18 – Brav und anständig
Sie waren noch etwa eine Stunde über den Weihnachtsmarkt gewandert. Wobei Luis es sich ungefähr alle zehn bis zwanzig Minuten neu überlegt hatte, ob er jetzt getragen werden wollte wie in kleines Kind, oder eben doch ‚groß‘ war und entsprechend selber laufen konnte. Eriks Kommentare dahingehend dürfte geholfen haben, damit er den Zwerg nicht die ganze Zeit herumschleppen musste.
‚Nicht, dass der sonderlich schwer gewesen wäre.‘
Trotzdem fühlte Erik sich erschlagen und geschafft. Müde ließ er sich rückwärts auf das Bett fallen und schloss die Augen. Irgendwie war es dennoch ganz lustig gewesen. Obwohl Erik keine Ahnung hatte, was genau ihn auf diese bescheuerte Idee brachte. Immerhin war er nicht einmal ansatzweise zu seiner geplanten Verabredung gekommen. Wobei Erik zugeben musste, dass er nicht wirklich einen Plan dafür gehabt hatte.
‚War doch im Grunde genau das, was du wolltest.‘
Dass Luis dabei gewesen, hatte zwar sicherlich nicht zu Eriks Plänen gehört, aber letztendlich hatte er Zeit mit Tom verbringen wollen, die nicht nur darauf abzielte, mit dem ins Bett zu steigen. Und genau das hatte Erik bekommen. Auch wenn er Kinder generell deshalb jetzt nicht besser leiden konnte, als vorher. Luis war da wohl die berühmte Ausnahme von der Regel.
„Ich bin echt erstaunt“, meinte Tom mit einem Mal, als er sich neben Erik auf das Bett setzte.
Der öffnete ein Auge und sah zu Tom hinüber. Als er dabei auf dessen Augen traf, sah Erik jedoch rasch wieder weg. Stattdessen hob er die linke Hand und griff nach der Bierflasche, die Tom ihm gewohnheitsgemäß aus der WG-Küche mitgebracht hatte.
„Worüber?“, murmelte Erik verhalten. Wollte er die Antwort überhaupt wissen?
„Na ja, ich hatte keine Ahnung, was du wirklich für heute Nachmittag geplant hattest. Und entsprechend war ich nicht sicher, ob ich Luis mitbringen sollte oder nicht.“
Um nicht das komplette Bett einsauen, rappelte Erik sich umständlich über die Seite auf, rutschte aber sofort bis ans Kopfende, um sich anzulehnen. Da Tom noch am Fußende saß, konnte Erik nur dessen Rücken sehen. Anstatt sich wie sonst an dem Anblick zu erfreuen, senkte er den Kopf. Trotzdem schielte Erik weiterhin zu seinem Gastgeber.
Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen sah Tom kurz darauf über die Schultern. „Da fällt mir ein, dass ich dir ja versprochen habe, mich zu revanchieren.“
Ein kurzes Lachen entkam Erik, als er einen weiteren Schluck vom Bier nahm. „Ach ja? Und wie?“
„Hm ... da muss ich überlegen.“
Erst jetzt fiel Erik auf, dass Tom für sich nichts zu Trinken dabei hatte. Zumindest hielt er im Gegensatz zu Erik keine Flasche in der Hand. Auch auf dem Schreibtisch stand keine. Dort waren lediglich ein paar Bücher und Toms Unterlagen aus der Uni zu sehen.
Betont langsam drehte Tom sich um und kroch auf allen vieren auf Erik zu. „Ich glaube, da könnte mir das eine oder andere einfallen“, raunte er mit einem immer breiter werdenden Grinsen.
Die Art und Weise, wie Tom auf ihn zu kroch, hatte irgendetwas Raubtierhaftes, obwohl es Erik keine Angst einjagte. Im Gegenteil. Wenn überhaupt, dann regte sich bereits etwas in seinem Schritt. Ja, er war ein notgeiler Idiot, der Tom nur zu gern in die Laken drücken wollte.
Ein Flattern in Eriks Bauch flammte kurzzeitig auf, als er sich im Geist bereits sah, wie er Tom auf den Rücken warf und ihm das Shirt über die Arme zog. Für eine Sekunde zuckte Erik die Frage durch den Kopf, ob er Tom damit irgendwo fixieren konnte.
