in ihr. Der Funke war verglommen, das Dunkel schwang sich mit jedem Atemzug mehr und mehr in ihre Glieder. Es dämmerte bereits, deshalb kam es Hina zugute, dass der alte Mann weitersprach.
„Man sollte Euch auspeitschen für diese Missachtung gegenüber dem hohen Herrn. Ihr habt nicht einmal den Atem verdient, den er an Euch verschwendet.“ Klare direkte Worte, aber das konnte die Schwarzhaarige auch.
„Herzallerliebst.“ Hinas Lächeln wirkte nicht mehr freundlich. Ihre Räder im Kopf drehten sich, während der Schatten langsam von ihr Besitz ergriff. Er überrannte sie nicht mehr, er schmeichelte ihr mit jeder weiteren Sekunde, während die auflodernde Magie ihre bekannten Züge annahm. Die Haare wehten umher in diesem windlosen Raum, während die Finsternis das Licht verschluckte. Fast schien es ein Beben zu geben, während Hina standhaft blieb.
„Ich bin in einem Bunker großgeworden, in dem es weder Licht noch Hoffnung gab.“
James wirkte weder beeindruckt noch sonderlich erfreut, dass sie das Wort an ihn richtete. Doch er ließ sie ausreden, als würde ihr das zeigen, wie wenig er von ihrem Wort hielt und wie sehr er sich im Zaum hatte. Wie kalt berechnend er war.
„Und man hat mir keine Gelegenheit gegeben, eine Kindheit genießen zu dürfen. Jede Woche hat man mir einen Kadaver in meine Zelle geschmissen. Zuerst waren es nur Tiere oder Menschenfleisch und schließlich brachte man mich dazu, meinen Blutdurst zu kontrollieren. Irgendwann wurde aus meiner Zelle eine Arena. Jede Woche kam ein neues Experiment meines Vaters und wollte mich töten. Und jede Woche hatte ich anderes Fleisch zwischen meinen Zähnen. Jahr für Jahr wurde ich stärker und egal welcher Wicht es wagte, mich herauszufordern, es blieb immer gleich. Ich gewann, diese jämmerlichen Biester lagen verteilt in meiner Zelle.“ Hina konnte nicht anders. Sie lachte auf, als sie an dieses Bild dachte.
„Und immer schaute er zu. Dieser eine Wicht, den ich nie erreichen konnte, der mich genauso angesehen hatte wie du. Diese kühle Fassade hinter einer Mauer aus Irrsinn und Wahnsinn. Dahinter verbarg sich sicherlich noch Genialität, aber nein, ich sah nur diesen verdammten Wahnsinn in den Augen.“ Hina hörte von Weitem ein Stuhl knarzen, doch sie hatte nur Augen für James. Für diesen Butler, der sie so sehr an Jack erinnerte, dass es schon fast weh tat.
„Er hatte den gleichen verabscheuten Blick wie du. Und jedes Mal, wenn ich einen dieser Kämpfe gewann, sagte er mir, er würde mich loben, wie einen Hund. Doch dass Hunde auch beißen können, bedachte er nie.“ Schließlich stand der letzte Sonnenstrahl am Horizont und der Schatten mobilisierte sich hinter Hina wie ein zweites Ich. Sie sah ihn nicht, spürte umso mehr die Wogen nachtschwarzer Seide auf ihrer Haut. Und die eiskalte Wut wie ein zweiter Herzschlag.
„Ich werde allen in den Arsch treten, die meinen, auf mich herabblicken zu können. Und mit dir, James...“ die machte eine kurze Pause. „..mache ich nun den Anfang!“