34 – Umwege und Handlungsanweisungen
Glücklicherweise hatte Sandro Erik für den Rest des Tages in Ruhe gelassen. Allerdings war Donnerstag so ziemlich der einzige Tag, an dem er dem Affenkönig dank getrennter Kurse einigermaßen aus dem Weg gehen konnte. Tatsächlich war Erik ohnehin die meiste Zeit des Tages mit einer deutlich drängenderen Frage beschäftigt gewesen.
Und so saß Erik am Nachmittag in seinem Zimmer am Schreibtisch und starrte auf die Hausaufgabe, die Berger zurückgegeben hatte. Je länger er auf die Worte sah, desto mehr begann es in Eriks Bauch zu rumoren. Erst dachte er, dass es Wut war, die da in ihm gärte. Wie sie es ständig zu tun schien.
‚Weil du der Sohn deines Vaters bist.‘
Hastig warf Erik die Zettel weg und sprang auf. Stattdessen ging er zum Bett und ließ sich darauf fallen. Mit an die Decke gerichtetem Blick versuchte er, die beschissene Stimme zurückzudrängen, die ihn da schon wieder provozierte.
„Warum hat er das gemacht?“, fragte Erik laut, nur um direkt darauf resignierend die Augen zu schließen.
Berger hatte ihn wieder nicht gemeldet, stattdessen die Arbeit bewertet, als wäre sie wie jede andere. Hatte er Erik nicht sogar dafür gelobt?
„Verdammter Mist ...“, murmelte er, als ihm etwas den Magen abschnürte. Schnell drehte Erik sich auf die Seite und schloss die Augen.
Zögerlich holte er das Handy aus der Tasche. Es dauerte dennoch sicherlich fünf Minuten, bis Erik sich durchgerungen hatte, den Chat mit Tom zu öffnen. Mit irgendjemandem musste er reden und da er seiner Mutter nicht davon erzählen konnte, kam niemand sonst infrage. Also flogen Eriks Finger hektisch über die virtuelle Tastatur.
『Hast du Zeit? Können wir uns treffen?』
Gespannt wartete er. Die Anzeige sprang nach zwei Minuten um, also hatte Tom die Nachricht bekommen und gelesen. Weitere zehn vergingen, ohne dass eine Antwort eintraf. Zur Sicherheit prüfte Erik die Uhrzeit. Es war nach fünfzehn Uhr und er wusste genau, dass Tom am Donnerstag um die Zeit keine Vorlesungen mehr hatte.
Erik schluckte, als das gleiche Etwas, wie eben, ihm jetzt nicht nur den Magen, sondern auch noch den Hals zuschnürte. Warum zum Teufel meldete Tom sich nicht? Wenn er keine Zeit hatte, konnte er das doch einfach sagen. Oder war er zu beschäftigt mit jemand anderem, um zu antworten?
『Ich würde wirklich gern mit dir reden.』
Wieder dauerte es keine zwei Minuten, bis die Anzeige bestätigte, dass Tom die Nachricht gelesen hatte. Aber weiterhin antwortete der Kerl nicht. Stirnrunzelnd starrte Erik auf das Display.
Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis das Handy dann schließlich doch piepte: 『Tut mir leid, Kumpel. Ich muss für die Prüfung lernen. Ist es sehr wichtig?』
Was sollte er darauf antworten? Erik würde wohl kaum fragen, ob Tom Zeit hätte, wenn es nicht dringend wäre. Schließlich prägte sich ihr Verhältnis nicht gerade aus regelmäßigen Plauderstündchen heraus. Enttäuscht antwortete Erik, dass es ‚okay‘ wäre und sie ein anderes Mal reden konnten.
Tatsächlich fühlte es sich überhaupt nicht in Ordnung an. Und zwar nicht, weil Erik gern mit jemandem über diesen Tag reden würde. Es war vielmehr, das Gefühl, als wäre Tom zunehmend abweisender, das Erik derart zusetzte. Der Versuch, sich einzureden, dass er sich das einbildete, scheiterte leider.
Erst als Erik die Wohnungstür hörte, rappelte er sich auf. Im Flur konnte er seine Mutter hören, wie sie sich auszog. Vielleicht sollte er mit ihr reden. Schließlich drängelte sie ja seit Längerem, dass Erik sich überlegen musste, was er mit seiner Zukunft anfangen wollte. Dann würde sie allerdings nachfragen, wie Berger denn ausgerechnet auf diese Idee kam. Und sicher würde Erik ihr nichts von der Hausaufgabe erzählen. Oder den Strafarbeiten. Selbst wenn er deren Inhalt, außen vor ließ, würde bei ihr am Ende ankommen, dass er welche hatte machen müssen.