‚Das verdammte Bett hat nichts, wo man ihn festbinden kann‘, gab die Stimme in Eriks Kopf zu bedenken und ließ ihn dabei innerlich zusammenzucken.
Hastig nahm Erik einen Schluck aus der Flasche und versuchte, das beschissene Bild aus dem Kopf zu bekommen. Schließlich war es nicht so, dass Erik Tom wirklich wehrlos sehen wollte. Aber wenn er dessen Hände irgendwo fixierte, könnte er vielleicht auch endlich einmal den Ton angeben.
‚Dafür wirst du ihm zusätzlich den Mund stopfen müssen.‘
Wieder zuckten Bilder durch Eriks Geist, die er dort nicht haben wollte. Ein weiterer Schluck aus der Bierflasche half noch immer nichts. Die Bilder waren da und sie dachten gar nicht daran, wieder zu verschwinden. Im Gegenteil. Sie schienen sich eher gegenseitig anzustacheln.
Tom war inzwischen auf Eriks Höhe angekommen, fingerte bereits am Reißverschluss seiner Jeans herum. Es wäre so verflucht einfach, das Schmalbrett zu überwältigen. Nur einmal zupacken und umdrehen. Erik wusste doch, worauf Tom stand. War ja nicht so, dass der keinen Spaß daran haben würde, wenn das Vorspiel mal wieder deutlich hastiger als bei anderen Leuten ausfiel. Das Ziehen im Schritt wurde stärker. Das Pulsieren in Eriks Schwanz vermischte sich mit dem Rauschen in seinen Ohren.
Ein weiterer Schluck aus der Flasche. Nicht mehr viel und das Mistding wäre schon wieder leer. Aber betrinken wollte Erik sich schließlich auch nicht. Seit er mit Tom ausging, trank er offenbar eh deutlich mehr, als für ihn gut war. Jedenfalls, insofern es die Sauferei war, die diese beschissenen Gedanken mit sich brachte.
Mit einem Ruck zog Tom Erik die Jeans über den Po. Er zerrte weiter daran, bis sie endlich auf dem Boden landete. Für eine Sekunde starrte Erik seiner Hose nach. Dann konnte er nurmehr die Augen schließen und den Kopf gegen die Wand im Rücken fallen lassen, als reichlich vertraute Lippen begannen seinen leider weiterhin halbwegs bekleideten Schritt zu erkunden.
Langsam zog Tom die Unterhose herunter. Ein Zischen entkam Erik, als sich zu den Lippen die Zunge gesellte, die einmal vom Ansatz bis zur Spitze über Erik Schwanz glitt. Kaum war sie dort angekommen, kamen auch schon die Lippen wieder ins Spiel. In dem Moment, als diese sich um ihn schlossen, konnte Erik das deutliche Stöhnen nicht mehr unterdrücken.
Hastig stellte er die Flasche auf den Nachtisch, bevor das Ding auf dem Boden landete oder das Bett einsaute. Eriks linke Hand lag plötzlich auf Toms Hinterkopf und für eine Sekunde konnte er dem Impuls nicht widerstehen und drückte diesen fester nach unten. Sofort spürte er den Widerstand. Trotzdem stemmte Erik das Becken hoch – einem viel zu erregenden Ziel entgegen.
Fast augenblicklich wurde seine Hüfte wieder ins Bett gedrückt und die Lippen verschwanden. Frustriert schnaufte Erik. Tom war jedoch wie immer unerbittlich. Wenn es nicht nach Toms Tempo ging, dann lief in diesem Bett gar nichts. Das hatte Erik in den letzten Monaten bereits häufiger erfahren dürfen.
„Schön brav bleiben“, wisperte Tom mit einem Schmunzeln in der Stimme, das Erik ihm nur zu gern aus dem Gesicht gewischt hätte.
Aber er tat es nicht. Er öffnete die Augen und starrte auf die schwarzen Haare, deren Besitzer sich glücklicherweise jetzt doch wieder Eriks Schritt widmete. In seinem Inneren wuchs der Drang, Toms Kopf erneut zu packen, ihn diesmal fester zu halten, sodass er sich nicht befreien konnte.
