11 – Frust und Abbau
Natürlich kam Erik zu spät zu Mathe und selbstverständlich hatte Herr Darian dafür kein Verständnis. Wohlwissend, dass es eh nichts bringen würde, hielt Erik sich vorsichtshalber mit irgendwelchen Kommentaren zurück. Mit der Strafarbeit und den Hausaufgaben von Berger würde er genug für morgen zu tun haben. Da hatte Erik keine Lust, sich mehr Arbeit aufzuhalsen. Deshalb schwieg er und ertrug die Standpauke scheinbar reumütig. Das brachte ihm zumindest die erhoffte Schonung ein.
Während der Mathestunde konnte Erik sich allerdings kaum konzentrieren. Egal wie sehr er es versuchte, ständig glitten seine Gedanken zur Deutschstunde zurück. Lucas blöde Bemerkung, dieses beschissene Gedicht und natürlich Berger, wie er vor der Tafel stand. Bei jedem Strich, den der Blödmann mit der Kreide auf das Grün malte, wackelte der Apfelpopo geradezu provozierend davor hin und her.
Verzweifelt kniff Erik die Augen zu. Dieses verfluchte Bild hatte in seinem Kopf nichts zu suchen. Es musste da weg! Aber je stärker er dagegen ankämpfte, umso deutlicher wurde der Hüftschwung. Bis Erik sich irgendwann nicht mehr sicher war, was davon eingebildet und was tatsächlich Erinnerung gewesen war.
‚Vielleicht hat Luca ja doch recht‘, höhnte es gehässig in Eriks Kopf. ‚Zumindest auf diesen kleinen Hintern stehst du definitiv.‘
Ausgelacht vom eigenen Verstand – oder was auch immer es war, das Erik da ständig durch den Kopf zu spuken schien und saudämliche Kommentare hinterließ. Konnte sein Leben noch beschissener werden?
An diesem Tag glücklicherweise nicht. Die aufkochende Wut über Luca lenkte Erik zumindest so weit ab, dass sein Blut sich wieder dort sammelte, wo es hingehörte. Irgendwann endete gottlob sogar dieser Schultag. Gedemütigt, frustriert und genervt schlich Erik am Nachmittag nach Hause.
Seine Mutter war nirgendwo zu sehen, aber die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen. Vermutlich schlief sie nach ihrem Dienst erst einmal. Ein kurzer Blick auf ihren Dienstplan bestätigte Erik erneut, was er eigentlich bereits wusste. Nämlich, dass sie am Abend wieder zur Nachtschicht antreten würde und dann zunächst zwei Tage frei hatte.
‚Danach eine Woche Frühschicht‘, stellte Erik fest und fluchte innerlich.
Das hieß, sie würde erst kurz vor ihm das Haus verlassen, aber sie wäre definitiv abends daheim. Denn auch wenn sich Eriks Mutter ab und an mit ihren Freundinnen traf, würde sie garantiert bis zehn Uhr wieder zu Hause sein. Keine Chance darauf, länger unter der Woche wegzubleiben.
Just in dem Moment hörte Erik, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde und seine Mutter in Richtung Bad schlurfte. Er wandte sich ab und kramte kurz im Tiefkühler nach etwas zum Essen – fand allerdings nichts, auf das er Appetit hatte. Am liebsten wäre Erik, so wie seine Kumpel, einfach einmal rausgegangen und hätte sich einen Döner, einen Burger bei Mackens oder sonst irgendeinen Fastfoodmist reingezogen. Aber dafür fehlte Erik das Geld. Denn das bisschen, was er bei Herrn Ceylan verdiente, trug er im Moment ja bereits zu Alex ins Rush-Inn.
‚Apropos ...‘, dachte Erik bei sich und stapfte in sein Zimmer.
Der Rucksack landete unbeachtet in der Ecke neben dem Schreibtisch. Erik ließ sich schwungvoll auf das Bett fallen und zog das Handy aus der Hosentasche. Eine kurze Nachfrage bei Herrn Ceylan zeigte, dass der heute leider, wie erwartet keine Arbeit haben würde, dafür aber weiterhin am morgigen Tag, wenn die neue Lieferung eintraf.
„Verdammt“, murmelte Erik verhalten und ließ das Handy auf die Brust fallen.
Ohne Kohle konnte er nicht ins Rush-Inn, um sich abzulenken. Lustlos schloss er die Augen und versuchte irgendeine Ausrede zu finden, diese verdammten Hausaufgaben nicht sofort zu erledigen. Aber wie es aussah, würde Erik den Abend ja sowieso hier zu Hause verbringen müssen.
