Die Sonne kämpfte sich am Horizont in die Höhe, als der trübe Himmel sich langsam lichtete und man Schemen voller violetter und orangeroter Farbe erkannte. Die Wolken zogen sich in die Länge und die Stadt schien zu erwachen. Eigentlich waren die Bewohner nie zu Bett gegangen und Lichter hatten die Nacht erhellt, wie die Sonne nun den Tag. Durch das elektrische Feuer in den Gebäuden konnten die Menschen nun Tag und Nacht wach bleiben. So viele, wie sich hier tummelten, würde Amron niemals in seiner Welt sehen. Nicht mal sein ehemaliges Heer hatte so viel Krieger an der Zahl gehabt. Und die Tatsache, dass diese alle auf einem Fleck wohnten und miteinander auskamen, wollte Amron ebenso wenig im Kopf bleiben wie die Tatsache, dass er wahrhaftig in einer fremden Welt erwacht war. Durch Zufall war er entflohen und hatte einen Verbündeten getroffen, der ihm nun ein Schlafplatz darbot, ohne etwas zu verlangen. Auch wenn Amron Buck nicht wirklich traute, so verstand er nach und nach die Tiefen seines Charakters. Doch eine Meinung über den Dämon wollte sich Amron nicht bilden. Schließlich waren die Ziele des Schelms und seine eigenen derart weit auseinander, dass beide irgendwann mal vielleicht sogar Feinde sein können. Doch beide schwammen zunächst in die gleiche Richtung, wenn Amron dem letzten Gespräch nochmals Aufmerksamkeit schenkte.
„Ich brauche dich, Amron!“, ertönte die solide Stimme in seinem Kopf, als der Dämon Burukvashrun seinen Zorn entfaltet hatte. Er hatte wohl bemerkt, welche Auswirkungen sein plötzlicher Sinneswandel entfacht hatte. Amron hatte die Maske des Dämons fallen sehen, die er sich Sekunden nach dem tosenden Wind sofort wieder aufgesetzt hatte. Und stetig beibehielt.
„Ich habe einen Plan, den Erfinder dieser Nanobots und damit gleichzeitig unseren ehemaligen Kerkermeister, Dingfest zu machen“, hatte er gesprochen, als Amrons Schwächeanfall ihn zu übermannen drohte. Es waren so unendlich viele Eindrücke gewesen, die innerhalb weniger Zeit auf ihn eingeprasselt waren. Das konnte sein menschlicher Körper nicht verkraften und forderte den Schlaf ein, den Amron einerseits zu genüge gehabt hatte, andrerseits wieder brauchte. Also war er nach dem Angebot, das Buck ihm dargeboten hatte, hinauf in sein Zimmer gelotst worden. Eine kalte Dusche berauschte seine Sinne erneut und half ihm, einen klaren Kopf zu bewahren. Nun stand er an der wieder reparierten Glasscheibe und versuchte die Umgebung um ihn herum zu verstehen. Doch nichts, was er sich erklären konnte, machte Sinn, außer einer Tatsache: Ohne den Dämon würde er sein Ziel nicht erreichen. Also hatte er dem Pakt widerwillig zugestimmt.
„Ich brauche nicht nur dich, mein lieber kleiner Krieger!“ Der übliche Spott in Bucks Stimme hatten ihn aufhorchen lassen, als beide in dem Schlafzimmer des Kriegers angekommen waren. Während sich Amron der Kleidung entledigte und Richtung Bad marschierte, setzte sich der Dämon wieder auf das Ledersofa und verschränkte Finger und überschlug gekonnt die Beine. Als würde der Dämon die Welt in den Händen halten und alle Strippen ziehen, saß er wie ein König da. Buck verriet nicht seinen ganzen Plan. Sondern nur den Teil, den Amron zu interessieren hatte.
„Wieso sollte ich für Euch arbeiten, wenngleich ich Euch nicht brauche“, hatte der Krieger klargestellt. Doch Buck lachte auf und deutete in kurzen Sätzen an, dass ohne ihn der Krieger bereits in den ewigen Jagdgründen gewesen wäre, würde der Dämon ihn nicht so aufopferungsvoll umsorgen. Amron verdrehte die Augen. Im Badezimmer angekommen hatte der letzte Satz des Dämons geendet und Amron hatte sich dennoch umgedreht.
„Seid Ihr sicher?“, fragte er mit klarer Stimme. „Wieso verlangt Ihr das von mir?“
„Weil du der Beste und sogar der Einzige bist, der für den Job gemacht ist. Haben wie sie, haben wir einen großen Schlüssel in der Hand, der dafür sorgt, dass wir beide unserem Ziel ein gutes Stück weiterkommen. Ich kann das nicht tun, der Grund ist dir ja vermutlich jetzt geläufig.“ Der Dämon zuckte mit den Schultern und lächelte keck. Danach erhob er sich, zwinkerte Amron zu, und verließ den Raum. Damit hatte er dem Krieger Zeit zum Nachdenken gegeben und dieser stand nun schweigend an einer unsichtbaren Wand, die ihn nur Millimeter von einem Absturz bewahrte. Es wäre einfach, zu fallen. So einfach, dem Graus ein Ende zu bereiten. So leider war der Tod nicht das Mittel, das dem verfluchten Krieger vergönnt war.
