Jo stellte sich Peroy gegenüber. Sein Blick war kühl, die Haltung des breiten Körpers wirkte entspannt, doch davon ließ Jo sich nicht täuschen. Sie wusste, dass jeder Muskel unter der schwarzen Trainingshose und dem anliegenden, langärmligen Shirt kampfbereit waren. Peroys braune Augen fixierten sie mit solcher Intensität, dass Jos Körper kribbelte. Tief holte sie Luft, während sie sich zur Ruhe zwang. Wenn sie kopflos vorging, hätte sie keine Chance gegen den Mann, der sie um beinah zwei Köpfe überragte, und das wussten sie beide.
Wie zur Bestätigung zuckte Peroys Mundwinkel kurz nach oben. „Bereit?“, fragte er.
„Immer“, entgegnete sie und kaum hatte das Wort ihre Lippen verlassen, gingen sie aufeinander los.
Zeitgleich machten sie einen Satz aufeinander zu. Jo wollte nach rechts ausweichen, um Peroy an der Seite zu erwischen, doch er schien ihre Bewegung vorhergesehen zu haben. Sein massiger Körper stellte sich ihr in den Weg, ein Bein schob sich so schnell zwischen ihre, dass sie einen Ausfallschritt machen musste, um nicht sofort zu Boden zu gehen. Noch während ihre Füße nach Halt suchten, wich sie Peroys erstem Schlag aus. Rasch duckte sie sich, ehe sie einen Hieb seiner Linken mit dem Arm abwehrte. Gerade als sie zum Konter ansetzen wollte, traf sie Peroys Knie im Magen. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als der Schmerz einsetze und sie sich reflexartig krümmte.
„Deine Deckung“, schallte Vellris‘ Stimme durch die Trainingshalle zu ihr herüber und sofort riss Jo die Arme nach oben. Gerade noch rechtzeitig, um Peroys Fausthieb einzukassieren, der sonst garantiert ihr Kinn getroffen hätte. Fluchend fiel Jo auf die Knie, rollte sich ab und kam hinter ihrem Gegner wieder auf die Füße. Als sie seinen kräftigen Arm umklammerte, ihn mit geübtem Griff auf den Rücken drehte und mit einem gezielten Tritt zu Boden warf, wehrte er sich nicht.
Jo erkannte ihren Fehler in dem Moment, in dem es zu spät war.
Peroy wandte sich in einer fließenden Bewegung aus ihrem Griff, fuhr herum und riss sie zu sich herunter.
Sie schaffte es gerade noch, das Kinn an die Brust zu ziehen und so ihren Kopf vor dem harten Aufprall zu schützen. Dann spürte sie auch schon Peroys Gewicht auf sich. Rittlings saß er auf ihr, die Beine drückten ihre Schenkel herunter, während sein Leib ihre Hüfte quasi am Boden festnagelte, sodass Jo vollkommen unfähig war, sich zu bewegen.
Einen Unterarm hatte Peroy in Sekundenschnelle gegen ihre Kehle gedrückt, während sich seine freie Hand um ihr Handgelenk schloss. Sein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter über dem ihren, während er ihr die Luft abdrückte. Jo hätte am liebsten laut geflucht, allerdings fehlte ihr dafür der nötige Sauerstoff in der Lunge. Stattdessen starrte sie Peroy einfach nur grimmig an, während in seinen Augen kein Funke Siegesfreude zu erkennen war. Wie immer.
„Nicht einmal eine Minute“, hörte sie Vellris knappe Einschätzung und endlich löste Peroy seinen Griff. Er sprang mit einem Satz auf und blickte auf sie herab.
„Das war miserabel“, sagte er ohne jede Wertung in der Stimme und streckte ihr den Arm entgegen.
Jo ließ sich von ihm auf die Füße ziehen, ehe sie sich über die schmerzende Kehle rieb. „Was du nicht sagst.“
„Was war denn mit deiner Deckung los?“, mischte Vellris sich jetzt ebenfalls ein.
Jo zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Lust, sich zu rechtfertigen, denn sie konnte sich selbst nicht erklären, wieso sie so unkonzentriert gewesen war.
Ihr Blick huschte zu der Gruppe Männer hinüber, die an der Wand lehnten, und ihre klägliche Vorstellung mit Peroy beobachtet hatten. Grays Miene wirkte ebenso nachdenklich, wie die von Vellris. Taruns Gesicht war ausdruckslos, was sie nicht besonders überraschte, denn offenbar war der Kerl nicht gerade für seine Gefühlsausbrüche bekannt. Aiden hingegen sah sie so eindringlich an, dass Jo eine Gänsehaut bekam.
Die Tatsache, dass sie gerade vor versammelter Mannschaft versagt hatte, machte ihr nichts aus.
Das Einzige, was sie wirklich störte war, dass Aiden ihre Blamage mit angesehen hatte.
Was seltsam war, denn sie kannte den Mann nicht und sollte sich einen Dreck um seine Meinung kümmern. Seltsamerweise fiel es ihr aber ausgesprochen schwer, den Blick von ihm loszureißen.
„Bin heute nicht so gut drauf“, murmelte sie schließlich und erntete dafür ein Schnauben von Peroy.
„Das ist doch Schwachsinn“, mischte Aiden sich plötzlich ein. „Sie sollte mit jemandem trainieren, der ihr ebenbürtig ist.“
Jos Kinnlade klappte herunter und sie starrte ihn fassungslos an.
Sofort hob Aiden abwehrend die Hände. „Ich meine ja nur, dass es nicht fair ist, dich gegen jemanden kämpfen zu lassen, der was? Doppelt so viel wiegt wie du?“