Der dumme Aufsatz für Berger musste irgendwann geschrieben werden. Erik stöhnte und drängte die prompt in ihm aufsteigenden Bilder zurück ins Dunkel. Die ließen sich heute aber nicht noch einmal so einfach verscheuchen. Wie ein zäher Kaugummi kamen sie immer wieder zu ihm zurück. Mit jedem weiteren Mal nahmen sie an Intensität zu, bis es nicht einfach nur Bilder, sondern kurze Filmsequenzen waren.
Das war der Moment, in dem Erik aufgab. Er schloss die Zimmertür ab und entledigte sich der zu engen Hose.
Das Ziehen, das Prickeln, dieses Pulsieren, das mit jedem Herzschlag weiteres Blut in Eriks Schritt pumpte, während es gleichzeitig alle halbwegs vernünftigen Gedanken aus dem Kopf mit sich riss. Bis da nur noch der Drang war. Diese schier unüberwindbare Kraft, die danach verlangte, dass Erik ihr nachgab und sich vollends fallenließ.
‚Warum nicht?‘
Er schob eine Hand in die Unterhose und diese damit gleichzeitig ein Stück nach unten. Zunächst langsam und geradezu zaghaft fing Erik an, sich zu streicheln.
‚Ist doch nichts dabei. Berger ist auch nur ein Mann, der macht das genauso.‘
Erik kniff die Augen zusammen, als mit dem Namen die Bilder erneut in Bewegung gerieten. Zum Wichsen brauchte er nun wirklich kein Kopfkino. Aber die Bilder wollten nicht verschwinden. Dieser verfluchte Apfelpopo, der im Klassenzimmer förmlich danach schrie, dass Erik sich um ihn ‚kümmerte‘. Ihm ‚Aufmerksamkeit‘ schenkte. Und ja, verdammt, Erik mochte diesen beschissenen kleinen Hintern, da hatte Luca durchaus recht. Obwohl der seinen Kommentar ganz sicher nicht auf Bergers Rückseite bezogen hatte.
‚Denk an Tom, denk an Tom!‘, ermahnte Erik sich selbst.
Mit einiger Mühe gelang es ihm schließlich, das Bild abzuwandeln. Endlich war es nicht mehr sein verhasster Deutschlehrer, sondern dieser deutlich nettere und freundlichere Student, der Erik auf eine Art und Weise auf den Schoß kletterte, gegen die er ganz sicher nichts einzuwenden hatte.
‚Oh ja!‘
An dem Bild konnte er sich gar nicht sattsehen. Eriks Griff wurde fester, genau wie Toms Muskelring sich um ihn geschlossen hatte. Diese eine Stelle, an der die Reibung Erik so verflucht heißgemacht hatte, dass er es selbst jetzt noch zu spüren glaubte. Eriks Atem wurde hastiger, genau wie die Bewegungen seiner Hand. Es war nicht genug, fühlte sich einfach nicht genauso an. Aber das spielte keine Rolle. Denn ganz sicher würde er nicht schon wieder bei Tom durchklingeln.
✑
Langsam öffnete Erik die Augen und blinzelte irritiert. Er lag in seinem Bett, aber draußen war es dunkel. Innerlich fluchend schloss er erneut die Augen. Schlagartig kehrten die Bilder zurück, die Erik diesen wohligen Schlaf beschert hatten. Zumindest ein paar durchaus anregende Minuten direkt davor.
„Was für eine Scheiße ...“, murmelte Erik.
Den ganzen Tag hatte ihn dieser Mist verfolgt. Es wurde Zeit, dass er endlich damit aufhörte, sich zum Affen zu machen. Selbst wenn es niemand mitbekam, war es lächerlich.
‚Was genau?‘, fragte Erik sich mit einem Mal und schüttelte erneut den Kopf, als sich ihm die Antwort, die er ganz sicher nicht hören wollte, förmlich aufdrängte.
Mit Schwung stand Erik auf. Ein Blick zum Wecker zeigte ihm, dass es inzwischen deutlich nach zehn Uhr war. Verdammt! Quasi Nacht und er war natürlich hellwach. Leise schimpfte Erik mit sich selbst, nur um sich kurz darauf seufzend auf den Stuhl fallen zu lassen.