‚Anständig ist für Schwächlinge‘, tönte das Arschloch in Eriks Kopf. ‚Du Weichei.‘
Etwas Finsteres kroch aus Eriks Bauch nach oben, beschleunigte seinen Herzschlag, den Atem. Und dennoch fühlte er sich ruhig, geradezu gelassen. Es war manchmal so verflucht schwer, der beschissenen Stimme nicht nachzugeben. Aber das war keine Option. Nicht, wenn Erik vermeiden wollte, selbst zu einem Arschloch zu werden.
Trotzdem konnte er nicht einfach nur still hier liegen – wie eine verdammte Leiche. Es verlangte Erik nach so verflucht viel mehr als das hier. Vor seinen Augen begann das Bild bereits zu verschwimmen, kräuselten sich die schwarzen Haare deutlicher, als sie durften.
Noch ein Mann, bei dem Erik nur zu gern einmal den Ton angeben wollte. Es war so beschissen einfach geworden, die Bilder im Kopf auszutauschen. Dabei konnte Erik weiterhin nicht sagen, warum es ausgerechnet Berger war, der immer wieder in diesen Fantasien auftauchte. Aber nur zu gern wollte Erik wissen, wie es sich anfühlte, wenn er diesen Blödmann in der Hand hatte. In Toms Bett würde Erik wohl nie den Ton angeben. Aber bei einem gewissen Jemand könnte das ja womöglich ganz anders aussehen.
‚Einmal die Kontrolle haben.‘
Hastig griff Erik erneut nach Toms Hinterkopf. Diese beschissenen Gedanken hatten zu verschwinden. Diesmal drückte Erik Toms Kopf jedoch nicht nach unten, sondern zog ihn zu sich herauf. Als sich ihre Lippen trafen, konnte er das Lächeln spüren, das ihm entgegenschlug. Er ignorierte es, drängte weiter vorwärts, Tom zur Seite und schob sich auf ihn. Erik musste sich wie so oft zwingen, die Augen zu öffnen und hinzusehen, denn das verfluchte falsche Blaugrün war das Einzige, was Erik davon abhielt, den dämlichen Fantasien über seinen Deutschlehrer freien Lauf zu lassen.
‚Du willst Tom!‘, betete Erik sich deshalb förmlich vor. Nur um prompt wieder dieses beschissene Flüstern in seinem Kopf zu hören: ‚Dann nimm ihn dir.‘
Er stöhnte, vergrub das Gesicht an Toms Hals. Ein Zischen, als Erik leicht zubiss, gefolgt von einem zufriedeneren Brummen, während sich Eriks Hand unter das Shirt schob und über Toms Brust wanderte. Der machte zur Abwechslung keine Zicken, half sogar mit, das Oberteil endlich loszuwerden. Auch die Jeans landete direkt im Anschluss neben Eriks eigener auf dem Boden.
Toms Hände glitten durch Eriks kurze, blonde Stoppeln, fanden aber nicht genug halt, um sich darin festkrallen zu können. Also wurden sie weiter geführt. Tiefer. An der Wirbelsäule entlang, bis sie Eriks Po erreichten. Kurz darauf wurde gnädigerweise die auf halbmast hängende Unterhose, endgültig herabgeschoben. Endlich frei, schob Erik die Hüfte nach vorn, presste sich gegen Toms Schritt.
Erik entkam ein kurzes frustriertes Schnauben, als er dort leider nicht auf Haut, sondern lediglich auf den Stoff der verdammten Unterhose stieß. Hastig zerrte er Tom dieses letzte Kleidungsstück ebenfalls vom Leib. Zusammen mit der eigenen Pant landete sie kurz darauf auf dem unordentlichen Haufen ihrer Klamotten.
Dafür hatte Erik jedoch keinen Blick, denn er war viel zu konzentriert auf Tom. Die nackte Haut unter seinen Fingern fühlte sich heiß an. Wie ein Wasserfall rauschten die Bilder auf Erik ein, was er alles mit diesem Körper anfangen wollte. Kaum erreichte er Toms Schritt, öffnete der bereits willig die Beine. Eher am Rande, nahm er die zwei Hände wahr, die erneut ihren Weg auf Eriks Kopf fanden – diesen nach unten drückten. Im Gegensatz zu Tom ließ Erik sich nicht lange bitten. Sein geradezu verhaltener Biss auf Höhe der Hüfte entlockte Tom ein weiteres zischendes Stöhnen.