‚Dann fragt sie nach warum‘, zuckte es ihm durch den Kopf und Erik in der Folge zusammen. Nein, das kam nicht infrage.
Aber die Idee von Berger ging ihm nicht aus dem Kopf. Deshalb öffnete Erik den Laptop und begann im Internet nachzusehen, was das Studium denn alles beinhalten würde. Vielleicht war die Sache am Ende interessanter, als er bisher angenommen hatte.
✑
Am nächsten Tag stand Erik, wie so oft an einem Freitagabend in den letzten Wochen, hinter der Bar im Rush-Inn und zapfte gerade ein Bier für einen Gast. Der Schultag war angesichts des gestrigen Tagesverlaufs erstaunlich ruhig gewesen. Selbst Sandro hatte sich dezent zurückgehalten. Und Berger hatte weder in Bezug auf die Hausaufgabe noch irgendetwas sonst irgendwelche blöden Kommentare abgegeben.
Zugegeben wäre schlechte Laune bei Erik heute Abend reichlich hinderlich. Denn der Laden war voll, wie fast jeden Freitag. Tatsächlich schien der Ansturm aus irgendeinem ihm nicht erklärbaren Grund heute sogar größer zu sein als sonst. Erik überlegte, was daran Schuld sein mochte, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen.
„Ganz schön voll“, murmelte er an Benny gewandt, der wieder einmal mit ihm gemeinsam Dienst schob.
Grinsend zuckte der mit den Schultern. „Es geht auf den Frühling zu“, meinte Benny kurz darauf mit einem Lachen.
Als würde das irgendetwas erklären. Dieses Gefasel über Frühlingsgefühle hatte er noch nie wirklich kapiert. Erik jedenfalls fühlte sich wie immer. Was in letzter Zeit einem ‚reichlich beschissen‘ glich. Vor allem da Tom für diesen Abend ebenfalls ein Treffen abgesagt hatte.
„Irgendwie hab ich nicht wirklich dieses Frühlingsfeeling“, bemerkte Erik deprimiert. „Abgesehen von der Frühjahrsmüdigkeit.“
Die hatte er zugegeben häufiger. Allerdings waren die Nächte in letzter Zeit selten ruhig. Bei Tom wachte er meistens zu früh auf. Und zu Hause konnte Erik gar nicht erst einschlafen. Dazu hatte er ständig das Gefühl, als würde sein Leben nur noch aus Schule, Arbeit und dem Versuch sich mit Tom zu treffen bestehen.
Mit einem breiter werdenden Lächeln legte Benny Erik einen Arm um die Schulter und schlug ihm kurz mit der anderen Hand gegen die Brust. „Ach komm schon mein Großer!“, tönte Benny feixend. „Du bist doch noch viel zu jung für den Blues.“
Erik lachte verhalten. Mit einem freundschaftlichen Schubs gegen die Schulter drängte er Benny von sich weg. „Du bist gerade einmal drei Jahre älter als ich.“
„Und mindestens dreißig weiser. Vergiss das besser nicht, Junior.“
Bevor Erik dazu kam, sich wenigstens einen guten Spruch als Antwort auszudenken, tat Alex grinsend auf sie zu: „Solange noch Kundschaft nach Bier schreit, keine gemeinsamen Pausen.“
Nicht sicher, ob Alex wirklich sauer war, zuckte Erik zusammen und schielte zu Benny. Dessen Grinsen wurde jedoch sogar breiter, als der sich plötzlich geradezu an Erik klammerte und währenddessen – recht erfolglos – versuchte, ihren Chef unschuldig anzusehen.
„Och, das ist jetzt aber gemein, Alex. Heißt das, ich darf ihn nicht auf einen Quickie nach hinten entführen?“
Erik war sich sicher, dass sein Kopf in diesem Augenblick vor Scham explodierte. Hastig kämpfte er sich aus Bennys Umarmung frei und trat einen Schritt beiseite.
„Das ist nicht ...!“, stammelte Erik, um Alex zu beruhigen.