„Dämlicher, schwanzgesteuerter Idiot.“
Vermutlich konnte man es wirklich nicht mehr anders nennen. Das war alles die Schuld von diesem verdammten Lehrer. Warum wedelte der Mistkerl auch ständig mit dem Hinterteil vor der Klasse herum? Und das beschissene Gedicht hatte es nicht grade leichter gemacht.
‚Scheiße! Der Aufsatz wegen Luca ...‘
Wenn Erik den Mist bis morgen nicht fertig hatte, würde das weitere Strafarbeiten geben – und vermutlich wären die bedeutend schlimmer. Davon abgesehen, dass Erik es sich, nach dem, was er sich in seinem letzten Aufsatz geleistet hatte, nicht erlauben konnte, Berger weitere Munition zu liefern. Auch wenn der Kerl definitiv ein Arsch war, sollte man ihn wohl besser nicht so nennen. Jedenfalls nicht laut. Oder vor der ganzen Klasse.
‚Am besten gar nicht, du Trottel!‘, ermahnte Erik sich stumm und erhob sich endlich.
Eine kurze Dusche beruhigte sein noch immer aufgewühltes Gemüt. Nachdem Erik eine Jogginghose aus dem Schrank gekramt und übergezogen hatte, schlurfte er in die Küche, um sich etwas zum Essen zu suchen. Mit einem Seufzen stellte Erik fest, dass der Kühlschrank reichlich leer war. Ein paar Scheiben Wurst, Käse, Butter und eine Packung Tomaten.
Eriks Magen knurrte bei dem Gedanken an nichts als einige geschmierte Brote bereits protestierend auf. Glücklicherweise fand sich im Tiefkühler eine Pizza – und eben diese kurz darauf ihren Weg in den Ofen. Während er auf das Essen wartete, zappte Erik wie so oft durch das wenig begeisternde Fernsehprogramm. Waren die Sendungen vom Vorabend langweilig, ödeten ihn die vom Abend erst recht an.
Frustriert schaltete Erik irgendwann den Fernseher ab und lehnte sich zurück. Hoffentlich war die Pizza bald fertig. Seufzend lehnte er den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Vermutlich würde Erik das für den Rest der Nacht in seinem Zimmer auch machen, nachdem er dämlich genug gewesen war, nachmittags einzuschlafen.
Der Kurzfilm, der ihn in den kleinen Schlummer geleitet hatte, war allerdings zu verlockend gewesen. Eriks Hand glitt bereits über die nackte Brust hinab zum Bund der Jogginghose, als er sich stoppte.
‚Die blöde Pizza ist gleich fertig. Fang nichts an, was du nicht beenden kannst.‘
Erik seufzte und versuchte, seine Gedanken zu etwas Unverfänglichem zurückzuleiten. Dummerweise schien es da so gar nichts in Eriks Leben, was dieser Beschreibung derzeit gerecht werden würde. Wütend sprang er auf und stürmte in die Küche. Die Eieruhr neben dem Herd zeigte noch zwei Minuten.
‚Scheiß drauf! Labberige Billigpizza ist auch nicht schlimmer als verbrannte Billigpizza‘, fluchte Erik tonlos und schaltete den Ofen aus.
Wenige Minuten später saß er am Schreibtisch, den Teller mit der Pizza neben sich, das erste Stück bereits halb gegessen. Im Kopf ging Erik kurz die Liste der morgigen Fächer durch und überlegte, wo er überall Aufgaben zu erledigen hatte. Den verfluchten Aufsatz für Berger ignorierte er dabei zunächst. Auf den Mist hatte Erik so gar keine Lust. Also schnappte er sich sein Mathebuch und fing an, als Erstes die Aufgaben für Herrn Darian abzuarbeiten.
Irgendwann war die Pizza aufgegessen und alle Mathehausaufgaben einigermaßen erledigt. Bei etwa der Hälfte war Erik sich ziemlich sicher, dass die Lösungen korrekt waren. Beim Rest standen die Karten gut, dass er zumindest vernünftig geraten hatte. Für heute musste das reichen. Denn Eriks Konzentration ließ weiterhin mehr als zu wünschen übrig. War das eigentlich normal? Ging das allen Jungs so?
Erik hatte sich nie als sonderlich ‚anders‘ betrachtet. Okay, was die Vorliebe für Männer anging, war er vielleicht nicht im klassischen Sinne ‚normal‘. Aber nur weil den übrigen Jungen in der Klasse beim Anblick von ein paar Titten einer abging, war das Konzentrationsproblem doch im Grunde das Gleiche. Oder war er etwa der Einzige, der mit dem Scheiß zu kämpfen hatte?
