Hina erstatte, sah den leeren Blick des Kriegers, den sie einst hätte gefangen nehmen sollen und die beiden Wachsoldaten, die wie Wölfe sie anstarrten. Deren Blick war nicht menschlich, mehr wie Raubtiere, die sie sicher waren. Dass Hina die Wachen als unsensibel und grob in Erinnerung hatte, war ihr durchaus bewusst. Doch was sie nicht mehr wusste, war, dass ihr Vater niemals den gleichen Fehler zweimal machte. Halt, sie wusste es, sie hatte es nur vergessen. Oder verdrängt.
Während der Mann mit gebrochener Nase immer noch den Lauf des Gewehrs dem Knieenden an den Kopf hob, kam der andere langsam auf sie zu.
„Jetzt haben wir dich!“, knurrte er wütend und grinste, als würde er ein Festmahl veranstalten. Da er den Helm mit dem Visier nicht anhatte, sahen seine Augen merkwürdig aus. Nicht das menschliche Braun oder Blau, das typischerweise viele hier aufwiesen. Rote Schlieren durchzogen die Farbe, ließen ihn unmenschlich wirken und verdammt nochmal, das war gruselig. Hina schrak zurück, doch mehr, weil sie sich ihrer Schwäche bewusstwurde. Stumm bat sie den Fremden um Hilfe, doch seit Ankunft in dem Raum war dieses Gefühl, dass jemand in ihrem Kopf herumspukte, verschwunden. Sie war auf sich allein gestellt.
„Sicher?“, fragte sie ihr Gegenüber. Dieser antwortete nicht, trat bis auf wenige Zentimeter an sie heran. Seine gelben Zähne spitzten sich zu, die Zunge spielte im Gaumen umher und der feixende Ausdruck machte deutlich, dass dieser hier nicht ganz menschlich war. Ihr Vatter hatte nicht nur an ihr Experimente durchgeführt. Was für ein widerlicher Kerl.
Die Hand, die mehr einer Kralle glich und den Stoff des Handschuhs durchstoßen hatte, griff nach ihr. Hina erkannte ihre Chance und trat zu. So schnell sie konnte riss sie ihr Knie hoch, stieß damit in die Weichteile des Mannes, der daraufhin aufjaulte wie ein gequälter Hund.
„Du Mistvieh!“, knurrte dieser und wollte nach ihr schnappen. Krümmend fiel er zu Boden, während das Mädchen nach etwas griff, das wie ein spitzes Keramikstück aussah. Voller Wucht stieß sie zu, während der Gegenstand schmatzend im Schädel ihres Angreifers stecken blieb. Blut floss heraus, doch wie erwartet hielt das den Mann nur zeitweilig auf. Schnell trat sie ihn zu Boden, rannte auf den Zweiten zu und klammerte sich an seine Taille, bevor dieser sie mit einer Salve zu Boden schießen konnte.
Jaulend kamen beide zu Boden, rutschten wegen der roten Flüssigkeit noch einige Zentimeter weiter bis zur Wand. Hina sah auf, sah den Ersten bereits wieder aufstehen und erblickte die Leiche vor ihr. Wieso stand dieser nicht auf? Sie erkannte die Waffe in den Händen des Kriegers, doch war zu langsam, als dass sie sich schnappen konnte. So schnell Hina es schaffte, krabbelte sie vom Leib des Soldaten herunter und versteckte sich hinter einem schweren Schreibtisch. Es gab keine Gewehre, die zur Verfügung standen, keine Waffe, die sie alternativ nehmen konnte und für diese Art der Mutation dieser Wachen reichten ihre Kräfte nicht. Selbst ihr Schatten würde sich nicht bei ihr melden, da Hina mittlerweile klar geworden war, dass es draußen taghell sein müsste. Tränen voller Frust kamen in ihr hoch, als sie den stummen knieenden Mann mit leerem Blick musterte und ihr nur noch eine letzte Chance blieb.
Pinke Lichter drehten sich und die Zeit schien still zu stehen. Der Krieger regte sich nicht, aber er spannte sich an. Überraschend sah man dabei zu, wie er keuchend etwas zurückzuhalten versuchte. Schweiß tropfte von der Stirn, vermischte sich mit dem Blut auf der Haut und tropfte in leicht rosa Rinnsalen zu Boden. Zähneknirschend beobachtete sie die zwei Gegner, wie sie kopfschüttelnd wieder zur Besinnung kamen und aufstanden, während Hina wie ein aufgescheuchte Reh Deckung suchte. Keuchend hob und senkte sich ihr Brustkorb, verbissen mit geballten Fäusten und Tränen voller Enttäuschung stieß sie ein Fluch hervor.