‚Nicht zu viel. Das mag er nicht‘, ermahnte Erik sich, während eine andere Stimme in ihm forderte, dass er endlich aufhörte, sich einfach zu nehmen, was er begehrte.
Die Muskeln in Eriks Unterarmen spannten sich an, in dem Versuch nicht so fest zuzupacken, wie er wollte. Stattdessen fuhr er mit der Handfläche eher zögerlich Toms Oberschenkel entlang. Dabei wollte er doch etwas ganz anderes.
Vor seinem geistigen Auge konnte Erik es sehen. Spuren, die sich auf der hellen Haut entlang zogen. Feine, rote Linien, wo Fingernägel kratzten, blaue Flecken, wenn er Tom packte und herumdrehte. Ein Biss, hier oder dort.
Das Pochen in Eriks Körper wurde stärker. In seiner Brust hämmerte es wie wild, ein Rauschen in seinen Ohren. Der gleiche Rhythmus, der in seinem Schritt pulsierte. Ein raues Ächzen entkam Eriks Kehle, als er um Beherrschung kämpfte.
Trotzdem blieb der Drang, dieser Wunsch, Tom regelrecht zu markieren. Irgendetwas. Und sei es ein noch so kleines Zeichen. Etwas, was klar und deutlich sagte: ‚Eigentum von Erik Hoffmann. Pfoten weg!‘
Dabei wollet er Tom ganz sicher nicht wehtun. Aber der verfluchte Drang ging nicht weg. Im Gegenteil. Mit jedem Versuch, ihm zu widerstehen, wurde er stärker anstatt schwächer. Erik schloss die Augen und atmete tief durch. Der Geruch, der ihm dabei in die Nase drang, feuerte das so verdammt düstere Flüstern in seinem Inneren jedoch nur noch mehr an. Er konnte nicht länger warten. Hastig richtete Erik sich auf und griff zu der Tube Gleitgel auf dem Nachttisch.
‚Scheiß auf das Vorspiel! Tom steht doch eh nicht drauf.‘
Sekunden später tastete Erik bereits einen Weg entlang, den er vor bald drei Monaten das erste Mal hatte erkunden dürfen. Willig streckte sich ihm Toms Becken entgegen.
„Weiter!“, kam es sofort stöhnend. Gehorsam bewegte Erik den Finger. Toms Atem wurde schneller. „Los. Mehr.“ Eriks Kopf wurde erneut nach unten gedrückt. „Denk dran, dass ich nicht nur einen geilen Hintern hab“, forderte Tom mit einem rauen Unterton in der Stimme, der Erik direkt in seinen ohnehin schon mehr als bereiten Schritt fuhr.
‚So viel zum Vorspiel‘, höhnte es in seinem Kopf.
Dass sie das wie immer ausfallen lassen würden, merkte Erik schnell, als er mit der Zunge Toms Länge entlang fuhr. Der Druck auf Eriks Hinterkopf wurde sofort stärker und das eher geknurrte „Blasen nicht Lecken“, waren mehr als eindeutig. Kaum hatten sich seine Lippen um Toms ‚bestes Stück‘ geschlossen, stieß dessen Becken nach oben.
„Mach weiter“, forderte Tom krächzend während er die Hüften zwischen Eriks Fingern und dem Mund hin und her bewegte.
Der konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, das wohl auch Tom gespürt haben dürfte. Denn kurz darauf fand Erik sich plötzlich wiederum auf dem Rücken wieder und Tom schob sich mit herausforderndem Blick auf ihn.
„Du kannst es echt nicht leiden, unten zu liegen, oder Tom?“ Das schelmische Grinsen, das Erik entgegenschlug, war Antwort genug. Am liebsten hätte er sich aufgebäumt, um wieder obenauf zu sein – in mehrfacher Hinsicht. Aber der zufriedene Ausdruck in Toms Augen hielt Erik davon ab.
Sein Herz hämmerte heftig gegen die Rippen. Erik wollte sich in diesem festen kleinen Hintern versenken und Tom gewährte ihm genau das bereitwillig. Nicht ein einziges Mal hatte der Kerl die Rollen tauschen wollen. Aber ‚unten‘ lag Tom deshalb trotzdem nie.
‚Nimm ihn dir. So wie du es willst‘, flüsterte sein inneres Arschloch schon wieder.