„Bestimmt nicht.“
Erik seufzte und sah auf den Schreibblock hinunter. Der Aufsatz für Deutsch fehlte weiterhin. Dreihundert Worte dafür, warum Erik Lucas Bemerkung so aufgefasst hatte, als würde der ihn mit einem Kinderschänder gleichsetzen.
„Was ein Bockmist“, murmelte er verhalten und klopfte mit dem Stift auf den Block.
Was sollte er dazu bitte schreiben? Sie hatten gerade von Priestern gesprochen und da war Lucas Kommentar ja wohl gar nicht anders zu verstehen gewesen. Oder etwa nicht?! Es war doch ständig in den Nachrichten. Irgendwelche Skandale darüber, dass Geistliche, anstatt ihr Zölibat auszuleben, kleine Jungs deutlich interessanter fanden.
„Wichser!“
Garantiert hatten es Luca genauso aufgefasst. Dabei hatte Erik bisher nur mit Männern etwas gehabt, die ihm ein paar Jahre voraushatten. Okay, jetzt nicht gleich irgendwelche alten Säcke, die kurz vor der Rente standen. Einen Moment runzelte Erik die Stirn. Bisher war er lediglich mit Dominik länger zusammen gewesen. Und der war fünf Jahre älter als er. Tom war Student und soweit er mitbekommen hatte bereits zwanzig, hatte ihm also gute zwei Jahre voraus.
Wobei das mit Tom ja keine Beziehung war – und auch nicht werden sollte. Das hatten sie schließlich beide klargestellt. Das mit Tom war gut so, wie es war. Sie trafen sich, hatten Spaß und vielleicht gelang es dadurch Erik ja irgendwann, diesen Mistkerl von Lehrer aus seinem System zu bekommen. Obwohl es so aussah, als ob dafür ein paar mehr Treffen notwendig werden würden.
‚Apropos ...‘
Nach kurzem Kramen zog Erik das Handy heraus. Eben wollte er eine Nachricht an Tom tippen, als er innehielt. Wie zum Teufel würde das denn aussehen? Sie hatten doch gerade erst klargemacht, dass es nur Sex war. Keine Beziehung oder irgendwelche Verpflichtungen. Und dann klingelte er jetzt schon wieder bei ihm durch?
Bei Dominik hatte Erik nie darüber nachgedacht, was er wollte. Der hatte ihn angemacht, sie waren ein paar Mal ausgegangen und irgendwann im Bett gelandet. Die Frage, ob das, was sie hatten, eine Beziehung war, hatte sich Erik nie gestellt. Dominik hatte es zu einer eben solchen erklärt und damit war die Sache erledigt gewesen.
Wobei Erik sich inzwischen nicht mehr so sicher war, ob sie tatsächlich jemals eine geführt hatten. Ausgehen, Klubs, das Rush-Inn, Kino – und am Ende des Abends immer Sex bei Domi. Danach war Erik heimgegangen. Hauptsächlich, weil Dominik ihm sonst die ganze Nacht am Rücken geklebt hätte, um zu ‚kuscheln‘.
‚Und damit deine Mutter nichts merkt.‘
Richtig. Das auch. Und das mit Tom? Im Grunde sah es im Moment nach nicht so viel weniger aus. Erik war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Aber die Aussicht, zu Tom zu fahren, nur um sich nach einem Scheißtag an dem abzureagieren erschien mit einem Mal reichlich erbärmlich. Hastig, bevor Erik es sich doch noch anders überlegen konnte, legte er das Handy zur Seite.
‚Es ist sowieso viel zu spät‘, versuchte Erik sich einzureden. Er rieb sich über die Augen. ‚Deshalb wahrscheinlich das dämliche Gesülze in deinem Kopf.‘
Ein weiteres Mal runzelte Erik die Stirn. Zeit, sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Dieser Scheiß für Deutsch musste endlich aufs Papier. Am liebsten hätte Erik Berger sehr deutlich geschrieben, dass er durchaus auf einen bestimmten kleinen Hintern stand – der sich aber ganz sicher nicht am unteren Ende eines Kinderrückens befand. Mit einer derartig ‚grandiosen‘ Idee war Erik allerdings schon vor ein paar Tagen gescheitert. Das Gleiche erneut zu versuchen wären nicht nur töricht, sondern glattweg dämlich.
‚Du willst es trotzdem‘, flüsterte diese blöde Stimme in Eriks Kopf, die scheinbar nur darauf aus war, ihn in Schwierigkeiten zu bringen.