Der lachte jedoch und winkte belustigt ab. „Keine Angst, Junge. Du bist nicht sein Typ.“
„Was?“ Unsicher sah Erik zwischen Benny und Alex hin und her, die sich köstlich zu amüsieren schienen.
Dann wurde Alexanders Blick plötzlich ernst und seine Stimme eiskalt, als er auf Benny zutrat und dem fest in die Augen sah: „Außerdem habe ich es dir schon einmal gesagt: Wenn ich dich noch mal mit runtergelassener Hose im Lager mit einem der Gäste erwische, reiß ich dir jedes Schamhaar einzeln aus.“
Erik erstarrte. Die Seite von Alex hatte er bisher nie gesehen. Und mit einem Mal war er sich verflucht sicher, dass er sie nie wieder sehen wollte. Alex wirkte sonst stets lustig und gut drauf, aber das eben erinnerte ihn an den mordenden Blick, den Berger Sandro letztens zugeworfen hatte. Nur, dass der bei Berger deutlich anziehender gewesen war. Bewies zumindest das allein bei der Erinnerung daran schon wieder einsetzende Kribbeln in Eriks Weichteilen eindrucksvoll.
Plötzlich stand Alex vor Erik. In dem Moment wäre er am liebsten davongelaufen. Gründe hätte es ausgesprochen viele dafür gegeben. Anstatt des kühlen Ausdrucks strahlte ihn jedoch ein schelmisches Grinsen an: „Und falls du das dringende Bedürfnis haben solltest, Benny für irgendwelchen Blödsinn, den er sagt, die Nase zu brechen, machst du das bitte auch nach der Schicht.“
Schnell nickte Erik, da er schon wieder am liebsten im Boden versunken wäre. Irgendwie hatte er durch Alexanders Jobangebot angenommen, der hätte den Vorfall mit Domi und dessen Exkurs auf dem Herrenklo vergessen. Aber scheinbar hatte der Mann ein Gedächtnis, das seinesgleichen suchte.
Benny und Erik wurden zurück an ihre Arbeit geschickt, während Alex sich einem der Gäste am Ende der Bar zuwandte und den mit einem fröhlichen Lachen begrüßte, als würde er ihn seit zwanzig Jahre kennen.
„Das war unheimlich“, keuchte Erik, nachdem sein Hirn allmählich wieder in Gang gekommen war. Als Benny nicht antwortete, sondern lediglich seine Weste zurechtrückte, konnte Erik dann aber doch nicht widerstehen nachzuhaken: „Hast du echt mit einem Gast im Lager gefickt?“
Benny grinste ihn dümmlich an und deutete dann auf Erik selbst: „Hast du einem die Nase gebrochen?“
Er lachte und zuckte mit den Schultern: „Sein Gesicht war zumindest recht blutig.“
„Respekt. Du machst eigentlich nicht den Eindruck, als ob du die Muskeln auch gebrauchen würdest“, entgegnete Benny, weiterhin ohne auf Eriks ursprüngliche Frage zu antworten.
„Und?“
„Was und?“, murmelte Benny und schob sich den Tresen entlang in Richtung eines Gastes, der nach einem weiteren Bier winkte.
Erik nahm das benutzte Glas und schob es in die Spüle. „Also hast du“, bemerkte er mit anhaltendem Grinsen, während er aus dem Augenwinkel zu Benny schielte.
„Hey, wir waren zu dem Zeitpunkt schon ein Jahr zusammen. Ist nicht so, als ob ich jemanden abgeschleppt hätte, der hier versackt ist“, gab Benny mit einem Seufzen zu.
Eriks Grinsen verschwand. Benny war sonst eine wahre Frohnatur – nicht unähnlich ihrem Chef. Aber mit einem Mal wirkte er recht bedrückt und das passte irgendwie nicht zu ihm.
„Seid ihr noch zusammen?“, fragte Erik vorsichtig, nicht sicher ob er diese Frage stellen durften – oder sollte.
„Nein.“
Wieder zögerte Erik, aber dann hakte er nach: „Warum nicht?“
Benny fuhr sich durch die Haare und seufzte erneut. „Keine Ahnung. Es hat irgendwann einfach nicht mehr gepasst.“ Mit einem nicht ganz so fröhlichen, und dennoch ehrlichen Lächeln zuckte Benny erneut die Schultern: „Manchmal reicht es halt nur für anderthalb Jahre und nicht für die Ewigkeit.“
Erik schluckte. Das mit Tom schien im Augenblick für gar nichts gereicht zu haben. Jedenfalls nicht für eine echte Beziehung, wie Erik sie sich vorgestellt hatte. Andererseits hatte er die Treffen mit Tom ja nicht mit der Absicht begonnen, den ernsthaft zu Daten. Im Gegenteil. Erik war sogar froh gewesen um die Ungezwungenheit, die zwischen ihnen geherrscht hatte.