Ein Klopfen an der Tür riss Amron aus der Gedankenwelt, die düsterer schien, als er gedacht hatte. Amron wartete ab und gab ein Laut von sich, das einem Brummen glich, als die linke Flügeltür langsam aufgemacht wurde. In dem Spalt huschte ein braunhaariges Mädchen, das schüchtern nach dem Bewohner des Gemachs suchte. Gewöhnliche braune Augen sahen sich um und übersahen den großen Mann, doch die dünne Gestalt zuckte zusammen, als sie ganz eintrat. In einem wohl in dieser Welt üblichen Aufmachung einer Haushaltskraft in Form eines schwarzen Kleides, einem weisen Schürze und einem niedlichen Pferdeschwanz trottete das Mädchen, das keine fünfzehn sein konnte, in den Wohnbereich. In den Armen trug es ein eingebundenes Stück Etwas.
Amron erkannte die Umrisse dessen und schnellte in übermenschlicher Geschwindigkeit auf sie zu. Das Mädchen erschrak dabei und lies den Gegenstand fallen, den Amron spielendleicht packte und den Stoff beiseite schmiss. Zu Tage kam eine Scheide, die er so nicht an seinem Schwert kannte. Verziert mit edlem Metall sah Amron einen Drachen um das Holz sich winden, dessen Maul zum Ende hin sich öffnete. Die Augen bestanden aus roten Steinen, die durch die Deckenleuchten funkelten. Amron spürte Bucks Macht in diesem Aufleuchten und runzelte die Stirn. Lokalzauber würden ihn nur wenig bringen, aber er nahm es stumm hin. Der Griff des Schwertes war mit Leder neu gebunden worden, als Amron diesen griff und die Waffe hinauszog. Das Metall glänzte bedrohlich und nach Blut lechzend, als sich ein Grinsen auf das Gesicht schlich. Wie sehr er sein Schwert vermisst hatte.
„Habt Dank!“, meldete er und widmete sich nun der Bedienung. Das Mädchen sah erschrocken auf die Waffe, als sie wohl den Wert erkannte und nun anfing zu zittern. Amron verstand nicht und trat einen Schritt zurück. Er legte die Waffe nicht beiseite, nahm aber die Klinge wieder in die Scheide. Das Mädchen wurde kreidebleich, nahm eine Hand vor dem Mund, als sie wohl Amron an sich erkannte. Schnell warf die den Kopf nach vorn und verbeugte sich vor dem Krieger. Auch wenn Amron diese Geste nicht neu war, so spannte er sich an und wurde unruhig. In dieser Welt verbeugte man sich nicht als Zeichen des Respekts. Vielmehr war es ein Zeichen der Demut und Angst. Bevor der Krieger eine Erwiderung geben konnte, schluchzte das Mädchen auf.
„Es tut mir so leid, dass ich Eure wertvolle Waffe fast habe fallen lassen! Wenn sie auf den Boden gefallen wäre, dann…,dann wäre sie kaputt gegangen.“ Beschwichtigend hob Amron die Hände, doch das Mädchen verbeugte sich nur tiefer.
„Ich werde dies wiedergutmachen, mein Herr.“ Weinte sie jetzt etwa?
Amron stieß den angehaltenen Atme und lief auf das Mädchen zu. Dieses spannte sich an und wartete wohl ab, als würde sie Schläge erwarten. Er verstand den Zusammenhang nur spärlich, als er sich hinkniete und den Kopf des Mädchens mit dem Finger anhob.
„Wie ist Euer Name?“, fragte er fordernd.
„Camilla, mein Herr.“
„Camilla, ein schöner Name“, was Amron auch ernsthaft meinte. „Setzt Euch bitte auf und kniet nicht vor einem so schrecklichen Mann wie mir nieder. Ich habe solch eine Geste nicht verdient.“ Seine Züge wurden sanfter und immer noch erhob er das Kinn. Die braunen Rehaugen verlieren sich in den seinen. Er wusste um die beruhigende Wirkung seiner Aura und nutzte diese, um das Mädchen zu beruhigen.
„Aber Ihr seid der Ehrengast des Meisters! Uns wurde angeraten, Euch nur die besten Speisen und die besten Gaben zu bringen. Ich bitte Euch…“, stammelte sie, doch Amron schüttelte leicht den Kopf, als er langsam dieses ganze Theater verstand.
„Ich bitte Euch nur um eines, Camilla. Bewahrt Stillschweigen über dies hier!“, dabei zeigte er mit dem Kinn auf die Klinge und das Mädchen nickte eifrig.
Schließlich gab der Krieger das Mädchen frei, dass mit zittrigen Knien das Zimmer verließ. Amron meinte eine Tätowierung am Nacken festzustellen, doch erkannte das Symbol nicht. Doch dazu blieb keine Zeit. Er selbst packte die auf dem Bett ausgelegten Kleider und zog sich an. Nun musste er seinen Teil der Abmachung einhalten, damit er seinem Ziel einen Schritt näherkam.