Erik schluckte und wandte den Blick von diesem zufriedenen Ausdruck ab. Toms Brust und der Bauch waren eine willkommene Ablenkung. Und als Erik seine Hände darüber wandern ließ, fanden seine Daumen schnell zwei kleine harte Nippel. Auch dafür erntete Erik ein zufriedenes Stöhnen.
‚Zeig ihm, was du wirklich willst‘, flüsterte es weiterhin in seinem Kopf und trotzdem zwang Erik sich, die Stimme zu ignorieren. Was er sich für heute erhofft hatte, hatte er bekommen. Es war nur fair, wenn Tom ebenso das bekam, was er wollte. Das Faible fürs Cowboyspielen lag wohl in der Familie.
✑
„Kannst Du mal ein Stück rücken?“, tönte Tom gelassen und trat bereits unter den Duschstrahl, bevor Erik der Anweisung auch nur ansatzweise folgen konnte. Dass bei der Aktion ein nicht unerheblicher Teil des Wassers auf den Boden im Bad anstatt in der dafür vorgesehenen Duschwanne landete, schien Tom weniger zu interessieren. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die verdammte Dusche für zwei Männer definitiv zu klein war.
„Du hättest auch einfach noch zwei Minuten warten können“, murrte Erik ungehalten, da er genau wusste, wer die Sauerei da draußen am Ende beseitigen würde. Das Grinsen, als Tom sich gegen ihn presste, wäre verführerisch, wenn Erik sich nicht eh schon wie nach einem vierstündigen Ringwettkampf gefühlt hätte.
‚Vermutlich weil es abgesehen von der Dauer genau das war‘, warf bereits die dämliche Stimme in Eriks Kopf ihren Mist dazu ein. ‚Es wäre nicht schwer, das Leichtgewicht unten zu halten.‘
Entgegen aller Vernunft konnte Erik erneut ein Kribbeln seinen Schwanz entlang wandern fühlen, als Toms Hände sich abwärts bewegten. Dabei war Erik zwei Sekunden vorher absolut sicher gewesen, dass er wenigstens für die nächste Stunde garantiert keinen mehr hochbekommen würde. Ein grummelndes Geräusch störte allerdings genau in diesem Moment die Stimmung und beide mussten lachen.
„Hunger?“, fragte Tom schelmisch grinsend. Erik nickte beschämt. „Dann lass uns duschen. Ich hab im Tiefkühler bestimmt noch eine Pizza oder irgendwas.“
Ein weiteres Lächeln huschte über Eriks Gesicht und hastig wusch er sich die letzten Spuren ihrer gemeinsamen Stunden herunter. Tom schien die Dusche trotz des Angebots noch etwas länger genießen zu wollen. Also nahm sich Erik ein Handtuch und band es sich um die Hüften. Seufzend betrachtete er die Pfütze vor der Dusche. Eine Sekunde lang starrte Erik auf Toms nackten Rücken, bevor er sich ein weiteres Handtuch schnappte und die Sauerei beseitigte.
Als Erik sich anschließend im Bad umsah, stellte er fest, dass er vergessen hatte, seine Klamotten aus Toms Zimmer mit herzunehmen. Mit einem mentalen Achselzucken zog Erik das Handtuch um seine Hüften fest. Dann eben so.
Kaum war er auf den Flur getreten, öffnete sich jedoch die gegenüberliegende Zimmertür und eine junge Frau trat heraus. Sie stockte und ihre Augenbrauen zogen sich im selben Moment nach oben, wie es ihre Mundwinkel taten.
„Aber hallo, mein Hübscher! Wen haben wir denn da?“
Irritiert zuckte Erik zurück. Instinktiv verstärkte sich der Griff, um das Handtuch auch ja dort zu halten, wo es im Augenblick einigermaßen sittlich zu sitzen schien.
„So stumm?“
„Ähm“, war jedoch alles, was Erik herausbrachte. Der weiterhin reichlich forschende Blick, der sich ungefähr in der Mitte seines Brustkorbes eingefunden hatte, war verstörend. Mit Frauen hatte Erik allerdings nie wirklich etwas anfangen können.
Glücklicherweise wurde in dem Moment die Badezimmertür erneut geöffnet und diesmal war es Tom, der heraustrat. In so ziemlich dem gleichen Aufzug, in dem Erik noch immer im Flur stand.