‚Nur Sex‘, hallte es durch seinen Kopf. Aber so sehr Erik sich manchmal wünschte, dass er diese Einstellung zurückholen konnte, sie gefiel ihm nicht mehr.
„Bist du verknallt?“
Irritiert sah Erik auf und bemerkte, dass Benny ihn weiterhin ansah. Vor allem aber wurde ihm in diesem Augenblick klar, dass es nicht er selbst gewesen war, der diese Frage gestellt hatte, sondern sein Kollege.
„Was? Ich ... Keine ... Ahnung“, presste Erik irgendwann stammelnd heraus. Glücklicherweise kam in dem Moment ein weiterer Gast vorbei und verlangte Nachschub. Die Gelegenheit war günstig, um sich von Benny weg an einen anderen Teil der Bar zu begeben, damit die Situation nicht noch peinlicher werden konnte.
„Dein Student?“, fragte es jedoch, kaum dass Erik nächste Gast versorgt war, neben ihm. Er verzog das Gesicht, was Benny erneut zum Lachen brachte. „Ach komm schon, er macht ja durchaus einen netten Eindruck.“
„Nett ist die kleine Schwester von scheiße“, murmelte Erik automatisch. Auch wenn er dafür ein weiteres Lachen von Benny erntete, konnte er den kurzen Stich im Magen, ob der eignen Worte, bereits fühlen.
Wieder kamen Gäste vorbei und sie waren beide für einen Moment abgelenkt. Aus dem Augenwinkel beobachtete Erik, wie sich Benny eines Mannes annahm, der offensichtlich erhöhten Redebedarf hatte.
Auch nach inzwischen bald zwei Monaten hielt Erik selbst sich, was diesen Teil des Jobs anging, dezent zurück. Allerdings hatte er mit Alex darüber gesprochen und der ihm versichert, dass er von keiner der Aushilfen erwartete, dass sie diese Aufgabe ebenfalls übernahmen. Die Leute zu bedienen war okay, aber mehr als die dafür notwendigen drei Sätze wollte Erik eigentlich mit niemandem hier reden.
Deshalb war es merkwürdig, Benny dabei zuzusehen, wie der so unbefangen mit vollkommen fremden Leuten redete. Erik wüsste nicht einmal, was er sagen sollte. Geschweige denn, dass er sich in der Lage sehen würde, irgendwelche Ratschläge zu geben. Da war er vermutlich der letzte Mensch auf Erden, den jemand fragen sollte.
„Kann ich ... noch ein Bier ... haben?“, quietsche von rechts plötzlich eine zitterndes Stimmchen.
Stirnrunzelnd drehte Erik sich herum und starrte den Kerl an, der ihm gerade mit bebender Hand ein Bierglas hinhielt. Ob das Zittern von der Anstrengung kam das Glas zu halten oder weil der Mann sich nicht traute, war schwer zu sagen. Genauso wie Erik sich bei dessen Anblick nicht sicher war, ob der Typ überhaupt volljährig war. Allerdings hatte ihm ja scheinbar bereits jemand ein Bier gezapft gehabt, also würden Alex oder Benny das hoffentlich geprüft haben.
„Klar“, antwortete Erik irgendwann, darum bemüht die Stimme leise zu halten, damit er den Kleinen nicht weiter erschreckte.
Kaum dass Erik ihm das Glas abgenommen und zur Spüle gestellt hatte, schob der Gast sich die Brille auf der Nase nach oben, während die darunter liegenden Augen nervös von einer Seite zur anderen zuckten.
„Hast du irgendwelche Probleme?“, hörte Erik sich fragen, bevor er wusste, wie er überhaupt auf die bescheuerte Idee kam, mit einem der Gäste, mehr als notwendig zu reden.
Offenbar sah der Kerl auf der anderen Seite der Bar das genauso, denn er schüttelte hastig den Kopf. Mit gesenktem Blick schob er einen fünf Euroschein über die Theke, als Erik ihm das Glas reichte. Nachdenklich verfolgte Eriks Blick den Kleinen, nachdem er diesem sein Wechselgeld gegeben hatte, während der sich, mit dem Bier zwischen den Händen, auf einen der Stühle im Halbdunkel an der Wand zurückzog.