Dummerweise hatte die dämliche Stimme auch noch recht. Was alles sogar schlimmer machte. Denn ja, etwas in Erik drängte danach, diesen Scheißkerl von Lehrer zu reizen. Diesen eiskalten Fisch, der ihn wenn überhaupt dann stets mit diesem verfluchten, durchdringenden Blick anstarrte. So ein beschissenes Grün, das sich förmlich in Erik zu bohren schien.
Mit einem wütenden Schnauben warf er den Stift auf den Tisch und lehnte sich nach hinten. Der Kerl war zum Kotzen! Der Arsch hatte nichts in Eriks Gedanken zu suchen. Und zwar wortwörtlich. Tom sah gut aus und hatte ein fast genauso verführerisches Hinterteil. Wenn überhaupt, dann sollte Erik zu dessen Bildern wichsen und nicht zu denen eines beschissenen Lehrers!
‚Hör auf, über diesen Mist nachzudenken!‘, ermahnte Erik sich noch einmal. Wieder starrte er auf das Handy.
Seufzend rieb er sich die Augen und setzte danach endlich an diesen beschissenen Aufsatz herunterzuschreiben. Konnte schließlich nicht so schwer sein. Priester, Hintern, Kinderschänder – die Worte gehörten doch quasi zusammen.
✑
Glücklicherweise schrieb sich der Aufsatz tatsächlich wie von alleine. Nach nicht einmal zwanzig Minuten saß Erik vor seinem Block und las sein heutiges Machwerk erneut durch. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er hatte es unverfänglich halten wollen, neutral, aber jetzt, wo Erik auf die Zeilen starrte, war er sich nicht mehr so sicher, ob ihm das auch nur ansatzweise gelungen war. Während der größte Teil sich noch sehr an das eigentliche Thema hielt, war ihm in den letzten Sätzen immer mehr die Fantasie ausgegangen.
‚Mit dir durchgegangen trifft es wohl eher.‘
Betreten ließ Erik den Kopf auf den Block fallen. Er sollte den Scheiß noch einmal schreiben. Wirklich. Sollte er. Es war eine saudämliche Idee, Berger ein weiteres Mal so einen Mist vorzusetzen und ihn damit unnötig zu provozieren. Obwohl der hier deutlich weniger explizit war als der letzte Versuch. Erik seufzte und sah erneut über den Text, den er eben heruntergeschrieben hatte.
‚Ist doch gar nicht so schlimm‘, versuchte Erik sich einzureden.
Ein paar dezente Hinweise darauf, dass kleine Hintern ja durchaus ihren Reiz hatten, wenn sie nicht gerade an Halbwüchsigen hingen, sondern in Klassenzimmern herumtanzten.
Es stand vollkommen außer Frage, dass Erik den Mist neu abschreiben und sich für die letzten paar Sätze einige unverfängliche Floskeln ausdenken sollte. Auf keinen Fall wäre es eine gute Idee, diese Spitze am Ende in der Strafarbeit zu lassen. So cool, wie Berger geblieben war, als Erik ihm den letzten Aufsatz gegeben hatte, würde der Mistkerl wegen dem hier ganz sicher nicht rot anlaufen. Also was sollte es bringen? Es war dämlich.
‚Eher total hirnverbrannt‘, ermahnte Erik sich.
Ein Gefühl von Widerstand breitete sich in ihm aus, das man vielleicht ‚trotzig‘ hätte nennen können – was Erik selbst natürlich nicht tun würde. Schließlich war er kein verdammtes Kind, sondern quasi erwachsen.
‚Dann benimm dich auch so!‘, fluchte etwas in ihm.
Eriks Mund wurde zu einem schmalen Strich, die Augen verengten sich, während er weiter auf die paar Hundert Worte starrte, die er für die morgige Deutschstunde verfasst hatte.
‚So schlimm ist es doch gar nicht‘, versuchte er sich selbst zu überzeugen.
Der blöde Lehrer hatte doch wissen wollen, wie er auf diese Idee gekommen war. Dann sollte er Eriks Gedanken auch bekommen. Direkt und unverfälscht. Wie viel würde es brauchen, um Berger aus der Reserve zu locken? Was musste Erik vorlegen, um wenigstens eine beschissene Reaktion aus dem Kerl herauszukitzeln? Wie viel würde es benötigen, um diesen Panzer der Emotionslosigkeit um das Arschloch herum zu durchdringen?
„Steter Tropfen höhlt den Stein“, murmelte Erik vor sich hin und packte den Block in den Rucksack.