„Nora, hi“, meinte Tom beiläufig, während er Erik bereits in Richtung seines Zimmers schob.
„Tommy, Tommy ...“, gab die fremde Frau mit einem noch breiteren Grinsen zurück. „Ist er der Grund dafür, dass du hier regelmäßig die Bude zusammenbrüllst?“
„Geht dich nichts an, Nora“, antwortete Tom grummelnd. „Komm schon“, wisperte er kurz darauf Erik zu. Der ließ sich bereitwillig in das kleine WG-Zimmer schieben. Hinter ihnen war ein Lachen zu hören, als Nora sich offenbar ebenfalls abwandte.
„Eine deiner Mitbewohnerinnen?“, fragte Erik, nachdem Tom die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
„Ja. Sie ist nicht so schräg, wie sie gerade gewirkt hat.“
Zweifelnd schüttelte Erik den Kopf, während er seine Sachen vom Boden aufsammelte. Der Gedanke, dieser Frau erneut über den Weg zu laufen, jagte ihm einen Schauer den Rücken hinab. Es dauert dennoch eine Weile, bis Erik alles zusammen hatte. Schließlich fand er aber auch die Socken unter dem Bett. Das Anziehen war wesentlich schneller erledigt.
Besser, er fuhr nach Hause. Die Stimmung war eh hinüber. Und noch eine Runde mit Tom würde Erik heute ohnehin nicht schaffen. Dafür war er allmählich zu müde. Gerade hatte er den Gedanken gefasst, da grummelte es erneut aus Eriks Magen. Zu Hause würde er vermutlich nicht viel im Kühlschrank finden. Demnächst war Weihnachten und Eriks Mutter sparte entsprechend an jeder Ecke.
Unsicher, ob er wirklich bleiben wollte, sah Eriks zu Tom. Der hatte das peinliche Magenknurren aber entweder nicht gehört, oder zumindest ignoriert. Wenigstens hatte Tom sich inzwischen etwas angezogen. Obwohl die schlabberige Jogginghose, mit der Erik schon bei diversen Gelegenheiten Bekanntschaft hatte machen dürfen, verboten tief auf den Hüften saß. Er schluckte und versuchte nicht allzu sehr auf den kleinen Spalt zu schielen, der sich ihm an Toms Rückseite knapp oberhalb des Hosenbundes präsentierte.
‚Wie war das damit, dass heute nichts mehr gehen würde?‘, tönte es hämisch in Eriks Kopf.
Unwirsch wandte er sich ab und versuchte, irgendetwas zu finden, was er stattdessen ansehen konnte, ohne dass es peinlich wurde. Dummerweise war da nichts. Denn dieses Zimmer konnte grundsätzlich nicht mit sonderlich viel Inhalt aufwarten. Im Gegenteil. Toms Reich war genau wie im September, als sie sich kennengelernt hatten, eher spärlich, um nicht zu sagen spartanisch, eingerichtet.
Aus dem Augenwinkel schielte Erik erneut zu Tom, der gerade auf dem Schreibtisch herumwühlte und offenbar etwas suchte. Schließlich fand er ein Handy und steckte es in die Hosentasche. Mit einer schnellen Bewegung schnappte Tom sich die Bierflasche vom Nachttisch und hielt sie Erik hin.
„Willst du den Schluck noch?“
Einen Augenblick überlegte er. Grundsätzlich konnte er warm gewordenes Bier eigentlich nicht leiden, aber mehr als ein Schluck konnte da in der Tat nicht drinnen sein, also zuckte Erik mit den Schultern und leerte den Rest in einem Zug.
„Danke“, murmelte er verhalten und gab Tom die Flasche zurück in die ausgestreckte Hand.
„Küche?“
Erik nickte und folgte Tom aus dem Zimmer. Auf dem Flur musste er sich zusammenreißen, damit seine Augen nicht schon wieder vom schwarzen Haaransatz gen Hosenbund abschweiften. Mit einem Mal kam Erik sich schäbiger vor als ohnehin die meisten Tage. Da kam er ständig hierher, trank Tom das Bier weg, benutzte ihn, um diese beschissenen Bilder aus dem Kopf zu bekommen, und jetzt würde Erik ihm die Pizza wegessen.