‚Einer von denen‘, zuckte es Erik durch den Kopf, bevor er sich bremsen konnte. Verärgert über sich selbst, schnaubte er und spülte lieber das Glas von dem Kleinen, anstatt weiter über diesen nachzudenken.
Trotzdem wanderte Eriks Blick in den folgenden Minuten immer wieder in ebenjene Richtung, ohne dass er es verhindern konnte. Der Kleine sah nicht verängstigt aus, wie er da auf dem Stuhl hockte. Aber es war mehr als offensichtlich, dass er nicht angesprochen werden wollte. Und zwar nicht nur aufgrund der hier geltenden unausgesprochenen Regel, dass wer sich dort an der Wand aufhielt, kein Date suchte. Abweisender als der Kerl da konnte man nicht wirken.
„Sag mal“, fragte Erik nach einer Weile Benny und deutete unauffällig in die Richtung, in der sein verschreckter kleiner Gast saß und ihm allmählich zu denken gab. „Hat den einer von euch kontrolliert? Ist der wirklich achtzehn?“
Benny grinste. „Germain? Klar, der ist älter als ich.“
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen klappte Eriks Kinnlade herunter. Das brachte Benny natürlich erst Recht zum Lachen und ihn selbst dazu, seine Fassung möglichst schnell wieder in den Griff zu bekommen.
„Du verarschst mich. Der sieht aus wie fünfzehn. Höchstens!“
Diesmal lachte Benny deutlicher und klopfte Erik auf die Schulter. „Kleiner, wenn ich dich aufs Kreuz legen will, dann sicher nicht mit so etwas. Wobei du halt echt nicht mein Typ bist. Sorry!“
„Was?“
Diesmal tätschelte Benny ihm grinsend die Wange, bevor er antworte. „Sorry Erik. Aber ich steh mehr auf die zahmen Hauskätzchen als bellende Hunde. Dein Student könnte mir da wesentlich besser gefallen.“
Schon wieder konnte Erik Benny lediglich entsetzt anstarren und es dauerte wertvolle Sekunden, bevor es regelrecht aus ihm herausplatze: „Der ist eher eine ausgewachsene Raubkatze.“
Benny wirkte erstaunt, als er zurückzuckte. Weitere Kundschaft lenkte beide zunächst ab, bei nächstbester Gelegenheit sprach Erik die Sache erneut an. Denn sicher konnte er Tom nicht als zahmes Hauskätzchen sehen.
„Wie kommst auf diese Idee?“, fragte Erik Benny, als sie beide gerade keine weitere Kundschaft zu haben schienen.
„Was meinst du?“
Erik verdrehte genervt von Bennys offensichtlicher Begriffsstutzigkeit die Augen, bevor er fortfuhr: „Na, dass Tom ein zahmes Kätzchen wäre.“
Benny grinste hinterhältig. „So, so er heißt also Tom.“ Erik schnaubte wütend, aber Benny winkte schnell ab. „Schon gut. Wie meine ich das? Weiß nicht. Er wirkt auf mich, als wäre er permanent auf der Suche nach seinem Kuschelkissen und ein paar zusätzliche Streicheleinheiten.“
Verwirrt runzelte Erik erneut die Stirn. „Er steht nicht sonderlich aufs Kuscheln“, murmelte Erik vor sich hin, nicht sicher, warum er überhaupt mit Benny über sein Verhältnis zu Tom sprach.
„Das meine ich nicht“, winkte Benny hastig ab. „Mehr dieses ... Ein Kuss am Morgen nach dem Aufstehen, eine kurze Umarmung in der Küche. Der Abend auf dem Sofa beim Fernsehen. So etwas. Du weißt schon.“
Nein, das wusste Erik nicht und er verstand auch nicht, wie Benny auf die Idee kam, dass Tom auf das Zeug stehen würde. Ihm gegenüber hatte der Kerl so etwas jedenfalls nie erwähnt, nicht einmal angedeutet. Und dass der Morgenmuffel Tom irgendwelche Küsschen am Frühstückstisch verteilen oder wenigstens schätzen würde, klang absolut unrealistisch.