„Wach auf!“, schrie Hina den Mann an, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte. Sie wollte ihm nicht helfen, aus seiner scheinbaren Misere herauszukommen. Sie wollte selbst die Flucht ergreifen, denn ein weiteres Mal würde ihr man diese Chance nicht bieten. Sie hasste es. Sie hasste es dermaßen. Immer diese verdammte scheiß Abhängigkeit von Männern!
Doch nichts regte sich. Nur hatte sie ihre genaue Position verraten, damit die Gewehre sich entladen konnten, bis sie klickten. Bevor das passierte, machte Hina einen Hechtsprung in die Mitte des Raumes. Sie musste an das Schwert herankommen.
Beim Krieger angekommen riss sie an der Klinge, trotz der Scharfe, die ihr die Haut aufriss. Schmerz hieß, dass sie lebte und noch nicht aufgeben durfte. Doch nichts rührte sich. Wie eine Statue kniete der Krieger vor ihr, während dein Griff sicher nicht lockerte. Nein, er verkrampfte mehr. Hina schlug ihm aus Frust mit der flachen Hand auf die Wange. „Wach auf!“
So ein verdammter Dickköpfiger Idiot! Wenn er schon nicht kämpfen wollte, weil er in einem Kampf in Trance fiel, sollte er doch wenigstens ihr die Chance geben. Egozentrischer Bastard!
„Du sollst mir dein Schwert geben!“, schrie sie, während sie mitbekam, wie ihre Angreifer sich hinter ihr näherten. Bei jedem Wort schlug die fester auf den Krieger ein, drosch mit ganzer Kraft, die ihr noch übriggeblieben war, angefeuert aus Zorn, Hass und Enttäuschung, ihrem Ziel so nahe gewesen zu sein und doch verloren zu haben. Sie wollte eher sterben bei dem Versuch, es nicht geschafft zu haben, als dass sie wieder brav in diese Zelle kroch. Das immer werdende drehende Licht von pink wechselte nun zu rot. Sie wusste was das hieß.
Der Kopf des Kriegers wurde nach links und rechts geschleudert, seine Lippe platzte auf und Blut quoll hervor. Dunkelrot. Keuchend hielt Hina inne, versuchte es ein letztes Mal. Sie wagte es nicht, nach hinten zu blicken. Das Knacken der Knochen und Kreischen die Sehnen, wie sich Menschen verwandelten, war Hina nichts neues. Hinter ihr würde sich die Soldaten zu etwas verwandeln, das eigentlich nur aus Fantasybüchern stammen sollte.
„Wach auf!“, keuchte sie, hievte die flache Hand mit voller Wut auf sein Gesicht. Mit atemberaubender Geschwindigkeit schoss eine Hand vor, hielt ihre am Handgelenk. Scharf wie Messer schnitt ihr der wütende Blick des Kriegers ihre weiteren Flüche ab. Eisern war der Griff, doch er schmerzte nicht. Anders verhielt es sich mit ihrem Körper, denn ihr Verstand war beinahe der Ohnmacht gleich. Die unruhigen Atemzüge des Mannes vor ihr wurden gleichmäßiger, während dieser seinen Blick durch den Raum gleiten ließ und schließlich zu den beiden hinter ihr wanderte. Er schien nichts zu fühlen, weder Überraschung noch Missbilligung. Nur blanker reiner Hass. Gegen wen, war Hina im Moment egal. Hauptsache dieser jemand tötete die beiden hinter ihr.
Das weise Haar klebten ihm am Nacken, an Stirn. Blut und Schrammen, kleinere Versetzungen und die aufgeplatzte Lippe verschwanden nach und nach, verheilten wie von selbst. Mit großen Augen sah Hina dabei zu, wie er sich erhob. Die Klinge wie eine Waffe eines Racheengels blitzte in dem roten Licht auf, als wäre es bereits von Blut durchdrängt.
„Zeit zu spielen!“, raunte der Weißhaarige, dessen eigene Stimme nicht aus der Kehle drang. Der Blick, diese bunten schlierenden Augen, die Schlitze als Pupillen, alles glich dem, als sie mit ihm gekämpft hatte. Nur der blanke Hass und die Stimme waren anders.
Die eines Dämons. Eines wütenden Dämons.