Etwas krampfte sich in seiner Magengegend zusammen. Wieder schielte Erik zu Tom und fragte sich mit einem Mal, was der wohl darüber dachte, was das zwischen ihnen war – und wo es hinführen sollte. Ob es überhaupt irgendwo hinführen konnte. Immerhin gingen ihre Treffen mindestens genauso oft von Tom aus, wie von Erik selbst.
„Hey Boys!“, begrüßte Nora sie in der Küche und riss Erik damit erneut aus seinen Gedanken. „Und sogar angezogen.“ Ihr Blick huschte zwischen ihnen beiden hin und her, während ihr Grinsen wieder breiter zu werden schien. „Wegen mir hättet ihr euch nicht die Umstände machen müssen.“
„Ach komm schon, Nora“, maulte Tom. Mit einem genervten Augenrollen aber ebenso mit einem Grinsen auf den Lippen trat er zum Kühlschrank hinüber und zog zwei Pizzapackungen heraus. „Salami oder Schinken?“
Mit einem kurzen Murmeln entschied Erik sich für Ersteres. Da er sich stehend noch dämlicher vorkam als ohnehin schon, setzte Erik sich zunächst an den großen Küchentisch. Aus dem Augenwinkel konnte ersehen, dass Nora sich offenbar eine Schüssel mit Cornflakes und Milch füllte.
„Auch was?“, fragte sie plötzlich und hielt ihm die Packung entgegen.
„Nein ... danke“, antwortete er irritiert und zwang sich, zurück zu Tom zu sehen. Der war allerdings vorerst nur mit dem Ofen beschäftigt.
Erik hatte ja seit jeher Probleme mit zu viel Gesellschaft gehabt. Aber Fremde, wie Nora verunsicherten ihn erst recht. Der Drang, einfach aufzustehen und nach Hause zu gehen wurde zunehmen stärker. So gern Erik mit Tom zusammen sein wollte, der ‚Anhang‘, in Form der Mitbewohnerin, war eher abschreckend. Wobei er mit Luis auch nicht solche Probleme gehabt hatte.
‚Hör auf, dich wie ein dummes Kind aufzuführen!‘, ermahnte Erik sich selbst.
„Hey, Leute“, erklang plötzlich eine wesentlich tiefe Stimme aus Richtung der Tür.
Überrascht sah Erik auf und damit direkt auf einen kräftigen, groß gewachsenen Kerl. Er selbst war mit seinen knapp über 1,90 Meter nun wirklich nicht klein, aber der Typ dort drüben dürfte Erik noch einmal um ein paar Zentimeter überragen. Ganz zu schweigen davon, dass er aussah, als würde er fünf Mal die Woche ins Fitnessstudio rennen. Scheinbar ein weiterer Mitbewohner, den Erik nicht kannte und definitiv keine Lust hatte kennenzulernen. Der Fluchtinstinkt verstärkte sich erneut.
„Du bist?“
Erik zuckte zusammen: „Was?“
„Mein Gast“, antwortete Tom stattdessen und kam nun ebenfalls zum Tisch hinüber.
Schon wieder verkrampfte sich etwas in Erik. Ein ‚Gast‘. War er das? Nicht mehr? Die Vorstellung gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. Noch am Nachmittag hatte er Tom als ‚seinen Freund‘ bezeichnen wollen. Und jetzt saß er hier und war ein ‚Gast‘?
„Erik“, antwortete er schließlich verspätet. Wieder schielte er zu Tom, der derweil schweigend die Verpackung der Pizza entsorgte.
Was genau war das hier zwischen ihnen beiden? Eine Beziehung war es scheinbar nicht einmal ansatzweise – jedenfalls nicht für Tom. Eine Sekunde lang war da wieder Drang in Erik, klarzustellen, dass Tom zu ihm gehörte. Dass er nicht einfach nur ein beschissener Gast war, sondern dass sie sich immerhin seit drei Monaten regelmäßig trafen.
Aber dann wurde Erik klar, dass den beiden das durchaus bewusst sein dürfte. Hatte diese Nora nicht vorhin angedeutet, dass man sie beim Sex deutlich hören konnte? Eriks Herzschlag wurde schneller. Wahrscheinlich wusste jeder in dieser beschissenen WG, dass er nur hierher kam, um mit Tom zu vögeln und spätestens am nächsten Morgen verschwand. Zu was machte Erik das?
‚Jedenfalls nicht zu dem, was du gern wärst.‘