‚Und wenn Benny recht hat?‘
Eriks Herzschlag beschleunigte sich. Vielleicht war das ja der Grund, warum Tom sich in letzter Zeit so abweisend zu verhalten schien. Womöglich fehlte ihm genau so etwas und Erik hatte es nur nicht erkannt. Was, wenn das zwischen ihnen so mies lief, weil er nie kapiert hatte, was Tom wirklich wollte? Wenn Erik mehr auf diese Seite eingehen könnte, vielleicht würde sich dann ihr Verhältnis wieder verbessern. Womöglich kam Erik darüber irgendwann an den Punkt, wo es sich tatsächlich wie eine Beziehung anfühlte.
✑
Als Erik am nächsten Tag aufwachte, fühlte er sich allerdings erst einmal ausgelaugt. Die Schicht im Rush-Inn letzte Nacht war am Ende länger gewesen, als er gedacht hatte. Normalerweise kam Erik spätestens Mitternacht aus der Kneipe heraus. Gestern war allerdings kurz vor zwölf eine Gruppe junger Männer hereingestürmt und hatten verkündet, dass sie den jeden Moment einsetzenden Geburtstag ihres Kumpels feiern wollten.
Alex hatte gegrinst und war geschäftstüchtig wie immer dazu übergangen den Herren einem nach dem anderen ein Bier zu reichen. Die gegen Mitternacht stets trüber werdende Stimmung war damit so aufgehellt gewesen, dass ein Großteil der verbliebenen Gäste sich der spontanen Party angeschlossen hatten.
Mit einem nicht gerade verhaltenen Gähnen quälte Erik sich aus dem Bett und schlurfte ins Bad. In der Küche war Geklapper zu hören, seine Mutter also zu Hause. Eine Überprüfung dieser Theorie sparte Erik sich jedoch bis nach der bitternötigen Dusche.
Letzte Nacht war er einfach zu müde gewesen, um darauf Zeit zu verschwenden. Aber jetzt am Morgen hatte Erik tatsächlich das Gefühl, noch immer den Geruch von Schweiß und Alkohol aus jeder Pore seines Körpers auszudünsten. Bei der Meinung seiner Mutter in Bezug auf das Trinken war es keine gute Idee, ihr so unter die Augen zu treten.
Die Dusche hatte zusätzlich den Vorteil, dass Erik danach wach war. Als er sich in seinem Zimmer frische Klamotten holte, warf er ebenso einen Blick auf das Handy, das irgendwie den Weg auf den Schreibtisch gefunden hatte. Wie immer in letzter Zeit, war keine Nachricht von Tom gekommen.
Nachdenklich drehte Erik das Gerät zwischen den Fingern hin und her. Vielleicht hatte Benny ja recht und Tom erwartete etwas, das Erik ihm bisher nicht gegeben hatte. Zugegeben vor allem deshalb, weil er keinen blassen Schimmer gehabt hatte, dass Tom womöglich auf so ein schnulziges Zeug stehen könnte. Küsschen am Morgen und Umarmungen in der Küche? Echt jetzt?
„Bei dem Kerl, der immer schon vorbereitet darauf wartet gerammelt zu werden? Und nicht einmal ansatzweise aufs Kochen zu stehen scheint?“, murmelte Erik nachdenklich. Wenn Tom viel Wert auf zusätzliche Intimität legen würde, müsste dann nicht wenigstens ab und an mal so etwas wie Vorspiel drinnen sein?
Erik seufzte und kratzte sich versonnen am Kopf. ‚Schadet sicher nicht, es auszuprobieren‘, sagte er sich selbst und ließ sich auf den Stuhl fallen. Zunächst zögerlich, dann immer entschlossener tippte Erik eine Nachricht ins Handy.
『Hast du Lust, dich heute Abend zu treffen?』
Das war unverfänglich genug, um Tom jede Möglichkeit offen zu halten, wie der Abend verlaufen konnte. Dafür müsste der aber erst einmal zusagen. Was in letzter Zeit ja nicht sonderlich häufig der Fall gewesen war.
『Acht Uhr bei mir?』
Einen Moment zögerte Erik. Wenn er direkt zu Tom fuhr, war absehbar, wo der Besuch recht schnell enden würde. Jedenfalls so lange dessen Mitbewohner nicht wieder einen Brettspielabend veranstalteten. Bei dem Gedanken zuckte Erik kurz zusammen.
„Das gehört wohl dazu“, murmelte er seufzend und schrieb Tom die Zusage zurück.