Es war kalt. Einfach nur kalt. Hina kauerte sich mehr in der Ecke zusammen und versuchte, durch kurzes Atmen die Kühle nicht weiter durch die Atemwege in ihren Körper gelangen zu lassen. Die Muskeln hörten schon seit Stunden nicht auf zu zittern und machten sich selbstständig, sodass ihr bloßer Wille nicht mehr dieses unkontrollierte Bewegen unterdrücken konnte. Doch das störte sie nicht, solange sie in Ruhe gelassen wurde. Dunkelheit waberte um sie herum wie ein schwerer Nebel und verdüsterte alles, was sie ausmachte. Die trüben Gedanken wurden noch schwerer, als sie an die letzten Stunden dachte. Doch so sehr sie auch die schwarzen Stäbe vor sich zur Ablenkung nutzen wollte, so schwirrten die Gedanken frei in ihrem Kopf umher und formten sich zu Sätzen, die sie nicht wahr haben wollte...
Ich war erwacht, in dieser Zelle hier, in der ich nun auch sitze.
Mit trockener Kehle wollte sie auflachen, doch dann würde sie zu husten anfangen. Und Bewegungen würden weh tun. Nicht nur die Kälte hatte ihr zu schaffen gemacht. Das dünne Oberteil und die zerrissene Hose, die sie noch vom Kampf gegen den Unbekannten getragen hatte, würden sie nicht wärmen. Auch die Tatsache, dass sie nicht rechtzeitig aufgewacht war, bevor Comet sie erwischt hatte. Diese scheußlichen Kreaturen…
Sie hatten mich in diese Zelle gesperrt, weil sie Angst vor mir haben. Sie wissen nicht, ob ich wieder so werde. Zu meinem Schatten…Die wissen nicht, ob ich sie töte oder ihnen weh tue…Dabei will ich das alles gar nicht!
Nein, sie wollte keinem mehr weh tun. Sie wollte sich noch nicht einmal in dieses Monstrum verwandeln, dass in ihrem Inneren herrschte. Das ihre tiefsten dunkelsten Albträume Realität werden ließ und selbst den Tod Angst bereiten würde. Sie hatte sich geschworen diese Kreatur nie wieder die Oberhand über ihren Verstand werden lassen.
Doch habe ich eine Wahl?
Nein, die hatte sie nicht. Nie gehabt und würde sie auch nie haben. Aufgrund dieser Sorge, die über ihrem Haupt wie eine dunkle Wolke seit ihrer Geburt zu schweben schien, drückte sie sich doch mehr gegen die feuchte Kellerwand, damit die Kälte sie von den Gedanken abbringen konnte. Die nassgeschwitzten Haare klebten ihr an der Stirn und auch ihr Magen knurrte. Wenigstens hatte sie Hunger. Und war nicht verrückt geworden. Noch nicht.
Und dieses Mal ist auch kein Unschuldiger gestorben, meldete sich ihr gutes Gewissen. Ja, sie hat sich gegen die Kontrolle ihres Vaters gewehrt und das machte sie ein Stück weit stolz. Und trotzdem überschwemmten sie die Gedanken, als sie ihren Körper betrachtete. Die Flecken, die ihr Widerwillen und ihren stummen Protest gekostet hatten, damit sie gegen ihren Vater aufbegehren konnte, zeichneten sich leicht gegen die Dunkelheit ab. Mittlerweile hatten sich ihre menschlichen Augen daran gewöhnt, kein Tageslicht die letzten Stunden gesehen zu haben. Dabei war ihr auch der Schmerz an der Schulter aufgefallen. Als sie diese angetastet hatte, bemerkte sie auch eine dünne Linie, die bis zu ihrer Stirn über den Nasenrücken zur rechten Schulter verlief.
Der letzte Schwerthieb, erinnerte sie sich. Er hätte sie befreien können und dennoch war sie wieder aufgewacht und hier gelandet. Wie jedes Mal, wenn mein Schatten sich mit entledigt und ich mit den Folgen leben muss.. Als Dr. Mors ihren Körper wieder kontrolliert hatte.
Wann wird es endlich ein Ende haben? Wann würde sie frei sein?
Plötzlich erhellte sich ihr Sichtfeld und Hina wurde geblendet. Sofort drückte sie sich gegen die Wand und versuchte, sich zu verstecken. Doch wie, wenn die kleine Kammer nur eigens für sie als Zelle erschaffen worden war? Eine dunkle Gestalt tauchte auf, dessen Umrisse sich nur schemenhaft vor ihr bewegten.
„Nun, mein Liebe. Hast du dich endlich entschieden, mir die Antworten zu geben? Sagst du mir endlich, was in dem Nebel passiert ist und wohin deine Zielperson geflohen ist?“, fragte eine sanfte Stimme, die sich in ihren Ohren anhörte wie der Tod höchstpersönlich. Wäre es nicht der, der für diese Situation verantwortlich wäre, würde sie diesen mit offenen Armen empfangen.
Stille.
Ein Stöhnen. „Das habe ich mir gedacht.“ Ein Rascheln, dann ein Quietschen. Das Licht wurde wieder ausgemacht. „Wir sehen uns also morgen.“ Die Tür wurde zugeschlagen.
Dunkelheit. Schwärze. Einsamkeit. Die Hölle.
Und Hina war mit ihrem Chaos im Kopf wieder allein.